NeueChorszene 11 - Ausgabe 2a/2009

lich bewunderte englische Regierungssystem
war keine demokratische Volksherrschaft.
Der Adel und das reiche
Großbürgertum stellten die Vertreter im
Parlament, denen es vor allem um die
Interessen ihrer Stände ging.
Und doch - es ließ sich leben in dieser
Stadt. 10 Die Unterhaltungsmöglichkeiten
und Freizeitvergnügen blieben nicht
auf die höheren Klassen beschränkt.
Die feine Gesellschaft unternahm ihre
Ausritte und Kutschfahrten in die Parks
am Stadtrand. Aber die öffentlichen
Parks in London lockten mit einer Fülle
von Spektakeln - von Hahnenkämpfen
bis zu Konzerten, vom Kricketspiel
bis zu öffentlichen Hinrichtungen - die
Menschen an, nicht selten quer durch
alle gesellschaftlichen Schichten. Dieser
Konkurrenz mussten die Theater
der Stadt standhalten und überboten
sich gegenseitig um die Gunst des
Publikums. Den Spitzenplatz unter den
unzähligen Zerstreuungen, die den
Londoner Bürgern und Adeligen zur
Verfügung standen, hielt jedoch unbestritten
die Oper.
Um die Oper stand es aber um 1710
nicht gut. Der Musikhistoriker Charles
Burney (geb. 1726) schreibt dazu
in seinem vierbändigen Werk über die
Geschichte der Musik 11 : „Die Engländer
müssen zu der Zeit einen ganz ungewöhnlichen
Hunger und Durst nach
dramatischer Musik gehabt haben, um
durch einen solchen Trödel angezogen
und unterhalten zu werden.“
Für Händel bot das liberale Klima
der aufstrebenden Weltstadt mit der
intellektuellen und wirtschaftlichen Aufbruchstimmung
eines selbstbewussten
10 Binder Seite 80 ff.
11 Erschienen von 1776 bis 1789
und kulturbeflissenen Bürgertums
eine ideale künstlerische Plattform. Er
hatte hier weit größere künstlerische
Freiräume als in den absolutistischen
Fürstentümern Deutschlands oder bei
den adligen oder geistlichen Mäzenen
der italienischen Kunstmetropolen.
Und: er hatte hier weder als Komponist
noch als Solist auf Orgel und Cembalo
einen Konkurrenten von annähernd
seinen Fähigkeiten. London schien auf
einen solchen Musiker nur zu warten.
Sein Ruf war ihm schon vorausgeeilt.
Der oben zitierte Charles Burney, der
Händel 1741 persönlich kennen lernte,
bemerkt in dem genannten Werk: „Der
Ruf von den ausnehmenden Talenten
und Fähigkeiten, welche Händel besaß
und von dem Beifall, den er sich
durch beide in Italien und Deutschland
erworben hatte, war in England schon
vorläufig bekannt geworden und verschaffte
ihm eine leichte und günstige
Aufnahme bei Hofe und in vielen von
den ersten Familien.“
Ende November 1710 verabschiedete
sich Händel von Düsseldorf und strebte
ohne weitere Umwege seinem eigentlichen
Ziele zu. Er nahm „den kürzesten
Weg durch Holland, allwo er sich nach
Engeland einschiffte“. 12
In London war das Haymarket Theatre
als Sitz der italienischen Oper für Händel
die erste Anlaufstelle. Dort war alles
bereit: ein eingespieltes Ensemble
mit dem Starkastraten Nicolini, ein mit
italienischer Musik vertrautes Orchester
und ein opernhungriges Publikum.
Es fehlte nur ein Komponist von Rang.
Kein Wunder, dass schon am 24. Februar
1711, Händels erste Oper für dieses
Haus Premiere hatte: Rinaldo, die
12 Mainwaring
Sonderausgabe NC 2a / 09
19