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Untitled - Hessisches Landestheater Marburg

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kuttneR eRkläRt<br />

die Welt<br />

gaSTSPIEL<br />

vIdEoScHnIPSELvorTag von JürgEn KuTTnEr (*1958)<br />

marburg-PrEmIErE 01. dEZEmbEr 2010, büHnE<br />

Die planten einen Abend, zum siebten Jahrestag vom<br />

Mauerfall, und mir fiel nichts ein, da hieß es: »Zeig ein-<br />

fach Fernsehschnipsel und red’ dazu«, erklärt der professionelle<br />

Gedankenmacher und philosophische<br />

Performer Jürgen Kuttner die Geburtsstunde<br />

der Videoschnipselvorträge an der Berliner Volksbühne<br />

im Jahre 1996. Inzwischen findet man<br />

die Kultveranstaltung im Spielplan der Münchner<br />

Kammerspiele, des Burgtheaters Wien und des<br />

Schauspiel Köln.<br />

Bevor das Publikum den Filmausschnitt sieht,<br />

erklärt der Ex-Fernseh- und Radiomoderator<br />

wortreich und mit vielen Abschweifungen, was<br />

seiner Meinung nach auf den Bildern zu sehen<br />

ist. Der Blick, der sich unter dem Comedyhaften,<br />

manchmal Banalen seiner Wortkaskaden verbirgt,<br />

ist ein kulturwissenschaftlich geschulter.<br />

Kuttner hat bei Wolfgang Heise Ästhetik studiert<br />

und später eher widerwillig eine Doktorarbeit<br />

über Massenkultur verfasst. Die Vorträge unter<br />

so abenteuerlichen Überschriften wie »Die<br />

Geburt des radikalen Islamismus aus dem Hüftspeck<br />

des deutschen Schlagers« sind in ihren<br />

besten Momenten Vorlesungen ohne Manuskript.<br />

Da hält er nebenbei in zwei Minuten einen<br />

Vortrag über die Dialektik Hegels und bittet, doch<br />

nicht schon bei der These, sondern erst bei<br />

der Synthese zu lachen. Lachen Sie nicht doof, lachen<br />

Sie intelligent und qualifiziert.<br />

Jeder Abend hat ein eigenes Motto, eine eige-<br />

ne These. Dabei kann es einerseits um so Grund-<br />

sätzliches gehen wie Liebe, Sex, Krieg, Kinder,<br />

32<br />

Autos, andererseits aber auch um so diffizile<br />

Probleme wie das Demokratisierungspotential<br />

des deutschen Schlagers, die Politiktauglichkeit<br />

mittelamerikanischer Rauschkakteen, die ästhetischen<br />

Irrungen Mick Jaggers, das Aggressionspotential<br />

des Handyklingelns des deutschen<br />

Außenministers oder die Frage, mit welchen<br />

Präsenten man KPDSU-Generalsekretären eine<br />

Freude machen kann.<br />

Ab 2010/2011 werden die Videoschnipselvor-<br />

träge auch im Spielplan des Hessischen <strong>Landestheater</strong>s<br />

<strong>Marburg</strong> zu finden sein. Kuttner wird<br />

die Freunde der improvisierten Welterklärungstheorien<br />

zur <strong>Marburg</strong>er Fangemeinde vereinen.<br />

InS THEaTEr gEHEn,<br />

um fErnSEHEn Zu gucKEn<br />

von Thomas Linden<br />

Ins Theater gehen, um Fernsehen zu gucken,<br />

soweit sind wir nun schon, könnte man denken –<br />

wenn man sieht, wie Jürgen Kuttner die Welt<br />

erklärt. Der ehemalige Radiomoderator zeigt<br />

Filmausschnitte (meist Amateurmaterial oder<br />

Beiträge aus Uralt-Fernsehtagen) und spricht<br />

über sie. Bis zu einer Viertelstunde verbaler<br />

Vorlauf, dann zwei Minuten Videoschnipsel.<br />

Kuttner ist Kult. Außer einer Leinwand, auf der<br />

er mit dem Laptop auf Tastendruck die Szenen<br />

einspielt, gibt es keinerlei optischen Aufwand.<br />

Keine Powerpoint-Spielereien, der Mann ist sich<br />

selbst Programm. Er redet wie ein Wasserfall,<br />

oftmals bekommt er das, was er sagen möchte,<br />

gar nicht schnell genug heraus. »Beat im Altersheim«<br />

lautete die erste Folge. Es sollte ums<br />

Altern gehen, aber jedes andere Thema wäre<br />

auch denkbar gewesen, Kuttner spricht sowieso<br />

buchstäblich über Gott und die Welt. Das ist<br />

intelligent, mitunter witzig, aber auch nicht so,<br />

dass sein Publikum aus dem Lachen nicht mehr<br />

heraus käme. Abgesehen von der angenehm<br />

schmucklosen Präsentation gibt es nichts, das<br />

nicht schon jemand anders vor ihm gemacht<br />

oder gedacht hätte. Das weiß der kluge Kuttner<br />

und sagt es auch. Im Grunde entspricht sogar<br />

die Struktur dieses Spektakels den Methoden<br />

des Fernsehens: Alles Gezeigte wird bis in den<br />

letzten Winkel erklärt – von der Aufnahme<br />

eines Geburtstagsständchens, über die Bilder<br />

einer Gruppe Straßensänger in Düsseldorf 1958<br />

bis hin zu den Schulfunksendungen der DDR.<br />

Kein Kunststück, sich über den beschränkten<br />

Horizont vergangener Zeiten lustig zu machen.<br />

Das sagt Kuttner selbst, wie er überhaupt alle<br />

kritischen Positionen zu seinen Events selbst<br />

besetzt.<br />

in Kölnische Rundschau, 22.11.2009

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