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Meine Schwester fütterte die Fische. Die<br />

saugten mit ihren Mäulern die Futterplättchen<br />

von der Wasseroberfläche ab.<br />

„Sie wissen genau, wann ihre Zeit ist“,<br />

sagte meine Schwester. „Harald ist für<br />

den Papagei zuständig. Ich für die Fische.<br />

Dass du keine Tiere magst, ist schon<br />

merkwürdig.“<br />

„Ich mag sie eben nicht“, sagte ich.<br />

„Merkt ihr denn nicht, wie viel Zeit sie<br />

euch kosten?“<br />

„Kosten, kosten! Wir machen das gerne.“<br />

Meine Schwester sah gar nicht auf. Das<br />

Füttern der Fische erforderte ihre ganze<br />

Konzentration.<br />

„Was für eine Logik. Im Bad hab ich eine<br />

Silberfischvernichtungsdose gesehen, und<br />

hier fütterst du die Ameisen mit Zucker.“<br />

Dass die beiden nicht sahen, in welchen<br />

Widersprüchen sie lebten, empörte mich.<br />

„Das sind verschiedene Kategorien“,<br />

sagte meine Schwester ruhig.<br />

„Das heißt also, die die als Schädlinge<br />

deklariert sind, werden getötet? Und die<br />

Nutztiere überlistet man?“<br />

„Ja“, sagte sie und blickte das erste Mal<br />

auf. Mochte sein, dass sie sogar lächelte.<br />

Sie sollte nicht meinen, dass ich meinen<br />

Mund hielt.<br />

„Und was ist mit der Katze, die Vögel<br />

fängt? Eine Katze ist zu nichts nutze.“<br />

„Eine Katze ist ein Haustier.“<br />

„Und Vögel sind Gartentiere.“<br />

„Dafür haben wir einen Papagei.“<br />

„Ihr macht euch das Leben passend.“<br />

„Warum bist du eigentlich gekommen?“<br />

Sie stand immer noch hinter dem Aquarium<br />

und hatte die Hände in die Seiten<br />

gestemmt. So kannte ich sie. Resolut und<br />

siegessicher. Auch ich wusste, worum es<br />

ging. Ich nahm kein Blatt mehr vor den<br />

Mund.<br />

„Um zu sehen, wie ihr lebt.“<br />

„Und wie leben wir?“<br />

„Du bist eingesponnen von einer Tierwelt,<br />

die dich bannt, ja, das bist du“,<br />

sagte ich.<br />

„Du entlarvst dich selbst. Du bist eine<br />

Einzelgängerin.“ Jetzt hatte sie Fahrt aufgenommen.<br />

Sie konnte verletzend sein.<br />

„Ich geh jetzt“, sagte ich. Sich der Diskussion<br />

zu entziehen, mochte sie nicht.<br />

Das machte ihr Schuldgefühle Sie würde<br />

gleich um Entschuldigung bitten.<br />

„Warte, trink erst einen Tee. Und dann.<br />

Dann muss ich dir noch etwas zeigen.“<br />

„Was?“ Ich hatte keine großen Erwartungen.<br />

Ich hatte schon genug gesehen.<br />

„Warte. Wir haben einen … einen kleinen<br />

Hund. Acht Wochen alt. Nebenan.<br />

Harald! Holst du bitte mal den Hund!“<br />

Ich nahm meine Jacke, die ich über<br />

den Stuhl gehängt hatte. „Keine Zeit“,<br />

murmelte ich, und schob einen Arm in<br />

die Strickweste.<br />

Meine Schwester stand auf. Jetzt erst sah<br />

ich es. Sie war schwanger.<br />

„Ich wusste gar nicht, dass du ...“<br />

„Ja, darum wollte ich dich fragen.“<br />

„Was fragen?“ Ich blieb mit der linken<br />

Hand im Ärmelsaum stecken und hörte,<br />

wie sich die Naht ganz auftrennte. Das<br />

fehlte noch. Die Jacke würde ich die<br />

nächsten Monate nicht benutzen können.<br />

„Ob du ihn nehmen kannst. Nicht<br />

für lange, nur bis ich wieder aus dem<br />

Krankenhaus zurück bin“, sagte meine<br />

Schwester. Sie redete unentwegt weiter.<br />

„Wen?“, fragte ich vorsichtshalber.<br />

„Den Hund.“<br />

„Kommt gar nicht in Frage! Einen<br />

Hund? Keine Zeit. Unmöglich!“<br />

Ich stieß jetzt heftig durch das Ärmelloch.<br />

Der Saum hing mir bis zu den<br />

Fingerspitzen. Ich ließ meine Schultern<br />

hängen und setzte mich wieder.<br />

Ich hatte es zuerst nicht bemerkt. Es<br />

zerrte etwas an meiner Jacke, schrammte<br />

spitz über meinen Handrücken. Hundezähne.<br />

Das fing ja gut an. Schwarz war<br />

er und fiel dauernd hin. Die Beine waren<br />

offensichtlich zu kurz. Der Schwanz eingeklemmt.<br />

Er konnte noch nicht wedeln.<br />

Und jetzt lief eine gelbe Linie direkt auf<br />

mich zu.<br />

„Er ist noch nicht stubenrein“, sagte<br />

meine Schwester.<br />

„Das kann man mit mir nicht machen.<br />

Wie seid ihr denn an diesen Krüppel<br />

gekommen?“<br />

„Aus dem Tierheim.“<br />

„Dann bringt ihn zurück.“<br />

„Die haben noch sechs weitere. Einen<br />

ganzen Wurf.“<br />

Jetzt verschwand er in meiner Hosentasche,<br />

zerrte ein Taschentuch heraus und<br />

zerkaute es mit viel Schaum. Seine Ohren<br />

standen hoch, hielten aber nicht lange,<br />

dann klappten sie nach vorne. Ein armes<br />

Geschöpf mit vielen Behinderungen.<br />

„Dass so etwas geboren wird. Er ist ja<br />

noch gar nicht fertig. Ich versteh die<br />

Natur nicht.“<br />

„Da hast du Recht“, sagte meine Schwester.<br />

„Er braucht dringend Hilfe.“<br />

Mein neuer Schwager kam herein und<br />

meinte, der Hund sei ein guter Spielkamerad<br />

für den Papagei. Das fand ich nun<br />

gar nicht. Was hatte dieser Vierbeiner<br />

schon gegen den Hakenschnabel des<br />

bunten Ungeheuers für Überlebenschancen?<br />

Außerdem konnte der Papagei<br />

fliegen und war dem Hund dadurch<br />

überlegen.<br />

„Ich nehme ihn mit“, hörte ich mich<br />

sagen.<br />

Auf dem Heimweg im Auto saß der<br />

Hund auf dem Beifahrersitz. Er konnte<br />

wieder die Ohren nicht halten. Als ich<br />

bremsen musste, fiel er in den Fußraum.<br />

Seitdem ist ein Jahr vergangen. Meine<br />

Schwester habe ich nicht mehr gesehen.<br />

Sie schreibt mir öfter, schickt mir Bilder<br />

von dem Baby und fragt nach dem<br />

Hund. Ich könnte ihr auch ein Foto<br />

schicken, aber dann sähe sie, dass ich das<br />

mit den Ohren noch nicht hingekriegt<br />

habe. Außerdem war der Hund immer<br />

noch ein Winzling. Er würde niemals<br />

in einem Haushalt mit Baby, Papagei,<br />

Katze und Zierfischen überleben können.<br />

(Die Ameisen hielt ich inzwischen für<br />

ausgewandert.) Der Hund war ein Einzelgänger.<br />

Er ging mit mir ins Büro. Dort<br />

schlief er unter dem Schreibtisch. Nach<br />

Feierabend aß er mit mir zusammen<br />

beim Italiener. Wie sollte ich das meiner<br />

Schwester erzählen?<br />

Marianne Ullmann<br />

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