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22. Landesolympiade Latein und Griechisch in Oberösterreich 12.3

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Thomas v. Aqu<strong>in</strong>: De rationibus fidei DIALOG: Christentum - Islam<br />

Geschehen e<strong>in</strong>gebetteten Verständnis e<strong>in</strong>er Sache oder Person (wie der trotz<br />

Wesense<strong>in</strong>heit angenommenen Dreigestaltigkeit Gottes, die Vorstellung das Gott<br />

e<strong>in</strong>en Sohn zeugen konnte) e<strong>in</strong>en rationalen Kern, der nicht wegzuleugnen ist.<br />

Damit ergibt sich bereits (auch wenn es die Streitenden nicht gerne zugeben<br />

werden) e<strong>in</strong> M<strong>in</strong>imum an gegenseitigem Konsens, der im weiteren Gesprächsverlauf<br />

ausbaufähig ist.<br />

Konsensf<strong>und</strong>amentierung: Unter den von beiden Parteien als real (nachvollziehbar)<br />

e<strong>in</strong>gestuften Beweggründen gilt es nun jenen herauszufiltern, der gleich dem kle<strong>in</strong>sten<br />

geme<strong>in</strong>samen Nenner <strong>in</strong> der Arithmetik die festeste Gr<strong>und</strong>lage für die weitere<br />

Kontroverse bietet. Es geht also darum, e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Ausgangsbasis zu schaffen,<br />

e<strong>in</strong>en Gr<strong>und</strong>konsens herzustellen. Oder anders gesprochen: Die im dritten Schritt<br />

gef<strong>und</strong>enen Ankerpunkte zu erden, die Sprossen der künftigen Leiter mit e<strong>in</strong>ander zu<br />

verb<strong>in</strong>den <strong>und</strong> auf den Boden zu stellen, so dass sie nicht frei im Raum herumschweben,<br />

sondern ihnen e<strong>in</strong> fester Platz zukommt.<br />

Der 4. Schritt auf dem Weg zur Konfliktbewältigung gleicht somit dem Stiften e<strong>in</strong>es<br />

geme<strong>in</strong>samen Rahmens oder e<strong>in</strong>er Handlungsstruktur, den man mit dem E<strong>in</strong>schlagen<br />

von Wandhaken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e steile Felswand vergleichen kann. Dieser Schritt kann <strong>in</strong> der<br />

Formulierung e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>samen Metaziels ebenso bestehen wie <strong>in</strong> der Fixierung<br />

e<strong>in</strong>zelner Komponenten, denen e<strong>in</strong>e Wertigkeit zugeordnet wird. Sie muss ke<strong>in</strong>esfalls<br />

auf beiden Seiten identisch se<strong>in</strong>. Alle<strong>in</strong> dadurch, dass gewissen Faktoren (die auch dem<br />

Gegner als solche begreiflich s<strong>in</strong>d) e<strong>in</strong> gewisses Gewicht zukommt <strong>und</strong> jene zue<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong> Bezug gesetzt werden, wird im weiteren Gesprächsverlauf der <strong>in</strong>nere<br />

Zusammenhang klar. Aus losen Bauste<strong>in</strong>en entsteht so das Gr<strong>und</strong>gerüst e<strong>in</strong>es<br />

Gedankengebäudes, ähnlich den tragenden Mauern <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus. Wenn ich weiß, wie<br />

das Haus me<strong>in</strong>es Gegenübers aussieht, verstehe ich auch, warum er die konstruktiven<br />

Elemente so <strong>und</strong> nicht anders setzt. Daraus resultiert die E<strong>in</strong>sicht, warum für den<br />

Anderen e<strong>in</strong> mir unbedeutendes Element von enormer Wichtigkeit se<strong>in</strong> kann. Aus<br />

ursprünglich re<strong>in</strong> faktischen (nach Zufallspr<strong>in</strong>zip zustande gekommenen) Übere<strong>in</strong>stimmungen<br />

entstehen Vektoren <strong>und</strong> Gedankenrichtungen, die Folgehandlungen<br />

plausibel ersche<strong>in</strong>en lassen.<br />

Im Dialog kann das bedeuten, dass der Andere e<strong>in</strong>e Sache (die unbestreitbar ist)<br />

zwar gr<strong>und</strong>sätzlich anders sieht, denn Gegner jedoch im Kontext se<strong>in</strong>er Handlung<br />

verstehen kann, weil er erkannt hat, dass dessen Faktoren anders gewichtet s<strong>in</strong>d.<br />

Um es wieder an e<strong>in</strong>em konkreten Beispiel zu erörtern, sei die Gestalt von Jesus<br />

Christus aus der Schrift De rationibus fidei von Thomas von Aqu<strong>in</strong> herausgegriffen:<br />

Sie wird <strong>in</strong> allen drei großen monotheistischen Religionen (Christentum,<br />

Judentum, Islam) als existent betrachtet (Ebene 3), doch <strong>in</strong> jeder dieser drei<br />

Konfessionen kommt ihr e<strong>in</strong>e andere Bedeutung zu (Ebene 4): Während Christus im<br />

Islam e<strong>in</strong>e Randersche<strong>in</strong>ung ist, spielt er im Judentum e<strong>in</strong>e zentrale, wenn auch<br />

nicht die überragende Rolle. Im Christentum ist er der Messias schlechth<strong>in</strong>, der im<br />

Begriff der Dreifaltigkeit mit Gott zu e<strong>in</strong>em Wesen verschmilzt. Letzteres mag auf<br />

rationaler Ebene noch unbegreiflich bleiben. Doch wer den unterschiedlichen<br />

Konnex kennt, sich die Relevanz e<strong>in</strong> <strong>und</strong> desselben Faktums im Geiste des jeweils<br />

Anderen vorstellen kann, vermag den Anderen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Handeln zu begreifen,<br />

ohne persönlich dieser Auffassung zu erliegen. Nicht der Gegner <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit<br />

wird begreiflich, sondern Teilaspekte se<strong>in</strong>es Agierens werden e<strong>in</strong>sichtig, der<br />

Lat. OLYMPIADE 2007/08 45 © Claudia-Mart<strong>in</strong>a Perkounig

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