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Metalle II, Teil c - Lehrstuhl Metallische Werkstoffe, Universität ...

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Eindimensionale Fehlordnung (Versetzung)<br />

Wie lässt sich eine plastische Verformung von mehreren Prozent erzielen?<br />

Warum verhält sich unter bestimmten Bedingungen ein duktiler Werkstoff spröde?<br />

Warum verändern sich die Festigkeitskennwerte in Abhängigkeit von der Temperatur<br />

unterschiedlich?<br />

...<br />

Für den Brückenschlag zwischen <strong>Werkstoffe</strong>igenschaften und den Mechanismen in Gefüge<br />

und Struktur werden bei <strong>Metalle</strong>n die Versetzungen herangezogen werden. Die Versetzungen<br />

durchziehen als Linien den Kristall und bilden für die <strong>Werkstoffe</strong>igenschaften von <strong>Metalle</strong>n<br />

entscheidende Instabilitäten.<br />

==> Schlüsselstellung dieses Kapitels für das Verständnis der Verformung und<br />

Wärmebehandlung<br />

Theoretische und tatsächliche Schubfestigkeit<br />

Scherung γ<br />

γ ≈ tan γ = x/a<br />

Scherspannung τ<br />

im elastischen Fall gilt:<br />

τ = G⋅γ<br />

Theoretischer Verlauf der Schubspannung bei Annahme eines sinusförmigen Verlaufs beim<br />

Abgleiten zwischen zwei als starr angenommenen Gitterebenen.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

2 x<br />

Annahme: Sinusförmiger Spannungsverlauf: τ = c ⋅sin a<br />

für kleine Auslenkungen x ist:<br />

2πx<br />

τ ≈ c ⋅<br />

a<br />

mit der Definition des Schubmoduls G := τ/γ = τ⋅a/x => τ = G⋅x/a<br />

==> c = G/(2⋅π) ≈ G/6<br />

2 x<br />

somit ergibt sich τ(x) ≈ G/6 sin π<br />

a<br />

und eine maximale Schubspannung bei x = a/4 zu:<br />

τ theor. max. ≈ G/6<br />

Verbesserte theoretische Ansätze, welche die interatomaren Kräfte besser berücksichtigen<br />

ergeben τ th ≈ G/30. Diese theoretischen Werte werden nur für nadelförmige Einkristalle<br />

(Whisker, Längen zu Durchmesserverhältnis von ≈ 100) erreicht. Ansonsten ergibt sich:<br />

Material<br />

Schubmodul<br />

[MPa]<br />

theoretische Schubfestigkeit<br />

τ th [MPa]<br />

gemessene Schubfestigkeit<br />

bei RT [MPa]<br />

Fe 83.000 2.700 20<br />

Al 27.000 900 1<br />

Whisker:<br />

Graphit<br />

Fe<br />

700.000<br />

210.000<br />

25.000<br />

7.000<br />

20.000<br />

12.000<br />

Die Unterschiede von mehreren Größenordnungen an realen Kristallen erklärt sich über die<br />

Störungen im Kristallaufbau, insbesondere über die Versetzungen. Es bewegt sich eine<br />

"Gleitwelle" über die Ebene. Dadurch erfolgt die Verschiebung der Atome nicht mehr<br />

gleichzeitig, sondern nacheinander. Im zeitlichen Ablauf sind nur die unmittelbar der<br />

Versetzungslinie benachbarten Atome beteiligt.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Entstehung einer Versetzung im Kugelmodell: a) ungestörter Aufbau; b) Entstehung der<br />

Versetzung am Ort x; c) Wanderung; d) ungestörter Aufbau mit der oberen Reihe gegen die<br />

untere um einen Abstand verschoben.<br />

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Ähnliche Modelle<br />

Versetzungen in kubisch-primitiver Struktur (Versetzungstypen)<br />

Entstehung einer Stufenversetzung. Die obere Hälfte des Kristalls steht unter<br />

Druckspannungen, die untere unter Zugspannungen. Das Ende der eingeschobenen Halbebene<br />

ist die Versetzungslinie.<br />

Neben der Versetzungslinie (Linienvektor) ist noch der Burgersvektor b r einzuführen. Diese<br />

beiden Vektoren bestimmen die Versetzung vollständig. Der Burgersumlauf wird einmal im<br />

ungestörtem und einmal im gestörten Kristall durchgeführt. Der Verbindungsvektor zwischen<br />

Umlauf im gestörten und Umlauf im ungestörtem Kristall ist der Burgersvektor. Zur<br />

Vorzeichenkonvention gilt für eine Stufenversetzung: Die eingeschobene Halbebene liegt in<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

der Richtung in die der Vektor s r x b r zeigt (Schraubenversetzung: s r ↑↑ b r => right-handscrew<br />

RHS, s r ↑↓ b r => LHS).<br />

Konvention: fsrhbg (finish → start, right hand, bad → good)<br />

Burgersumlauf um eine Stufenversetzung. Der Winkel zwischen s r und b r beträgt 90°. s r zeigt<br />

in die Zeichenebene hinein.<br />

Modell zur Bildung einer Schraubenversetzung mit zugehörigem Burgersumlauf. s r und b r<br />

sind parallel. s r (Pfeil in Bildmitte) zeigt nach vorne links.<br />

In Versetzungsknoten ergibt sich der Erhaltungssatz für die Burgersvektoren: b r 1<br />

+ b r 2<br />

+ b r 3<br />

= 0.<br />

Versetzungslinien können prinzipiell nur in Knoten, Fehlstellen (z.B. Ausscheidungen),<br />

Korngrenzen oder an der Oberfläche enden. Bewegungsrichtungen von Knoten können<br />

berechnet werden durch den Vergleich der Linienspannungen der angreifenden Versetzungen<br />

(siehe Glatzel, Forbes, Nix, Phil. Mag.).<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Burgersumläufe (mit Linienvektoren vom Knoten wegführend) werden um die einzelnen<br />

Versetzungen sowie um die Versetzung 2 und 3 durchgeführt.<br />

Darstellung einer gemischten Versetzung. In A liegt eine RHS-Schraubenversetzung, in C<br />

eine Stufenversetzung (eingeschoben Halbebene nach oben). Offene Kreise sind die<br />

Atompositionen oberhalb der Gleitebene, schwarze Punkte die Positionen unterhalb der<br />

Gleitebene.<br />

Die Bewegung einer Versetzungslinie erfolgt in der Gleitebene, senkrecht zur Linie. Eine<br />

Versetzung kann im Kristall nicht enden! Das heißt die Versetzungslinie ist entweder im<br />

Kristall geschlossen, bildet Knoten oder endet an der Kristalloberfläche.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Direkte Abbildung einer Stufenversetzung in Silizium mit Hilfe der hochauflösenden<br />

Durchstrahlungselektronenmikroskopie. Helle Punkte entsprechen der Position von<br />

Atomsäulen in der dünnen Folie. Das untere Bild zeigt die Sicht unter einem flachen Winkel<br />

in Richtung der eingeschobenen Halbebene.<br />

Quergleiten einer reinen Schraubenversetzung<br />

vor einem Hindernis.<br />

Gleit- und Quergleitspuren in einem<br />

Kupfereinkristall.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Ausbreitung einer gemischten Versetzung mit der Bildung einer Gleitstufe.<br />

Versetzungsring. Breitet sich dieser Versetzungsring über den gesamten Kristall aus, d.h. er<br />

wandert bis zur Oberfläche, so entsteht eine Stufe vom Betrag und Richtung des<br />

Burgersvektors. Das obere Viertel des Kreises entspricht dem vorhergehenden Bild.<br />

Klettern einer Stufenversetzung durch Anlagerung von Leerstellen (L). Die<br />

Leerstellenanlagerung muss entlang der gesamten Versetzungslinie erfolgen. Die<br />

freiwerdenden Atome nehmen die Plätze der Leerstellen ein.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Entstehung von Sprüngen (engl. Kinks) durch lokales Versetzungsklettern einer<br />

Stufenversetzung<br />

Durch Leerstellenausscheidung entstandener<br />

Versetzungsring (Frank-Versetzung).<br />

Der Versetzungsring kollabiert im kfz-Gitter<br />

zum Stapelfehler.<br />

Ist eine Quelle vorhanden, die ständig Versetzungsringe emittiert, so ergibt sich eine<br />

makroskopische Gleitstufe an den Austrittslinien der Gleitebene.<br />

Makroskopische Verformung und Versetzungslaufwege<br />

Die Scherung γ ist bei einer Kristallhöhe H gegeben zu:<br />

γ = b/H<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Ist die Versetzung nur eine Strecke x im Kristall vorangeschritten ergibt sich δ = L<br />

x ⋅b. Für die<br />

makroskopisch meßbare Verformung Δ gilt:<br />

n<br />

Δ = ∑δ<br />

i=<br />

1<br />

i<br />

=<br />

b<br />

L<br />

n<br />

∑ x i<br />

i=<br />

1<br />

n<br />

Δ b<br />

b<br />

und für die makroskopische Scherung: γ = = H<br />

∑ x i<br />

= x ⋅ n<br />

H ⋅ L i=<br />

1 H ⋅ L<br />

Mit dem mittleren Laufweg x und der Zahl der Versetzungen n.<br />

Bildung einer Gleitstufe beim Durchlaufen einer Versetzung durch den Kristall.<br />

Proportionalität zwischen Versetzungslaufweg und Abgleitung beim Durchlaufen einer<br />

Versetzungslinie durch einen <strong>Teil</strong> des Kristalls<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Definition der Versetzungsdichte als Linienlänge pro Volumen. Mit der Einheit m -2 . Der<br />

mittlere Abstand zwischen den Versetzungen ist dann gegeben durch<br />

1 .<br />

ρ<br />

Die Zahl der Versetzungen (Versetzungsdurchstoßpunkte) pro Fläche entspricht der<br />

Versetzungsdichte:<br />

n<br />

ρ = ==> γ = ρ⋅b⋅ x<br />

H ⋅ L<br />

Genau genommen entspricht die Dichte ρ der Dichte der gleitenden Versetzungen. Da neben<br />

den gleitfähigen Versetzungen immer auch nichtgleitfähige Versetzungen vorhanden sind<br />

ergibt sich, dass ρ Ges. > ρ ist. Das heißt, das mit zunehmender Verformung auch die<br />

Versetzungsdichte zunehmen muß. Damit ergibt sich durch eine begrenzte Versetzungsdichte<br />

auch ein begrenztes Formänderungsvermögen.<br />

Versetzungsdichte<br />

[m -2 ]<br />

Material<br />

mittlerer Abstand zwischen<br />

den Versetzungen<br />

10 7 sehr gute Einkristalle ≈ 300 μm<br />

10 10 – 10 12 Realkristalle ≈ 1 – 10 μm<br />

10 16 nach Kaltverformung ≈ 10 nm<br />

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unverformter Ausgangszustand,<br />

zweiphasige<br />

Nickelbasissuperlegierung CMSX-4,<br />

frei von Versetzungen.<br />

Versetzungsdichte ρ ≈ 10 11 m -2<br />

Nach 1h Kriechverformung bei<br />

850°C, Spannung σ = 500 MPa bis<br />

zu einer Dehnung von 0.14%.<br />

ρ ≈ 10 13 m -2<br />

Lastachse<br />

Nach 230h Kriechverformung bei<br />

850°C, σ = 500 MPa bis zu einer<br />

Dehnung von 0.6%.<br />

ρ ≈ 10 14 m -2<br />

Lastachse<br />

Abbildung des Verzerrungsfeldes um Versetzungen (schwarze Linien) mit Hilfe des<br />

Beugungskontrastes im Transmissionselektronenmikroskop (mittlere Vergrößerung).<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Bei der Hochtemperaturverformung annihilieren sich die Versetzungen (löschen sich<br />

gegenseitig aus) auf Grund ihrer höheren Beweglichkeit und somit lassen sich höhere<br />

Verformungen erzielen als bei der Kaltverformung => Warmformgebung.<br />

Exakte 3-dimensionale Darstellung der Scherung durch Abgleiten auf einem Gleitsystem i:<br />

mit<br />

r<br />

b<br />

i<br />

t<br />

γ<br />

i<br />

r<br />

⊗ n<br />

i<br />

= ρ<br />

i<br />

r<br />

b<br />

⎛ b1n<br />

⎜<br />

= ⎜b<br />

2<br />

n<br />

⎜<br />

⎝ b3n<br />

i<br />

1<br />

x<br />

1<br />

1<br />

i<br />

⎛<br />

r<br />

⎜bˆ<br />

⎝<br />

b<br />

b<br />

b<br />

1<br />

2<br />

3<br />

i<br />

n<br />

n<br />

n<br />

r<br />

⊗ nˆ<br />

2<br />

2<br />

2<br />

i<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

b<br />

b<br />

b<br />

1<br />

2<br />

3<br />

n<br />

n<br />

n<br />

3<br />

3<br />

3<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎠<br />

Beanspruchungsgeschwindigkeit und -temperatur<br />

Entscheidend für die Dynamik der Verformung ist die Versetzungsgeschwindigkeit. Im<br />

Werkstoff können sich Spannungen nur bis zu einer Höhe aufbauen, bei der sie durch<br />

abgleitende Versetzungen, d.h. plastische Verformung wieder abgebaut werden. Daraus ergibt<br />

sich ein Zusammenhang zwischen Beweglichkeit der Versetzungen, Spannungszustand,<br />

Verformungs- und Bruchverhalten.<br />

Es gilt: γ = b⋅ρ⋅ x mit der mittleren freien Weglänge x für die Bewegung einer<br />

Versetzung. Differenzieren nach der Zeit ergibt:<br />

∂ γ<br />

∂t<br />

= γ& = b⋅ρ⋅ v<br />

Dies besagt, dass die erzielbare Verformungsgeschwindigkeit proportional zur<br />

Gleitversetzungsdichte, dem Betrag des Burgersvektors und der mittleren<br />

Versetzungsgeschwindigkeit v ist. Die einzelnen Größen der rechten Seite sind nicht<br />

unabhängig voneinander.<br />

Die theoretische Obergrenze für die Versetzungsgeschwindigkeit ist die<br />

Schallgeschwindigkeit (im Bereich von 3-5 km/s). Für eine Schraubenversetzung gilt:<br />

2<br />

⎛ ∂<br />

⎜<br />

⎝ ∂x<br />

2<br />

2<br />

∂<br />

+<br />

∂y<br />

2<br />

⎞<br />

⎟u<br />

⎠<br />

z<br />

ρ ∂ u<br />

=<br />

G ∂t<br />

2<br />

z<br />

2<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Hier ist ρ das spezifische Gewicht des Materials. Dies ist identisch mit der Wellengleichung<br />

für die Transversalwelle mit c = G 2 t<br />

. Dies ergibt bei einer Versetzungsdichte von 10 12 m -2<br />

ρ<br />

(Versetzungsdichte in Realkristallen) bis 10 16 m -2 (kaltverformtes Material) ein γ&<br />

max<br />

von ca.<br />

10 5 - 10 10 1/s.<br />

Eine anschauliche Erklärung ist durch die Bewegung der Atome gegeben. Durchläuft eine<br />

Versetzung den Kristall, so müssen die Atome beschleunigt und gebremst werden. Dies führt<br />

zu Energieabstrahlung in Form von Gitterwellen. Die Kinetik ist stark vom<br />

Versetzungscharakter abhängig. => Es wird angenommen, dass eine Stufenversetzung ca.<br />

10-50 schwächer gebremst wird als eine Schraubenversetzung, im Gegensatz dazu ist die<br />

Linienenergie einer Schraubenversetzung um ca. 50% geringer als die einer Stufenversetzung<br />

(siehe das übernächste Kapitel).<br />

In realen <strong>Werkstoffe</strong>n ist die Versetzungsbeweglichkeit nochmals stark eingeschränkt. Die<br />

freie Weglänge zur Beschleunigung steht nicht zur Verfügung, andere Gitterbaufehler<br />

bremsen, bzw. behindern die Bewegung.<br />

Die Einflussgrößen auf die Versetzungsbeweglichkeit wirken nur in geringem Maße auf die<br />

Bindungskräfte zwischen den Atomen. Übersteigt die Streckgrenze (Beginn der Spannung,<br />

die den Beginn der Versetzungsbewegung kennzeichnet) die Bruchfestigkeit σ B , so ergibt<br />

sich sprödes Werkstoffverhalten.<br />

Stark vereinfachte Interpretation der Gleichung:<br />

γ = b⋅ρ⋅ x<br />

Wird die Versetzungsbeweglichkeit stark behindert ( x → 0), so verringert sich die<br />

Sicherheitsspanne, der Werkstoff hat kein Formänderungsvermögen mehr (da γ → 0).<br />

Dadurch steigt zwar die Elastizitätsgrenze (σ 0.2 nimmt zu), aber der Werkstoff verhält sich<br />

spröde.<br />

=> In der Regel haben festigkeitssteigernde Maßnahmen eine versprödende Wirkung, die sich<br />

in einer Zunahme der Kerbschlagempfindlichkeit äußern.<br />

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Spannungs-Dehnungs-Schaubilder für:<br />

Werkstoff mit plastischem Formänderungsverhalten<br />

(duktiler Werkstoff). Versetzungsverhalten<br />

(spröder Werkstoff). Bruch tritt vor<br />

Werkstoff ohne plastisches Formänderungsbewegung<br />

tritt ein, bevor σ B erreicht wird. der Versetzungsbewegung ein.<br />

In Einkristallen sehr hoher Reinheit können drei Bereiche im Zugversuch unterschieden<br />

werden. Die Verfestigung (Steigung im Spannungs-Dehnungsdiagramm) ist im Bereich<br />

gering (easy-glide Bereich). Sie ist im Bereich <strong>II</strong> größer und konstant. Die Versetzung<br />

behindern sich auf Grund der zunehmenden Dichte gegenseitig. Im Bereich <strong>II</strong>I sind die<br />

Spannungen so groß, dass Hindernissen durch Quergleiten bei Schraubenversetzungen und<br />

Umklettern bei Stufenversetzungen umgangen werden können. Damit werden<br />

Gleitbehinderungen aufgehoben und die Verfestigung nimmt wieder ab. Auch gegenseitige<br />

Auslöschung ist möglich.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Schubspannungs-Abgleitungskurven von sehr reinen Einkristallen.<br />

In vielkristallinen, technischen <strong>Werkstoffe</strong>n ergibt sich nach Überschreiten der Streckgrenze<br />

ein Verlauf, der dem Bereich <strong>II</strong>I der Einkristallverformung ähnelt. Das Aufreißen der<br />

Bindungen zwischen den Atomen ergibt sich wenn das plastische Formänderungsvermögen<br />

erschöpft ist.<br />

Die plastische Verformung erfolgt über Versetzungsbewegungen. Diese Versetzungsbewegungen<br />

führen jedoch auch zu einer Versetzungsmultiplikation da die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass Versetzungen sich sehr nahe kommen und dadurch eine<br />

Wechselwirkung auftritt steigt. Dies führt zu einer Zunahme der Versetzungsdichte, was in<br />

den nächsten Schaubildern veranschaulicht wird.<br />

Die Festigkeitssteigerung durch Kaltverformung beruht auf einer Erhöhung der<br />

Versetzungsdichte.<br />

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Verlauf von Festigkeit und Streckgrenze in Abhängigkeit der Höhe der Kaltverformung.<br />

Die Umwandlungshärtung (Martensithärtung) von Stahl bewirkt hohe innere Spannungen<br />

durch zwangsgelöste Kohlenstoffatome. In diesen Spannungsfeldern ist die<br />

Versetzungsbeweglichkeit erheblich eingeschränkt.<br />

Schematische Darstellung des Spannungs-Dehnungs-Diagramms eines Vergütungsstahls in<br />

Abhängigkeit von der Wärmebehandlung.<br />

gehärtet (martensitisch) vergütet (gehärtet und<br />

angelassen)<br />

normalgeglüht (weich)<br />

<strong>Metalle</strong>, die sich durch Aushärtung verfestigen lassen (z.B. Aluminiumlegierungen) gewinnen<br />

ihren Festigkeitszuwachs durch feindispers ausgeschiedene Zweitphasen. Auch diese<br />

blockieren bzw. behindern Gleitvorgänge.<br />

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Auch die Bauteilgeometrie kann mehrachsige Spannungszustände erzeugen, die sich auf die<br />

Versetzungsbewegung stark behindernd auswirken. Hierzu gehören z.B. auch Schweißnähte<br />

(metallurgische Kerben).<br />

Einfluss einer mehrachsigen Beanspruchung, z.B. durch Kerben oder Schweißeinflusszonen.<br />

Auch die Tieftemperaturversprödung läßt sich durch die Beweglichkeit von Versetzungen<br />

erklären. Versetzungen können Sprünge aufweisen. Durch diese Sprünge ist die<br />

Beweglichkeit stark von den nulldimensionalen Fehlstellen abhängig. Mit zunehmender<br />

Temperatur nimmt die Beweglichkeit der nulldimensionalen Fehlstellen (i.A. den Leerstellen)<br />

zu und somit können die Versetzungen kleine Hindernisse leichter überwinden. D.h. der<br />

Werkstoff wird mit zunehmender Temperatur duktiler, mit abnehmender Temperatur spröder.<br />

DBTT<br />

Abhängigkeit der Bruchspannung angerissener <strong>Teil</strong>e von der Fehlergröße und der Temperatur<br />

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T < T D mittlere Temperatur hohe Temperatur<br />

(Crack Arrest Temperature)<br />

auch ein rissfreies Bauteil<br />

erleidet einen<br />

verformungslosen Sprödbruch<br />

Spannungszustand in der<br />

Rissspitze bestimmt das<br />

Formänderungsverhalten<br />

ein sich ausbreitender Riss<br />

wird durch das hohe<br />

Formänderungsvermögen des<br />

Werkstoffs aufgefangen<br />

Kräfte und Spannungen an einer Versetzungslinie (Peach-Koehler Kraft)<br />

Die Peierlsspannung τ P ist nötig um eine Versetzung durch den Kristall zu bewegen. Sie läßt<br />

sich aus der periodischen Schwankung der potentiellen Energie der sich durch das Gitter<br />

bewegenden Versetzungslinie erklären.<br />

Der Körper stehe unter reiner Scherbeanspruchung, d.h. eine Kraft F r wirkt parallel zur<br />

Grund- und Deckfläche eines quaderförmigen Volumenelementes. Es wirkt die<br />

Schubspannung:<br />

τ =<br />

r<br />

F<br />

L ⋅ T<br />

Schubspannung τ<br />

Die Verschiebung des Volumens ergibt sich zu:<br />

dW 1 =<br />

d δ r<br />

=<br />

r r b<br />

F ⋅ d δ = τ⋅L⋅T dx<br />

L<br />

r<br />

b<br />

dx dadurch wird die Arbeit<br />

L<br />

geleistet.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Diese Arbeit muß gleich sein einer Arbeit, die von einer virtuellen Kraft f r auf die<br />

Versetzungslinie (d.h. Einheit von Kraft/Länge) zu leisten ist.<br />

dW 2 = f r ⋅T⋅ dx<br />

r<br />

Zur Herleitung der Peach-Koehler Kraft<br />

Es ergibt sich:<br />

f⋅T⋅dx = τ⋅T⋅b⋅dx f = τ⋅b<br />

Aus einer vektoriellen Herleitung folgt die Kraft pro Versetzungslänge zu:<br />

F r PK = - ŝr × (σ b r )<br />

Als Peach-Koehler-Kraft. Die Peach-Koehler Kraft ist somit grundsätzlich senkrecht zur<br />

Versetzungslinie. Das ergibt einen konstanten Betrag der Gleitkraft in Richtung des<br />

Burgersvektors auf eine Versetzung (unabhängig von ihrem Linienvektor) auf Grund eines<br />

Spannungsfeldes σ (3x3 Matrix) zu:<br />

r t r<br />

F G = nˆ σ b<br />

Für die Komponente der Kletterkraft gilt:<br />

F K =<br />

mit dem Stufenanteil des Burgersvektors b r e<br />

.<br />

r t r<br />

− bˆ e σ b<br />

Aus dem Aufbau der Versetzungen ergibt sich außerhalb des Versetzungskernes eine<br />

elastische Verzerrung des Gitters (siehe Bilder auf Seite 68ff im Skript H2a). Die elastischen<br />

Dehnungen und Spannungen können über die linear elastische Theorie aus dem<br />

Verschiebungsfeld der Versetzungen berechnet werden. Das Verschiebungsfeld ergibt sich<br />

wiederum aus der Zylindersymmetrie und dem Burgersumlauf (siehe auch die Vorlesung<br />

"Theoretische Grundlagen der Materialwissenschaft").<br />

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Spannungsfeld einer Versetzung<br />

Das Verzerrungsfeld einer Schraubenversetzung im isotropen Medium (Schubmodul G und<br />

Poissonkonstante ν) wird hergeleitet zu (right-hand-screw, d.h. Linienvektor und<br />

Burgersvektor parallel und in z-Richtung):<br />

r<br />

u Schraube<br />

(x, y,z)<br />

⎛ ⎞<br />

⎜ 0 ⎟<br />

b ⎜ ⎟<br />

= ⎜ 0 ⎟<br />

2π<br />

⎜ ⎛ y ⎞⎟<br />

arctan⎜<br />

⎟<br />

⎝ ⎝ x ⎠⎠<br />

Das einer Stufe zu (Linienvektor || z, Burgersvektor || x):<br />

u<br />

r<br />

Stufe<br />

(x, y,z) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎜<br />

⎜<br />

⎜<br />

b ⎜<br />

2π<br />

⎜ 2(1<br />

⎜<br />

⎜<br />

⎜<br />

⎜<br />

⎝<br />

xy<br />

2(1 − ν)(x<br />

−<br />

− ν<br />

x<br />

)(x<br />

2<br />

2<br />

+ y<br />

2<br />

2<br />

+ y<br />

2<br />

⎛ y ⎞<br />

+ arctan⎜<br />

⎟<br />

) ⎝ x ⎠<br />

1−<br />

2ν<br />

− log<br />

) 4(1 − ν)<br />

0<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

2 2<br />

( x + y )<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎠<br />

Aus dem Verschiebungsfeld ergibt sich das lokale Dehnungsfeld (Tensor 2. Stufe) zu:<br />

1 ∂u<br />

ε ij = ( 2 ∂x<br />

und das Spannungsfeld um eine Versetzung aus der linear elastischen Theorie. Sowohl für<br />

Schrauben- als auch für Stufenversetzungen lässt sich zeigen, dass das Spannungsfeld<br />

i<br />

j<br />

+<br />

∂u<br />

∂x<br />

j<br />

i<br />

)<br />

reziprok zum Abstand zur Versetzungslinie r =<br />

2 2<br />

x + y abfällt.<br />

oder in Zylinderkoordinaten:<br />

σ<br />

Schraube<br />

σ<br />

Schraube<br />

G b<br />

=<br />

2 π r<br />

2<br />

⎛ 0<br />

⎜<br />

⎜ 0<br />

⎜<br />

⎝−<br />

y<br />

⎛0<br />

G b ⎜<br />

= ⎜0<br />

2 π r ⎜<br />

⎝0<br />

0<br />

0<br />

1<br />

0<br />

0<br />

x<br />

0⎞<br />

⎟<br />

1⎟<br />

0⎟<br />

⎠<br />

− y⎞<br />

⎟<br />

x ⎟<br />

0 ⎟<br />

⎠<br />

r, θ,z<br />

für eine Stufenversetzung:<br />

89


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

σ<br />

Stufe<br />

=<br />

G b<br />

2 π (1 − ν)<br />

1<br />

4<br />

r<br />

2 2<br />

⎛−<br />

y (3x + y )<br />

⎜<br />

2 2<br />

⎜ x (x − y )<br />

⎜<br />

⎝ 0<br />

x (x<br />

y (x<br />

2<br />

2<br />

2<br />

− y )<br />

2<br />

− y )<br />

0<br />

0<br />

0<br />

− 2ν<br />

y r<br />

2<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎟<br />

⎠<br />

In beiden Fällen sieht man, dass das Spannungsfeld mit 1/r abnimmt.<br />

Zusammenhang zwischen Versetzungsdichte und äußerer Spannung<br />

Das Spannungsfeld einer Versetzung nimmt mit 1/r ab. Der mittlere Abstand zwischen den<br />

Versetzungen beträgt 1/ ρ , mit der Versetzungsdichte ρ. Somit kann ein Versetzungswald<br />

eine äußere Spannung neutralisieren, wenn die die Versetzungsdichte quadratisch mit der<br />

Spannung steigt:<br />

1 1<br />

|σ ext. | ≈ σ Vers. ~ ~ = ρ<br />

r x<br />

mit Vorfaktoren: σ back stress =<br />

G b ⎛ R ln<br />

2 π ⎟ ⎞<br />

⎜<br />

⎝ r 0 ⎠<br />

1 G b ⎛ R = ln<br />

x 2 π ⎟ ⎞<br />

⎜<br />

⎝ r 0 ⎠<br />

ρ ≈<br />

G b<br />

ρ<br />

Taylor-Beziehung<br />

⎛ σ<br />

ρ ≈<br />

G b<br />

⎟ ⎞<br />

⎜<br />

⎝ ⎠<br />

(Bed.: Temperatur hoch genug um Gleichgewichtsabstand einzustellen)<br />

2<br />

Abhängigkeit der Versetzungsdichte von der Schubspannung für Kupfer bei Raumtemperatur.<br />

Die Taylor Beziehung ρ ~ σ 2 ist über einen weiten Bereich erfüllt.<br />

90


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Natural Creep Law ("natürliches Kriechgesetz")<br />

Unter der Annahme, dass bei hohen Temperaturen die Versetzungsgeschwindigkeit<br />

proportional zur äußeren Spannung ist (Herleitung im nachfolgende Kapitel<br />

"Wechselwirkung von Versetzungen mit 0-dimensionalen Fehlstellen"):<br />

v ~ σ<br />

und der oben hergeleiteten Taylorbeziehung mit<br />

ergibt sich mit<br />

die Kriechgeschwindigkeit ε& zu:<br />

⎛ σ<br />

ρ ≈<br />

G b<br />

⎟ ⎞<br />

⎜<br />

⎝ ⎠<br />

ε& = ρ⋅b⋅v<br />

⎛ σ<br />

ε& ~<br />

G b<br />

⎟ ⎞ σ<br />

⎜ ⋅b⋅σ =<br />

⎝ ⎠ G<br />

3b<br />

2<br />

oder speziell die Abhängigkeit der Dehnrate von der außen anliegenden Spannungen zu:<br />

2<br />

2<br />

natural creep law ε& ~ σ 3<br />

Mit einem Spannungsexponent, oder Norton-Exponent von n = 3. Diese Abhängigkeit wird<br />

bei hohen Temperaturen im stationären Bereich der Kriechkurve bei vielen Materialien<br />

beobachtet (siehe Ashby und Frost, Deformation Mechanism Maps). Spannungsexponenten ><br />

3 (bis zu 12-15 bei oxiddispersionsverfestigten (ODS-) Materialien, Stichwort<br />

Schwellspannungskonzept) sind meist auf starke Behinderung der Versetzungsbewegungen<br />

zurück zu führen.<br />

Linienenergie einer Versetzung<br />

Aus der elastischen Verspannung des Gitters ergibt sich eine Linienenergie für die<br />

verschiedenen Versetzungstypen. Die Linienenergie wird berechnet indem man die<br />

Versetzung gedanklich halbiert und die eine Hälfte aus einem großen Abstand R 0 auf die<br />

andere Hälfte zu bewegt. Durch die Wechselwirkungskräfte (siehe unten) ergibt sich eine<br />

Kraft pro Länge, das Integral Kraft mal Weg von R 0 bis zum inneren Abschneideradius r 0 ≈ b<br />

ergibt eine Energie pro Versetzungslänge.<br />

Für isotropes Material und einem Winkel α zwischen dem Burgersvektor und der<br />

Versetzungslinie ergibt sich die Linienenergie zu:<br />

91


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

U Lα =<br />

G b<br />

4 ⋅ π<br />

⎛ R ⎞ ⎛ ν<br />

ln<br />

⎜<br />

⎟ ⎜1+<br />

sin<br />

⎝ r0<br />

⎠ ⎝ 1− ν<br />

2<br />

⋅ 2<br />

⎞<br />

α⎟ ⎠<br />

Die Abschneideradien R und r 0 sind nötig, da ansonsten die Linienenergie gegen unendlich<br />

gehen würde. Der obere Abschneideradius R entspricht dem mittleren Abstand zwischen den<br />

Versetzungen (mehrere μm), der untere r 0 dem Gitterparameter oder wenige b.<br />

Oft wird der Vorfaktor<br />

1 ⎛ R ⎞<br />

ln<br />

⎜<br />

⎟<br />

4 ⋅ π ⎝ r0<br />

⎠<br />

= 1, gesetzt. Mit R = 73 µm, r 0 = 0,25 nm =<br />

a , ist<br />

2<br />

1 ⎛ R ⎞<br />

ln<br />

⎜<br />

⎟ = 1,00.<br />

4 ⋅ π ⎝ r0<br />

⎠<br />

Wichtig ist die Abhängigkeit zu b 2 und, dass Stufenversetzungen um den Faktor 1/(1-ν) ≈ 3/2<br />

größere Linienenergie als Schraubenversetzungen besitzen. Somit gilt für eine<br />

Schraubenversetzung:<br />

U L ≈ G⋅b 2<br />

Für Kupfer ergibt sich mit r 0 = 2,5⋅10 -10 m, R = 10 -4 m, G = 48 GPa und b = 2.55⋅10 -10 m für<br />

eine Schraubenversetzung:<br />

U Schraube L = 3,1⋅10 -9 J/m.<br />

für eine Stufenversetzung mit ν = 0,34:<br />

U Stufe L = 4,8⋅10 -9 J/m.<br />

Es ergeben sich Linienenergien von Versetzungen in der Größenordnung von 10 -9 bis<br />

10 -8 J/m.<br />

Die Linienenergie einer Versetzung nimmt mit ihrer Bewegungsgeschwindigkeit im Kristall<br />

zu (vergleiche das Kapitel "Beanspruchungsgeschwindigkeit und -temperatur":<br />

L<br />

L0<br />

v<br />

1−<br />

c<br />

mit c t der transversalen Schallgeschwindigkeit des Materials.<br />

U<br />

=<br />

U<br />

2<br />

2<br />

t<br />

92


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Versetzungen liegen, im Gegensatz zu Leerstellen, nur mit einer extrem geringen Dichte im<br />

thermodynamischen Gleichgewicht vor. Bildungsenergie einer Leerstelle Q L ≈ 1 eV, k⋅T bei<br />

1000°C ca. 0,11 eV Leerstellenkonzentration: c L ≈ 10 -4 .<br />

Versetzungen, Beispiel Kupfer (Gitterebenenabstand a = 3,6⋅10 -10 m, Linienenergie<br />

U L ≈ 4⋅10 -9 J/m): Für jedes Atom des Versetzungskernes (Abstand ist der Betrag des<br />

Burgersvektors b r ), welches die eingeschobene Halbebene beendet, ergibt sich eine Energie<br />

von Q Vers.atom ≈ 5 eV. Und damit im thermodynamischen Gleichgewicht bei 1000°C eine<br />

Dichte von nur c Vers.atom ≈ 8⋅10 -23 ! Ein Kupfer-Einkristall der Größe von 1 m 3 enthält<br />

4/(3,6⋅10 -10 m) 3 = 8,6⋅10 28 Atome. Die Zahl der Versetzungsatome in 1 m 3 ist somit 7⋅10 6<br />

Atome. Diese aneinandergereiht ergibt eine Länge von 2 mm. Damit ergibt sich die<br />

Gleichgewichts-Versetzungsdichte zu 2⋅10 -3 m -2 . In Realkristallen liegt die Versetzungsdichte<br />

im Bereich von 10 +7 bis 10 +16 m -2 .<br />

Linienspannung<br />

Der Versetzungslinie kann neben ihrer Energie auch eine Linienspannung zugeordnet<br />

werden, vergleichbar einem Gummiband. Die Linienspannung ergibt sich aus dem<br />

Widerstand der Versetzung gegen einer Krümmung der Linie. Sie ergibt sich aus der Energie<br />

bei einer infinitesimalen Auslenkung θ zu<br />

∂<br />

2 U<br />

T = U L +<br />

2<br />

∂θ<br />

L<br />

Im isotropen Material ergibt sich eine Linienspannung von (Seite 313, paper Phil. Mag.<br />

Glatzel, Forbes, Nix):<br />

⋅ b<br />

4 ⋅ π<br />

⎛ R ⎞ ⎛<br />

⎜ ⎟ ⎜<br />

⎝ r0<br />

⎠ ⎝<br />

ν<br />

1 − ν<br />

2<br />

G 2<br />

[ ] ⎟⎠<br />

⎞<br />

T isotropic = ln⎜<br />

⎟ 1 + sin θ + 2 cos( 2θ)<br />

Die Linienspannung hat dieselbe Einheit wie die Linienenergie und liegt auch betragsmäßig<br />

in derselben Größe.<br />

Eine Versetzung, die an zwei Punkten mit dem Abstand L verankert ist, wird sich durch die<br />

Einwirkung einer äußeren Kraft durchbiegen. Die Linienspannung versucht die Versetzung<br />

als Gerade beizubehalten.<br />

93


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

L<br />

T<br />

2⋅r⋅θ<br />

θ<br />

T<br />

T⋅sinθ<br />

θ<br />

r<br />

Die Durchbiegung ergibt sich anschaulich aus einer erhöhten Linienenergie auf Grund der<br />

Längenzunahme verursacht durch die Durchbiegung. Die gedachte Gegenkraft muss die<br />

Energie W extern = τ ext. ⋅b⋅(2⋅r⋅θ) aufbringen. Die Energiezunahme auf Grund der Durchbiegung<br />

beträgt W Durchb. = 2⋅T⋅sinθ ≈ 2⋅T⋅θ ≈ 2⋅U L ⋅θ. Somit ergibt sich der Radius der Durchbiegung<br />

zu:<br />

r =<br />

G ⋅ b<br />

τ<br />

Falls die Spannung so groß ist, dass sich ein perfekter Halbkreis ergibt, kann das Hindernis<br />

überwunden werde. Es liegt dann 2⋅r = L vor und es ergibt sich die Orowan-Spannung τ Orowan<br />

im Kräftegleichgewicht bei genauer Berechnung des Kreisbogens:<br />

ext<br />

τ Or = 0.84<br />

G b<br />

L<br />

≈<br />

G b<br />

L<br />

Die Orowan Spannung wird benötigt um eine Versetzung komplett zwischen zwei<br />

Hindernissen hindurch zu bewegen. Dies hat eine weitreichende Bedeutung. Je näher wir<br />

Hindernisse in einer Legierung zusammen bringen, umso höher die Festigkeit.<br />

Beispiel Nickelbasis-Superlegierung CMSx-4 nach Wärmebehandlung: γ' Volumenateil von<br />

~ 70%, würfelförmige Ausscheidungen, Matrixkanalbreite 40 - 100 nm. G ~ 95 GPa (Matrix<br />

bei 1000°C). b = 360 pm/ 2 = 255 pm, daraus folgt:<br />

τ Or ≈ 600 MPa für 40 nm Abstand zwischen den γ' <strong>Teil</strong>chen<br />

τ Or ≈ 240 MPa für 100 nm Abstand zwischen den γ' <strong>Teil</strong>chen<br />

Dies ist im Bereich der wirkenden Fliehkräfte in einer Gasturbinenschaufel. Durch<br />

Vergröberung der γ' Ausscheidungen mit der Zeit bei einer Temperatur ab 1000°C nimmt<br />

diese Spannung mit der Zeit ab.<br />

94


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Festigkeissteigerung durch Mischkristallverfestigung (Cu-Co gelöst), durch<br />

Ausscheidungsverfestigung (Cu-Co ausgeschieden) oder durch verfestigende <strong>Teil</strong>chen oder<br />

Dipersoide (Cu-BeO in Dispersion).<br />

Wir können die Fließspannung τ einer Kupferlegierung durch Mischkristallverfestigung<br />

steigern. Durch weitere Zugabe von Co, ergeben sich Co-Ausscheidungen (hcp), die aber<br />

noch von Versetzungen geschnitten werden können. Eine sehr effektive Festigkeitssteigerung<br />

ergibt sich, wenn die Hindernisse nicht von Versetzungen geschnitten werden können und die<br />

Hindernisse sehr fein dispergiert vorliegen (kleines L), wie z.B. bei dispersionsgehärteten<br />

Legierungen. Auch bei Nickelbasissuperlegierungen wirken die nah beieinander liegenden<br />

γ' Ausscheidungen als Hindernisse und die Versetzungen müssen sich durch die schmalen<br />

Matrixkanäle "quälen" (siehe mittleres Bild auf Seite 73 im Skript H2a).<br />

Versetzungsvervielfachung (Versetzungsquelle)<br />

Ist die außen anliegende Kraft groß genug so wirkt eine verankerte Versetzungslinie als<br />

Versetzungsquelle und emittiert immer weitere Versetzungsringe (Frank-Reed-Quelle), so<br />

lange, bis die Rückspannung durch aufgestaute Versetzungen so groß wird, dass eine<br />

Multiplikation verhindert wird. Siehe dazu die Animation von Versetzungsbewegungen, und<br />

auch zu Versetzungsquellen in:<br />

http://zig.onera.fr/DisGallery/<br />

95


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Ausbreitung einer verankerten Versetzungslinie. Die von der Versetzungslinie überschrittene<br />

Fläche ist abgeglitten.<br />

Frank Read Quelle in Silizium, Dash (1957). Lichtmikroskopische Aufnahme, Versetzung<br />

wurde durch die Dekorationstechnik sichtbar gemacht: Fremdatome lagern sich an den<br />

Versetzungskern an und verändern den Brechungsindex.<br />

96


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Konzentrische Ringe um eine Versetzungsquelle in Al3.5Mg, TEM-Aufnahme (1962)<br />

Wechselwirkung zwischen Versetzungen und Nulldimensionalen Fehlstellen (Cottrell-<br />

Wolken)<br />

Eine Wechselwirkung ergibt sich aus der Anlagerung von Fremdatomen in dem<br />

Spannungsfeld von Versetzungen. Dies findet insbesondere durch bewegliche<br />

Zwischengitteratome mit kleinerem Atomradius als derjenigen der Matrixatome statt (z.B.<br />

Stickstoffatome in unlegierten Stählen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt, in Tiefziehblechen).<br />

Durch Cottrell-Wolken blockierte<br />

Versetzungen in einem gealterten Stahl<br />

Durch Vorverformung (Dressieren) von den<br />

Cottrell-Wolken gelöste Versetzungen<br />

Während der Glühung haben sich Stickstoffatome in der Nähe der Versetzungskerne<br />

angelagert. Sie setzen somit die Spannungsfelder um die Versetzungslinien herab. Wird das<br />

97


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Material verformt muß eine höhere obere Streckgrenze σ eH überwunden werden, so dass sich<br />

die Versetzungen von den Cottrell-Wolken lösen. Die nun freien Versetzungen bewegen sich<br />

unter einer niedrigeren Spannung, der unteren Streckgrenze σ eL . Die Verformung ist somit<br />

lokalisiert in Bereichen einer lokalen Spannungserhöhung. Es entstehen sog. Lüders-Bänder,<br />

die sich durch die Probe hindurch bewegen.<br />

Gealterter (bei hohen Temperaturen<br />

ausgelagerter) Werkstoff mit oberer und<br />

unterer Streckgrenze<br />

Ungealterter Werkstoff mit kontinuierlichem<br />

Übergang vom elastischen in den plastischen<br />

Bereich<br />

Inhomogene Verformung durch Bildung von Lüders-Bändern bei der Zugbeanspruchung<br />

eines gealterten Stahls.<br />

Wechselwirkung zwischen Versetzungen und Nulldimensionalen Fehlstellen<br />

(Versetzungsklettern)<br />

Eine große Bedeutung spielt die Wechselwirkung von Versetzungen mit Leerstellen bei<br />

hohen homologen Temperaturen (T > 0.4⋅T Schmelzpunkt ). Es ist dann möglich, dass sich<br />

98


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Stufenversetzungen, bzw. Versetzungen mit Stufenanteil auch senkrecht zu ihrer Gleitebene<br />

bewegen. Dies führt ebenfalls zu einer plastischen Verformung.<br />

Schematische Darstellung des Kletterprozesses über den Mechanismus der Diffusion, z.B.<br />

hervorgerufen durch eine horizontal angelegte Druckkraft.<br />

Die Kletterkraft einer reinen Stufenversetzung (bei einer Schraubenversetzung beinhaltet der<br />

nachfolgende Ausdruck zudem noch den Gleitanteil) ergibt sich durch Projektion der Peach-<br />

Köhler-Kraft auf die Gleitebene zu:<br />

r<br />

[ ] ⋅ nˆ<br />

F K = F r PK ⋅ n) r r t r<br />

= ŝ × ( σ b)<br />

r t r<br />

− = − bˆ e σ b<br />

Wird nun eine Leerstellen entsprechend der Abbildung oben eingebaut, so ergibt sich ein<br />

Energiegewinn von:<br />

ΔW = F K ⋅b 2<br />

da F K die Kraft pro Versetzungslänge ist, F K ⋅b die Kraft auf die Fläche b 2 darstellt. Somit<br />

ergibt sich in skalaren Größen (strenggenommen ist hier mit σ nur der Kletteranteil des<br />

Spannungstensors gemeint):<br />

ΔW = σ⋅b 3 = σ⋅Ω<br />

mit dem Atomvolumen Ω = b 3 . Analog zur Herleitung der Leerstellendichte ergibt sich bei<br />

einer außen anliegenden Spannung eine Absenkung, bzw. Anreicherung der<br />

Leerstellenkonzentration von:<br />

c - = c 0 e<br />

c + = c 0 e<br />

−σb 3<br />

kT<br />

+σb 3<br />

kT<br />

Versetzung klettert nach oben (eingeschobene Halbebene verkleinert sich),<br />

z.B. horizontale Druckkräfte im Bild oben<br />

Versetzung klettert nach unten (eingeschobene Halbebene vergrößert sich) , z.B.<br />

horizontale Zugkräfte im Bild oben<br />

Diese unterschiedlichen Leerstellenkonzentrationen ober-, bzw. unterhalb der Versetzungen<br />

im Vergleich zur Gleichgewichtsleerstellenkonzentration ergeben einen Fluss von Leerstellen<br />

99


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

• hin zum Versetzungskern im Fall einer horizontalen Druckkraft (die Versetzung ist eine<br />

Leerstellensenke)<br />

• weg von der Versetzung im Fall einer horizontalen Zugkraft (die Versetzung ist eine<br />

Leerstellenquelle)<br />

Der Leerstellenfluss ist proportional dem Konzentrationsunterschied (erstes Fick'sches Gesetz<br />

r r<br />

J = −D<br />

∇c<br />

).<br />

Im Allgemeinen spielt der Fluss von Substitutionsatomen beim Versetzungsklettern eine stark<br />

untergeordnete Rolle, da deren Beweglichkeit im Vergleich zu den Leerstellen deutlich<br />

eingeschränkt ist.<br />

Es lässt sich zeigen, dass die Geschwindigkeit der Versetzungskletterbewegung proportional<br />

zu der Differenz der Leerstellenkonzentration ist, z.B.:<br />

v<br />

+<br />

c<br />

~ D V ⋅(c + ⎛<br />

- c 0<br />

) = D V ⋅c 0 ⋅⎜<br />

⎜<br />

⎝<br />

Für kleine Spannungen σ ist σ⋅b 3


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Parallele Versetzungen mit Burgersvektor gleichen Vorzeichens stoßen sich ab, mit<br />

verschiedenem Vorzeichen ziehen sich an:<br />

U L1<br />

≈ G⋅b 2 1<br />

, U L2<br />

≈ G⋅b 2 r r 2<br />

2<br />

, U L,ges<br />

≈ G⋅ b 1 + b 2 = G 2 (b1 + b 2 2 + 2⋅ b 1 ⋅b 2 ⋅cosα)<br />

Dies ergibt, dass parallele Versetzungen mit Burgersvektoren, die einen Winkel < 90°<br />

zueinander bilden sich anziehen, und bei > 90° sich abstoßen.<br />

Für Stufenversetzungen ergeben sich die Kräfte zu (schwarz: negative Kräfte, weiß: positive<br />

Kräfte):<br />

10<br />

10<br />

y<br />

5<br />

5<br />

F G<br />

F K<br />

x<br />

0<br />

0<br />

-5<br />

-5<br />

-10<br />

-10 -5 0 5 10<br />

-10<br />

-10 -5 0 5 10<br />

Gleitkräfte<br />

Kletterkräfte<br />

Wichtig sind hierbei die sog. Spiegelkräfte. Liegt eine Versetzung in der Nähe einer freien<br />

Oberfläche, so sind die Randbedingungen an der Oberfläche σ xz = σ yz = σ zz = 0 zu<br />

befriedigen. Diese Randbedingungen lassen sich durch die Einführung einer an der freien<br />

Oberfläche gespiegelten Versetzung mit entgegengesetztem Vorzeichen erzielen. Das<br />

bedeutet, dass eine Versetzung von einer freien Oberfläche angezogen wird.<br />

Schrauben- und Stufenversetzung im Abstand d von einer freien Oberfläche.<br />

Liegt die Versetzung in der Nähe eines Übergangs zu einem unendlich steifen Medium sind<br />

die Randbedingungen ε xz = ε yz = ε zz = 0 zu erfüllen. Dies erfolgt durch eine Spiegelversetzung<br />

mit gleichem Vorzeichen. Die Versetzung wird von dieser Grenzfläche abgestoßen.<br />

101


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Temperaturabhängigkeit der Auswirkung der Versetzungswechselwirkungen:<br />

Im Spannungs-Dehnungsdiagramm bei niedrigen Temperaturen ergibt sich im Allgemeinen<br />

eine Verfestigung:<br />

∂σ ∂σ > 0 bzw. > 0<br />

∂ε<br />

∂t<br />

Die Versetzungsdichte ρ steigt kontinuierlich an (dρ + , hardening h).<br />

Bei hohen Temperaturen sind die Versetzungen so beweglich (Stichwort: "klettern",<br />

"nichtkonservative Bewegung", "Quergleiten"), dass energetisch günstige Konfigurationen<br />

eingenommen werden können und/oder sich Versetzungen gegenseitig auslöschen<br />

(annihilieren) können. Da Versetzungen nicht im thermodynamischen Gleichgewicht sind,<br />

werden die Linienenergien bei genügend hohen Temperaturen und Zeiten abgebaut. Im<br />

Material findet somit ein Abbau der inneren Spannungen oder eine Entfestigung statt:<br />

∂σ < 0<br />

∂t<br />

,bzw. die Versetzungsdichte nimmt ab (dρ - , recovery r).<br />

Die durch die Verformung erhöhte Versetzungsdichte wird durch die Umordnung infolge von<br />

diffusionsgesteuerten Prozessen wieder vermindert. Erzeugung und Verminderung der<br />

Versetzungsdichte unter thermischer Einwirkung ergibt dann einen stationären Zustand, d.h<br />

bei einer von außen vorgegebenen konstanten Spannung ergibt sich eine konstante<br />

Dehngeschwindigkeit ε& (oder die Dehngeschwindigkeit ist vorgegeben und es stellt sich eine<br />

konstante Spannung ein). Analog nimmt die Versetzungsdichte einen stationären Wert an.<br />

Das heißt Verfestigung und Entfestigung sind betragsmäßig gleich groß:<br />

102


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

ρ<br />

dρ = 0 => stationärer Zustand<br />

ρ 0<br />

Verfestigung überwiegt<br />

t oder ε<br />

Das totale Differential der Versetzungsdichte ergibt sich zu:<br />

⎛ ∂ρ ⎞ ⎛ ∂ρ ⎞<br />

dρ total = ⎜ ⎟ ⋅ dt + ⎜ ⎟ ⋅ dε<br />

= r⋅dt + h⋅dε<br />

⎝ ∂t<br />

⎠ ⎝ ∂ε ⎠<br />

Im stationären Zustand ergibt sich eine konstante Versetzungsdichte und somit:<br />

bzw.:<br />

dρ total = 0 = r⋅dt + h⋅dε -r⋅dt = h⋅dε <br />

ε&<br />

steady state<br />

= - h<br />

r<br />

dε r = -<br />

dt h<br />

Dies erklärt über die, für den Kletterprozess notwendige, Diffusion auch die<br />

Temperaturabhängigkeit:<br />

ε &<br />

−Q<br />

n k⋅T<br />

ss<br />

( σ,T)<br />

= ε&<br />

0<br />

⋅ σ ⋅ e<br />

mit der Aktivierungsenergie Q Kriechen ≈ Q Selbstdiffusion und einem Spannungsexponenten von ca.<br />

3, je nach Abhängigkeit der Geschwindigkeit des Versetzungskletterns von der Spannung<br />

(siehe "Wechselwirkung von Versetzungen mit 0-dimensionalen Fehlstellen"). Durch die bei<br />

höheren Temperaturen stärker ermöglichten Diffusionsvorgänge mit einer<br />

Temperaturabhängigkeit wie<br />

−Q SD<br />

k T<br />

e ⋅<br />

Kriechen<br />

wird auch die Beweglichkeit der Versetzungen gesteigert.<br />

Um zu einer höheren Warmfestigkeit zu gelangen muss somit die Versetzungsbeweglichkeit<br />

vermindert werden (Ausscheidungen einer zweiten Phase => Nickelbasissuperlegierungen).<br />

Schneiden sich zwei Versetzungen entstehen Sprünge in den Versetzungslinien.<br />

103


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Schneidprozeß zwischen zwei Stufenversetzungen, deren Burgersvektoren einen rechten<br />

Winkel zueinander bilden. Die Versetzungslinie X-Y ist in sich selbst um den Betrag des<br />

Burgersvektor der Linie A-B verschoben.<br />

Schneidprozeß zwischen zwei Stufenversetzungen mit parallelem Burgersvektor. Die Sprünge<br />

der Versetzungslinien haben Schraubencharakter.<br />

Schneiden sich zwei Schraubenversetzungen so entstehen Sprünge mit Stufencharakter. Diese<br />

Sprünge können nun nicht mehr in der in der ursprünglichen Gleitebene der Schrauben<br />

gleiten. Die eingeschobene Halbebene muß sich verlängern oder verkürzen. diese Bewegung<br />

wird als nicht konservative Bewegung bezeichnet und ist nur durch Erzeugung oder<br />

Vernichtung von Leerstellen, bzw. Zwischengitteratomen möglich.<br />

Bei zunehmender Zahl von Schneidvorgängen entstehen immer mehr schwer bewegliche<br />

Versetzungsabschnitte (nicht bewegliche kinks) => Verfestigung des <strong>Werkstoffe</strong>s.<br />

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Versetzungsaufstau<br />

Eine Versetzungskonfiguration, die häufig nach plastischer Verformung beobachtet wird ist<br />

ein Aufstau von Versetzungen. Er wird hervorgerufen durch die Emission von Versetzungen<br />

auf einer Gleitebene ausgehend von einer Versetzungsquelle. Trifft die führende Versetzung<br />

auf ein Hindernis (z.B. Korn- oder Phasengrenze) so stauen sich die nachfolgenden<br />

Versetzungen auf. Auf Grund der abstoßenden Kräfte der gleichsinnigen Versetzungen tritt<br />

keine Rekombination ein. Die elastischen Spannungsfelder der Versetzungen Wechselwirken<br />

miteinander. Der Abstand zwischen den Versetzungen wird kleiner je kleiner der Abstand<br />

zum Hindernis ist.<br />

Lineare Anordnung eines Aufstaus von Stufenversetzungen vor einem Hindernis unter einer<br />

von außen anliegenden Schubspannung τ.<br />

Versetzungsaufstau an einer γ'/Matrix-Phasengrenze in einer Nickelbasissuperlegierung<br />

(Übersicht und Ausschnittvergrößerung, Dr.-Arbeit Uwe Glatzel, TU-Berlin 1990)<br />

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Die Spannung τ 1 auf die führende Versetzung 1 ergibt sich durch die von außen angelegte<br />

Schubspannung τ ext. plus die von jeder der (n-1) verbleibenden Versetzungen wirkende<br />

Spannung τ n, mit n ≠1 . Bewegt sich die führende Versetzung um δx, so rücken auch alle<br />

nachfolgenden Versetzungen um δx auf. Dies ergibt eine verrichtete Arbeit ΔW = n b τ ext. δx.<br />

Das Hindernis (z.B. die Korngrenze) wirkt mit einer Gegenkraft τ crit. auf die führende<br />

Versetzung. Dies ergibt bei Bewegung um δx eine Energieänderung von ΔW * = b τ crit. δx. Im<br />

Gleichgewicht sind die beiden Energiebeiträge gleich groß und somit ist:<br />

τ 1 = N τ ext.<br />

Durch einen Versetzungsaufstau lässt sich somit die Spannung auf die führende Versetzung<br />

deutlich erhöhen. Die Quelle wird weiterhin Versetzungen emittieren, solange die<br />

Rückspannung der letzten Versetzung kleiner ist als τ. Der Abstand zwischen Versetzung i<br />

und (i-1) verhält sich wie<br />

1 b G 1 1<br />

Δ x<br />

i<br />

=<br />

~ (für eine große Anzahl von Versetzungen im Aufstau)<br />

(N − i + 1) 2π<br />

τ i<br />

ext.<br />

Die Zahl der Versetzungen ergibt sich aus dem Abstand der Quelle zum Hindernis und ist hier<br />

ohne Herleitung gegeben (siehe Hirth & Lothe, p. 767ff). Im Fall, dass die Quelle sich im<br />

Zentrum des Kornes befindet, ist dies D/2 (D ... Korndurchmesser).<br />

N =<br />

d τ ext .<br />

G b<br />

==> τ crit. =<br />

d τ 2 ext .<br />

G b<br />

bzw.: τ ext. =<br />

τ<br />

crit.<br />

⋅ G ⋅ b<br />

d<br />

Bei Annahme einer konstanten Korngrenzenfestigkeit τ crit. = τ KG , ergibt sich:<br />

τ<br />

ext.<br />

~<br />

1<br />

d<br />

Somit ist über einen Versetzungsaufstau eine Herleitung für den Zusammenhang zwischen<br />

Korngröße und Streckgrenze gegeben (Hall-Petch).<br />

Korngrößeneinfluss (Hall-Petch-Beziehung)<br />

Aus der obigen Herleitung lässt sich das makroskopische Verformungsverhalten als Funktion<br />

der Korngröße ableiten. Der mittlere Laufweg ist von der Korngröße abhängig. Das heißt ein<br />

grobkörnigerer Werkstoff hat zu Beginn der Verformung eine größere mittlere freie<br />

106


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Weglänge für Versetzungen, bzw. die Möglichkeit mehr Versetzungen aufzustauen, bevor sie<br />

auf ein Hindernis (die Korngrenze) treffen. Damit hat der grobkörnige Werkstoff eine<br />

geringere Streckgrenze.<br />

Der freie Laufweg von Versetzung abhängig von der Größe eines Kristallits und von<br />

Versetzungshindernissen (z.B. feindispers ausgeschiedene Zweitphase).<br />

Für hinreichend große Korndurchmesser lautet die empirisch ermittelte Hall-Petch-<br />

Beziehung:<br />

k<br />

σ 0.2<br />

= σ 0<br />

+<br />

n<br />

d<br />

Mit dem Korndurchmesser d, einer Reibungsspannung σ 0<br />

und der Korngrenzenhärte k als<br />

Konstanten (die τ crit. beinhaltet), n ist ≈ 2.<br />

Für technische <strong>Metalle</strong> ist die Hall-Petch Beziehung nur bedingt gültig, da Ausscheidungen<br />

die mittleren Laufwege zusätzlich erheblich verkürzen können. Für sehr kleine<br />

Korndurchmesser ist ein Versetzungsaufstau nicht mehr möglich und die Hall-Petch-<br />

Beziehung bricht zusammen.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

σ − σ 0<br />

k<br />

25 nm<br />

2⋅10 15 m -2<br />

−0.5<br />

6.3 d nm<br />

3⋅10 16 m -2<br />

2.8 nm<br />

3⋅10 16 m -2<br />

1<br />

d<br />

Abweichung von der Hall-Petch Beziehung für Korngrößen kleiner 10 – 20 nm.<br />

Zusammenfassung: Bedeutung der Versetzungen<br />

• Versetzungsmechanismen beeinflussen das plastische Formänderungsvermögen über den<br />

gesamten Temperaturbereich ( ε& = ρ⋅b⋅v):<br />

- T < T DBTT : Versetzungen eventuell nicht beweglich, bzw. zu langsam → Sprödbruch<br />

- 0 < T < 0,4⋅T m : Versetzungsgleiten: je nach Kristallsystem stehen Gleitsysteme zur<br />

Verfügung (siehe auch von Mises Kriterium später) die zu einer plastischen<br />

Verformung beitragen.<br />

- T > 0,4⋅T m : Weitere Gleitsysteme werden aktiviert (krz) und Wechselwirkung mit<br />

Leerstellen erhöht die Beweglichkeit der Versetzungen drastisch (gleiten +<br />

Versetzungsklettern) → zeitabhängige plastische Verformung (Kriechen). Technisch<br />

bedeutsam bis T m .<br />

- Reine Diffusionsprozesse durch Leerstellenbewegung spielen für die plastische<br />

Verformung keine Bedeutung (jedoch für Konzentrationsverschiebungen, Diffusion<br />

von der Oberfläche, ... ).<br />

• Spannungsfeld um eine Versetzung: σ Vers ≈ G⋅b/r<br />

• Linienenergie: U L ≈ G⋅b 2 (≈ Linienspannung) für elastisch isotrope Materialien.<br />

⎛ σ<br />

• bei hohen Temp.: Taylor-Beziehung ρ ≈<br />

G b<br />

⎟ ⎞<br />

⎜<br />

⎝ ⎠<br />

mit Hindernissen:<br />

• Orowanspannung: σ Orowan ≈ G⋅b/L<br />

k<br />

• σ Hall-Petch = σ 0 +<br />

d<br />

2<br />

und natural creep law ε& ~ σ 3 , da v ~ σ<br />

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Zweidimensionale Fehlordnungen<br />

Korngrenzen<br />

Der Grenzbereich von einem Korn zum anderen ist näherungsweise ein flächenhafter Fehler.<br />

Man unterscheidet zwischen Klein- (< 5°) und Großwinkelkorngrenze (≥ 5°), dann weiter in<br />

Dreh- und Kippgrenzen. Im Allgemeinen Fall ist jedoch die Korngrenze eine Kombination<br />

aus Dreh- und Kippgrenze. Zur exakten Definition einer Korngrenze benötigt man die<br />

Flächennormale der Grenzfläche n r , die Drehachse r t und den Drehwinkel θ zwischen den<br />

beiden Kristallen. Bei einer Drehgrenze ist die Drehachse parallel zur Grenzflächennormalen,<br />

bei einer Kippgrenze senkrecht dazu.<br />

Kippgrenze<br />

Drehgrenze durch Netzwerk aus parallelen<br />

Schraubenversetzungen<br />

Bildung einer Kleinwinkelkorngrenze durch Ordnung vorher ungeordneter Versetzungen<br />

109


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

b<br />

tan θ =<br />

d<br />

Beziehung zwischen Kippwinkel θ einer Kleinwinkelkorngrenze und dem<br />

Versetzungsabstand<br />

Die Korngrenze hat somit 5 Freiheitsgrade. Es gilt:<br />

r r r<br />

N b =<br />

×<br />

ˆ t<br />

∑<br />

i<br />

i<br />

i<br />

θ<br />

( ) 2 sin<br />

2<br />

mit einem beliebigen Vektor r r , der in der Grenzfläche liegt. N i<br />

ist die Zahl der Versetzungen<br />

mit Burgersvektor b r i<br />

, die von r geschnitten werden. Die Frank'sche Regel kann direkt aus<br />

dem Burgersumlauf abgeleitet werden. Streng gültig ist diese Regel nur für<br />

Kleinwinkelkorngrenzen: (a) planar, (b) weiter Abstand zwischen den Versetzungen, (c)<br />

kleine Winkel θ und (d) alle Versetzungen gerade, konstanter Abstand und parallel<br />

zueinander. Es können jedoch mehrere Schlüsse gezogen werden: Im Allgemeinen benötigen<br />

wir drei verschiedene, voneinander linear unabhängige Burgersvektoren um eine beliebige<br />

Korngrenze zu bilden<br />

Durch Verformung des Ausgangsmaterials (Walzen, Schmieden, Kaltverformung, ... ) kann<br />

die ursprünglich ungeordnete Anordnung der Korngrenzen ausgerichtet werden (=><br />

Texturen). Die Verteilung der Korngrenzen bestimmen das mechanische Verhalten<br />

entscheidend (siehe u.a. Hall-Petch Beziehung σ 0.2<br />

= σ 0<br />

+ k/ d).<br />

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Großwinkelkorngrenzen haben eine Dicke von 2-5 Atomlagen und es besteht keine<br />

Kohärenzbeziehung zwischen den Körnern. Die Großwinkelkorngrenze kann eine amorphe<br />

(Flüssigkeitsähnliche) Struktur annehmen. D.h. bei hohen Temperaturen das Material an den<br />

Korngrenzen aufschmilzt und Gleitvorgänge in den Korngrenzen und nicht mehr innerhalb<br />

des Gitters auf definierten Gleitebenen stattfindet. Die Rissbildung ist durch das Aufreißen<br />

von Korngrenzen gekennzeichnet. => gerichtete Erstarrung, Einkristalle zur Anwendung bei<br />

extrem hohen Temperaturen.<br />

Fehlordnung in den Korngrenzen führt zur Anreicherung von Fremdatomen (z.B. Beigabe<br />

von Hafnium, Bildung von Karbiden an Korngrenzen, Wasserstoffversprödung).<br />

Wird der Anteil der ungeordneten Bereiche erhöht (bis zu 80% in nanokristallinen<br />

Materialien) oder das Material durch geeignete Abkühlbedingungen in einen amorphen<br />

Zustand überführt wird (metallische Gläser) ergeben sich neue Materialeigenschaften. Bei<br />

metallischen Gläsern z.B. ein geringer E-Modul und eine sehr hohe Streckgrenzendehnung<br />

und damit eine hohe gespeicherte Energiedichte<br />

W/V = 1/2 σ ε =<br />

E ε<br />

2<br />

2<br />

=<br />

2<br />

σ<br />

2 E<br />

=> Material für Golfschläger.<br />

Stapelfehler<br />

Die hexagonal dichteste Kugelpackung weist eine Stapelfolge der (0001) Ebenen nach dem<br />

Muster ... ABABABAB ... auf. Im kfz-Gitter sind die {111} Ebenen entsprechend<br />

... ABCABCABCABC .. angeordnet. Störungen dieser Ordnung werden als Stapelfehler<br />

bezeichnet. Sie können während der Kristallisation im Abkühlvorgang eingewachsen sein<br />

oder werden durch Abgleitung von <strong>Teil</strong>versetzungen erzeugt. Eine vollständige a/2 <br />

Versetzung im kfz-Gitter kann aufspalten in zwei Versetzungen vom Typ a/6 unter<br />

Bildung eines Stapelfehlers zwischen diesen <strong>Teil</strong>versetzungen.<br />

Metall Stapelfehlerenergi Schubmodul G Abstand der Shockley Partials<br />

e<br />

[GPa]<br />

[nm]<br />

[mJ/m 2 ]<br />

Al 166 26,1 1<br />

Ni 128 76 2,9<br />

Cu 78 48,3 3,2<br />

Au 45 27,0 4<br />

Ag 22 30,3 9<br />

Stapelfehlerenergien schwanken stark für verschiedene Materialien:<br />

111


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Einen großen Einfluss haben auch Legierungsbestandteile. In der Regel reduzieren<br />

zusätzliche Legierungselemente die Stapelfehlerenergie (in Bronzelegierungen ist SFE<br />

geringer als für Cu, Al-Legierungen haben geringere SFE als Al).<br />

Kurze Stapelfehlersegmente in austenitischem Stahl. V2A-Stahl, X10CrNi18-8, bzw.<br />

Werkstoffnummer 1.4310.<br />

Aufspaltung der vollständigen Versetzung mit b r = a/2 [110] in b r 1<br />

= a/6 [211] und<br />

b r<br />

= a/6 [12 1] in der (1 11) Ebene des kfz Gitters.<br />

2<br />

112


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Schnitt einer ( 1 10) Ebene des kfz Gitters mit einer aufgespalteten Stufenversetzung, die<br />

einen Stapelfehler begrenzt. Das kfz-Gitter weist in -Richtung eine ABABAB<br />

Stapelfolge auf. Eine vollständige Versetzung kann ohne der Störung der Stapelfolge nur<br />

durch den Einschub zweier AB Ebenen erfolgen. Es liegen zwei gleichsinnige<br />

<strong>Teil</strong>versetzungen nebeneinander, die zwischen sich einen Stapelfehler bilden.<br />

Versetzungslinien und Burgersvektoren liegen schräg zur Papierebene.<br />

Antiphasengrenzen<br />

Legierungen mit geordneter Atomverteilung (intermetallischen Phasen) erzeugt das Abgleiten<br />

eine im Grundgitter vollständige Versetzung nun eine Störung der Ordnung, die<br />

Antiphasengrenze. Sind die Atome abwechselnd angeordnet ( ... oxoxoxox ... ), so ist die<br />

Antiphasengrenze eine Störung dieser Ordnung ( ... oxox|xoxoxox ... ). Die<br />

Antiphasengrenzenergien liegen in der Größenordnung von 100 mJ/m 2 .<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Antiphasengrenze im kfz Gitter<br />

Zwillingsgrenzen<br />

Zwillingsgrenzen sind Großwinkelkorngrenzen mit ungestörtem Gitteraufbau und besonders<br />

niederer Energie. Die Zwillingsebene spiegelt den Kristall von einer zur anderen Seite. Aus<br />

der Ebenenabfolge ( ... ABCABCABCABC ... ) wird ( ... ABCABC|BACBACBA ... ). Die<br />

Energie der Zwillingsgrenze entspricht der Hälfte der Stapelfehlerenergie. Zwillinge treten<br />

somit bevorzugt in Materialien geringer Stapelfehlerenergie auf (Cu, Messing, austenitischen<br />

Stählen).<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

(112) Zwillingsgrenze im krz Gitter<br />

Phasengrenzen<br />

In mehrphasigen <strong>Werkstoffe</strong>n ergeben können sich kohärente (jede Gitterebene der Matrix<br />

findet ihre Fortsetzung in der Ausscheidung oder teilkohärente (die Gitterebenen der Matrix<br />

finden zum <strong>Teil</strong> ihre Fortsetzung in der Ausscheidung) Phasengrenzen. Im Fall der<br />

teilkohärenten Phasengrenzflächen ergeben sich Fehlpassungsnetzwerke (Netzwerke von<br />

Versetzungen mit Stufenanteil). Vollständig inkohärente Grenzflächen ergeben sich äußerst<br />

selten.<br />

kohärent<br />

teilkohärent<br />

Schematische Darstellung von Phasengrenzen<br />

115


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Versetzungen in Realstrukturen unter Berücksichtigung möglicher Fehlerflächen<br />

Prinzipiell:<br />

- Linienenergie einer Versetzung ist proportional b 2 => eine Aufspaltung der Versetzung<br />

unter Winkeln < 90° verringert die Gesamtenergie, es können dann aber zusätzliche<br />

Flächenfehler auftreten.<br />

- von Mises Kriterium: bei plastischer Verformung bleibt das Volumen erhalten => 5<br />

voneinander unabhängige Dehnungsgrößen (6 Dehungsgrößen im Tensor minus 1 durch<br />

Volumenkonstanz) müssen variiert werden um eine beliebige plastische Verformung zu<br />

ermöglichen => mindestens 5 voneinander unabhängige Gleitsysteme werden für eine<br />

beliebige plastische Verformung benötigt.<br />

- Gleitebene: Ebene mit höchster Atom-Flächendichte.<br />

- Burgersvektor: kürzester Verbindungsvektor zwischen zwei Atomen.<br />

- Nur in sehr seltenen Spezialfällen liegt der kürzeste Verbindungsvektor nicht in der<br />

Gleitebene.<br />

- Aufspaltung schränkt die Bewegungsmöglichkeit ein (Quergleiten von<br />

Schraubenversetzungen nicht mehr möglich).<br />

- Bei erhöhten Temperaturen auch nichtkonservative Versetzungsbewegung möglich<br />

(klettern) => Duktilität nimmt zu, Festigkeit ab.<br />

von Mises Kriterium:<br />

Für eine beliebige Veränderung eines Volumenelementes benötigen wir 6 voneinander<br />

unabhängige Dehnungsgrößen: ε xx , ε yy , ε zz , ε yz , ε xz , ε xy . Bei plastischer Verformung gehen wir<br />

jedoch von einer Volumenkonstanz aus, d.h. für eine beliebige plastische Verformung<br />

genügen 5 Dehnungsgrößen um diese zu beschreiben, da ε xx + ε yy + ε zz = 0.<br />

Für die Abgleiten auf einem Gleitsystem ergibt sich eine plastische Verformung von:<br />

r r s<br />

mit pˆ || ( b n)<br />

⎛0<br />

1 0⎞<br />

t ⎜ ⎟<br />

ε ' = γ ⎜1<br />

0 0⎟<br />

⎜ 0 0 0 ⎟<br />

⎝ ⎠<br />

× . Mit der Transformationsmatrix<br />

⎛ b1<br />

⎜<br />

R t<br />

= ⎜b2<br />

⎜<br />

⎝ b3<br />

n<br />

n<br />

n<br />

1<br />

2<br />

3<br />

r r<br />

bˆ ,nˆ ,pˆ<br />

p1<br />

⎞<br />

⎟<br />

p2<br />

⎟<br />

p ⎟<br />

3 ⎠<br />

ergibt sich die Dehnung im kartesischen Koordinatensystem zu:<br />

t t t<br />

− t<br />

ε = R 1 ε'<br />

R<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Wenn die Burgersvektoren und Gleitebenen jeweils voneinander abhängig sind (als<br />

Linearkombinationen darstellbar) sind die Gleitsysteme voneinander abhängig. Für eine<br />

beliebige plastische Verformung auf Grund von Gleitprozessen benötigen wir 5 voneinander<br />

unabhängige Gleitsysteme. Es kann nicht mehr als 5 voneinander unabhängige Gleitsysteme<br />

in einem Kristall geben, da durch Gleitprozesse keine Volumenänderung möglich ist (bei<br />

Phasenumwandlungen mit Volumenänderungen kommt ein zusätzlicher Freiheitsgrad hinzu).<br />

fcc bcc hcp<br />

Gleitbenenen und/oder Basalebene [0001]<br />

Burgersvektor a/2 a/2 a/3 <br />

Anzahl der Gleitsysteme 12 12 oder mehr 3<br />

Zahl voneinander unabhängigen<br />

Gleitsysteme<br />

5 5 2<br />

Mechanische<br />

duktil, geringe<br />

Eigenschaften<br />

Festigkeit<br />

duktil, hohe Festigkeit spröde<br />

Beispiele Ni, Cu, Pb Fe, Mo, Ta Mg, Be, Ti<br />

Kubisch-flächenzentriertes Gitter (z.B. Al, Ni, aust. Stähle (Cr-Ni-Stähle), Cu, Ag, Au)<br />

Legierungen dieses Kristallgitters zeigen eine gute Umformbarkeit aber auch eine hohe<br />

Verfestigungsrate bei der plastischen Verformung. Die Festigkeit lässt sich durch<br />

Ausscheidungshärtung beträchtlich erhöhen. Kennzeichnend für dieses Kristallgitter ist die<br />

Aufspaltung von Versetzung (in Shockley-Partialversetzungen) und damit die Bildung von<br />

Stapelfehlern:<br />

a/2 [110] = a/6 [211] + a/6 [12 1]<br />

Da die Linienenergie einer Versetzung ~ b 2 ist, ergibt sich eine Reduzierung der<br />

Gesamtlinienenergie. Je nach Stapelfehlenergie ist der Prozess dann begünstigt oder nicht,<br />

bzw. die Aufspaltungsweiten groß oder gering. Durch diese Aufspaltung sind die {111}-<br />

Ebenen in der sich der Stapelfehler befindet, als Gleitebenen festgelegt. Die Flächenenergie<br />

des Stapelfehlers ist eine entscheidende Größe der kfz-Gitter.<br />

Der Abstand zwischen den Shockley-Partialversetzungen wird über die Stapelfehlerenergie<br />

bestimmt. Die Versetzungen stoßen sich durch Wechselwirkung ihrer elastischen Felder mit<br />

einer Kraft ~ 1/x ab. Durch den Stapelfehler ziehen sich die Versetzungen mit einer<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

konstanten Kraft an. Dies ergibt einen Gleichgewichtsabstand. Je größer die<br />

Stapelfehlerenergie desto geringer der Abstand.<br />

Eine geringe Stapelfehlerenergie führt somit zu einem großen Abstand zwischen den<br />

Partialversetzungen und einer eingeschränkten Beweglichkeit (Quergleiten von<br />

Schraubenversetzungen nicht möglich). Hindernisse müssen somit durch entsprechend hohe<br />

thermische Aktivierung umgangen werden. D.h. <strong>Metalle</strong> mit geringer Stapelfehlerenergie<br />

besitzen eine höhere Warmfestigkeit. Die Stapelfehlerenergie kann durch zulegieren sehr<br />

stark verändert werden. In Nickel kann die Stapelfehlerenergie durch Kobalt herabgesenkt, in<br />

Kupfer durch Zink.<br />

Element, bzw. Legierung: Ag Cu Ni Al CuZn30 Allg.<br />

Oberflächenenergie [mJ/m 2 ] 1140 1725 2280 980 1000 - 3000<br />

Korngrenzenergie [mJ/m 2 ] 790 625 866 325 400 - 800<br />

Stapelfehlerenergie [mJ/m 2 ] 22 78 125 166 15 20 - 300<br />

Zwillingsgrenzenergie [mJ/m 2 ] 8 24 43 75 10 - 150<br />

In intermetallischen Phasen ergeben sich auf Grund der chemischen Ordnung weitere Fehler:<br />

Antiphasengrenzen (APG), komplexe Stapelfehler (CSF) und intrinsisch und extrinsisch<br />

Stapelfehler der Überstruktur (SISF). Die Fehlerflächenenergien liegen im Bereich zwischen<br />

wenigen mJ/m 2 bis zu 300 mJ/m 2 . Für Ni 3 Al ergeben sich die Werte: E APG ≈ E CSF ≈ 90 mJ/m 2<br />

und E SISF ≈ 50 mJ/m 2 (Dissertation Glatzel).<br />

Kubisch-raumzentriertes Gitter (z.B. α-Eisen, ferritische Stähle, Mo, Ta, V, Cr, W, Nb)<br />

Versetzungen dieses Kristallgitters zeigen im Allgemeinen keine Aufspaltung, da die<br />

Stapelfehlerenergien um eine Größenordnung höher liegen als für die kfz-Struktur, daraus<br />

folgt eine niedrigere Warmfestigkeit.<br />

Burgersvektoren sind vom Typ a/2 , Gleitebenen sind {110}, {112} und {123}-<br />

Ebenen. Eine [111]-Richtung wird von drei {110}, drei {112} und sechs {123}-Ebenen<br />

geschnitten. D.h. es gibt viele Möglichkeiten für eine Schraubenversetzung zum Quergleiten.<br />

In krz-Strukturen wird die Gleitrichtung daher unter vielfachen Wechseln der Gleitebenen im<br />

Wesentlichen durch die Hauptschubspannungsrichtung bestimmt und nicht so sehr durch die<br />

Lage der Gleitebenen. Gleitlinien auf der Oberfläche sind daher oft wellenförmig. Es ergibt<br />

sich eine geringere Verfestigung bei Kaltverformung als bei kfz-<strong>Metalle</strong>n. Dagegen ist, durch<br />

die geringere Versetzungsaufspaltung, die Entfestigung mit steigender Temperatur stärker.<br />

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<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Bei Ermüdungsversuchen zeigt sich, dass durch die Vielzahl der möglichen Gleitebenen eine<br />

Stabilisierung der Versetzungsstruktur eher ergibt und Aufstauung von Versetzungen mit<br />

Risseinleitung seltener auftritt als bei kfz-<strong>Metalle</strong>n. Deshalb werden viele krz-<strong>Metalle</strong> als<br />

dauerfest eingestuft.<br />

Hexagonales Gitter (z.B. Be, Mg, Zn, Cd, Ti)<br />

Verformungen in dieser Struktur finden im Wesentlichen auf nur einer Ebene, der Basisebene,<br />

statt. Quergleiten ist nahezu ausgeschlossen. Dadurch verfestigen diese <strong>Metalle</strong> sehr stark,<br />

sind also schlecht verformbar und neigen zum Sprödbruch. Zink muss auf besonderen<br />

Walzwerken gewalzt werden, mit sehr kleinem Durchmesser der Arbeitswalzen.<br />

Dem ungünstigen Formänderungsverhalten entspricht die hohe Kerbempfindlichkeit und<br />

damit verbundene Sprödbruchneigung hexagonaler <strong>Metalle</strong>.<br />

Intermetallische Phasen (z.B. die kubisch-geordneten Phasen L1 2 (Ni 3 Al) und B2 (NiAl))<br />

In intermetallischen Phasen sind Burgersvektoren des Grundgitters keine vollständigen<br />

Versetzungen. D.h. im geordneten Gitter sind dies wieder Partialversetzungen und erzeugen<br />

einen Fehler. Es ergeben sich somit Burgersvektoren mit höherem Betrag oder Versetzungen<br />

treten paarweise auf und spannen eine Fehlerfläche zwischen sich auf.<br />

Besonders interessant für Hochtemperaturanwendungen sich die Phasen Ni 3 Al (anomales<br />

Temperaturverhalten, hochwarmfest) und die Phase NiAl (hoher Schmelzpunkt, geringe<br />

Dichte, sehr gute Oxidationsbeständigkeit, geordnet bis nahe zum Schmelzpunkte).<br />

Aluminium<br />

Nickel<br />

d 100 NiAl = 0.288<br />

d 100<br />

Ni 3 Al = 0.357<br />

Ni 3 Al im Vergleich zu NiAl<br />

119


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1. Beispiel L1 2 -Ordnung wie in Ni 3 Al:<br />

Der kürzeste Verbindungsvektor im ungeordneten kfz-Kristall ist a/2 . Dieser erzeugt<br />

im L1 2 -geordneten Gitter eine Antiphasengrenze. Die Shockley-Partialversetzungen<br />

a/6 des kfz-Gitters erzeugen eine Antiphasengrenze gekoppelt mit einem Stapelfehler,<br />

genannt complex stacking fault (CSF). Eine zweite, parallele Shockley-Partialversetzung hebt<br />

die Antiphasengrenzfläche wieder auf und es bleibt ein superlattice intrinsic stacking fault<br />

(SISF) übrig. Durch die unterschiedlichen Energiedichten der Flächenfehler:<br />

E CSF ≈ 90 mJ/m 2 ≈ E APB > E SISF ≈ E SESF ≈ 50 mJ/m 2<br />

ergeben sich stark verschiedene Aufspaltungsweiten von Versetzungspaaren.<br />

Nur sehr vereinzelt und für spezielle Orientierung der Lastachse werden Versetzungen mit<br />

a Burgersvektoren beobachtet (Link, Knobloch, Glatzel, Scripta Materialia).<br />

Vielstrahlfall, alle Defekte sichtbar.<br />

Weak.beam-Aufnahme der gleichen<br />

Probenstelle, Stapelfehlerkontrast<br />

ausgelöscht, 8 Versetzungen sichtbar.<br />

Versetzungskonfiguration von insgesamt 8 Versetzungen (Dr.-Arbeit Glatzel), angeordnet in<br />

4 Paaren von a/6 Versetzungen mit der Abfolge:<br />

ungestörter Kristall - CSF - SESF - CSF - SISF - CSF - SESF - CSF - ungestörter Kristall.<br />

Der Abstand zwischen Versetzungen, die einen CSF einschließen beträgt nur wenige nm.<br />

Intermetallische Phasen des Typs L1 2 zeigen ein anomales Temperaturverhalten. Die<br />

Festigkeit nimmt mit steigender Temperatur zu, bis schließlich bei sehr hohen Temperaturen<br />

ein starker Abfall beobachtet wird. Dies kann durch sog. Kear-Wilsdorf-locks erklärt werden.<br />

Die Shockley-Partialversetzungen gleiten thermisch aktiviert quer auf eine {100} Ebene und<br />

das ganze System wird somit gepinnt. Je höher die Temperaturen, desto öfter erfolgt dieses<br />

quergleiten und immer mehr Versetzungen werden unbeweglich und bilden wiederum<br />

Hindernisse für nachfolgende Versetzungen. Bei sehr hohen Temperaturen wird dann das<br />

Gleiten auf {100} Ebenen ermöglicht, bzw. die Shockley-PV springen auch häufig wieder<br />

zurück auf die {111} Gleitebenen.<br />

120


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Dehngrenze R p0,2<br />

[MPa]<br />

1600<br />

1400<br />

1200<br />

1000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

X = Al<br />

Ga<br />

In<br />

Ti<br />

Dehngrenzen der intermetallischen<br />

Phasen Pt 3<br />

X<br />

im Vergleich zu Ni 3<br />

Al<br />

Pt 3<br />

Al<br />

Ni 3<br />

Al<br />

Antiphasengrenze<br />

Komplexer Stapelfehler<br />

Spur der (100) Ebene<br />

Spur der (111) Ebene<br />

Quergleitprozess<br />

(111)<br />

200<br />

0<br />

Cr<br />

Ir 3<br />

Nb<br />

0 500 1000<br />

Temperatur [°C]<br />

Anomales Fliessverhalten der meisten L1 2 -geordneten Legierungen und die Erklärung durch<br />

thermisch aktivierte Bildung von Kear-Wilsdorf-Locks.<br />

2. Beispiel B2-Ordnung wie in NiAl:<br />

Der kürzeste Verbindungsvektor im krz-Kristall ist a/2 . Dieser erzeugt in der B2-<br />

Ordnung eine Antiphasengrenze. Im Vergleich zur L1 2 -Struktur ist die Antiphasengrenzenergie<br />

hier jedoch deutlich höher und liegt bei mehreren 100 mJ/m 2 . Ein Gleiten von<br />

Paarversetzungen wurde in NiAl nicht beobachtet. Stattdessen werden Versetzungen mit<br />

betragsmäßig größeren Burgersvektoren angeregt. Nach Hochtemperaturbelastung wurden<br />

Versetzungen vom Typ a , a und sogar a Versetzungen beobachtet<br />

(Glatzel, Forbes, Nix; Phil. Mag.). Aufspaltungen konnten mit der weak-beam Methode<br />

(Auflösungsgrenze ca. 1 nm) nicht beobachtet werden, in Hochauflösung ergibt sich jedoch<br />

eine Aufspaltung des Versetzungskerns von a Stufenversetzungen (Mills, Miracle;<br />

Acta met. mat.).<br />

Durch die stark eingeschränkte Beweglichkeit der Versetzungen mit großem Burgersvektor<br />

ist das Material sehr spröde bei tiefen Temperaturen. Hinzu kommt, dass Belastungen in<br />

Richtung für Burgersvektoren immer zu einem Schmidfaktor Null führen. D.h.<br />

ungünstig orientierte Körner können sich nicht plastisch deformieren. Eine nennbare<br />

Duktilität ergibt sich erst bei höheren Temperaturen da dann eine Verformung über a <br />

und a Versetzungen möglich ist.<br />

121


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Erholung, Rekristallisation und Kornwachstum<br />

<strong>Metallische</strong> <strong>Werkstoffe</strong> werden beim Kaltumformen verfestigt. Höhere Verformungsgrade<br />

sind nur realisierbar, wenn Zwischenglühungen durchgeführt werden. Nach dem<br />

Zwischenglühen ist das Material entspannt, d.h. es sollte die gleiche mechanischen<br />

Eigenschaften (Duktilität) wie das unverformte Material besitzen mit der guten<br />

Oberflächeneigenschaften und den Maßtoleranzen wie nach der Kaltverformung. Die wieder<br />

gewonnene Duktilität ermöglicht eine weitere Kaltverformung. Durch wiederholte<br />

Kaltverformung und Zwischenglühung lassen sich insgesamt sehr hohe Verformungsgrade<br />

erzielen.<br />

Es lassen sich drei Stufen unterscheiden:<br />

Erholung<br />

Nach der Kaltverformung ist die Versetzungsdichte in den Kristalliten stark erhöht. Die<br />

zugeführte Energie bei der Zwischenglühung bewirkt, dass sich die Versetzungsknäuel zu<br />

energetisch günstigen Konfigurationen anordnen und damit Subkörner (polygone<br />

Subkornstruktur) bilden. Die Versetzungsdichte bleibt nahezu unverändert. Dadurch bleiben<br />

die mechanischen Eigenschaften nahezu unverändert, es werden jedoch innere Spannungen<br />

abgebaut und die elektrische Leitfähigkeit wird wieder hergestellt (=> bei der Herstellung von<br />

Kupferdrähten wird nach der Erholung abgebrochen, da hohe Festigkeiten und gute<br />

Leitfähigkeit erreicht wurden).<br />

Rekristallisation<br />

Keimbildung und Keimwachstum neuer Kristallite, die nur wenige Versetzungen enthalten.<br />

An den Grenzen der polygonen Subkornstruktur bilden sich neue kleine Kristallite, wobei die<br />

Versetzungen weitgehend abgebaut werden. Nach Rekristallisation besitzen die <strong>Metalle</strong> auf<br />

Grund ihrer reduzierten Versetzungsdichte nur geringe Festigkeit, aber hohe Duktilität.<br />

Kornwachstum (Ostwaldreifung)<br />

Wird die Temperatur weiter erhöht beginnen die Kristallite zu wachsen indem bevorzugte<br />

Kristallite kleinere in sich aufnehmen. Durch die Verringerung der Gesamtfläche der<br />

hochenergetischen Korngrenzenfläche wird die Gesamtenergie des Systems verringert. Dieser<br />

Vorgang wird durch die Ostwald-Reifung beschrieben, wobei sich die zeitabhängige<br />

Korngröße ergibt zu:<br />

R 3 3<br />

- R<br />

0<br />

~ D⋅t<br />

mit der Diffusionskonstanten D und dem kritischen Radius R 0 .<br />

122


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Grundlage hierfür ist die Gibbs-Thomson-Beziehung, die die Konzentration des Elements B<br />

in der Matrix A in der Nähe von B-reichen Ausscheidungsteilchen angibt. Diese Beziehung<br />

lässt sich auch auf das chemische Potential in der Nähe einer Korngrenze übertragen.<br />

⎛<br />

c M (R) = c ∞ exp<br />

⎜<br />

⎝<br />

2<br />

k<br />

B<br />

σ Ω<br />

T R<br />

⎟ ⎞<br />

⎠<br />

mit der Grenzflächenenergie σ, dem Atomvolumen Ω. Hierbei berechnen sich die<br />

Konzentrationsunterschiede rein aus den verschiedenen Energieinhalten unterschiedlich<br />

großer <strong>Teil</strong>chen in ihrer Umgebung.<br />

Erfolgt der Wachstum nach der Ostwaldreifung so ergibt sich eine Selbstähnlichkeit des<br />

Gefüges. Zwei Gefügeaufnahmen nach unterschiedlichen Zeiten lassen sich nicht<br />

voneinander unterscheiden, wenn die Vergrößerung mit t 1/3 skaliert wird (siehe auch die<br />

Vorlesung von Dr. Völkl "Schmelze, Erstarrung, Grenzflächen" im Vertiefungsfach <strong>Metalle</strong>).<br />

Das Kornwachstum erfolgt durch Diffusionsumlagerungen einzelner Atome. Das<br />

Kornwachstum ist in den meisten Anwendungen unerwünscht (siehe Hall-Petch Beziehung).<br />

Kornwachstum des rechten Kornes durch Diffusionsumlagerungen<br />

123


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Einfluss der Kaltverfomung und des Zwischenglühens (nach 75 % Kaltverformung) auf eine<br />

Cu-Zn(35 %)-Legierung (Messing).<br />

Nach Kaltverformung nach Erholung nach Rekristallisation nach Kornwachstum<br />

Einfluß der Entspannungstemperatur auf das Gefüge kaltverformter <strong>Metalle</strong>.<br />

124


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Gefügeausbildung in Abhängigkeit vom vorausgegangenen Kaltverformungsgrad nach einer<br />

Rekristallisationsglühung bei einem durchschossenen Zinnblech.<br />

125


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Korrosion<br />

Im Allgemeinen liegen die Ausgangsstoffe der <strong>Metalle</strong> in der Erdrinde als Oxide vor. Um<br />

diese Rohstoffe in den metallischen Zustand zu bringen, ist Energie aufzuwenden. Der<br />

Aufwand ist abhängig von der Oxidationsneigung (unlegierter Stahl 58 GJ/t, Aluminium<br />

290 GJ/t, Magnesium 415 GJ/t, Titan 560 GJ/t).<br />

Die treibende Kraft zum Ablauf der Korrosionsprozesse ist somit gegeben. Die <strong>Metalle</strong><br />

streben die thermodynamisch stabilere Verbindung an. Definition der Korrosion:<br />

Reaktion eines metallischen Werkstoffs mit seiner Umgebung, die eine meßbare<br />

Veränderung des Werkstoffs bewirkt und zu einer Beeinträchtigung der Funktion eines<br />

metallischen Bauteils oder eines ganzen Systems führen kann.<br />

Jede Minute wandelt sich auf der Welt 1.000 kg Eisen in Rost, wobei der Materialwert noch<br />

zu vernachlässigen ist (ca. 1.000 €/Min. ~ 0,5 Milliarden jährlich weltweit), der Wert der<br />

Systeme, die dabei jedoch unwiderruflich verloren gehen jedoch nicht (ca. 90 Milliarden<br />

jährlich nur in Deutschland!). Die Korrosion findet in der Regel an der Grenzfläche<br />

Metall/umgebendes Medium statt (Ausnahme: innere Oxidation). Dadurch kommt der<br />

Oberfläche eine besondere Bedeutung zu. Schützende Deckschichten hemmen oder<br />

verhindern die Kinetik der Metallauflösung im Medium.<br />

Korrosionsmechanismen:<br />

- elektrochemische Korrosion (Nasskorrosion)<br />

- chemische Korrosion (Hochtemperaturoxidation)<br />

- biochemische Korrosion (Angriff durch Mikroben)<br />

- metallphysikalische Korrosion (im Innern, z.B. innere Oxidation)<br />

Elektrochemische Korrosion<br />

Voraussetzung: wässriges Medium und Potentialunterschied zwischen Metall und Medium<br />

(=> galvanisches Element). Der Stromfluß entspricht dem Masseverlust, z.B. die Stromdichte<br />

von 1 mA/cm 2 beim Eisen entspricht einer Abtragung von 12 mm/Jahr.<br />

Auflösung von <strong>Metalle</strong>n<br />

Durch seine polaren Eigenschaften bildet Wasser beim Lösen von Salzen Ionen aus und hält<br />

diese in Lösung. Es wird somit zum Leiter zweiter Klassse oder Ionenleiter (Elektrolyt). Z.B.<br />

ZnSO 4<br />

in Wasser gelöst => Zn 2+ und SO 2- 4<br />

.<br />

126


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Wird ein reines Metall in Wasser getaucht so kann nur das Metall-Ion in Lösung gehen. Die<br />

entsprechenden Elektronen bleiben im Metallgitter zurück. Der Lösungsvorgang kommt zum<br />

Stillstand wenn das elektrische Feld an der Metalloberfläche so groß geworden ist, dass die<br />

Differenz aus Hydratationsenergie (Wechselwirkongsenergie Lösungsmittel und Ion) und<br />

Gitterenergie nicht ausreicht um Metallionen durch die Doppelschicht (Ionen/Elektronen) zu<br />

bewegen. Es herrscht ein "Elektronendruck" im Metall.<br />

Elektrische Doppelschicht an der Grenzfläche<br />

Metall/Elektrolyt<br />

Potential von Kupfer und Zink gegenüber<br />

dem Elektrolyten bzw. der Normalwasserstoffelektrode.<br />

Potentialdifferenz U.<br />

Durch die Definition einer Normal- oder Standardwasserstoffelektrode (platinierte Platinelektrode,<br />

d.h. Platin mit feinverteiltem Platin überzogen und umspült von H 2 unter Atmosphärendruck<br />

gegen wässrige Lösung) lässt sich eine elektrochemische Spannungsreihe bestimmen.<br />

Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt, der im Kapitel Hochtemperaturoxidation näher behandelt<br />

wird, ist die Ausbildung einer Passivschicht (siehe die Anmerkungen in der nachfolgenden<br />

Tabelleund in der übernächsten Grafik). Diese Schichten sind zum <strong>Teil</strong> nur wenige nm dick<br />

(Cr und Ti) verhindern aber dann sehr effektiv weitere Korrosionsangriffe. Insofern ist das<br />

elektrochemische Potential allein nicht aussagekräftig.<br />

127


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

-2,71<br />

Me/Me z+<br />

Standardelektrodenpotentia<br />

l U 0 für a = 1 mol/l [V]<br />

Na/Na +<br />

Au/Au 3 + +1,50<br />

Mg/Mg 2 +<br />

-2,38<br />

Al/Al 3 +<br />

-1,66<br />

Ti/Ti 2 +<br />

-1,63<br />

Mn/Mn 2 +<br />

-1,19<br />

Zn/Zn 2 +<br />

-0,76<br />

Cr/Cr 3 +<br />

-0,74<br />

Fe/Fe 2 +<br />

-0,44<br />

Ni/Ni 2 +<br />

-0,23<br />

Sn/Sn 2 +<br />

-0,14<br />

Pb/Pb 2+<br />

-0,13<br />

Fe/Fe 3 +<br />

-0,04<br />

H/H +<br />

0,00<br />

13% Cr-Stahl(1.4021, 1.4006)<br />

+0,28<br />

Cu/Cu 2 +<br />

+0,34<br />

Cu/Cu +<br />

+0,52<br />

Ag/Ag +<br />

+0,80<br />

Sauerstoffoxidation (pH = 7)<br />

+0,82<br />

Cr-Ni-Stahl (1.4301), passiv<br />

+0,83<br />

Cr-Ni-Mo-Stahl (1.4401), passiv<br />

+0,86<br />

Pt/Pt 4 +<br />

+1,20<br />

Potential U<br />

für a = 10 -6 mol/l<br />

-3,06<br />

-2,55<br />

-1,78<br />

-1,80<br />

-1,36<br />

-0,86<br />

-0,61<br />

-0,40<br />

-0,31<br />

-0,15<br />

0,00<br />

+0,16<br />

+0,17<br />

+0,45<br />

+1,38<br />

[V]<br />

Normalpotentiale ausgewählter <strong>Metalle</strong> bei 25°C und 1 bar Druck in einmolarer und in<br />

10 -6 -molarer Lösung.<br />

Galvanisches Element<br />

Wird zwischen zwei Elektroden, die sich in einem Elektrolyt befinden, eine metallisch<br />

leitende Verbindung hergestellt, beginnt ein Strom zu fließen. Dadurch entsteht ein<br />

elektrisches Feld, welches eine Wanderung der Metallionen bewirkt. Vorsicht mit den<br />

Begriffen Anode und Kathode (siehe Bild).<br />

128


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Galvanisches Element mit Zink- und Kupferelektrode.<br />

Der Strom des galvanischen Elements hängt von den Elektrodenpotentialen und der<br />

Beweglichkeit der Ionen im Elektrolyten ab. Es entsteht ein Materialverlust an der<br />

elektronegativen Elektrode (Anode). Der Prozeß läuft solange ab, bis sich Anode aufgelöst<br />

hat.<br />

Die anodische <strong>Teil</strong>reaktion<br />

Me → Me z+ + z e - , bzw. Zn → Zn 2+ + 2 e -<br />

erfolgt unter Abgabe von Elektroden, wird damit als Oxidation bezeichnet.<br />

In der Praxis geht die Konzentration der Metallionen in der Lösung → 0, deshalb die Angabe<br />

in obiger Tabelle für eine 10 -6 -molare Lösung, außerdem wird der Begriff "Potential" statt<br />

"Spannung gegenüber der Standardwasserstoffelektrode" verwendet.<br />

Wird das Elektrodenpotential gegenüber der Wasserstoffionenaktivität (pH-wert) aufgetragen<br />

(Pourbaix-Diagramm) kann man das Korrosionsverhalten eines Metall-Lösungssystem<br />

einteilen. Z.B. Eisen in 10 -6 -molarer Lösung geht dann in Lösung, wenn das Elektrodenpotential<br />

> -0.614 V ist. Bei Potentialen < -0.614 V ist Eisen Korrosionsbeständig. Bei<br />

pH > 9.5 ergibt sich eine schützende Deckschicht der festen Phase Fe(OH) 2<br />

. Erst im Bereich<br />

sehr großer pH_Werte tritt schließlich Korrosion durch (HFeO 2<br />

) - auf. Durch Verschieben des<br />

Potentials mit Hilfe unedleren Anodenmaterials oder durch außen wirkenden Fremdstrom<br />

kann das System Stahl/Elektrolyt, in den Bereich der Korrosionsbeständigkeit gebracht<br />

werden.<br />

129


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Elektrodenpotential, pH-Wert und Korrosionsverhalten (Pourbaix-Diagramm) für Eisen,<br />

Aluminium und Titan (=> Bioverträglichkeit).<br />

Eine Abschätzung ob sich eine schützende Deckschicht ergeben kann, ergibt sich über das<br />

Pilling-Bedworth-Verhältnis (Oxidvolumen pro Metallatom)/(Volumen des Metallatoms in<br />

der Legierung). Ist das Verhältnis geringfügig größer 1, so ergibt sich eine unter<br />

Druckspannungen stehende Deckschicht (siehe späteres Kapitel Hochtemperaturkorrosion).<br />

Ungleiche <strong>Werkstoffe</strong> (Kontaktkorrosion)<br />

Selbst eine makroskopisch gleichmäßige Metalloberfläche bildet eine Vielzahl von<br />

Mikroelektroden (anodische und kathodische Bereiche). Es wird ein Stromfluß bewirkt und es<br />

stellt sich ein äquivalenter Materialabtrag an der Anode ein. Diese Art der<br />

Korrosionselementbildung tritt häufig in der technischen Praxis auf.<br />

130


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Selbst für homogene Materialien tritt dieser Effekt durch die unterschiedlichen<br />

Gitterorientierungen auf (vgl. Kornflächenätzung, Vorlesung <strong>Metalle</strong> I). Ebenso zwischen<br />

Kornflächen und Korngrenzen (Korngrenzenätzung).<br />

Anodische (-) und kathodische (+) Bereiche auf einer Metalloberfläche.<br />

Besonders dramatisch wird der Effekt bei mehrphasigen <strong>Werkstoffe</strong>n und bei<br />

Verunreinigungen, da sich sehr große Potentialunterschiede einstellen können.<br />

Reaktionen an anodischen und kathodischen Bereichen auf einer Metalloberfläche.<br />

Die anodischen und kathodischen Bereiche können durchaus makroskopische Dimensionen<br />

annehmen. Ausgeprägte Korrosionsschäden liegen dann vor, wenn das unedlere Material<br />

(Stahl) dem edleren (Kupfer) in Strömungsrichtung folgt. Der Umfang der Zerstörung hängt<br />

außer von der Potentialdifferenz auch vom Verhältnis der Flächen zueinander ab. Dabei ist es<br />

günstiger einen großen Anodenbereich einer kleinen Kathodenfläche gegenüber zu stellen als<br />

umgekehrt. D.h. Messingschraube im Stahlblech ist besser als Stahlschraube im<br />

Messingblech. Der erste Fall kann unter Umständen sogar einen Schutz bewirken, wenn<br />

entsprechende Bereiche im Pourbaix- Diagramm eingestellt werden.<br />

131


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Verformte Bereiche in einem Bauteil wirken gegenüber unverformten Bereichen als Anode.<br />

Vergleiche oben: kleine, stark kaltverformte Bereiche in einer großflächigen unverformten<br />

Umgebung sind besonders gefährdet.<br />

Bevorzugte Korrosion an den Fließlinien kaltgereckter Rohre.<br />

Belüftungselement (Spaltkorrosion)<br />

Es handelt sich hierbei im Grunde um ein Konzentrationselement. Werden zwei identische<br />

Elektroden in Lösungen unterschiedlicher Konzentration gebracht, so wird die Elektrode in<br />

der verdünnten Lösung zur Anode. Die Korrosionsreaktion läuft so lange ab, bis der<br />

Konzentrationsausgleich durchgeführt ist.<br />

Konzentrationselement<br />

132


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Beim Belüftungselement wird der Bereich zur Kathode, welcher einem ausreichendem<br />

Sauerstoffangebot durch Belüftung ausgesetzt ist. Im Grund des Spaltes (Sauerstoffmangel)<br />

liegt der anodische Bereich (Metallauflösung).<br />

Schematische Darstellung der Korrosionsvorgänge in einem Spalt durch Bildung von<br />

Belüftungselementen.<br />

Der gleiche Effekt läßt sich unter Ablagerungen (Schmutz, Wasserstropfen) und kurz<br />

unterhalb der Wasserlinie (Metallverlust unterhalb der Meerwasseroberfläche).<br />

Unter einem Wassertropfen<br />

Knapp unterhalb der Wasserlinie<br />

Beispiele der Belüftungskorrosion.<br />

Temperaturelement<br />

Ein Korrosionselement ist auch dann gegeben wenn identische Elektroden in demselben<br />

Elektrolyt aber bei unterschiedlichen Temperaturen vorliegen. Z.B. Wärmeübergangsflächen<br />

von Wärmetauschern und Kessel. Im Falle einer Kupferelektrode in CuSO 4<br />

-Lösung wird die<br />

Elektrode mit der höheren Temperatur zur Kathode. Bei Eisen in NaCl-Lösung ist es<br />

umgekehrt.<br />

133


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Streustromkorrosion<br />

In der Umgebung elektrischer Anlagen (z.B. Bahn, Galvanisierbetrieben, Aluminiumhütten,<br />

... ) können über den Boden Streuströme fließen. Sie bilden sich auch unter<br />

Wechselstrombedingungen, da der Materialverlust irreversibel ist. Im Extremfall können<br />

Passivschutzschichten unter Wechselstrombedingungen reduziert werden. Somit wird dann<br />

die Schutzwirkung aufgehoben.<br />

Streustromkorrosion an einer erdverlegten Rohrleitung im Bereich einer elektrischen Bahn.<br />

Korrosionsarten<br />

Erscheinungsformen der Korrosion, abhängig vom Potentialen, Flächenverhältnissen und dem<br />

einwirkenden Medium.<br />

Gleichmäßige Flächenkorrosion<br />

Homogene Verteilung anodischer und kathodischer Bereiche nach Ort und Größe über eine<br />

Metalloberfläche. Der Abtrag kann dann zum Stillstand kommen, wenn unter den gegebenen<br />

Bedingungen das Metall eine schützende Deckschicht ausbildet.<br />

Schematische Darstellung der gleichmäßigen Flächenkorrosion.<br />

134


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Lokale Korrosion<br />

Vergleichsweise kleine anodische Bereiche in kathodischer Umgebung → hohe Stromdichten<br />

mit großen Abtragungsraten im anodischen Bereich. Z.B.: Verletzung einer Schutzschicht,<br />

Ablagerungen (Schmutz, Wassertropfen), lokale Bedeckungen, leitende Verbindung<br />

unterschiedlicher <strong>Werkstoffe</strong> unter Elektrolyteinwirkung, Wärmeeinflusszone von<br />

Schweißnähten. Ein weiterer Fall ist der Lochfraß (halogenidhaltigen Elektrolyt und örtlich<br />

unterbrochene Deckschicht).<br />

Verschieden Formen lokaler Korrosion.<br />

Interkristalline Korrosion<br />

Die Korngrenzen sind hier scharf ausgeprägte anodische Bereiche, die sehr stark angegriffen<br />

werden. Dadurch wird der Kornverband des Werkstoffs entlang den Korngrenzen<br />

aufgehoben.<br />

Beispiel: Cr-haltige korrosionsbeständige Stähle. Verarmen die Korngrenzen durch falsche<br />

Wärmebehandlung (oder Schweißen) an dem passivierenden Element sind die<br />

Voraussetzungen für den selektiven Angriff gegeben.<br />

Interkristalline Korrosion.<br />

Schwingungsriß-, Spannungsrißkorrosion<br />

Gleichzeitiges Einwirken mechanischer und korrosiver Beanspruchung. Bei der<br />

Schwingungsrißkorrosion sind die Ausgangspunkte der Korrosion Ermüdungsgleitbänder, die<br />

die Deckschicht durchstoßen haben. Die in Bewegung befindlichen Gleitbänder stellen<br />

hochaktive Bereiche dar, die zur Materialauflösung führen.<br />

135


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Bei der Spannungsrißkorrosion liegt eine statische Beanspruchung vor. Nach lokaler<br />

Zerstörung der Deckschicht und einem anriß ergibt sich am Rißgrund eine plastische Zone.<br />

Durch die elektrochemischen Reaktionen im riß wird die Aggressivität des korrosiven<br />

Mediums im Rißgrund stark erhöht<br />

Spannungsrisskorrosion: schematische Darstellung und am Beispiel eines Metalls mit<br />

oxidischer Deckschicht (z.B. korrosionsbeständiger Stahl).<br />

Wasserstoffversprödung<br />

Bei den Korrosionsreaktionen kann auch atomarer Wasserstoff entstehen (Säuretyp). Der<br />

atomare Wasserstoff diffundiert entlang den Korngrenzen ins Volumen. Dann findet eine<br />

Rekombination zu H 2<br />

statt, wobei extrem hohe Drücke aufgebaut werden, die den Werkstoff<br />

entlang den Korngrenzen sprengen.<br />

Korrosionsschutz<br />

• Das zu schützende Bauteil läßt sich so polarisieren, dass keine Voraussetzungen zur<br />

Korrosion gegeben sind.<br />

• Hermetischen Abschluß der Oberfläche durch Überzüge und Beschichtungen verhindern<br />

die Grenzflächenreaktionen.<br />

• Überzüge, die als Anode wirken bilden ebenfalls eine Polarisation und schützen dadurch<br />

den Werkstoff kathodisch.<br />

• Werkstoffauswahl<br />

• Konstruktion (elektrisch isolierende Verbindungen).<br />

Polarisierung<br />

Wird einer galvanischen Zelle (z.B. Abbildung S. 129) von außen ein Strom aufgeprägt, so<br />

kann das Potential der Kupferelektrode soweit angehoben werden, bis das Potential des Zn<br />

erreicht ist. In diesem Fall fließt zwischen den beiden Elektroden kein Strom.<br />

136


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Elektronen werden durch eine externe Gleichstromquelle in die Anode gepumpt (kathodischer<br />

Schutz durch Außenstrompolarisierung).<br />

Statt einer Außenstromquelle kann zur Polarisierung auch eine Opferanode aus einem<br />

unedleren Werkstoff als der zu schützende in Anwendung kommen, die den erforderlichen<br />

Polarisationsstrom liefert. Solche Opferanoden sind aus Al, Mg oder Zn zum Schutz von<br />

Schiffskörpern, Tanks und Rohrleitungen in Gebrauch.<br />

Kathodischer Schutz durch Opferanode.<br />

Überzüge und Beschichtungen<br />

Prinzipiell sind Beschichtungen durch Opferanoden zu unterscheiden von hermetisch dicht<br />

abschließenden Schutzschichten.<br />

Schutzschichten (Lack) sind vollständig isolierende Bedeckungen und am weitesten<br />

verbreitet. Die Schicht muß poren- und kratzerfrei sein. Gerade Poren und Unterwanderungen<br />

137


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

der Beschichtung können durch pH-Wert Absenkung zu lokal sehr starken<br />

Korrosionsangriffen führen (siehe Spaltkorrosion).<br />

Anorganisch-nichtmetallische Überzüge werden durch Emaillierungen gebildet. Sie wirken<br />

wie Lacke.<br />

Bei metallischen Beschichtungen muss unterschieden werden ob die Schicht edler oder<br />

unedler als das Grundmaterial ist. Eine edlere Beschichtung kann nur dann eine<br />

Schutzwirkung haben, wenn sie vollständig dicht ist (z.B. Cu, Ni, Sn auf Stahl, letzteres<br />

genannt Weißblech in Konservendosen). Bei Beschädigung der Schicht wird das unedlere<br />

Grundmaterial zur Anode und löst sich dann gegenüber der großen Fläche der kathodischen<br />

Beschichtung sehr rasch auf.<br />

Metallisierungen mit unedlerem Potential als das Grundmaterial wirken bei Beschädigung als<br />

Anode und schützen das darunterliegende Grundmaterial, wobei das Schichtmaterial<br />

verbraucht wird. Zum Schutz des Stahls wird vorzugsweise Zink verwendet (verzinkte<br />

Autokarrosserien, eingeführt von Porsche und dann Audi).<br />

Wirkung einer im Vergleich zum Grundwerkstoff edleren (kathodischer) und einer unedleren<br />

(anodischer) Beschichtung.<br />

Konstruktive Maßnahmen<br />

Vermeidung von: ungeeigneten Werkstoffpaarungen in leitender Verbindung, Spalten und<br />

Hohlräume sowie stark unterschiedlich kaltverformter Bereiche an einem Bauteil. Müssen<br />

<strong>Metalle</strong> unterschiedlicher Potentiale verbunden werden, so ist darauf zu achten, dass eine<br />

elektrisch leitende Verbindung durch Isolierung vermieden wird.<br />

138


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Flanschverbindung zwischen Stahl- und Aluminiumrohr bei Verwendung von Stahlschrauben<br />

mit vorschriftsmäßiger Isolierung.<br />

1 Isolierpaste oder -hülse, 2 isolierende Packung, 3 Kunststoffscheibe<br />

Bei Schweißkonstruktionen ist darauf zu achten, dass keine Spalten zwischen den Bauteilen<br />

entstehen. Durchgehende Schweißungen sind unterbrochenen vorzuziehen.<br />

Konstruktive Ausführungen von Schweißverbindungen bei korrosiver Beanspruchung.<br />

139


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Hochtemperaturkorrosion (Oxidation)<br />

Unter Hochtemperaturkorrosion versteht man alle Formen der Reaktion eines Werkstoffs mit<br />

seiner Umgebungsatmosphäre bei erhöhten Temperaturen, z.B.:<br />

− Oxidation: äußere Oxidation, Oxiddeckschichtbildung (Passivierung), innere Oxidation<br />

− Aufkohlung: innere Karbidbildung<br />

− Aufstickung (Nitrierung): innere Nitridbildung, seltener Nitriddeckschichtbildung<br />

− Aufschwefelung: äußere Sulfidierung, Sulfiddeckschicht, seltener innere Sulfidbildung<br />

Chemische Reaktionen, wie der Oxidationsvorgang (Me → Me z+ + z⋅e - ) an einer Grenzfläche<br />

gasförmig/fest, laufen bei einer Temperaturerhöhung von ca. 10°C mit mindestens einer<br />

Verdopplung ihrer Geschwindigkeit ab. Bei der nassen Korrosion wird die Energie durch die<br />

Hydratation geliefert. Bei der Hochtemperaturkorrosion wird die Aktivierungsenergie<br />

thermisch zugeführt und die Korrosionsvorgänge laufen trocken an der Grenzfläche<br />

Metall/gasförmiges Medium ab, z.B.<br />

Me + 1/2 O 2<br />

→ MeO<br />

ebenso für schwefel- und chlorhaltige Gase.<br />

140


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Ellingham-Richardson-Diagramm einiger Oxidationsreaktionen. Die rechte und untere<br />

Umrandungsachse gibt die O 2 -Partialdrücke an, wobei die Werte mit dem absoluten<br />

Nullpunkt zu verbinden sind. Als Beispiel ist p O2 = 10 -20 Pa = 10 -15 bar eingezeichnet. Nur die<br />

unterhalb dieser Linie liegenden Oxide sind noch thermodynamisch stabil<br />

Schichtbildungsgesetze<br />

Der Zeitablauf der Verzunderung hängt entscheidend vom Charakter der sich bildenden<br />

Oxidschicht ab. Gemessen werden die Gewichtsänderung (Gravimetrie, günstiger für<br />

kontinuierliche Messungen) oder die Schichtdicke. Das Verhältnis der Molvolumen, das<br />

Verhältnis der Gittertypen des Oxids im Vergleich zum Metall und die thermodynamische<br />

Stabilität des Oxids und zahlreiche andere <strong>Teil</strong>vorgänge bestimmen den Fortschritt der<br />

Zunderbildung.<br />

141


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Ungünstig sind poröse oder abblätternde Schichten (sehr kleines oder sehr großes Verhältnis<br />

der Molvolumen). Dort ergibt sich ein linearer Zeitverlauf.<br />

Zeitabhängigkeit der Oxidation:<br />

− logarithmische Massezunahme (Tieftemperaturoxidation).<br />

2<br />

⎛ Δm<br />

⎞<br />

− parabolische Massezunahme ⎜ ⎟ = k<br />

p<br />

⋅ t , mit der temperaturabhängigen<br />

⎝ A ⎠<br />

parabolischen Oxidationskonstante k p . Erklärung: Diffusion durch die Schicht hindurch<br />

(Sauerstoff und/oder Metall). Parabolische Massezunahme ist gewünscht und bildet eine<br />

stabile Oxidationsschicht.<br />

− lineare Massezunahme, z.B. Ta und Nb: Oxidfilm bricht auf und Sauerstoff erhält direkten<br />

Kontakt zu frischem Metall.<br />

− Masseabnahme: Deckschichtabplatzungen, flüssige oder flüchtige Oxide katastrophale<br />

Oxidation. Flüssige Oxide findet man z.B. bei V und Mo. Flüchtige Oxide bei W, Mo und<br />

Cr. Zu erkennen sind Metallablagerungen bei nichtdichten Inertgasfüllungen von<br />

Glühbirnen.<br />

Idealisierte kinetische Gesetzmäßigkeiten der Hochtemperaturoxidation.<br />

Schichtbildungsmechanismen<br />

Nach der Anfangsschichtbildung wird das weiter Schichtwachstum durch Diffusionsmechanismen<br />

bestimmt. Entweder durch Diffusion des Sauerstoffs oder des Metalls durch die<br />

142


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Oxidschicht. In technischen Legierungen mit ausreichender Korrosionsbeständigkeit ist die<br />

Metalldiffusion schneller als die Sauerstoffdiffusion.<br />

Schichtwachstum durch Metalldiffusion (Zuwachs an der Grenzfläche zum Gas) oder<br />

Sauerstoffdiffusion (Zuwachs an der Metallseite).<br />

Die Wanderung der Ionen durch die Schicht erfolgt über Fehlstellen. Eine Erhöhung der<br />

Fehlstellendichte beschleunigt den Zundervorgang. Entsprechend können zudotierte Fremdatome<br />

die Fehlstellendichte anheben (Cr in Ni) oder absenken (Li in Ni).<br />

Manche <strong>Metalle</strong> bilden mehrere Oxide wie z.B. Eisen mit Fe 2<br />

O 3<br />

, Fe 3<br />

O 4<br />

und FeO. Die sich<br />

bildende Oxidform hängt stark vom Sauerstoffangebot ab. Jede einzelne Schicht folgt ihrem<br />

eigenen Wachstumsgesetz. Die Schichten sind deutlich voneinander abgegrenzt, wobei die<br />

oberste Schicht die sauerstoffreichste, die unterste die sauerstoffärmste Schicht ist.<br />

Mehrschichtiger Aufbau der Zunderschicht (Eisenoxidschicht) auf Eisen bei Oxidation über<br />

570°C. Von außen nach innen: 60 -> 57 -> 50 at.% Saauerstoffanteil.<br />

Schichteigenschaften<br />

Entscheidend für die Bildung einer Deckschicht ist das Pilling-Bedworth Verhältnis:<br />

Oxidvolumen/Metallvolumen. Ideal ist ein PB-Verhältnis etwas größer 1.<br />

143


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Oxid TiO MgO Al 2 O 3 MgO 2 Ti 2 O 3 ZrO 2 Ti 3 O 5 NiO FeO TiO 2 CoO<br />

PB 0.70 0.81 1.28 1.34 1.50 1.56 1.65 1.65 1.70 1.73 1.86<br />

Oxid Cr 2 O 3 FeCr 2 O 4 Fe 3 O 4 Fe 2 O 3 SiO 2 Ta 2 O 5 Nb 2 O 5 W<br />

PB 2.05 2.10 2.11 2.15 2.15 2.50 2.68 3.40<br />

Schematisches Modell zu verschiedenen Pilling-Bedworth Verhältnissen.<br />

Einfluss der Legierungselemente<br />

Bei Legierungen kommen weitere Effekte hinzu:<br />

− Die Legierungskomponenten weisen unterschiedliche Affinität zu Sauerstoff auf.<br />

− Konzentrationen und Aktivitäten der Elemente weichen voneinander ab.<br />

− Diffusionsgeschwindigkeiten der Elemente sind ungleich.<br />

− In die sich bildende Deckschicht werden in der Regel andere metallische Elemente mit<br />

eingebaut.<br />

Schematische Darstellung zweier vereinfachter Formen der Oxidation einer binären A-B-<br />

Legierung. A ist jeweils das Hauptelement und edler als B. Links: die B bildet eine<br />

geschlossene Oxiddeckschicht mit einer gewissen A-Dotierung. Rechts: Die Konzentration<br />

von B reicht nicht aus um eine geschlossene Deckschicht zu bilden innere Oxidation.<br />

144


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Für Anwendungen bei Temperaturen um 1000°C muss man auf die sehr langsam wachsende<br />

und gut haftende Deckschicht aus Al 2 O 3 übergehen. Wobei in binären Legierungen ein relativ<br />

hoher Al-Gehalt legiert werden muss, z.B. im Ni-Al-System ca. 20 wt.% Aluminium. Bei<br />

geringeren Al-Gehalten bildet eine NiO-Deckschicht und durch die Einwärtsdiffusion des<br />

Sauerstoff eine innere Oxidation des Al zur Folge.<br />

Elemente mit im Vergleich zum Basismetall hoher Bindungsenergie zum Sauerstoff haben<br />

das Bestreben, vom Grundwerkstoff zur Oxidschicht zu wandern und dort durch<br />

Anreicherung stabile und dichte Schichten zu bilden. Beim Stahl ist dies z.B. Cr, Al und Si.<br />

Die Schutzwirkung ergibt sich durch die Bildung vergleichsweise dünner Schichten mit guter<br />

mechanischer Beständigkeit.<br />

Gewichtszunahme bei Nickel und bei einer Nickel-Chrom-Legierung.<br />

Bei hochwarmfesten Nickel-Basis-<strong>Werkstoffe</strong>n wird mit Legierungszugaben von 20-30% Cr<br />

eine um das 10-fache verbesserte Oxidationsbeständigkeit erreicht. Das Schichtwachstum<br />

folgt dem parabolischen Wachstumsgesetz.<br />

In ternären Legierungen kann der Al-Gehalt auf 5-6 wt.% reduziert werden (Ni-Al-Cr). Man<br />

muss dabei das Zwischenstadium betrachten, bis sich ein stationärer Oxidationszustand<br />

gebildet hat. Cr bindet in einem Zwischenstadium den Sauerstoff ab und verhindert damit die<br />

innere Oxidation des Al, die einer Deckschichtbildung entgegen wirken würde. Getter-<br />

Effekt des Cr.<br />

145


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Schematischer Ablauf der anfänglichen Oxidation von Ni-Cr-Al-Legierungen mit ca. 10 wt.%<br />

Cr und 5 wt.% Al.<br />

Oxidationskarte für das Ni-Cr-Al-System. Deckschichtbildung und innere Oxidation ist<br />

angegeben.<br />

146


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Der Einfluss des Chroms beim Stahl ergibt sich aus dem Vergleich der Oxidationsrate von<br />

unlegiertem mit Cr-Stahl verschiedenen Cr-Gehalts:<br />

Einfluss des Chromgehalts auf die Oxidationsbeständigkeit von Stahl bei 1000°C.<br />

Die sich bei chromlegierten Stählen ergebende Schicht besteht überwiegend aus Chromoxid<br />

und einem chromreichen Spinell der Form Fe(Fe 2-x<br />

Cr x<br />

)O 4<br />

, mit 0 ≤ x ≤ 2. Es ergibt sich eine<br />

drastische Verzunderungsrate bis zu einem Plateau (korrosionsbeständiger Stahl). Oberhalb<br />

15% Cr ergibt sich eine weitere Verminderung bis zu den oxidationsbeständigen Stählen mit<br />

25% Cr.<br />

Bei Al und Si zeigen sich ähnliche Effekte, doch ist deren Menge beschränkt, da diese<br />

Legierungsanteile nachteilige Wirkungen auf die mechanischen Werte haben können. Der<br />

Zunderbeständige "Sicromal"-Stahl ergibt sich durch 1% Al, 1% Si, 18% Cr und 0.1% C.<br />

147


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Einfluss von Chrom und Aluminium in Stahl auf die Oxidationsbeständigkeit bei 800°C.<br />

Bei hohen Temperaturen ergibt sich eine hohe Dickenzunahme des Zunders, womit Risse<br />

entstehen und eine schnellere Oxidation eintritt. Es zeigt sich eine schnellere Oxidation als sie<br />

beim parabolischen Verlauf zu erwarten ist.<br />

Einfluss der Temperatur auf die Oxidation eines korrosionsbeständigen Cr-Ni-Stahls. Weitere<br />

Verlangsamung und Beibehalten des parabolischen Wachstumsgesetz durch eine<br />

Alitierschicht (=> Al 2 O 3 an der Oberfläche ist temperaturstabiler als Cr 2 O 3 , siehe Ellingham-<br />

Richardson-Diagramm auf S. 139).<br />

148


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Hochtemperaturlegierungen (T > 500°C)<br />

Verwendung in:<br />

− Energietechnik<br />

− Antriebstechnik<br />

− Chemische Industrie<br />

− Hüttentechnik und Maschinenbau<br />

Nachfolgend ein kurzer Werkstoffüberblick. Die Hochtemperaturlegierungen werden<br />

ausführlich in der Vorlesung "Advanced High Temperature Alloys" im Vertiefungsfach<br />

<strong>Metalle</strong> (auf Englisch) behandelt.<br />

149


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

El. Gittertyp<br />

Ti α hdp<br />

β krz<br />

T Umw.<br />

T m<br />

ρ max. O-<br />

Vor-/Nachteile<br />

[g/cm 3 ] Löslichk.<br />

[°C]<br />

[at.%]<br />

882<br />

1855<br />

4.5<br />

4.5<br />

31.9<br />

8<br />

+ niedrige Dichte<br />

+ Schmelzpunkt hoch<br />

+ häufiges Vorkommen<br />

+ α th. gering (~ 10 -5 K -1 )<br />

− keine Legierung mit ausreichender Festigkeit<br />

> 600°C bekannt<br />

− hohe Sauerstoff- und Stickstoffaufnahme<br />

> 700°C, Versprödung<br />

− lineare Oxidation > 800°C<br />

− geringe Wärmeleitfähigkeit<br />

− Entzündungsgefahr "Titanbrand"<br />

V krz 1910 6.1 17 − katastrophale Oxidation; T m (V 2 O 5 ) = 658°C<br />

Cr krz 1863 7.2 0.0053 − sehr spröde bei RT; nicht konventionell<br />

verarbeitbar<br />

Mo krz 2623 10.2 0.03 + sehr hohe Kriechfestigkeit<br />

+ α th. gering, hohe Wärmeleitfähigkeit, gute<br />

TF-Festigkeit<br />

− sehr spröde bei RT<br />

− katastrophale Oxidation; T m (MoO 5 ) = 795°C<br />

− kein Langzeitschutz verfügbar<br />

W krz 3422 19.3 ≈ 0 + höchster Schmelzpunkt aller Elemente (außer<br />

C)<br />

+ sehr hohe Kriechfestigkeit<br />

+ α th. gering, hohe Wärmeleitfähigkeit, gute<br />

TF-Festigkeit<br />

− sehr spröde bei RT<br />

− katastrophale Oxidation > 1000°C durch hohe<br />

WO 3 -Abdampfrate<br />

− kein Langzeitschutz verfügbar<br />

− sehr hohe Dichte<br />

150


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

El. Gittertyp<br />

Fe α krz<br />

γ kfz<br />

δ krz<br />

Co ε hdp<br />

α kfz<br />

T Umw.<br />

T m<br />

ρ max. O-<br />

Vor-/Nachteile<br />

[g/cm 3 ] Löslichk.<br />

[°C]<br />

[at.%]<br />

912<br />

1395<br />

1538<br />

7.9<br />

7.7<br />

7.4<br />

0.0008<br />

0.0098<br />

0.029<br />

+ guter Korrosionsschutz durch Legieren mit Cr<br />

oder (Cr + Al)<br />

+ γ-Gitter stabilisierbar<br />

+ Verarbeitbarkeit, gut schweißbar<br />

+ niedriger Preis<br />

− nur mäßige Härtung für<br />

Hochtemperaturbereich möglich<br />

422 8.8 ≈ 0 + guter Korrosionsschutz durch Legieren mit Cr<br />

1495 8.7 0.048 oder (Cr + Al)<br />

+ Co-Legierung an Luft Vergießbar und<br />

vergleichsweise gut schweißbar<br />

− nur mäßige Härtung<br />

− Ni-Zugabe erforderlich zur Stabilisierung des<br />

kfz-Gitters, mindert Festigkeit<br />

Ni kfz 1455 8.9 0.05 + breites Spektrum der Legierungsbildung mit<br />

sehr hoher Festigkeitssteigerung<br />

+ guter Korrosionsschutz durch Legieren mit Cr<br />

oder (Cr + Al)<br />

+ Verarbeitbarkeit<br />

− Schmelzpunkt relativ niedrig<br />

− α th. hoch, geringe Wärmeleitfähigkeit<br />

Pt kfz 1772 21.5 ≈ 0 + sehr korrosionsbeständig<br />

+ hoher Schmelzpunkt<br />

− sehr hohe Dichte<br />

− sehr teuer<br />

151


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

10.000 h-Zeitstandfestigkeit für verschiedene Hochtemperaturwerkstoffe in Abhängigkeit von<br />

der Temperatur.<br />

152


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Intermetallische Phasen am Beispiel des Ni-Al-Systems<br />

Phase Gittert T Umw. ρ<br />

Vor-/Nachteile<br />

yp T m<br />

[°C]<br />

[g/cm 3 ]<br />

Ni 3 Al L1 2 1383 7.5 + anomales Temperaturverhalten<br />

+ gleiches Grundgitter wie Nickelmatrix<br />

+ Homogenitätsbereich > 1 wt.% Al<br />

+ duktil als Einkristall<br />

− sehr hohe Dichte<br />

− spröde als Vielkristall (lässt sich durch Bor-<br />

Dotierung verbessern Korngrenzenfestigkeitssteigernd)<br />

− Al-Gehalt der stöchiometrischen Phase reicht nicht<br />

zur Bildung einer stabilen Al 2 O 3 -Deckschichtbildung<br />

--> ungünstige Hochtemperaturkorrosionseigenschaften<br />

NiAl L1 0 1638 5.85 + sehr Oxidationsbeständig wegen ca. 30 wt.% Al<br />

+ hoher Schmelzpunkt<br />

+ geringe Dichte<br />

+ chemisch geordnet bis zum Schmelzpunkt<br />

+ hohe Wärmeleitfähigkeit<br />

+ niedriger therm. Expansionskoeffizient<br />

− extrem spröde bei tiefen Temperaturen, bis ca.<br />

500°C (von Mises Kriterium nicht erfüllt)<br />

− geringe Festigkeit bei hohen Temperaturen<br />

Aufgrund der negativen Eigenschaften von NiAl konnte ein Einsatz, trotz weltweiter<br />

intensiver Forschung an der intermetallischen Phase NiAl, bisher nicht erreicht werden. Die<br />

günstigen Eigenschaften des NiAl werden durch sog. Alitierschichten auf den<br />

Nickelbasissuperlegierungen ausgenutzt.<br />

153


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Hochtemperaturwerkstoffe auf Nickelbasis<br />

Einsatzzwecke: Chemieanlagenbau, Reaktortechnik, Dampferzeugern, Verbrennungskraftmaschinen<br />

insbesondere Gasturbinen. Hier werden <strong>Werkstoffe</strong> benötigt, die auch bei hohen<br />

Temperaturen ausreichende Festigkeit für statische und dynamische Beanspruchungen<br />

besitzen. Gleichzeitig wird ein hoher Oxidationswiderstand gefordert. Der Einsatzbereich der<br />

ferritisch-perlitischen Stähle ist auf 500-550°C beschränkt. Chromstähle sind bis 650°C<br />

einsetzbar. Bis 750°C können austhenitische Stähle denen B, Mo, V und Co zulegiert wurde,<br />

eingesetzt werden.<br />

Bei den hochwarmfesten Legierungen dominieren die Nickelbasissuperlegierungen. Dies ist<br />

ein Mehrstoffsystem auf Ni (selten auch C-Basis) mit relativ hohen Gehalten an Cr, sowie<br />

auch geringen Mengen hochschmelzender <strong>Metalle</strong>, wie z.B. W (T m<br />

= 3410°C), Ta (3000°C),<br />

Mo (3410°C) und in den neuesten Legierungen auch Re (3170°C, Preis: ca. 8 DM/gr). Das<br />

Zustandsdiagramm von Ni-Al ist gegeben:<br />

Binäres Nickel-Aluminium Zustandsdiagramm<br />

In den intermetallischen Verbindungen Al 3 Ni, Al 3 Ni 2 , AlNi, Al 3 Ni 5 und AlNi 3 liegen<br />

geordnete Kristallstrukturen vor.<br />

154


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Aluminiumatome<br />

Nickelatome<br />

NiAl, kubisch raumzentriert,<br />

B2 oder L2 0<br />

geordnet<br />

Ni 3<br />

Al, kubisch<br />

flächenzentriert, L1 2<br />

geordnet<br />

Die geordnete Struktur erfordert größere Verschiebungsvektoren um die Struktur wieder<br />

herzustellen. Im kfz-Gitter ist der kürzeste Verbindungsvektor a/2 . In der L1 2<br />

Struktur<br />

dagegen a oder a . Dies erschwert die Bewegung von Versetzungen (was eine<br />

verringerte Duktilität bei niedrigeren Temperaturen zur Folge hat). Aber sie verursacht eine<br />

höhere Aktivierungsenergie für Diffusionsvorgänge, da bestimmte Platzwechselreaktionen<br />

nicht mehr erlaubt sind. Dies ergibt verbesserte Kriecheigenschaften bei hohen Temperaturen.<br />

Die intermetallische Verbindung Ni 3 Al, die so genannte γ' Phase, zeigt ein anomales<br />

Temperaturverhalten, d.h. die Festigkeit nimmt mit steigender Temperatur zu:<br />

Schubspannung [MPa]<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

Superlegierung wärmebehandelt<br />

Superlegierung Gusszustand<br />

Ni 3<br />

Al<br />

Nickelmischkristall<br />

0 200 400 600 800 1000<br />

Temperatur [°C]<br />

Nickelbasislegierungen mit 0% (Nickelmischkristall), 100% (Ni 3 Al) und 70 Vol.%<br />

(Superlegierung) γ' Anteil.<br />

155


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Turbinenschaufel, ausgelegt für aktive<br />

Luftkühlung<br />

Entwicklung der Hochtemperatureignung von<br />

Superlegierungen durch Verbesserung der<br />

Herstellungsverfahren<br />

Bei geringen Aluminiumgehalten (zwischen 4 und 13 wt.%, entspricht 8 und 26 at.%) ergibt<br />

sich ein zweiphasiges Gebiet. In der sog. γ-Matrix (fcc) scheidet sich die γ'-Phase (Ni 3 Al,<br />

ebenfalls fcc Grundgitter, jedoch L1 2 geordnet) aus, siehe Skript <strong>Metalle</strong> <strong>II</strong> Seite 41. Die<br />

γ' Phase des Ni 3<br />

Al zeigt ein anomales Fließverhalten, d.h. die Fließspannung nimmt mit<br />

zunehmender Temperatur zu, bis zu einem Maximum bei ca. 780°C. Die Festigkeit des<br />

Materials wird durch die kohärente und feinverteilte Ausscheidung der γ' Phase und die<br />

Mischkristallverfestigung bewirkt. Maßgebend für den Volumenanteil der γ' Phase ist die<br />

Zusammensetzung der Legierung, für deren Morphologie und Verteilung, die<br />

Wärmebehandlung.<br />

156


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

γ' Phase kohärent eingebettet in eine Mischkristallmatrix. Superlegierung der sogenannten<br />

dritten Generation mit 3 gew.% Rhenium (Titelseite Habilschrift Uwe Glatzel).<br />

Die Zulegierung eines dritten Elements ändert den (γ + γ')-Raum und wirkt sich entsprechend<br />

auf Ausscheidungsneigung und Ausscheidungskinetik aus.<br />

157


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Isothermer Schnitt bei 750°C für das System Ni-Cr-Al, Ni-Al-Ti und Ni-Al-Nb. Die Elemente<br />

Ti und Nb können das Al in der γ' Phase ersetzen (γ' Bildner). Man beachte die<br />

unterschiedlichen Skalierungen.<br />

Beschichtungen zum Schutz vor Hochtemperaturkorrosion und Wärmedämmung erweitern<br />

das Einsatzgebiet.<br />

158


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Umwandlungshärtung von Stahl - Martensitbildung<br />

Durchgeführt wird eine Wärmebehandlung im Ungleichgewichtszustand, mit dem Ziel der<br />

Steigerung der Festigkeitskennwerte. Die Fehlstellenstruktur wird beeinflusst und dadurch die<br />

Versetzungsbeweglichkeit herabgesetzt. Damit ist auch eine Verminderung der plastischen<br />

Formänderungsfähigkeit (Zähigkeit und Duktilität) verbunden.<br />

Die Erzeugung solcher Zustände ohne Veränderung der Werkstoffzusammensetzung bedeutet<br />

notwendigerweise, dass der Werkstoff vom Gleichgewicht in einen mehr oder weniger<br />

ausgeprägten Ungleichgewichtszustand gebracht wird. Somit wird Energie in dem System<br />

gespeichert, welche eine nachfolgende plastische Verformung erschwert.<br />

Dieser Ungleichgewichtszustand lässt sich durch nachfolgende Wärmebehandlungen wieder<br />

beseitigen.<br />

Grundsätzlich werden diese Ungleichgewichtszustände durch schnelle Abkühlung erreicht.<br />

Dadurch entstehen Phasenverteilungen und Konzentrationsverteilungen, die nicht dem<br />

Gleichgewichtszustand entsprechen. Wie bei der Kaltverformung ergibt sich eine<br />

Festigkeitssteigerung durch die Erhöhung des inneren Spannungszustandes.<br />

Die Umwandlungshärtung wird bevorzugt bei der Stahlhärtung in Anwendung gebracht.<br />

Die Aushärtung oder Ausscheidungshärtung ermöglicht umwandlungsfreie Legierungen<br />

wie Al, Cu, Ni und andere durch thermische Behandlung zu verfestigen. Die Aushärtung kann<br />

auch zusätzlich zur Umwandlungshärtung angewandt werden (Martensitaushärtung).<br />

Voraussetzung für eine Verfestigung des Werkstoffs durch eine Umwandlungshärtung ist eine<br />

Phasenänderung im festen Zustand, wie dies bei Stählen in Form der γ - α Umwandlung<br />

(Austenit - Ferrit) gegeben ist. Diese γ - α Umwandlung ist zwar notwendig aber nicht<br />

hinreichend.<br />

Es ist zusätzlich erforderlich, dass die Löslichkeit eines Elements (hier der Kohlenstoff) in der<br />

Ausgangsphase wesentlich größer ist als in der nach dem Abschrecken erreichten Endphase.<br />

Zudem ist es notwendig, dass die Phasenumwandlung mit einer wesentlich höheren<br />

Geschwindigkeit als der Diffusionsgeschwindigkeit erfolgt. Die Phasenumwandlung darf also<br />

nicht diffusionsgesteuert sein.<br />

Beim Stahl (der alle diese Bedingungen erfüllt) ergibt sich somit, dass der Kohlenstoff das<br />

Gitter der Endphase nicht verlassen kann und somit eine Verfestigung bewirkt.<br />

159


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Mechanismus der Härtebildung (Martensitische Umwandlung)<br />

Im α-Eisen (Ferrit) beträgt die Kohlenstofflöslichkeit bei Raumtemperatur nur noch 10 -3 %!<br />

Um aber das kfz Gitter des Austenits (γ-Eisen) in das krz Gitter des α-Eisens überführen zu<br />

können, müssen sich die nicht mehr löslichen Kohlenstoffatome in Form von Zementit (Fe 3<br />

C)<br />

neben dem Ferrit im Gefüge anordnen. Bei hohen Abkühlgeschwindigkeiten kann dieser<br />

Diffusionsvorgang nicht mehr vollständig ablaufen.<br />

Kristall<br />

struktur<br />

γ-Fe Austenit kfz<br />

α-Fe Ferrit krz<br />

Anzahl Art der Lücke Größe der Lücke<br />

[10 -12 m = pm]<br />

4 Oktaeder 53<br />

8 Tetraeder 28<br />

6 Oktaeder 19<br />

12 Tetraeder 36<br />

Das kfz-Gitter hat weniger Lücken als das krz-Gitter aber diese sind größer.<br />

Man erkennt aus obiger Tabelle warum die Kohlenstofflöslichkeit im Ferrit so gering ist.<br />

Obwohl die krz Struktur die weniger dicht gepackte Struktur ist (man sollte also annehmen es<br />

ist mehr Platz um Zwischengitteratome einzubauen), ist der vorhandene Platz für zusätzliche<br />

Atome geringer (dafür mehr Plätze zur Verfügung). Im Vergleich hierzu die Größe der Atome<br />

Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff: r H = 32 pm, r N = 75 pm, r C = 77 pm,<br />

r O = 72 pm. Kohlenstoff löst sich mit bis zu 2wt.% im kfz-γ-Eisen, ist aber praktisch unlöslich<br />

im krz-α-Eisen<br />

Bei zunehmender Unterkühlung ergibt sich eine treibende Kraft zur Auslösung eines<br />

diffusionslosen "Umklappvorgangs" vom austenitischen kfz-γ-Gitter zum ferritischen<br />

krz-α-Gitter. Die nächsten Nachbarn bleiben bei diesem Umklappvorgang erhalten. Es ändert<br />

sich aber ihre Position und ihr Abstand zueinander. Der Umklappvorgang kann als Scherung<br />

entlang Habitusebenen verstanden werden. Zwangsläufig muß das Volumen zunehmen, da die<br />

dichteste Packung (kfz) aufgehoben wird.<br />

Die martensitische Reaktion (z.B. auch zu beobachten bei Kobalt von kfz in hdp) ist eine<br />

athermische Reaktion.Sie hängt zwar von der Temperatur aber nicht von der Zeit ab.<br />

Martensitische Reaktionen verlaufen oft mit Schallgeschwindigkeiten des betreffenden<br />

Materials.<br />

160


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Unstetige Zunahme der Martensitmenge beim Abkühlen unter die M s<br />

-Temperatur (stark<br />

überhöhte Stufenhöhe).<br />

Zweidimensionales Modell zur<br />

Veranschaulichung der<br />

Martensitumwandlung. Abgescherter Bereich<br />

und Ausgangsgitter grenzen an der<br />

Habitusebene H aneinander.<br />

Die Elementarzelle von raumzentriertem<br />

tetragonalen Martensit, hervorgegangen aus<br />

der kfz-Struktur des Austenits<br />

Die Gitterdeformation im tetragonalen Martensit hat einen hohen Spannungszustand. Dadurch<br />

sind Versetzungsbewegungen stark vermindert oder nahezu vollständig blockiert. Dadurch<br />

161


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

entsteht eine große Härtezunahme, Festigkeitskennwerte steigen an, Zähigkeit und Duktilität<br />

werden entsprechend vermindert. Die nachfolgende Tabelle gilt für starre Kugeln.<br />

System<br />

Fe Ni 30<br />

Fe C 1,35<br />

Fe Ni C 22 0,8<br />

reines Ti<br />

Phasenumwandl.<br />

fcc zu<br />

bcc<br />

fcc zu<br />

bct<br />

fcc zu<br />

bct<br />

bcc zu<br />

hcp<br />

Habitusebene Scherrichtung<br />

Scherdehnung<br />

Normalkomp.<br />

der Dehnung<br />

(9 23 33) ~ 20% 5%<br />

(225) 19% 9%<br />

(3 10 15) ~ 19% -<br />

(8 9 12) ~ 22% -<br />

Habitusebenen, makroskopische Verzerrungen von Martensitischen Transformationen<br />

Mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt werden mehr Zwischengitterplätze durch C-Atome<br />

aufgefüllt. Dabei weitet sich die tetragonale Zelle zunehmend auf. Bei einem<br />

Kohlenstoffgehalt von 1.6 % ist das Verhältnis c/a = 1.078.<br />

Im ebenen Schliff zeigt sich ein nadelförmiges homogenes, plattenförmig aufgebautes<br />

Gefüge.<br />

162


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

20 μm<br />

Gefüge eines martensitischen Stahls.<br />

Schematischer Ablauf der Martensitbildung (Die Wiederherstellung des ursprünglichen Volumenelementes<br />

ist nötig, da der Martensit von allen Seiten von fester Materie umgeben ist,<br />

Normalkomponenten der Dehnung hier vernachlässigt):<br />

Volumenelement im<br />

Ausgangsgitter<br />

Veränderung des<br />

Volumenelements<br />

durch Abscherung<br />

Wiederherstellung<br />

durch<br />

Zwillingsbildung<br />

Wiederherstellung<br />

durch Abgleiten<br />

Durch die zunehmende Tetragonalität mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt nimmt die<br />

Tendenz zur Martensitumwandlung ab. Somit nimmt mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt<br />

sowohl die Start- (M s<br />

) als auch die Endtemperatur M f<br />

der Martensitbildung ab.<br />

163


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Abhängigkeit der M s<br />

und der M f<br />

-Temperatur vom Kohlenstoffgehalt bei unlegiertem Stahl.<br />

Für Kohlenstoffgehalte > 0.7 % liegt die M f<br />

-Temperatur unterhalb der Raumtemperatur, d.h.<br />

der Austenit wandelt nicht vollständig in den Martensit um.<br />

Härte von Martensit und Austenit in Abhängigkeit vom Kohlenstoffgehalt.<br />

Bei Kohlenstoffgehalten oberhalb 0.7 % werden die Stähle auf Temperaturen oberhalb der<br />

A 1<br />

-Temperatur gebracht so, dass sich γ und Fe 3<br />

C (Austenit und Sekundärzementit) bildet.<br />

Dabei ergibt sich ein Kohlenstoffgehalt von 0.9 % im Austenit. Wird dieser Zustand<br />

abgeschreckt wandelt sich der Austenit fast vollständig in Martensit um und es ergibt sich<br />

praktisch kein Härteabfall, da der Zementit die gleiche Härte hat wie der Martensit (Kurve 2<br />

164


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

im unteren Bild). Wird jedoch über den gesamte Temperaturbereich abgeschreckt ergibt sich<br />

auf Grund der niedrigen M f<br />

Temperatur bei hohen Kohlenstoffgehalt ein hoher Austenitgehalt<br />

und einen Abfall im Härteverlauf (Kurve 1 im unteren Bild).<br />

Härte nach Abschrecken aus dem γ-Gebiet (Kurve 1) und nach dem Abschrecken aus dem<br />

Zweiphasengebiet γ + Fe 3 C (Kurve 2). Am Ende der Kurve 1 ist noch Restaustenit vorhanden.<br />

Ablauf der Umwandlungshärtung - Einfluss der Abkühlgeschwindigkeit<br />

Zunächst muss der Stahl im austenitischen Zustand vorliegen. D.h. untereutektoide Stähle<br />

werden auf 30 bis 50°C über A 3<br />

(γ -α Umwandlung, im reinem Eisen bei 911°C) erwärmt Bei<br />

übereutektoide Stähle liegt die Temperatur um den gleichen Betrag über A 1<br />

(eutektoide<br />

Umwandlung bei 723°C).<br />

Wird der austenitisierte Werkstoff nun mit zunehmender Geschwindigkeit abgekühlt, so<br />

erfolgen die Umwandlungsvorgänge nicht mehr nach dem Gleichgewichtsdiagramm, sondern<br />

die Phasengrenzlinien erfahren eine Verschiebung zu niedrigeren Temperaturen. Der<br />

A 3<br />

-Punkt (Beginn der γ - α Umwandlung) fällt mit zunehmender Abkühlgeschwindigkeit<br />

stärker ab als der A 1<br />

Punkt. Bis sie in einem Punkt A' zusammenfallen. Dieser ist dadurch<br />

gekennzeichnet, dass gleichzeitig Austenit zerfällt und Perlit bildet. Für die Bildung des bei<br />

langsameren Abkühlgeschwindigkeiten entstehenden lamellaren Perlits steht für die<br />

Kohlenstoffdiffusion nicht mehr genügend Zeit zur Verfügung. Dann entsteht durch eine<br />

diffusionslose Umwandlung (Umklappen des Kristallgitters) ein martensitisches Gefüge<br />

(genauere Beschreibung der martensitischen Umwandlung erfolgt im übernächsten<br />

Unterkapitel).<br />

165


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Verschiebung der A 1<br />

und A 3<br />

Umwandlungstemperatur bei einem untereutektoiden<br />

Stahl. Beginn der Zwischenstufe A z<br />

und der Martensitbildung M s<br />

sind eingezeichnet.<br />

UK ... untere kritische Abkühlgeschwindigkeit,<br />

OK ... obere kritische Abkühlgeschwindigkeit.<br />

Das erste Auftreten des Martensits findet bei der unteren kritischen Abkühlgeschwindigkeit<br />

(UK) statt. Bei Überschreiten der oberen kritischen Abkühlgeschwindigkeit (OK) wird<br />

reiner Martensit gebildet. Die Martensitbildung ist dann geschwindigkeitsunabhängig und die<br />

Martensitmenge nur noch temperaturabhängig. Somit lassen sich Linien für den Beginn M s<br />

(s für start) und Ende M f<br />

(f für finish) der Martensitbildung eintragen.<br />

Schon vor Einsetzen der Martensitbildung entstehen durch unterdrückte Diffusionsvorgänge<br />

Gefügeausbildungen, die signifikant vom Gleichgewichtszustand abweichen. Mit<br />

zunehmender Abkühlgeschwindigkeit lassen sich unterscheiden:<br />

• Umwandlung in die Perlitstufe:<br />

Durch die erschwerte Diffusion werden die Diffusionswege kürzer, so dass der Perlit<br />

geschwindigkeitsabhängig zunehmend feinlamellare Form annimmt (siehe Abbildung<br />

Seite 34).<br />

166


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

• Umwandlung in die Zwischenstufe:<br />

Die platten- bzw. lamellenförmige Anordnung der Ferrit und Zementitteilchen des<br />

Perlitgefüges geht verloren, da die Grenzflächenenergien zu groß werden. Der Zementit<br />

liegt dann in feinstverteilter Form innerhalb der Ferritmatrix vor. Die Größe der<br />

Zementitteilchen liegt zum <strong>Teil</strong> unterhalb des Auflösungsvermögens des Lichtmikroskops.<br />

Dann erfolgt die Umwandlung in der Martensitstufe:<br />

Die Diffusion ist vollständig unterdrückt. Nach dem diffusionslosen Umklappen des<br />

kfz-Gitters liegt der Kohlenstoff zwangsgelöst im krz-Gitter vor.<br />

Zweckmäßigerweise werden Zeit-Temperatur-Umwandlungsschaubilder (ZTU-Diagramme)<br />

verwendet. Sie lassen sich durch die konkurrierenden Effekte der Keimbildungsgeschwindigkeit<br />

und der Wachstumsgeschwindigkeit der Keime erklären (siehe Seite 72).<br />

Das Gefüge wird in Abhängigkeit von der Abkühlzeit (logarithmisch!) angegeben.<br />

Veränderung der Gefügeumwandlung und der Gefügezustände in Abhängigkeit vom Zeit-<br />

Temperaturverlauf bei der Abkühlung in Bezug zum Gleichgewichtsschaubild.<br />

Eingezeichnet sind die untere (UK) und obere (OK) Abkühlgeschwindigkeit.<br />

Einflüsse auf die Zeitabhängigkeit bei der Umwandlungshärtung<br />

Das obige ZTU-Diagramm ist für bestimmte Abkühlverläufe gültig und wird deshalb als<br />

kontinuierliches ZTU-Schaubild bezeichnet.<br />

167


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Es werden jedoch auch sog. isotherme ZTU-Schaubilder verwendet, da diese experimentell<br />

einfacher zu ermittelnd sind. Die isothermen Schaubilder werden auf den Linien gleicher<br />

Temperatur abgelesen.<br />

Temperaturführung zur Bestimmung eines kontinuierlichen und eines isothermen<br />

ZTU-Diagramms (durchgezogene Linie => kontinuierlich, gestrichelt => isotherm).<br />

Isothermes Zustandsschaubild eines untereutektoiden Stahls mit 0.45 % C, vergleiche mit<br />

der folgenden Abbildung des kontinuierlichen Zusatndsschaubildes.<br />

168


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Kontinuierliches ZTU-Schaubild eines untereutektoiden Stahls mit 0.45 % C.<br />

Bei der im kontinuierlichen ZTU-Schaubild mit 1 bezeichneten Kurve ergibt sich ein Gefüge<br />

aus 10 % Ferrit, 80 % Perlit, 5 % Zwischenstufe und 5 % Martensit (je nach Temperatur mit<br />

Restaustenit). Die Härte beträgt 274 HV. Bei langsamerer Abkühlung (Kurve 2) ergibt sich<br />

ein Gefüge aus 30 % Ferrit, und 70 % Perlit, mit einer Vickers Härte von 224 HV. Bei<br />

übereutektoiden Stählen fehlt die A c3<br />

und A c1<br />

Linie und das Ferritgebiet wird durch ein<br />

Zementitgebiet (Fe 3<br />

C) ersetzt.<br />

Durch Zugabe von Legierungselementen kann der Diffusionskoeffizient des Kohlenstoffs<br />

herabgesetzt werden. Dadurch wird der Stahl umwandlungsträger. Die "Nasen" verschieben<br />

sich nach rechts.<br />

169


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

keine<br />

Karbidbildungsneigung<br />

Karbidbildner<br />

Isothermes ZTU-Diagramm zur Darstellung der Beeinflussung des Umwandlungsverhaltens<br />

durch das Zulegieren der Elemente Ni, Mn, W und Mo.<br />

Elemente wie Nickel und Mangan, die keine ausgeprägte Karbidbildungsneigung haben,<br />

verschieben das Umwandlungsgeschehen insgesamt zu längeren Zeiten. Molybdän und<br />

Wolfram als starke Karbidbildner verzögern die Umwandlung in der Perlitstufe stärker als in<br />

der Zwischenstufe.<br />

Die Verschiebung nach rechts bedeutet, dass bei Zugabe entsprechender Legierungselemente<br />

die kritische Abkühlgeschwindigkeit zur Bildung von Martensit herabgesetzt wird. Nur wenn<br />

der Austenit durch hohe Abkühlgeschwindigkeiten in einen stark unterkühlten Zustand<br />

gebracht wird, kann dieser vollständig in Martensit umgewandelt werden. Falls bei nicht<br />

genügend hoher Abkühlgeschwindigkeit bereits <strong>Teil</strong>e des Austenits in die Perlitstufe<br />

umwandeln ist das vollmartensitische Gefüge nicht mehr zu erzielen.<br />

170


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Isothermes ZTU-Schaubild eines untereutektoiden Stahls mit 0.45 % C und der Zugabe von<br />

3.5 % Cr. Verschiebung um ca. zwei Größenordnungen im Vergleich zur Abbildung auf<br />

Seite 168.<br />

Abkühlgeschwindigkeit im Zentrum eines 25 mm<br />

Medium<br />

dicken Barrens [K/s]<br />

Luft<br />

ohne Bewegung < 1<br />

mit Bewegung 5 - 9<br />

Öl<br />

ohne Bewegung 18<br />

mit Bewegung 45<br />

Metallbad Pb oder Sn 50<br />

H 2 O<br />

ohne Bewegung 45<br />

mit Bewegung 190<br />

Kühlsohle ohne Bewegung 90<br />

(Salzlösung) mit Bewegung 230<br />

171


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Härtbare Querschnittsbereiche bei (v AB<br />

... Abkühlgeschwindigkei, v OK<br />

... obere kritische<br />

unlegiertem Stahl<br />

(Wasser- oder Schalenhärter)<br />

Abkühlgeschwindigkeit):<br />

niedriglegiertem Stahl<br />

(Ölhärter)<br />

legiertem Stahl<br />

(Lufthärter)<br />

172


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Verfahren zur Umwandlungshärtung<br />

Durch unterschiedliche Temperaturführungen bei der Abkühlung von der Austenittemperatur<br />

ist es möglich, unterschiedliche Gefüge einzustellen und damit dem Stahl differenziert<br />

unterschiedliche mechanische Eigenschaften zu verleihen => mehrstufige<br />

Wärmebehandlungen, Anlassen nach dem Härten (Vergüten).<br />

Direkthärtung<br />

Hier erfolgt eine schroffe Abkühlung des Werkstücks von der Austenitiersungs- auf die<br />

Raumtemperatur. Es ergeben sich Abkühlkurven in den kontinuierlich eingetragenen ZTU-<br />

Schaubildern.<br />

Temperaturführung im schematischen ZTU-Schaubild zur Durchführung von Direkthärtung,<br />

Warmbadhärtung und Zwischenstufenvergütung.<br />

Bei größeren Querschnitten und/oder bei Absätzen und Querschnittsübergängen kann die<br />

notwendige Temperaturführung beim Direkthärten, insbesondere bei unlegierten und<br />

niedriglegierten Stählen, zu erheblichen Wärme- und Umwandlungsspannungen führen. Dies<br />

birgt die Gefahr des Bauteilverzugs und der Rißbildung. Dadurch sind diesem Verfahren<br />

durch Bauteilgeometrie und Werkstoff Grenzen vorgegeben.<br />

173


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Warmbadhärtung<br />

Hierbei können die Wärme- und Umwandlungsspannungen wirksam herabgesetzt werden.<br />

Um ein vollmartensitisches Gefüge zu erhalten muß auch hier an der Perlitnase vorbei<br />

abgekühlt werden, d.h. der unterkühlte Austenit bleibt bis zum Erreichen der M s<br />

-Temperatur<br />

erhalten.<br />

Bei Temperaturen unterhalb der Perlitnase verlängern sich die Zeiten bis zum Erreichen der<br />

Umwandlungslinie erheblich. D.h. die schroffe Abkühlung kann nun unterbrochen werden. Es<br />

wird also nicht bis auf RT abgeschreckt sonder auf Temperaturen oberhalb der<br />

M s<br />

-Temperatur. Auf dieser Temperatur wird der Werkstoff gehalten. Dadurch ist die<br />

Möglichkeit gegeben Temperaturunterschiede auszugleichen (Wärmespannungen werden<br />

abgebaut).<br />

Um diesen Abkühlverlauf zu erreichen wird das Werkstück in einer Salzschmelze (manchmal<br />

auch einer Metallschmelze) auf geeigneter Temperatur abgeschreckt. Danach wird dann an<br />

Luft weiter bis zur Martensitbildung abgekühlt.<br />

Zwischenstufenvergütung<br />

Ähnlich der Warmbadhärtung. Allerdings wird hier die Temperatur im Warmbad so lange<br />

gehalten, bis sich der unterkühlte Austenit isotherm vollständig in Zwischenstufengefüge<br />

(feinstverteiltes Zementit in Ferritmatrix) umwandelt. Auch hier werden die<br />

Wärmespannungen während des Haltens und des Umwandlungsvorgangs abgebaut.<br />

Durch das Zwischenstufenvergüten erübrigt sich eine nachfolgende Anlaßbehandlung.<br />

Allerdings ist durch die langen Haltezeiten das Zwischenstufenvergüten auf Werkstücke mit<br />

kleinen Querschnitte und auf umwandlungsrasche Stähle beschränkt.<br />

Thermomechanische Behandlung<br />

Verformung des Austenits vor oder während der Umwandlung, d.h. im stabilen oder<br />

metastabilen (unterkühlten) Austenitgebiets.<br />

Durch Verformung im stabilen Austenitgebiets läßt bei geeigneten Umformgraden über<br />

Rekristallisation ein sehr feinkörniges und gleichmäßiges Austenitkorn einstellen. Dies führt<br />

zu gleichmäßigen und günstigen Festigkeitseigenschaften (siehe <strong>Metalle</strong> I).<br />

174


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Bei einer Verformung des unterkühlten Austenits findet keine oder nur teilweise<br />

Rekristallisation statt. Der nachfolgende Umwandlungsvorgang wird beeinflusst, so dass<br />

durch mit der überlagerten Kaltverfestigung die Einstellung der gewünschten Eigenschaften<br />

ermöglicht wird. Erfolgt unmittelbar nach der Verformung die martensitische Umwandlung,<br />

so ergibt sich die sog. Austenitformhärtung mit außerordentlich hohen Festigkeitskennwerten.<br />

Nur anwendbar für Stähle mit hoher Umwandlungsträgheit.<br />

Tieftemperaturbehandlung<br />

Durch Bildung und Ausbreitung der Martensitplatten nach Unterschreitung der<br />

M s<br />

-Temperatur erfährt die umgebende Austenitmatrix infolge der Volumenänderung<br />

zunehmend Kaltverformung und damit Verfestigung. Dadurch wird eine weitere Ausbreitung<br />

in das Austenitgebiet erschwert. Es kann somit eine geringe Menge Restaustenit erhalten<br />

bleiben.<br />

Auch geringe Mengen Restaustenit können bei langzeitigen, tiefen Bauteiltemperaturen zum<br />

Verzug und damit zu Veränderungen der Bauteileigenschaften führen (Versprödung). Um den<br />

Restaustenit abzubauen wird bei sehr hohen Anforderungen (Präzisionswälzlager, Lehren)<br />

eine Tieftemperaturbehandlung vorgenommen, flüssigem CO 2<br />

(-79°C) oder N 2<br />

(-196°C),<br />

über mehrere Stunden.<br />

Vergüten<br />

(Kann unter anderem auch zum Abbau des Restaustenits führen) Vergüten besteht aus einer<br />

Temperaturfolge, bei der im Anschluß an das Härten eine Wiedererwärmung mit langsamer<br />

Abkühlung erfolgt. es kann aus mehreren Temperaturzyklen bestehen. Mit der Vergütung<br />

(Härten und nachfolgend Anlassen) können sehr gezielt verschiedene Gefügezustände auch<br />

bei Bauteilen mit großen Querschnitten eingestellt werden. Somit ist die Anpassung des<br />

Werkstoffs an definierte Anforderungen möglich.<br />

175


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Temperatur-Zeitfolge bei einer Vergütungsbehandlung<br />

(Härten und anschließendem Anlassen):<br />

Gefügebeeinflussung<br />

Das Volumen des Martensits ist größer als das des Perlits (α-Eisen und Fe 3<br />

C). Wird der<br />

Martensit angelassen (schon 100°C genügen), so zerfällt dieser über verschiedenen<br />

Zwischenstufen (Anlaßstufen) zu α-Eisen und Eisenkarbid in kugeliger Anordnung. Dies läßt<br />

sich an den Längenänderungsmessungen mittels eines Dilatometers verfolgen. es ergeben sich<br />

zusätzlich zur linearen Wärmeausdehnung Ausdehnungen und Kontraktionen.<br />

Längenänderungen eines von 1150°C abgeschreckten Stahls mit 1.3 % C in Abhängigkeit von<br />

der Anlaßtemperatur.<br />

1. Tetragonaler → kubischer Martensit (Anlaßstufe 100 bis 200°C):<br />

Der unter hohen Gitterspannungen stehende tetragonale Martensit gibt seinen Kohlenstoff<br />

an sog. ε-Karbide (Fe 2.4<br />

C) ab. Dies führt zu dem Abbau der tetragonalen Verzerrungen. es<br />

176


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

entsteht ein kubischer Martensit, der sich leicht anätzen läßt und damit im Lichtmikroskop<br />

dunkel erscheint (=> schwarzer Martensit). Die Probe erfährt eine Verkürzung.<br />

2. Restaustenit → kubischer Martensit (200 bis 325°C):<br />

Der Restaustenit zerfällt in kubischen Martensit und in ε-Karbide. Gleichzeitig beginnt die<br />

Bildung des stabilen Eisenkarbides Fe 3<br />

C. Durch den Austenitzerfall ergibt sich eine<br />

Volumenvergrößerung.<br />

3. Fe 2.4<br />

C → Fe 3<br />

C (325 bis 400°C):<br />

Der kubische Martensit (a = 0.291 nm) verarmt an Kohlenstoff und erreicht die<br />

Zusammensetzung des Ferrits (a = 0.286 nm). Dadurch und durch die Umwandlung des<br />

verbliebenen ε-Karbids bildet sich Zementit,. es bilden sich Kugeln im Gefüge, erkennbar<br />

im Lichtmikroskop => Volumenkontraktion.<br />

4. Koagulation von Zementit (Fe 3<br />

C) bei Temperaturen > 400°C:<br />

Keine definierten Gefügeänderungen. Die Karbidteilchen koagulieren.<br />

Beeinflussung der mechanischen Kennwerte<br />

Durch Härten und Anlassen werden Gefügezustände eingestellt, die zu einem Abbau der<br />

hohen Sprödigkeit führen. damit läßt sich, je nach Bedarf, günstiger Kompromiß aus hoher<br />

Festigkeit bei ausreichender Zähigkeit einstellen.<br />

Bereich der durch die Vergütungsbehandlung<br />

einstellbaren Zugfestigkeit unlegierter Stähle.<br />

Wirkung des Anlassens auf den Arbeitsverbrauch<br />

eines Stahls mit 0.35 % C (Ck35)<br />

177


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Einfluss des Kohlenstoffgehalts und der Wärmebehandlung auf die Eigenschaften von<br />

unlegiertem Stahl. Normalglühen: Austenitisieren oberhalb A 3 , bzw. A zm (im Austenitgebiet)<br />

dann abschrecken an Luft → feiner Perlit. Grobkornglühen (oberhalb A 3 untereutektoid, bzw.<br />

760°C übereutektoid) dann langsames abkühlen im Ofen → grober Perlit. Normalgeglüht:<br />

hohe Festigkeit, geringe Duktilität, Grobkorngeglüht umgekehrt.<br />

Allerdings kann Anlassen (bei ca. 480°C) in Chrom-reichen Stählen (> 25 %) durch die<br />

Bildung einer nadelförmigen σ-Phase eine Versprödung möglich. Diese wird durch<br />

Erwärmen über 600°C wieder abgebaut.<br />

Härtbarkeitsprüfung (Jominy-Test)<br />

Eine zylindrische Stahlprobe wird an ihrer Stirnseite mit Wasser abgeschreckt. Probenabmessungen<br />

und Abschreckbedingungen sind normiert. Mit zunehmendem Abstand von der<br />

Stirnfläche nimmt die Abkühlgeschwindigkeit ab. Härtemessungen in Längsrichtung der<br />

Probe spiegeln dies wieder. Ein langsamer Abfall der härte auch in größeren Abständen von<br />

der Stirnfläche kennzeichnen eine gute Einhärtbarkeit. Ein schneller Abfall eine schlechte<br />

Einhärtbarkeit. Die Härte der Stirnfläche entspricht der Aufhärtbarkeit.<br />

178


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Versuchsanordnung des Stirnabschreckversuchs<br />

nach Jominy.<br />

Beziehung zwischen Härteverlauf und Abkühlverläufen im<br />

kontinuierlichen ZTU-Schaubild einer Jominy-Probe.<br />

179


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Verfahren zur Randschichthärtung<br />

Die Anforderungen an den Werkstoffquerschnitt sind hauptsächlich Festigkeit und<br />

Bruchsicherheit. Die Oberfläche muß gute Eigenschaften in Bezug auf Verschleiß- und<br />

Errosions- und Korrosionsbeständigkeit besitzen. Diese Anforderungen sind bei metallischen<br />

<strong>Werkstoffe</strong>n oft ohne Verwendung von Beschichtungen möglich. Gezielte<br />

Behandlungsverfahren ermöglichen eine effektive Randschichthärtung.<br />

Martensitbildung und Eindiffundieren eines Elements (z.B. Stickstoff) führen im Randbereich<br />

zu einer Volumenzunahme. Dies führt zu Druckspannungen, was eine Erhöhung der<br />

Wechselfestigkeit zur Folge hat (siehe <strong>Metalle</strong> I).<br />

Thermische Verfahren<br />

Diese beruhen auf den unterschiedlichen Temperatur-Zeitverläufen des Randes im Vergleich<br />

zum Kern. Die Martensitbildung ist dann nur im Rand gegeben.<br />

Andererseits kann durch eine Flamm-, Induktions- oder Tauchhärtung erzielt werden, dass<br />

nur der Randbereich in das Austenitgebiet erwärmt wird. Die Einstellung der Härtetiefe<br />

erfolgt bei der Flammhärtung über Vorschub und Brennereinstellung (max. 1 kW/cm 2 ), bei<br />

der Induktionshärtung über die Frequenz und die Generatorleistung (max. 10 kW/cm 2 ). Bei<br />

der Tauchhärtung wird das Bauteil in eine Salz- oder Metallschmelze über einen gewissen<br />

zeitraum eingetaucht. Alle drei Verfahren benötigen eines rasches Abschrecken der<br />

Oberfläche.<br />

Weitere Verfahren durch Kurzzeiterwärmung mittels:<br />

• Elektronenstrahlen<br />

• Laserstrahlen<br />

• Hochfrequenzimpulse mit Frequenzen um 27 MHz<br />

hier erfolgt das abschrecken durch den Kern des Bauteils. Es lassen sich extrem feinkörnige,<br />

bis zu glasartigen Randzonen erzeugen.<br />

Thermisch-chemische Verfahren, Einsatzhärtung<br />

Der Kohlenstoffgehalt wird in der Randschicht erhöht, so dass diese martensithärtbar wird.<br />

Der Werkstoff muß im austenitischen Zustand (γ-Gebiet) vorliegen um Kohlenstoff<br />

aufnehmen zu können. Die kohlungsmedien können Pulver, Bäder (Zyanbäder) oder<br />

gasförmige Kohlenstoffverbindungen sein.<br />

180


<strong>Metalle</strong> <strong>II</strong>, MaWi-Diplom, 7. Sem. Uwe Glatzel Modul WM4, MSE, 1.Sem.<br />

Gleichgewichtsdiagramm für die Reaktion<br />

2 CO ↔ CO 2<br />

+ C bei einem Druck von 1 bar.<br />

Gleichgewichtsdiagramm Fe - O - C bei 1 bar.<br />

Rechts der Gleichgewichtslinien sind<br />

Entkohlungs-, links<br />

Aufkohlungsbedingungen.<br />

Der Randkohlenstoffgehalt kann im unlegierten Stahl bis maximal 0.7 % erhöht werden.<br />

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Härteverlauf in Ausscheidungsschichten verschiedener gasnietrierter <strong>Werkstoffe</strong>, nach 36 h<br />

bei 530°C.<br />

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Einsatzhärtetiefe. Per Definition ist dies der Abstand<br />

von der Oberfläche an der eine Vickers-Härte von 550 HV gemessen wird. Die<br />

Einsatzhärtetiefe ist eine Funktion von Zeit und Temperatur, da sie durch die Diffusion<br />

bestimmt ist.<br />

Thermisch-chemische Verfahren, Nitrieren<br />

Beim Nitrieren wird der Randzone aus einem Stickstoff abgebenden Medium (Salzbäder oder<br />

Gasatmosphären) durch Diffusion Stickstoff zugeführt. Es besteht die Gefahr, dass sich im<br />

Ferrit grobe Nitritnadeln bilden, welche die Härteschicht zum Abplatzen bringen können.<br />

Großer Vorteil des Nitrierens sind die geringeren Temperaturen ≤ 600°C → Kostenersparnis<br />

und Gefahr für Verzug ist deutlich geringer.<br />

Oft wird auch Kohlenstoff mit angeboten (Karbonitrieren). Dies erfolgt beim Badnitrieren<br />

über Zyan-Salze (CN), beim Gasnitrieren über Ammoniak und einem Kohlenstoffträgergas.<br />

Beim Ionitrieren wird der Stickstoff unter Verwendung einer Glimmentladung ionisiert, das<br />

Werkstück als Kathode geschaltet und nimmt dadurch den Stickstoff sehr viel schneller auf.<br />

Es kann molekularer Stickstoff (N 2<br />

) statt Ammoniak (NH 3<br />

) verwendet werden. Dadurch wird<br />

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die Bildung atomaren Wasserstoffs verhindert und damit die Gefahr der<br />

Wasserstoffversprödung verhindert.<br />

Aufbau einer Nitrierschicht.<br />

Nitrieren zeichnet sich durch eine besonders hohe Verzugsfreiheit aus. Es läßt sich ein sehr<br />

guter Verschleißwiderstand erzielen, Ebenso wie eine Steigerung der<br />

Korrosionsbeständigkeit.<br />

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Gewichtsverlust durch Abrasion bei Stahlkiesbestrahlung im unnitrierten, einsatzgehärteten<br />

und nitrierten Zustand.<br />

Martensitumwandlung von Nichteisenmetallen (Formgedächtnislegierungen)<br />

Eine der Austenit-Martensitumwandlung vergleichbare Phasentransformation tritt auch bei<br />

einigen Nichtmetalleisenlegierungen auf (Shape Memory Alloys). Es ist möglich die<br />

Ausgangsform eines Werkstücks nach zwischenzeitlicher Verformung durch eine<br />

Wärmebehandlung in ihre ursprüngliche Form zurück bringen.<br />

Nutzung des Formgedächtniseffekts für die Verbindung von Rohren.<br />

Geeignete Legierungen mit technisch ausnutzbarem Memory-Effekt, d.h. mit<br />

verformungsfähigem Martensit und mit höherfesten Austenit, sind vor allem Ni-Ti-<br />

Legierungen (50:50), denen oft noch ein drittes Element, z.B. Cu zulegiert ist. Außerdem sind<br />

noch geeignet Cu - Zn - Al und Cu - Al - Ni Legierungen.<br />

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Ein weiterer Effekt der Austenit-Martensittransformation ist eine Pseudo-Elastizität mit bis zu<br />

8% reversibler Verformung (Au - Cd Legierungen). Hierbei wandelt sich der zuvor gebildete<br />

Martensit bei Entlastung zurück in den Austenit.<br />

Bei Stahl ist ΔV/V ≈ 11%, bei Formgedächtnislegierungen ist ΔV/V≈ 1%. Somit besteht bei<br />

Formgedächtnislegierungen die Möglichkeit, dass die Matrix sich nur elastisch verformt.<br />

Wird also die Phasenumwandlung rückgängig gemacht, so ist die Gestaltsänderung der<br />

Matrix reversibel da sie nur elastisch verspannt war.<br />

Zudem ist bei Formgedächtnislegierungen die Energiebarriere zur Phasenumwandlung<br />

wesentlich geringer als die Energiebarriere der plastischen Verformung (die<br />

Peierlsspannung). Folglich erfolgt eine Verformung über Phasenumwandlung und elastische<br />

Verzerrung statt über die "klassische" plastische Verformung durch Versetzungserzeugung<br />

und -bewegung.<br />

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