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II. ETHISCHES 25<br />

Ziehung ein Zwang auferiegt werde. Besteht doch ihre biologische<br />

Funktion zum Teil gewiß darin, daß sie das lückenhafte Gefühlsleben<br />

der Menschen durch das Spiel der Phantasie ergänzt. Dazu gehört<br />

auch die Sinnlichkeit, Wo sie sich nicht in normaler Weise ausleben<br />

kann, wird sie durch die Illusion in [einer und dezenter Form lebendig<br />

erhalten. Eine solche Ergänzung unseres Gefühlslebens durch die<br />

freiwillige Erzeugung von Surrogatgefühlen im künstlerischen Phantasiespiel<br />

brauchen wir, damit unser zeitweise brachliegendes Gefühlsleben<br />

nicht völlig verdorrt und vertrocknet. Zu diesem Zweck schafft sich<br />

der Mensch instinktiv die Kunst, Sie bietet ihm Anschauungen dar,<br />

die ihn anregen, solche Surrogatgefühle zu erieben. Dadurch hebt<br />

er die Einseitigkeif und Lückenhaftigkeit seines Daseins wieder auf).<br />

Das muß aber auch wirklich in dezenter Weise geschehen. Denn<br />

es kommt darauf an, dem Kunstwerk den illusionären Charakter zu<br />

wahren. Die sinnliche Aufregung der beiden Geschlechter im verdunkelten<br />

Kino kann nicht als geeignetes Mittel dazu anerkannt werden.<br />

Eine gewisse Grenze zwischen Kunst und Bordell wird man ziehen<br />

müssen. Die Kunst darf sinnlich sein, solange sie Kunst bleibt. Ihre<br />

Sinnlichkeit Ist unberechtigt von dem Augenblick an, wo sie aufhört,<br />

es zu sein. Will man einmal die Scheidung praktisch durchführen,<br />

so fäUt das sexuelle Kinodrama nicht auf die Kunst-, sondern auf die<br />

Bordellseite, Es ist eine richtige Vorschule des Lasters.<br />

Im folgenden Kapitel werde ich nachweisen, worin das Unkünstlerische<br />

des Kinodramas besteht. Wir werden sehen, daß es vor allem<br />

das Fehlen des Wortes Ist, was ihm den rohen und unkünstlerischen<br />

Charakter gibt, den wir alle an ihm kennen. Das Wort spielt in der<br />

Poesie nicht nur die Rolle eines akustischen Reizes, der uns durch<br />

seinen Wohlklang von dem Grausigen, Häßlichen oder Anstößigen<br />

des Inhalts ablenkt, sondern es ist auch Träger und Mittel einer<br />

feineren psychologischen Motivierung, durch welche die dargestellte<br />

Sinnlichkeit oder Sünde in unseren Augen erst verständlich und glaubhaft<br />

wird. Und auf die Glaubwürdigkeit kommt es ja in der Kunst<br />

vor allem an.<br />

Wenn ein Dichter irgend eine Sünde, sagen wir die Verführung<br />

eines jungen Mädchens oder einen Ehebruch schildert, so hat er sein<br />

Augenmerk vor allem darauf gerichtet, sie psychologisch zu motivieren.<br />

Er zeigt uns, wie sie sich allmählich, aus kleinen Anfängen heraus im<br />

Menschen entwickelt hat. Schon in der Vererbung kann der Keim zu<br />

ihr liegen. Es ist nicht naturwissenschaftliche Gelehrsamkeit und auch<br />

') Diese Theorie, die ich als »Ergänzungstheorie« bezeichne,<br />

meinem Wesen der Kunst, 2. Aufl., 1907, begründet worden.

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