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OLLA PODRIDA!<br />

knochenputz<br />

es war einer dieser tage, an denen die<br />

Mondkälber schon am frühen Morgen<br />

steptanzkurse für fortgeschrittene auf<br />

der hypophyse abhalten. im Wartehäuschen<br />

an der bushaltestelle richtung obernau<br />

begattete ein chihuahua eine vermooste,<br />

an beiden enden sabbernde<br />

Mopsdiva mit altrosa chiffonhalsband.<br />

Kein tag wie jeder andere, rätschte der<br />

Migrosfischfachverkäufer seiner Kollegin<br />

zu, die nervös im aufschnitt herumkramte,<br />

die Kinder seien heute besonders laut.<br />

in denen uralte Zusammenhänge unsichtbar<br />

durch die lebensräume schiessen und<br />

alles mit allem verknüpfen. am Morgen<br />

war mir ein buch aus dem regal gefallen,<br />

aus dem nachlass eines Vaterfreundes, der<br />

mir einst auf dem sterbebett zugeflüstert<br />

hatte, dass uns – und er sei froh, jetzt gehen<br />

zu können – ein neuer byzantinismus<br />

erwarte. Zugegeben, byzanz war mir zuvor<br />

nur ein klingendes Wort mit hoher<br />

scrabble-Punktzahl gewesen, und schlau<br />

wurde ich aus der Prophezeiung bis heute<br />

Und dann stand sie vor mir, die Supermami<br />

im schicken Betroffenheitsoutfit, omnipotent<br />

im Ausbalancieren des Globalgeschehens<br />

und sicher hoch versichert.<br />

früher tage. Disney hat seine hausaufgaben<br />

gut gemacht, und jener sei ein schelm,<br />

der dabei böses denkt … ach Kinder, diese<br />

Zeiten! Jeder tag ein Wunderwerk der<br />

unverständlichkeit. Vorhin habe ich angesichts<br />

einiger Kellerfunde einmal ins netz<br />

geschaut und bin erschüttert: in sammlerportalen<br />

stagnieren die schlumpfpreise,<br />

und das seit den lehman brothers!<br />

aber warten wir ab; vielleicht ziehen sie ja<br />

wieder mal an. Wenn die Zimmer neu<br />

strukturiert und die sprossen wieder<br />

keimfrei sind. Wenn die Parteien keine<br />

neuen Präsidentschaftskandidaten mehr<br />

finden, weil alle irgendwann mal in die<br />

Webcam gewichst haben und die skandalspeicherplatten<br />

nichts vergessen können.<br />

Wenn man die neuen chefs ob ihrer moralischen<br />

unbedenklichkeit in abgeschotteten<br />

laboren weit unter dem alltag heranzüchten<br />

muss. oder sonst eben dann im<br />

neuen byzanz, was immer das sei …<br />

Plötzlich hörte ich es auch; die luft war<br />

erfüllt von hochfrequentem Kreischen<br />

und Zetern und vom Geschepper umgerissener<br />

raviolidosenstapel. und dann stand<br />

sie vor mir, die supermami im schicken<br />

betroffenheitsoutfit, omnipotent im ausbalancieren<br />

des Globalgeschehens und sicher<br />

hoch versichert, und säuselte ihrem<br />

spross ins zauselige haar: «Gell, schätzeli,<br />

in den sommerferien tun wir dann dein<br />

Zimmer neu strukturieren!» Der bis dahin<br />

versonnen herumpopelnde Kleine bot<br />

nun ein naturschauspiel von weltbeherrschender<br />

Grösse: Ganz langsam rissen die<br />

augen auf, ein wuchtiges entsetzen flutete<br />

die sanfte Gesichtslandschaft, das Grauen<br />

begann seinen feldzug im Paradies, ein<br />

Maul barst feurig auf, Zähne bleckten und<br />

tief im inneren des berges begann nun eine<br />

sirene zu heulen, die sämtliche seeungeheuer<br />

der griechischen antike vor neid<br />

hätte erblassen lassen … ich liess mich von<br />

der Druckwelle des schalls quer durch<br />

den laden wehen und schlug heftig zwischen<br />

den Kolonialwaren auf. es war einer<br />

dieser tage, in denen unser Gemüt<br />

ganz weit hinablangt in archaische Zeiten.<br />

nicht, aber seither springt mir der begriff<br />

immer öfter aus dem Gepäck. ecopop, ai<br />

Weiwei und die rote seebrückenlinie zwischen<br />

lechts und rinks, facebook-Gesichtserkennung<br />

und aktionswürste aus<br />

separatorenfleisch (auch «Knochenputz»<br />

genannt), selbstleuchtende seehechtknusperli,<br />

ehec und erntedank, das fallende<br />

buch (ein reiseführer über tripolitanien,<br />

eine der drei lybischen regionen zu Königs<br />

Zeiten), alles hat mit allem zu tun,<br />

alles ist struktur. Gestern abend faszinierten<br />

mich im sonst enttäuschenden<br />

vierten teil der «Pirates of the caribbean»<br />

die magenverdrehend hübschen sirenen,<br />

oben topmodel und unten fischstäbchen,<br />

und natürlich die flammenwerfer im bug<br />

des schiffes, es gab sie tatsächlich und<br />

schon lange zuvor, seit spätestens 1300<br />

Jahren, mit unlöschbarer salpeterlösung<br />

gefüllte siphone, erstmals erwähnt von<br />

theophanis confessor im bericht über die<br />

erste arabische belagerung Konstantinopels,<br />

der hauptstadt des byzantinischen<br />

reichs. Man nannte sie «Griechisches<br />

feuer» und es war die erste chemische<br />

Waffe im modernen sinn, das napalm<br />

Fürs Sommerloch (oder besser: fürs dräuende<br />

Dauerhoch?) sollte eigentlich ein Thema von betörender<br />

Sanftheit her, das den haarfeinen Unterschied<br />

zwischen Sex und Erotik besser hätte<br />

beleuchten können als einst das künstliche Gegenlicht<br />

in Hamiltons «Bilitis», aufgehängt an Auguste<br />

Rodins kunstgeschichtlicher Abhandlung über die<br />

Kathedralen Frankreichs, die in dem sparsamstschönen<br />

letzten und baugeschichtlich höchst erotischen<br />

Satz mündet: «Gesimse sind Symphonien<br />

von grosser Süssigkeit.» Aber dann las ich über die<br />

Planung des öffentlichen Verkehrs in Altstetten, wo<br />

man ein Drive-In spezieller Art plant: einen Parkplatz<br />

mit «Verrichtungsboxen», um die wild betriebenen<br />

Bumsbuchten und Schnackelschneisen im<br />

Freigelände trockenzulegen. Ach jeh, eben: neu<br />

strukturiert. Der Sommertipp also kurz und knapp:<br />

Bitte anschnallen und das Lesen einstellen!<br />

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