Das größte Verbrechen des Strafgesetzes. - Welcker-online.de
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o<strong>de</strong>r zwei Krankheiten als ärztliche Indikation für Fruchtabtreibung. Heute<br />
weiß man, daß eine ganze Reihe von chronischen Krankheiten durch Schwangerschaft,<br />
Geburt und Wochenbett sehr ungünstig beeinflußt wer<strong>de</strong>n. <strong>Das</strong> Leben<br />
<strong>de</strong>r Mutter ist mehr wert als das Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> Nasciturus, Auch die Gesundheit<br />
<strong>de</strong>r Mutter ist mehr wert als das Leben <strong><strong>de</strong>s</strong> Nasciturus. Weil aber das<br />
Kin<strong>de</strong>rgebären auch für gesun<strong>de</strong> und kräftige Frauen nicht gefahrlos ist, hat<br />
man die Vergrößerung <strong>de</strong>r Gefahr bei kranken und schwachen Frauen für<br />
nichts geachtet.<br />
Wenn ein Mensch sich hinlegt und stirbt, so ist das eine unwi<strong>de</strong>rstehliche<br />
<strong>de</strong>monstratio ad oculos, daß, man von ihm nichts verlangen kann. We<strong>de</strong>r<br />
zum Steuerzahlen kann man ihn verhalten, noch zum Kin<strong>de</strong>raustragen o<strong>de</strong>r<br />
zu irgend etwas an<strong>de</strong>rem. Wenn er <strong>de</strong>m Asklepios noch einen Hahn schuldig<br />
ist, so kann er ihn schlachten lassen o<strong>de</strong>r auch nicht:. qui moritur cogi non potest.<br />
Aber die Natur macht keine Sprünge und so ist <strong>de</strong>r natürliche Übergang<br />
vom Leben zum To<strong>de</strong> gewöhnlich ein langsames Sterben und heißt mit hun<strong>de</strong>rt<br />
Namen Schwindsucht, Krebs, Schrumpfniere und so weiter. Auch an solche<br />
Sterben<strong>de</strong> darf die Gesellschaft keine Ansprüche stellen,. Die Ärzte pflegen<br />
bei unheilbarer Schwindsucht <strong>de</strong>n künstlichen Abortus abzulehnen, weil<br />
sie wenigstens das kindliche Leben erhalten wollen, wo das mütterliche ohnehin<br />
verloren ist. <strong>Das</strong> scheint <strong>de</strong>n Ärzten ein Exempel nach Adam Riese. Wüßten<br />
die Schwindsüchtigen, wie nahe ihnen <strong>de</strong>r Tod ist, so wür<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>r für<br />
Keimabtötung drohen<strong>de</strong>n Strafen lachen, <strong>de</strong>nn fünf und zehn Jahre Zuchthaus<br />
können <strong>de</strong>n nicht schrecken, <strong>de</strong>r in fünf Monaten das Zeitliche zu segnen beabsichtigt.<br />
Und wüßten die schwangeren Schwindsüchtigen, ob nun heilbar<br />
o<strong>de</strong>r unheilbar, daß Fruchtaustragung und Wochenbett sie regelmäßig<br />
schwer und <strong>de</strong>letär schädigt, dann wären sie mit Recht über ihre Ärzte entrüstet.<br />
Wie kann eine Frau, die sich selber nicht erhalten kann, in <strong>de</strong>r das Leben<br />
mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> ringt, zur Erhaltung <strong>de</strong>r Gattung gezwungen wer<strong>de</strong>n, —<br />
wenn sie es nicht trotz Kenntnis <strong>de</strong>r Sachlage selber verlangt was ja häufig<br />
genug vorkommt. Lebten wir in Hellas o<strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>rn Staate, <strong>de</strong>m an<br />
Züchtung <strong><strong>de</strong>s</strong> Volkes gelegen wäre, so wür<strong>de</strong> vermutlich die Austragung <strong>de</strong>r<br />
Kin<strong>de</strong>r von Schwindsüchtigen verboten wer<strong>de</strong>n; <strong>de</strong>nn wenngleich die Tuberkulose<br />
nicht erblich ist, so ist es doch die schwächliche Konstitution, <strong>de</strong>r habitus<br />
plithisicus, und das ist für die große Volksmenge beinahe dasselbe. Zu allem<br />
Überfluß gibt es zwischen heilbarer und unheilbarer Schwindsucht keine<br />
Grenzen, keine sicheren Kriterien. Leichte Phthisen heilen unter günstigen<br />
Umstän<strong>de</strong>n, schwere en<strong>de</strong>n letal und mittelschwere heilen o<strong>de</strong>r en<strong>de</strong>n letal,<br />
wies Gott gefällt. Aber es steht geschrieben: unheilbar Schwindsüchtige müssen<br />
austragen, und von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.<br />
Bei heilbarer Schwindsucht treibt man je<strong>de</strong>nfalls in <strong>de</strong>r zweiten Hälfte<br />
<strong>de</strong>r Schwangerschaft nicht mehr ab, weil <strong>de</strong>r Eingriff <strong><strong>de</strong>s</strong> künstlichen Abortus<br />
in diesem Stadium kaum leichter ist als Geburt und Wochenbett. <strong>Das</strong> ist einwandfrei.<br />
in <strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>r Schwangerschaft wird erst beobachtet, ob<br />
die Phthise durch die Schwangerschaft progredient wird o<strong>de</strong>r nicht (Körpergewicht),<br />
man treibt nur im ersten Falle ab. Weiche Engherzigkeit! <strong>Das</strong> Zuwarten<br />
ist gefährlich, weil eine heilbare Schwindsucht durch Progredienz in<br />
eine unheilbare sich verwan<strong>de</strong>ln kann. Es ist gefährlich, weil die Hauptgefahr<br />
für Schwindsüchtige im Wochenbett liegt, das sich in keinem Falle voraus bestimmen<br />
läßt; es ist unbegreiflich, wenn man be<strong>de</strong>nkt, daß von Schwindsüchtigen<br />
sorgsam alle Schädlichkeiten ferne gehalten wer<strong>de</strong>n, daß ihnen alle Arbeit,<br />
Nachtwachen, alle Exzesse verboten wer<strong>de</strong>n, daß ihnen aber an<strong>de</strong>rerseits<br />
<strong>de</strong>r Beitrag zur Volksvermehrung nicht erlassen wer<strong>de</strong>n soll. Die Indika-<br />
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