Heinz R. Pagels Cosmic Code - Globale-Evolution TV
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einem Zitat von Ludwig Boltzmann, einem Physiker aus einer früheren Generation:<br />
»Eleganz ist etwas für Schneider.«<br />
Die Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Die optische Ästhetik der<br />
Geometrie spricht manchen von uns an; für andere liegt die Schönheit in der abstrakten<br />
Welt der Symbole. In die moderne Quantenphysik ist das Gefühl für Ästhetik mit eingegangen;<br />
früher spielte im Gegensatz dazu die Fähigkeit des Physikers, sich die natürliche<br />
Welt vorzustellen, eine wichtige Rolle. Statt Bilder haben wir mathematisch beschriebene<br />
Symmetrien. Die Quantenwelt der Elementarteilchen ist nach komplizierten,<br />
schönen Symmetriegrundsätzen aufgebaut.<br />
Der Physiker sucht die Symmetrie. Aber wenn er sie gefunden hat, erkennt er in einer<br />
perfekten Symmetrie auch gleich den Fehler. Nur selten sind Symmetrien in der Natur<br />
perfekt. Oft sind sie gebrochen, mitunter symmetrisch gebrochen. Dieser Symmetriefehler<br />
beschäftigt uns wie der absichtliche Fehler in einem persischen Teppich und liefert<br />
uns neue Hinweise auf die Dynamik der Welt. In der modernen Physik kann man die<br />
ganze Welt als Äußerung einer gebrochenen Symmetrie sehen. Wenn die Symmetrien in<br />
der Welt wirklich perfekt wären, gäbe es uns nicht.<br />
Von Zeit zu Zeit taucht in der Wissenschaft ein wahres Genie auf. Ich meine damit kein<br />
Genie im technischen Können; das kann außergewöhnlich sein, ist oft jedoch nur oberflächlich.<br />
Ein Genie ist jemand, der, wie die alten Propheten, eine direkte Leitung zur<br />
Gottheit hat. Es ist eine Art von Verrücktheit, aber es stimmt.<br />
Der Mathematiker Mark Kac unterscheidet zwei Arten von Genies; die einen nennt er<br />
gewöhnliche Genies, die anderen ungewöhnliche oder ausgefallene Genies. Ein gewöhnliches<br />
Genie ist jemand wie Sie und ich, bei dem nur die genialen Gaben Konzentration,<br />
Gedächtnis und Kreativität viel ausgeprägter sind als bei uns. Das schöpferische<br />
Denken dieser Genies lässt sich vermitteln. Außergewöhnliche Genies sind ganz anders.<br />
Bei ihnen weiß man überhaupt nicht, wie sie denken. Sie scheinen nach Regeln ihrer eigenen<br />
Erfindung vorzugehen und gelangen doch zu großartigen Schlüssen. Sie können<br />
einem nicht sagen, wie sie dazu gekommen sind; sie scheinen auf Umwegen zu denken.<br />
Das gewöhnliche Genie kann viele Schüler haben, das ungewöhnliche Genie hat ganz<br />
selten welche, denn es kann seine Lösungsmethoden nicht weitergeben.<br />
Die meisten Wissenschaftler sind nicht einmal entfernt Genies, aber das braucht ihrer<br />
Kreativität und ihrem Nutzen keinen Abbruch zu tun. Regeln für Kreativität in der Wissenschaft<br />
sind niemals niedergeschrieben worden und lassen sich auch aus keinem Buch<br />
erlernen. Wie wissenschaftlich geforscht wird, gibt eine Wissenschaftlergeneration in<br />
einer Art charismatischer Kette an die nächste weiter; gelehrt wird am Beispiel, nicht nach<br />
dem Buch. Diese stillschweigend übernommenen Kenntnisse lassen sich, da unausgesprochen,<br />
von späteren Generationen leicht verändern - ein wichtiger, wenn auch unsichtbarer<br />
Aspekt der wissenschaftlichen Forschung.<br />
In der Physik die Gesetze nachzuvollziehen, ist eine frustrierende Angelegenheit, die<br />
ein Gefühl der intellektuellen Ehrfurcht auslöst, die Erkenntnis, dass man es mit einem<br />
großen Problem zu tun hat. Für meine Begriffe hat Albrecht Dürer in seinem Stich »Melancholie«<br />
das Wesen geistiger Forschung erfasst. Das Bild zeigt einen denkenden Engel<br />
umgeben von den Geräten der Wissenschaft, darunter einem magischen Quadrat an der<br />
Wand. Es ist das Abbild eines Bewusstseins, dessen Einsamkeit derjenigen der Sterne<br />
nahekommt.<br />
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