Bundestagsabgeordneter Volker Kauder zur Sommertour 2013:
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Vera Lengsfeld in Rottweil KREISTEIL<br />
Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld in Rottweil<br />
Weil sie einen Artikel der DDR-Verfassung propagierte,<br />
landete sie für vier Wochen im Gefängnis<br />
Vera Lengsfeld gehörte zu den herausragenden,<br />
mutigen Bürgerrechtlern, die<br />
schon in den frühen 1980er Jahren mit ungeheuer<br />
viel Mut sich für Freiheit und Demokratie<br />
einsetzten, gegen die Diktatur in<br />
der DDR, gegen Willkür und Unfreiheit.<br />
„Es ist für uns eine Ehre, dass Sie den<br />
Weg aus Thüringen nach Rottweil angetreten<br />
haben, um über das Thema „Die friedliche<br />
Revolution 1989/90 und Europa“ zu<br />
reden und mit uns zu diskutieren, freute<br />
sich der CDU-Kreisvorsitzende Stefan Teufel<br />
bei der Begrüßung der heute 61-Jährigen<br />
im Refektorium des Kapuziner bei der<br />
gemeinsam mit dem CDU-Stadtverband<br />
durchgeführten und zusammen mit dessen<br />
Vorsitzenden Michael Lacher moderierten<br />
Veranstaltung.<br />
Und alle, die dabei waren, erlebten eine<br />
denkwürdige Sternstunde. In der Vera<br />
Lengsfeld in eindrucksvoller Art und Weise<br />
die Situation in der damaligen DDR beschrieb,<br />
„die heute leider oft zu sehr verdrängt<br />
oder auch vergessen wird, wobei<br />
die Ostalgie mehr im Westen stattfindet,<br />
während wir wussten und nicht vergessen,<br />
was es hieß, in der Diktatur zu leben.“<br />
Sehr deutlich wurde in ihrer Schilderung,<br />
dass, wie im gesamten Ostblock, auch im<br />
anderen Teil Deutschlands schon zu Zeiten<br />
des so genannten Kalten Krieges Friedensund<br />
Umweltgruppen unter dem Dach der<br />
evangelischen Kirche sich zusammenfanden<br />
(Erich Honecker hatte ihr aus taktischstrategischen<br />
Gründen einen Freiraum gelassen,<br />
in der Hoffnung, damit Anerkennung<br />
„in der Welt“ finden zu können) und<br />
mit Mut und großem persönlichen Einsatz<br />
für Demokratie und Meinungsfreiheit einzutreten.<br />
Mit gänzlich skurril anmutenden,<br />
aber bitterernsten Momenten. So beschrieb<br />
Vera Lengsfeld in ihrem Vortrag,<br />
dem die Teilnehmer der Veranstaltung gebannt<br />
folgten, wie sie sich mit ihrer Gruppe<br />
am 17. Januar 1988 einer Demonstration<br />
der SED zu Ehren von Liebknecht und Luxemburg<br />
anschloss und ein Plakat mit Artikel<br />
27 der DDR-Verfassung bei sich führte:<br />
„Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen<br />
Republik hat das Recht, ... seine Meinung<br />
frei und öffentlich zu äußern.“ Was<br />
könnte wohl geschehen, wenn man die<br />
DDR-Verfassung vor sich herträgt, fragte<br />
sich Vera Lengsfeld. Bis zu 48 Stunden<br />
Haft, eventuell, ohne Gesetzesgrundlage<br />
zwar, aber dies war so üblich. Sie landete<br />
für vier Wochen im berüchtigten Zuchthaus<br />
Hohenschönhausen! Und nochmals<br />
fast nicht zu glauben: Gegen ihren Willen<br />
wurde sie nach England abgeschoben,<br />
wurde eine Einladung zu einem „Studienaufenthalt“<br />
auf die britische Insel suggeriert.<br />
Was denjenigen unverständlich war,<br />
die gerne gegangen wären, deren Ausreise<br />
aber abgelehnt wurde.<br />
Lebendige deutsche Geschichte, vermittelt<br />
von einer Frau, die es für notwendig<br />
hält aufzuklären, das Unrechtsregime als<br />
solches zu benennen. Ohne Schaum vor<br />
dem Mund. Ganz und gar sachlich. Wie sie<br />
auch über Gregor Gysi nicht urteilte, sondern<br />
lediglich beschrieb, wie er als letzter<br />
SED-Vorsitzender und heutiger Fraktionsvorsitzender<br />
der Partei Die Linke („dies<br />
einfach der heutige Name der ein paar Mal<br />
umbenannten ehemaligen DDR-Staatspartei“)<br />
Bedingungen stellt, wer mit ihm in<br />
eine Talkshow darf und wer nicht. „Gysi,<br />
der von vielen Medien so sehr gehypt wird,<br />
lehnt es ab mit mir zu diskutieren.“ Und<br />
ganz gegen seine sonstige Gewohnheit<br />
ging er auch nicht gerichtlich vor gegen<br />
die Auseinandersetzung von Vera Lengsfeld<br />
in ihrem Buch „Ich wollte frei sein. Die<br />
Einblicke in das Leben einer so sehr couragierten Bürgerrechtlerin. In der Diskussion wurde<br />
etwas zu viel über die konkrete Europapolitik angesprochen. Beim nächsten Mal - so die<br />
Hoffnung nicht weniger - sollte Vera Lengsfeld gefragt werden nach ihrer Zeit nach 1990,<br />
die ebenfalls teilweise sehr dramatisch verlief.<br />
Rottweil 7-8/<strong>2013</strong> >>> Seite 16<br />
Vera Lengsfeld: Bürgerrechtlerin und viel<br />
mehr, eine beeindruckende Persönlichkeit.<br />
Mauer, die Stasi, die Revolution“, in der sie<br />
auch über das verschwundene SED-Vermögen<br />
schreibt.<br />
Doch für Vera Lengsfeld geht es mit dem<br />
Erinnern an die Diktatur in der DDR darum,<br />
die Zukunft in Deutschland, in ganz<br />
Europa so zu gestalten, wie es immer ihr<br />
Wunsch, ihr Traum gewesen war, ein ganzes<br />
Leben lang. So ist es folgerichtig, dass<br />
sie, die von 1990 bis 2005 dem Deutschen<br />
Bundestag angehört hatte, den Bogen<br />
spannte von den Ereignissen der friedlichen<br />
Revolution hin <strong>zur</strong> Entwicklung<br />
Europas. Denn „ohne die Opposition im<br />
gesamten Ostblock wäre es nicht möglich<br />
gewesen, dass Europa wieder eins ist.“ Die<br />
Voraussetzungen dazu sind geschaffen<br />
worden durch den großen Einsatz von mutigen<br />
Menschen wie Vera Lengsfeld.<br />
Und auch so ist es naheliegend, dass sie<br />
sich für die weitere Gestaltung dieses freiheitlichen<br />
und friedlichen Europa einsetzt.<br />
Das nicht überlagert werden soll von Diskussionen<br />
um Ölkännchenverordnungen,<br />
sondern gestaltet als eine Gemeinschaft<br />
ohne Grenzen, in der Marktwirtschaft, Demokratie,<br />
Meinungsfreiheit und der friedliche<br />
Wettbewerb auch mit den anderen<br />
Regionen der Welt den Menschen die Freiheit<br />
zu verantwortlichem Handeln ermöglicht.<br />
Deswegen gehört für Vera Lengsfeld die<br />
gelungene Überwindung der Teilung und<br />
das Schaffen des einigen Europa untrennbar<br />
zusammen.<br />
Und dafür streitet sie. Am Abend im Kapuziner<br />
und am darauf folgenden Morgen<br />
im AMG in Rottweil. In die Wege geleitet<br />
hatte der Zimmerner Walter Schwer den<br />
Besuch der Aachener Friedenspreisträgerin,<br />
wofür Stefan Teufel ihm im Namen der<br />
Veranstalter und aller Besucher herzlich<br />
dankte.