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Das größte Verbrechen des Strafgesetzes. - Welcker-online.de

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Aureole <strong><strong>de</strong>s</strong> Mysteriums, das Kunstgenie, das zugleich ein Gewaltmensch ist<br />

und die Künste und ihre Konventionen in einen eisernen Ring zusammenschweißt,<br />

in eine Kunst, — in eine Volks— und Gesamtkunst ...<br />

Solche Volks— und Gesamtkunst, von einem übergreifen<strong>de</strong>n, selbstherrlichen<br />

Willen geschmie<strong>de</strong>t, schließt freilich vieles Feine und Sublime aus, verbiegt<br />

und vergewaltigt Vieles, ist aber, auf einer breiten Kulturbasis ruhend,<br />

unendlich beredter, mächtiger und allgemein—verständlicher als die Einzelkünste.<br />

Eine solche Volks— und Gesamtkunst war vor allem das griechische<br />

Theater, in gewissem Sinne auch die mittelalterliche und neuere Kirchenkunst,<br />

die strengste, im feierlichen Hochamt kulminieren<strong>de</strong> Kunst <strong>de</strong>r Hieratik,<br />

und, in viel eingeschränkterem Maße als diese bei<strong>de</strong>n — von aristokratischerern,<br />

freierem Wesen, wenn man will —, die Shakespeare'sche Bühne. in<br />

je<strong>de</strong>m dieser Fälle han<strong>de</strong>lte es sich im Grun<strong>de</strong> darum, für das Leben einen<br />

Sinn und für diesen Sinn eine faßbare und überzeugen<strong>de</strong> Formel zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Die seelische Gefahr aller Hochkulturen besteht nämlich darin, daß <strong>de</strong>m Individuum,<br />

das in ihnen allmählich zu seiner höchsten und glänzendsten Entfaltung<br />

gelangt, zugleich auch die Sinn— und Be<strong>de</strong>utungslosigkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Einzellebens,<br />

das fürchterliche Verhängnis von Tod und Leid im ganzen Umfange bewußt<br />

wird. Begehrenswert einerseits ist das Leben <strong>de</strong>m Individuum gewor<strong>de</strong>n,<br />

tausend Interessen ketten es daran, mit tausend Begier<strong>de</strong>n klammert es<br />

sich ans <strong>Das</strong>ein, tausend Schönheiten und Köstlichkeiten erfand es sich, die<br />

zum ewigen Genusse la<strong>de</strong>n, — auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seite aber vergällt und vergiftet<br />

sinnloses Lei<strong>de</strong>n und fressen<strong>de</strong>r Zweifel ihm <strong>de</strong>n Genuß, zeigt die wachsen<strong>de</strong><br />

Erkenntnis ihm die Enge seiner Grenzen im Vergleiche mit <strong>de</strong>r himmelstürmen<strong>de</strong>n<br />

Flamme seines Wollens; zeigt <strong>de</strong>r geschärfte Blick ihm die Nichtigkeit<br />

alles hol<strong>de</strong>n Scheines und läßt ihn genießend verdursten, unter Reichtümern<br />

verarmen; droht eine tödliche Gewißheit mit einem sinnlosen, dumpfen<br />

En<strong>de</strong>, — mit <strong>de</strong>m Nichts ... Wenn dieser seelische Zwiespalt, dieses Lei<strong>de</strong>n am<br />

allzuheiß geliebten Leben bei <strong>de</strong>n besten und höchststehen<strong>de</strong>n Menschen<br />

chronisch wird, dann ist die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Gemeinschaft gefähr<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn das Interesse<br />

<strong>de</strong>r Polis erfor<strong>de</strong>rt gebieterisch, daß an <strong>de</strong>r absoluten Wünschbarkeit <strong><strong>de</strong>s</strong><br />

Lebens nicht gezweifelt wer<strong>de</strong>. Nur die unbedingte, uneingeschränkte Lebensbejahung<br />

läßt das vollentwickelte Individuum an <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e einer Interessengemeinschaft<br />

festhalten und <strong>de</strong>r Polis einen Teil seiner individuellen Interessen<br />

freiwillig und aus <strong>de</strong>m Gefühle <strong>de</strong>r Dankbarkeit zum Opfer bringen.<br />

Eine pessimistisch—rationalistische Lebensauffassung hingegen, die leicht ansteckend<br />

wirkt und wie eine Seuche um sich greift, lockert und löst <strong>de</strong>n innerlich—harmonischen<br />

Zusammenhang eines sozialen Baues und führt einen<br />

krankhaften, unfruchtbaren Verfallszustand herbei, eine kulturelle Anarchie<br />

in erster Linie, die sich in <strong>de</strong>r Auflösung <strong>de</strong>r künstlerischen Konvention und<br />

zuletzt in <strong>de</strong>r völligen Zersplitterung aller Kunstbestrebungen äußert.<br />

Die Kirche und ihre Kunst begegneten dieser Gefahr wirksam, in<strong>de</strong>m sie<br />

das En<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens rundweg negierten, <strong>de</strong>n Einzelnen kühn an die Ewigkeit<br />

anschlossen und das Lei<strong>de</strong>n als eine vorübergehen<strong>de</strong>, sekundäre Erscheinung,<br />

als Sün<strong>de</strong>nbuße o<strong>de</strong>r Prüfung erklärten. <strong>Das</strong> irdische Leben erhielt seinen<br />

Sinn, seine höhere, mystische Be<strong>de</strong>utung durch ein künftiges, ewiges Leben,<br />

<strong><strong>de</strong>s</strong>sen bloße Vorbereitung es sein sollte. Der griechische Geist war<br />

schon zu jener Zeit, in <strong>de</strong>r das nationale Musikdrama entstand, zu gewitzt, zu<br />

hellsehend und philosophisch, um sich mit intellektuellen Kühnheiten von <strong>de</strong>r<br />

Art <strong><strong>de</strong>s</strong> Personalunsterblichkeits—Glaubens ernstlich abzugeben. Olymp und<br />

Ha<strong><strong>de</strong>s</strong> waren ästhetische Konvention, die Bewahrung dieser Konvention trotz<br />

<strong>de</strong>r in diesem Punkte allgemeinen Skepsis war zugleich eine Pietät <strong>de</strong>r home-<br />

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