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ach Rumänien werde er nicht noch mal<br />

Nfahren, erklärt Louis Hofmann, der jugendliche<br />

Darsteller des Tom Sawyer, mit Bestimmtheit.<br />

Komische Autos gebe es dort, und mit<br />

dem Wetter sei es auch nicht weit her. Für Regisseurin<br />

Hermine Huntgeburth, den Produzenten<br />

Boris Schönfelder (Neuen Schönhauser Filmproduktion)<br />

und ihre Verfilmung von Mark<br />

Twains Jugendbuchklassiker war Rumänien jedoch<br />

ein Glücksfall. Dort stehen – erbaut für<br />

Anthony Minghellas Film „Cold Mountain“ –<br />

die Kulissen einer amerikanischen Ostküstenstadt,<br />

die nun für „Tom Sawyer“ das Mississip-<br />

pistädtchen St. Petersburg darstellten.<br />

In NRW folgten die Innenaufnahmen, für<br />

die in den Kölner MMC-Studios vier Sets in zwei<br />

Hallen entstanden. Darunter auch das Klassenzimmer<br />

des Titelhelden.<br />

Pulte für 24 Schüler stehen ordentlich in<br />

Reih und Glied, Lederstücke und kleine<br />

Schwämme liegen bereit, <strong>als</strong> seien die Schüler<br />

nur eben auf dem Pausenhof. Petroleumlampen<br />

hängen an der Wand, in der Ecke steht ein Kanonenofen,<br />

im Regal ausgestopfte Tiere. Viel<br />

Gefundenes, Altes, habe man für die Gestaltung<br />

des Schulraums von 1850 benutzt, erläutert Produzent<br />

Boris Schönfelder. Denn, wie so oft beim<br />

Film, bereitete das „Auf alt“-Machen die größte<br />

Arbeit. So wurden die Holzbänke nachgebaut<br />

und dann so sorgfältig abgeschubbert, dass<br />

man jetzt, angesichts der Reste von grüner Farbe<br />

auf den Pulten, tatsächlich den Eindruck hat,<br />

<strong>als</strong> hätten zahllose Generationen von Kindern<br />

sie mit ihren Unterarmen abgeschmirgelt – vol-<br />

ler Unruhe, wann die Stunde endet und das<br />

Abenteuer beginnt.<br />

Das Personal aus Mark Twains Roman ist –<br />

nicht zuletzt auch von diversen Verfilmungen<br />

– hinlänglich bekannt: Der Waisenjunge Tom,<br />

der bei seiner Tante Polly aufwächst, sein Freund<br />

Huckleberry Finn und die reizende Richtertochter<br />

Becky, der Säufer Muff Potter und das zwielichtige<br />

Halbblut Indianer Joe. Produzent Boris<br />

Schönfelder, der das Projekt initiiert hat‚ das die<br />

<strong>Filmstiftung</strong> NRW mit 700.000 Euro unterstützt,<br />

outet sich <strong>als</strong> Fan seit Kindertagen. Für die Idee<br />

einer Neuverfilmung sei es dann aber auch nicht<br />

unerheblich gewesen, dass er selbst einen Sohn<br />

habe, der jetzt in das Alter komme von Tom und<br />

Huck. Die große Stärke der Story sei, dass Twain,<br />

wie einmal ein Literaturwissenschaftler ausgezählt<br />

habe, gleich 40 Grundsituationen behandelt,<br />

in die Kinder geraten können. Eine Art<br />

Wegweiser zum Erwachsenwerden, ohne aufdringlich<br />

belehrenden Zeigefinger.<br />

Schönfelder ist es wichtig, eine Umsetzung<br />

zu schaffen, „die sich nicht einem vermeintlich<br />

modernen Geschmack der Kinder anbiedert“,<br />

sondern „außerhalb der Zeit“ stehe und einen<br />

eigenen „Look“ besitze, wie ihn etwa die Coen-<br />

Brüder für ihre Südstaaten-Odyssee „O Brother,<br />

Where Art Thou?“ geschaffen hätten. Nur behutsam<br />

habe man die Geschichte verändert, etwa<br />

um die Figur der Tante Polly interessanter<br />

zu machen. Das ist sie natürlich schon deshalb,<br />

weil Polly von Heike Makatsch gespielt wird.<br />

Schönfelders „Wunschbesetzung“ – ebenso wie<br />

Benno Fürmann <strong>als</strong> Indianer Joe, mit eigens er-<br />

worbener Solariumbräune, Irokesenfrisur und<br />

angeklebter Adlernase.<br />

An diesem Nachmittag in den MMC-Studios<br />

in Köln-Ossendorf steht eine der von Drehbuchautor<br />

Sascha Arango neu erdachten Szenen<br />

auf dem Plan. Ganz anders <strong>als</strong> im Roman<br />

kommt in Hermine Huntgeburths Film – mit der<br />

jüngsten und attraktivsten Tante Polly aller Zeiten<br />

– vorübergehend der Verdacht auf, dass zwischen<br />

Polly und Indianer Joe „etwas gehen“<br />

könnte. Das führt dazu, dass beim zart pubertierenden<br />

Tom unbewusste Eifersucht und Verlustängste<br />

ihren Ausdruck im Traum finden: Da<br />

sieht er, wie Polly und Joe miteinander tanzen.<br />

Tom schreckt hoch im Bett in seinem Jugendzimmer,<br />

das er sich mit dem braven Halbbruder<br />

Sid teilt. Und das in Wahrheit nur eine mit<br />

lichtdichter Folie umhüllte „Hütte“ ist in einer<br />

komplett schwarz gestrichenen Halle. Dort ist<br />

die Zimmer-Kulisse gleich neben dem Schulraum<br />

aufgebaut. Ein kleines Dachzimmer mit blau gestrichenen<br />

Holzwänden, in dem die Betten der<br />

Jungen an gegenüberliegenden Wänden stehen.<br />

Über Sids Bett ein ordentliches Bücherregal,<br />

bei Tom hingegen hängen Pfeil und Bogen<br />

und ein hölzernes Ritterschwert.<br />

Als nun der Alptraum Tom aus dem Schlaf<br />

reißt, ist Tante Polly da, um ihn liebevoll zu trösten.<br />

Die beiden sprechen darüber, was geschehen<br />

könnte, wenn Tom eines Tages nicht mehr<br />

da wäre. Nach wenigen Takes ist die Sache im<br />

Kasten. Als Heike Makatsch heraus kommt, gibt<br />

es Applaus vom Team, Blumen und ein Geschenk<br />

werden gebracht. Es war ihre letzte Ein-<br />

stellung im gesamten Film, und das Abschiedsgeschenk,<br />

die Biografie des Rock-Opas Keith Richards,<br />

erweist sich <strong>als</strong> Volltreffer für die verjüngte<br />

Tante Polly. „Hätte ich mir sowieso <strong>als</strong><br />

nächstes gekauft“, versichert Makatsch erfreut.<br />

Später berichtet sie von Kindheitserinnerungen<br />

an „Tom Sawyer“-Hörkassetten und beschreibt<br />

die Ambivalenz zwischen Verantwortung und<br />

Freiheit <strong>als</strong> das für sie zentrale Thema der Geschichte.<br />

Damit habe man ja überhaupt im Leben,<br />

nicht zuletzt in der Liebe, immer wieder<br />

zu tun.<br />

Wenige Tage später wird auch für alle an-<br />

Nach 20 Drehtagen in Rumänien betrat Tom Sawyer<br />

in den Kölner MMC-Studios einen Raum, den er nur mit<br />

Widerwillen aufsucht: sein Klassenzimmer. Hermine<br />

Huntgeburth verfilmte in NRW ihre Version des Klassikers<br />

von Mark Twain.<br />

Setbesuch: „Tom Sawyer“<br />

Tante Polly<br />

liest Keith<br />

Richards<br />

VON CHRISTIAN SEEBAUM<br />

deren Beteiligten des sieben Millionen teuren<br />

Projekts die letzte Klappe geschlagen. Damit<br />

geht ein Drehmarathon von 50 Tagen zu Ende.<br />

Dabei ist die Liste der Drehorte beinahe so lang<br />

wie die der Finanziers (neben der <strong>Filmstiftung</strong><br />

NRW sind Degeto, NDR, BR, Arte sowie Filmförderer<br />

aus Berlin-Brandenburg,<br />

Hamburg/Schleswig-Holstein, MDM, Nordmedia,<br />

FFA und DFFF beteiligt). So mimte in Brandenburg<br />

die Havel den Mississippi, eine Flussinsel<br />

fand sich in Sachsen, in Thüringen entstand<br />

der Friedhof, auf dem Tom und Huck ein<br />

schreckliches Verbrechen beobachten, und die<br />

Höhle, in der Tom und Becky sich verlaufen,<br />

wurde in Niedersachsen aufgenommen. Die Firma,<br />

die in der Postproduktion all diese Schauplätze<br />

mit Computerhilfe zu einem in sich geschlossenen<br />

Abenteuer zusammenfügt, trägt<br />

den hübsch koketten Namen „Lug und Trug“<br />

und hat ihren Sitz in Berlin und Köln. Das Ergebnis<br />

sehen wir im November 2011 im Kino.<br />

Schwerpunkt – newsletter 7/2010 21

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