Ausgabe 08/2004 - qs- nrw
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Gesundheitspolitik<br />
Positionspapier leitender Kinderärzte des Landes Brandenburg<br />
Quo vadis Kinder- und Jugendmedizin in Deutschland oder:<br />
Haben wir noch ein Herz für kranke Kinder?<br />
Kinder sind kleine Erwachsene…! (?)<br />
Unter dieser Prämisse sind Kinder in Deutschland<br />
bis in das ausgehende 19. Jahrhundert<br />
medizinisch behandelt worden. Aufgrund der<br />
vor allem aus sozialen Gründen extrem hohen<br />
Säuglingssterblichkeit (ca. 25 % aller Kinder<br />
starben innerhalb ihres 1. Lebensjahres) sind<br />
in der Periode von 1896 bis zum Ende des<br />
1. Weltkriegs Lehrstühle für Kinderheilkunde<br />
an fast allen deutschen Medizinischen Fakultäten<br />
geschaffen worden. Dies mehr aus<br />
Zwang, denn aus Einsicht. Die demographische<br />
Situation war (s. o.) durch eine extrem<br />
hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit gekennzeichnet.<br />
Das Kaiserreich brauchte für<br />
seine ambitionierte Kolonialpolitik zahlenmäßig<br />
ausreichenden gesunden Nachwuchs.<br />
Wie ist es heute? Ist die Kinderheilkunde heute<br />
– mehr als 100 Jahre nach Errichtung des<br />
ersten deutschen Lehrstuhls für Kinderheilkunde<br />
an der Berliner Charité – wieder dort angekommen,<br />
wo sie damals mühevoll begonnen<br />
hat? War die Entwicklung der Disziplin<br />
Kinderheilkunde nur eine 100 Jahre währende<br />
Episode der Wissenschaftsentwicklung in<br />
der Medizin, die jetzt ihrem Ende entgegensieht?<br />
Dies, obwohl die wissenschaftliche Kinderheilkunde<br />
eindrucksvoll demonstriert hat,<br />
dass es durch qualitativ wertvolle Arbeit gelingen<br />
kann, eine ganze Generation gesund<br />
zu erhalten bzw. wieder gesund zu machen?<br />
Die Säuglings- und Kindersterblichkeit liegt<br />
heute in Deutschland im einstelligen Promillebereich.<br />
Die häufigsten Todesursachen bei<br />
Kindern sind längst keine Krankheitsfolgen<br />
mehr. Unfälle und Tumorerkrankungen fordern<br />
heute die häufigsten Todesopfer im Kindesalter!<br />
Auch unter erheblichen demographischen<br />
Nöten leiden wir wieder – es sind<br />
andere als vor 100 Jahren. Sie sind aber als<br />
nicht weniger dramatisch einzuschätzen. Bei<br />
der Wiederherstellung der Gesundheit eines<br />
kranken Kindes dürfen auch aus diesen Gründen<br />
keine Fehler zugelassen werden.<br />
Wird diesen Argumenten Rechnung getragen<br />
bzw. bestimmen derartige Fakten das Handeln<br />
der im Gesundheitssystem tätigen Akteure?<br />
Wohl nicht, denn besonders in den sog.<br />
neuen Bundesländern auf dem Territorium der<br />
ehemaligen DDR – also auch in Brandenburg<br />
– müssen viele Kinderärzten erstaunt zur<br />
Kenntnis nehmen, dass seit der Wende wieder<br />
etwa 40 % aller stationär behandlungspflichtigen<br />
Kinder nicht in Kinderkliniken/Kinderabteilungen,<br />
sondern in Erwachsenenabteilungen<br />
medizinisch versorgt werden. Es liegt<br />
auf der Hand, dass Qualitätsmängel in der<br />
Versorgung vor dem Hintergrund monetärer<br />
Denkweisen bewusst in Kauf genommen werden<br />
– abrufbare Beispiele könnten dies belegen.<br />
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen (!)<br />
oder: Haben auch Kinder ein Recht auf<br />
spezialisierte ärztliche Versorgung?<br />
Die Arbeitsgruppe Pädiatrische Versorgung<br />
am Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit<br />
und Frauen des Landes Brandenburg befindet<br />
sich derzeit in einem Diskussionsprozess<br />
mit Beteiligten und Verantwortlichen aus<br />
verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems.<br />
Grundlage der Diskussion sind dabei<br />
die gegenwärtigen Entwicklungen der stationären<br />
und ambulanten Versorgung kranker<br />
Kinder – insbesondere auch die Versorgung<br />
kranker Neugeborener und Frühgeborener –<br />
vor dem Hintergrund der demographischen<br />
Entwicklung des letzten Jahrzehnts sowie unter<br />
den Bedingungen eines Flächenlandes.<br />
Der Gesprächsrunde gehören gegenwärtig<br />
folgende Teilnehmer an: K. Lahm, Referent<br />
MASGF Potsdam, U. Unthan, VdAK/AEV LV<br />
Brandenburg, Dr. D. Heß, AOK Brandenburg,<br />
PD Dr. T. Eichhorn, Chefarzt HNO-<br />
Klinik, Klinikum Cottbus, Dr. J. Reibig, Kinderarztpraxis<br />
Falkenberg, Dr. J. Schwarick, Chefarzt<br />
Kinderabteilung KH Herzberg, Dr.<br />
M. Kalz, Landesärztekammer Brandenburg,<br />
Dr. H. Rönitz, Chefarzt Kinderklinik, Klinikum<br />
Frankfurt/Oder, Dr. H. Geyer, Präsident KVBB<br />
Brandenburg, B. Müller-Senftleben, Referat<br />
46, MASGF Potsdam, Dipl.-Med. D. Reichel,<br />
Vorsitzender des BVKJ, LV Brandenburg, Prof.<br />
Dr. M. Radke, Chefarzt Kinderklinik, Klinikum<br />
Potsdam, PD Dr. Th. Erler, Chefarzt Kinderklinik,<br />
Klinikum Cottbus.<br />
Auch kinderärztliche Fachgremien machen<br />
seit Jahren auf die Problemsituation in der<br />
Kinderheilkunde aufmerksam. Die Deutsche<br />
Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin<br />
(DGKJ) hat im November 2003 mit Unterstützung<br />
des Bundesministeriums für Gesundheit<br />
und soziale Sicherung (BMG) eine Kampagne<br />
gestartet, um auf die Probleme der medizinischen<br />
Behandlung von Kindern und Jugendlichen<br />
in Erwachsenenabteilungen aufmerksam<br />
zu machen. Eine begleitende<br />
Plakataktion (siehe Bilder) widerspiegelt das<br />
ganze Dilemma dieses Themas. Neben der<br />
DGKJ und dem Berufsverband der Kinderund<br />
Jugendärzte Deutschlands (BVKJD) sind<br />
besonders die Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
„Kind und Krankenhaus“ (Bakuk) gemeinsam<br />
mit ihren Mitgliedsverbänden, der Gesellschaft<br />
für Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen<br />
Deutschlands (GKind) und dem<br />
Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschlands<br />
(BeKD) aktiv, um über die Öffentlichkeit<br />
das Recht kranker Kinder auf kindgerechte<br />
medizinische Versorgung durchzusetzen. Im<br />
März d. J. informierte die Bakuk anlässlich eines<br />
parlamentarischen Abends die Öffentlichkeit<br />
über die drohende Verschärfung einer<br />
bereits bestehenden Schieflage in der Versorgung<br />
kranker Kinder und Jugendlicher unseres<br />
Landes. Fast beschwörend wies der Vorsitzende<br />
der Bakuk, Prof. Dr. Werner Andler,<br />
erneut darauf hin, dass die Kinder- und Jugendmediziner<br />
nicht nachlassen würden, immer<br />
wieder hervorzuheben, dass Kinder keine<br />
kleinen Erwachsenen sind.<br />
Kranke Kinder und Jugendliche gehören in<br />
ein Kinderkrankenhaus!<br />
(einstimmig beschlossen auf der UN-Kinderrechtskonferenz<br />
der Gesundheitsminister<br />
1997)<br />
Obwohl die Bundesrepublik Deutschland mit<br />
der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention1<br />
Anfang der 90er Jahre zugesagt<br />
hatte, die darin verbrieften Rechte in nationales<br />
Recht (z. B. Kinder sollen nicht in Erwachsenenstationen<br />
aufgenommen werden) umzusetzen,<br />
werden heute trotzdem mehr als 45 %<br />
aller kranken Kinder und Jugendlichen<br />
Deutschlands in Erwachsenenabteilungen<br />
versorgt. Dies gilt leider auch für das Land<br />
248 Brandenburgisches Ärzteblatt 8/<strong>2004</strong> • 14. Jahrgang