Download PDF - 041 Kulturmagazin
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NIELSEN / NOTTER<br />
47° 03´ 28,22´´ n / 8° 17´ 51,03´´ e<br />
1 kleiner coffeeshop. ohne Markenname.<br />
eigentlich ein imbisskiosk. es hat 2 tischchen<br />
zum draussen sitzen. nein 3. Vor<br />
dem kleinen sitzplatz führt ein fussgängerstreifen<br />
über die strasse zum spital.<br />
ein Vater kommt mit seinem sohn. Der<br />
sohn ist etwa 4. oder in welchem alter<br />
fährt man like-a-bike.<br />
Der Vater hat unter dem sattel des<br />
like-a-bike eine schnur befestigt. sie hat<br />
die länge einer hundeleine. Das andere<br />
ende hält er in der hand. und er redet auf<br />
den sohn ein. hier halten wir an. anhalten.<br />
und er rupft an der leine. sie sind<br />
jetzt direkt vor dem fussgängerstreifen.<br />
ich verstehe jedes Wort. Denn der Mann<br />
spricht laut. Wie zu einer schulklasse.<br />
oder wie im Parlament. Dann vergisst er<br />
aber seinem sohn zu sagen er soll luege<br />
links und rechts. und lose. bevor er die<br />
strasse überquert. er sagt anhalten und<br />
dann nichts mehr. und er zeigt ihm nichts.<br />
und er schaut ihn auch nicht an. Man<br />
könnte sagen ist auch gar nicht nötig. solange<br />
er die leine in der hand hält. er hat<br />
daran gerupft. Der sohn ist hoch gespickt<br />
vom negativen ruck der sein Gefährt erfasst<br />
hat. sein Körper hat ein wenig fliegen<br />
wollen. Über die lenkstange hinweg<br />
und auf die strasse. aber nur im ansatz.<br />
Das ja klar. Denn so stark hat der Vater<br />
wieder nicht gezogen. und der sohn erduldet<br />
es. so scheint mir. er ist zu begeistert<br />
von der neuen fortbewegung.<br />
Jetzt warten sie am strassenrand. Mit<br />
den rücken zu mir. ohne Worte. Wie ein<br />
bilderwitz. Dann geht der Vater los. ohne<br />
etwas zu sagen. und wenn der sohn nicht<br />
sofort mitfährt wird er gleich gezogen.<br />
aber klar. Der sohn ist flink. er stösst sich<br />
ab und ist schon wieder vorne weg. so<br />
weit es geht.<br />
einen Moment lang sitze ich jetzt ruhig<br />
an meinem tischchen. und ich frage<br />
mich ob ich das wirklich gesehen habe. ob<br />
es das gibt. Während der Vater und sein<br />
sohn schon ausser sichtweite. falls das<br />
überhaupt sein sohn war. Vielleicht hat<br />
das Kind den Vater nur geliehen. nein<br />
denke ich das gibt es nicht. Doch das gibt<br />
es. ich habe es eben jetzt gelesen. leihväter.<br />
und schon habe ich die wohlbekannte<br />
faustregel im Gesicht: Wenn man meint<br />
etwas gibt es nicht. Dann gibt es das<br />
durchaus. Man weiss es nur nicht.<br />
und jetzt kommt mir etwas in den<br />
sinn woran ich lange nicht gedacht. als<br />
ich ein Kind war. Wenig älter als der Junge<br />
vorhin. Da gab es eine Zeit in der ich<br />
tote tiere mit nach hause brachte. Zum<br />
beispiel Mäuse. ein freund von mir und<br />
ich. Wir gruben die fallen aus die sein Vater<br />
stellte auf dem feld. Der freund drückte<br />
die Klemmen der fallen zusammen mit<br />
Kraft. ich klaubte die Mäuse heraus. und<br />
wir trugen sie nach hause. ich zeigte meinen<br />
anteil meiner Mutter. 5 oder 6 grosse<br />
feldmäuse hielt ich an den schwänzen<br />
zusammen in die höhe. schau mal. Das<br />
sind meine. ich glaube sie war milde entsetzt.<br />
aber ich spürte das nicht so. Der<br />
stolz auf die beute trübte meine Wahrnehmung.<br />
Was willst du damit – oder so – fragte<br />
meine Mutter. aufbewahren sagte ich. also<br />
nicht wirklich aufbewahren. ich wollte<br />
sie vergraben. temporär beerdigen. im<br />
Garten. und dann wieder ausgraben.<br />
Wenn sie sauber verwest. und dann würde<br />
ich ein paar Mausskelette haben. so welche<br />
wollte ich schon eine Weile. als ergänzung<br />
zum skelett eines Kaninchens<br />
das ich schon besass. Genauer eine hälfte<br />
von. Das hatte ich gefunden. abgenagt lag<br />
es am Waldrand. Dann vergrab sie halt<br />
sagte meine Mutter. aber vom Gemüsebeet<br />
entfernt. logisch. sonst könnte man die<br />
Mäuse ja gleich so essen. und ich vergrub<br />
sie am rand zu nachbars Garten. Weil<br />
was man sich vornimmt soll man auch<br />
durchführen. und übers Jahr hatte ich so<br />
einiges an Knochen. bevor sich mein interesse<br />
dann verlagerte. auf tote schnecken.<br />
Warum mir das jetzt in den sinn<br />
kommt. es hat mit der leine zu tun. es<br />
gibt Kinder die fahren an leinen gebunden<br />
über asphalt. und es gibt Kinder die<br />
tollen mit freunden auf dem feld herum<br />
und graben Mäuse aus. hundekinder gibt<br />
es. Könnte man sagen. und Katzenkinder.<br />
und Mäusekinder auch.<br />
Text Jens Nielsen, Illustration Benedikt Notter<br />
Ausgangspunkt ist der Hauptbahnhof Luzern. Von dort<br />
führt mich der Zufallsgenerator in fünf Entscheiden an<br />
den Ort, wo ich meine Notizen sammle. Der Zufall wird<br />
mit der Münze generiert. Die exakte Position ist der Kolumnentitel.<br />
Er besteht aus den Koordinaten, mit deren<br />
Hilfe man den Ort auf Google Earth metergenau findet.<br />
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