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erlesen<br />
Rolf Zumbühl: Mikro + Plus. Gedichte.<br />
Haslimatt Verlag, Zürich-Sachseln 2010.<br />
127 Seiten. Ca. Fr. 18.50<br />
tONALe SpLittergediCHte<br />
is. ein neuer Gedichtband vom «nidwaldner<br />
s Ziri», rolf Zumbühl. 1933 in hergiswil am see<br />
geboren, seit 1955 in Zürich lebend, tut Zumbühl<br />
sich vor allem als Dichter in nidwaldner<br />
Mundart hervor. «Mikro + Plus», sein mittlerweile<br />
neuntes buch in Mundart, ist eigen, aber<br />
sehr ansprechend aufgemacht mit collagen<br />
(vor allem Gesichtsteile) des autors versehen,<br />
und beinhaltet total 156 Kurzgedichte. Das<br />
Kompositionsmuster wiederholt sich seite für<br />
seite: oben nidwaldner Mundart, in der Mitte<br />
«schriftsprache spiegelverzerrt» geschrieben,<br />
unten eine Variation, eine spiegelung des oberen<br />
Gedichts – zum ersten Mal! – in hochdeutsch.<br />
Was dem Werk nicht zugutekommt, ist die<br />
nur schwer lesbare digitale schnüerlischrift,<br />
die ein sich einlassenwollen erschwert. «Mit<br />
den tönen im hinterkopf entstanden aus den<br />
bildern die Mundartexte ...», schreibt autor<br />
Zumbühl im Vorwort. Diese «töne» sind musikalische<br />
Werke von u. a. helmut lachenmann<br />
oder béla bartók, luigi nono oder heinz holliger,<br />
von denen er sich inspirieren liess. Die Gedichte,<br />
meist kaum länger als acht, neun Zeilen,<br />
sind Moment-Meditationen, surreale sprachinstallationen,<br />
erinnern oft an traum-haikus.<br />
in «25» heisst es: «vertwachet / farwig blizze<br />
/ wirblid ruim / vergässe wild / duur s offnig<br />
Gsichd / vill Gschpriggleds / echo chreis / verbisse<br />
bliäd». Die schriftdeutsche spiegelung lautet:<br />
«bunt vibrierter / Wellen Klang / begeistert<br />
/ Mund und / atem raum / entbindet / uferloses<br />
schauen». Zumbühl ruft im Vorwort auf,<br />
die bombe zu suchen, die zwischen den beiden<br />
sprachen, die hier untereinander stehen, gezündet<br />
werden könnte. Die radikalität einer<br />
solchen wohnt in diesen Gedichten nicht inne.<br />
Dennoch sind sie schöne «Mind-stills», die bestimmt<br />
ihr Publikum finden werden.<br />
sein zehntes Mundartwerk, «schatte», ist,<br />
wie der autor verlauten lässt, bereits in Vorbereitung.<br />
Wolf Wondratschek: Das Geschenk. Roman. Carl<br />
Hanser Verlag, München 2011. 176 Seiten. Ca. Fr. 27.90<br />
Lesung: DO 17. November, La Fourmi Luzern<br />
«MäNgiSCH BruCHtS weNig /<br />
dASS öppiS e SO CHuNNt Oder<br />
SO» (Züri weSt)<br />
ph. Der eigensinnige, teils etwas gar machohafte,<br />
einzelgängerische Dichter als Vater? bei<br />
der lektüre von Wolf Wondratscheks neustem<br />
streich «Das Geschenk» kann man sich auf einmal<br />
vorstellen, was man schwerlich für möglich<br />
gehalten hätte. und zwischen all der abgeklärtheit<br />
im erzählstil lugt eine permanente<br />
zärtliche Zuneigung zu diesem «Geschenk»,<br />
dem sohn, hervor. brillant erzählt, sehr<br />
menschlich und literarisch zugleich. oder: fast<br />
eine lebensbilanz.<br />
Das aus Wondratscheks Kult-Gedichtband<br />
(«chuck’s Zimmer») aus den 1970er-Jahren<br />
entnommene einstiegsgedicht «Warum Gefühle<br />
zeigen?» endet mit «chuck, der sein Kind<br />
liebt, / das nie zur Welt kommen wird». auf einmal<br />
war das Kind da. ein sohn. bloss weil der<br />
ich-erzähler chuck, der unverwechselbar<br />
Wondratscheks Züge trägt, sich keine entziehungskur<br />
leisten konnte, stattdessen in die<br />
nächste bar ging und ein «junges Mädchen»<br />
kennenlernte, das als «blühend» bezeichnet<br />
wird. Das eine folgte aufs andere, und schwups<br />
ist chuck Vater eines sohnes. Der ist mittlerweile<br />
14, generell desinteressiert und treibt den<br />
Vater an die ränder der Verzweiflung.<br />
neben der (überraschenden) Vaterschaft<br />
tauchen die altbekannten Wondratschek-themen<br />
auf: das boxen, die Drogen, die frauen.<br />
letzteres unter anderem in einer genialen szene,<br />
in der chuck eine urologin aufsucht, wo «er<br />
sich handgriffe gefallen lassen musste, die ihm<br />
herzklopfen verursacht hatten» und die Dame<br />
mit fast peinlicher Verzweiflung rumzukriegen<br />
versucht, sein ejakulat letztendlich doch selber<br />
in den becher bringen muss. Zu alter und Pinkel-Problemen<br />
findet sich im anhang das von<br />
chuck verfasste Gedicht «sizilianischer sonntag»<br />
über einen Mafiapaten mit Mühe beim<br />
Wasserlassen, der schliesslich verzweifelt<br />
(«bring meinen schwanz in ordnung, schrie<br />
er, / oder schick deine Mörder») und von seiner<br />
tochter erschossen wird. Zum ersten Mal vor<br />
Publikum gelesen übrigens wurde dieses Poem<br />
von Wondratschek im literaturhaus Zürich.<br />
Sunil Mann: Lichterfest. Kriminalroman.<br />
Grafit Verlag, Dortmund. 2011.<br />
315 Seiten. Ca. Fr. 16.90<br />
eNtSpANNt irONiSCH<br />
rb. Der moderne schweizer ist ein hybrid, er<br />
hat seine Wurzeln irgendwo im ausland. Was<br />
dem schweizer fussball zugute kommt, davon<br />
profitiert auch die schweizer literatur (und so<br />
viele andere bereiche, damit das – auch an dieser<br />
stelle – einmal gesagt ist). Die liste der<br />
schweizer literaten und literatinnen mit<br />
grenzüberschreitender herkunft ist lang und<br />
wird länger. auf diese liste gehört auch sunil<br />
Mann. Der 39-Jährige ist indischer abstammung,<br />
aufgewachsen im berner oberland, er<br />
lebt heute in Zürich. sunil Mann schreibt Krimis.<br />
eine ganze reihe von Kurzkrimis ist schon<br />
in verschiedenen anthologien erschienen und<br />
mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet worden.<br />
und in der langen romanform stehen<br />
mittlerweile zwei seiner Werke im bücherregal.<br />
nach seinem Debüt «fangschuss» – eine Produktionsfirma<br />
hat eine option auf die filmrechte<br />
von «fangschuss» erworben – ist eben<br />
sein zweiter Kriminalroman erschienen, «lichterfest».<br />
sunil Manns Protagonist ist folgerichtig<br />
der indisch-schweizerische Privatdetektiv V.<br />
J. Kumar. rosie, eine Putzfrau, ist verschwunden.<br />
Der Zürcher Medientycoon blanchard beauftragt<br />
V. J. Kumar mit der suche. Der auftrag<br />
ist dubios, das honorar aber attraktiv. Denn wie<br />
so viele seiner literarischen Vorbilder steckt<br />
auch Privatdetektiv Kumar dauernd in Geldnöten.<br />
Dann wird rosies neffe bewusstlos geprügelt.<br />
und der rechte Politiker Graf, für den rosie<br />
auch gearbeitet hat, wird tot aufgefunden. Wo<br />
sind da die Zusammenhänge? und wie schafft<br />
es V. J. Kumar, sein turbulentes liebesleben<br />
wieder in ruhigere bahnen zu lenken?<br />
sunil Mann schreibt immer mit einem augenzwinkern,<br />
entspannt, gewitzt und ironisch.<br />
bierernsthaftigkeit ist seine sache nicht. er<br />
mixt im Wort und in sprachbildern kulturelle<br />
subtilitäten mit lokalkolorit. Das liest sich jederzeit<br />
wohltuend unterhaltend. und immer<br />
auch spannend. Die Geschichte hat tempo. eine<br />
richtige sommerferienlektüre. einpacken!<br />
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