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Michael Liska Ein Vergleich der rumänischen und bulgarischen Juden

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2) Die allgemeine politische Entwicklung<br />

2.1) Bulgarien<br />

Um die Haltung Bulgariens im Zweiten Weltkrieg verstehen zu können, muß<br />

man zum ausgehenden 19. Jahrhun<strong>der</strong>t zurückblicken. Der Friedensvertrag von San<br />

Stefano vom Frühjahr 1878 markierte das Ende des Russisch-türkischen Krieges <strong>und</strong><br />

schuf – vorerst nur auf dem Papier – ein Bulgarien, das in bezug auf die Größe des<br />

Territoriums zum Teil an die mittelalterlichen Reiche erinnerte. Dieser Staat umfaßte<br />

Thrakien, Mazedonien, die Dobrudscha <strong>und</strong> die „westlichen Grenzgebiete“ (mit den<br />

Städten Niš, Pirot <strong>und</strong> Vranje im südlichen Teil des heutigen Serbien bzw. <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esrepublik<br />

Jugoslawien). Schon am Berliner Kongreß im Juni <strong>und</strong> Juli 1878 zerstückelte<br />

man diesen Staat, indem Donaubulgarien (zwischen Donau <strong>und</strong> dem Balkangebirge)<br />

<strong>und</strong> das Gebiet von Sofija zum tributpflichtigen Fürstentum gegenüber<br />

dem Osmanischen Reich ausgerufen wurden. Südostbulgarien wurde dagegen unter<br />

dem Namen „Ostrumelien“ als autonome türkische Provinz konstituiert. Die nördliche<br />

Dobrudscha fiel an Rumänien als Entschädigung für Südbessarabien, das an<br />

Rußland fiel, Serbien erhielt die oben genannten westlichen Grenzgebiete. Das<br />

Schlimmste für die Bulgaren war, daß Mazedonien weiterhin türkische Provinz blieb.<br />

Die Haltung des englischen Premiers Disraeli 18 am Berliner Kongreß war übrigens<br />

<strong>der</strong> Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> ersten großen antijüdischen Demonstrationen. Man warf ihm vor,<br />

nur deswegen die Stabilisierung <strong>der</strong> Osmanischen Herrschaft auf dem Balkan zu favorisieren,<br />

weil er die privilegierte Stellung <strong>der</strong> dortigen <strong>Juden</strong> angeblich sichern<br />

wollte. <strong>Ein</strong> weiterer Gr<strong>und</strong> war die zum Teil verständliche protürkische Haltung<br />

mancher <strong>Juden</strong> nach <strong>der</strong> Befreiung Bulgariens. Gegen Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

wurden auch drei Fälle von angeblichen Ritualmorden bekannt. Aber schon 1880<br />

unterzeichnete Fürst Alexan<strong>der</strong> einen Erlaß betreffend die Gründung von <strong>Juden</strong>gemeinden<br />

mit je einem Rabbiner. Diese sollten den Oberrabbiner wählen, <strong>der</strong> staatlichen<br />

Unterhalt bekam.<br />

Die verheerende Zerstückelung sollte bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhun-<br />

18 Benjamin Disraeli: Earl of Beaconsfield (1876), englischer konservativer Politiker. geboren am 21.12. 1804 in London,<br />

gestorben am 19.4.1881 in London. Er trat 1817 vom <strong>Juden</strong>tum zum Christentum über, war seit 1837 Abgeordneter<br />

<strong>und</strong> seit 1846 Parteiführer im britischen Unterhaus. Er vertrat einen unabhängigen Konservatismus, <strong>der</strong> die Bindung<br />

an Krone, Adel <strong>und</strong> Staatskirche mit sozialpolitischen Ideen von Arbeiterschutz <strong>und</strong> Arbeiterwohlfahrt verband<br />

(Tory-Demokratie). 1868 <strong>und</strong> 1874–1880 war Disraeli Premierminister. Er sicherte 1875 England durch Aktienkauf<br />

den maßgebenden <strong>Ein</strong>fluß auf den Suezkanal, veranlaßte 1876 die Proklamation des Kaiserreichs Indien <strong>und</strong> verhin<strong>der</strong>te<br />

1878 auf dem Berliner Kongreß die russische Ausdehnung auf dem Balkan. Seine imperialistische Konzeption<br />

leitete einen Umschwung <strong>der</strong> britischen Politik in Indien <strong>und</strong> im Nahen Osten ein.<br />

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