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Untitled - Hessisches Landestheater Marburg

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die scHmutzigen Hände<br />

von JEan-PauL SarTrE (1905–1980)<br />

PrEmIErE 11. dEZEmbEr 2010, büHnE<br />

rEgIE andré röSSLEr<br />

Hugo, ein junger, aus dem Bürgertum stammender<br />

Intellektueller, schließt sich einer radikalen<br />

revolutionären Partei an, um seinem quälenden<br />

Gefühl der privaten und gesellschaftlichen<br />

Leere endlich Taten folgen zu lassen. Im Auftrag<br />

einer innerparteilichen Oppositionsgruppe<br />

soll er den hohen Funktionär Hoederer erschießen,<br />

da dieser mit der bürgerlichen Partei<br />

eine Koalition bilden will. Hugo drängt sich<br />

danach, diese Tat zu begehen, um von seinen<br />

Genossen anerkannt zu werden. Die vielen<br />

Gelegenheiten zu schießen, lässt er in<br />

seiner Befangenheit zögernd und ungenutzt<br />

verstreichen.<br />

Der unerfahrene Idealist ist dem Realpolitiker<br />

Hoederer nicht gewachsen: Die politische<br />

Verantwortung, die Hugo übernommen hat,<br />

weicht zunehmend einer privaten, individuellen<br />

Wahrnehmung seines ›Opfers‹. In einem Akt<br />

der Eifersucht erschießt er schließlich Hoederer.<br />

Nach Verbüßung seiner Haftstrafe hat sich<br />

die Parteilinie geändert, und keiner will mehr von<br />

Hugos Mord wissen. Mit den Worten nicht ver-<br />

wendungsfähig geht er entschlossen seinem Freitod<br />

entgegen.<br />

Sartre stellt die Frage nach der politischen Ver-<br />

antwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft<br />

klug neben die persönlichen Motive des<br />

Lebens und des politischen Handelns. Er for-<br />

mulierte damit bereits 1948 ein Problem, das<br />

uns heute nach wie vor beschäftigt: Wie positio-<br />

niere ich mich als politisches Individuum inner-<br />

halb der Gesellschaft?<br />

34<br />

… waS IcH SagEn woLLTE<br />

von Jean-Paul Sartre<br />

Der Sinn des Dramas deckt sich nicht mit dem<br />

Schicksal Hugos. Ich wollte zwei Dinge sagen.<br />

Einerseits dialektisch das Problem der Erfordernisse<br />

der Praxis der Zeit untersuchen. […] Das<br />

ist es, was mich interessiert: die dialektische<br />

Notwendigkeit im Innern einer Praxis. Noch<br />

einen anderen Punkt möchte ich gern klarlegen:<br />

Ich habe das größte Verständnis für die Haltung<br />

Hugos, aber Sie haben unrecht zu meinen,<br />

dass ich mich in ihm verkörpere. Ich verkörpere<br />

mich in Hoederer. Ideell, natürlich; glauben<br />

Sie nicht, ich behauptete, Hoederer zu sein…<br />

Hoederer ist der, der ich sein möchte, wenn ich<br />

Revolutionär wäre…<br />

Hugo, das sind meine Studenten, meine ehe-<br />

maligen Studenten. Das sind die jungen Leute,<br />

die zwischen 1945 und 1948 die größten Schwierigkeiten<br />

gehabt haben, sich dem Kommunismus<br />

anzuschließen, und zwar deshalb, weil sie<br />

mit ihrem bürgerlichen Werdegang nicht einer<br />

Partei gegenüberstanden, die ihnen hätte helfen<br />

können, sondern einer Partei, die mit ihrem<br />

Dogmatismus die Fehler dieser jungen Leute<br />

ausnutzte, um sie zu Radikalen, Extremisten etc.<br />

zu machen, oder sie zurückwies und sie damit<br />

in eine unhaltbare Lage brachte… Hugo hat also<br />

meine Sympathien in dem Maße, in dem ich<br />

mir sage: Hoederer hätte aus ihm jemanden<br />

machen können. Und es ist offensichtlich, dass<br />

ohne den Zwischenfall (die Kontingenz), den<br />

ich mit der Szene Jessica – Hoederer absichtlich<br />

einfügen wollte, Hugo von seinem Vorsatz<br />

abgelassen hätte, er hätte Hoederer nicht ge-<br />

tötet, und wenn Hoederer seine eigene Schlacht<br />

gewonnen hätte, wäre Hugo nicht sein Sekretär<br />

geblieben, er wäre von ihm geformt worden<br />

und wäre, wohl oder übel, ein wirklicher Revolutionär<br />

geworden. Aber Hugo ist in die Partei<br />

eingetreten, weil er von Walter, von Männern wie<br />

Walter angezogen war, was bedeutet, dass im<br />

Grunde der Dogmatismus Walters, der kein Dogmatismus<br />

der äußersten Linken ist, im ›Linksextremismus‹<br />

Hugos zum Ausdruck gelangt ist.

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