Ausgabe 08/2004 - qs- nrw
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Fortbildung<br />
Thorakoskopische Therapie der Hyperhidrosis<br />
Hintergrund<br />
Die Hyperhidrosis ist eine durch Übererregbarkeit<br />
des sympathischen Nervensystems bedingte<br />
generalisierte, oft aber auf die oberen<br />
Extremitäten und den Kopf beschränkte Dysfunktion<br />
der ekkrinen Schweißdrüsen. (Hyperhidrosis<br />
axillaris und facialis bzw. manum<br />
und pedis). Neben den symptomatischen Formen<br />
bei Hyperthyreose, Phäochromozytom,<br />
Parkinsonismus, Einnahme von Parasympathikomimetika,<br />
Menopause und anderen somatisch<br />
begründbaren Ursachen etwa im<br />
Rahmen eines Raynaud-Syndroms hat epidemiologisch<br />
vor allem die genuin-konstitionelle<br />
bzw. primäre Form klinische Bedeutung. Die<br />
primäre Hyperhidrosis ist mit einer Gesamtinzidenz<br />
von ca. 1% in westlichen Populationen<br />
ein durchaus verbreitetes „Volksleiden“ (1) . Sie<br />
zeigt mit unterschiedlichen Schweregraden<br />
ein frühzeitiges Einsetzen (meist in der Kindheit<br />
oder Adoleszenz) in der Regel mit lebenslanger<br />
Persistenz und dürfte auf eine<br />
emotional-konstitutionell veränderte Verarbeitung<br />
psychischer Belastungen (Angst-, Spannung-,<br />
Stress- und Schmerz) zurückzuführen<br />
sein. Eine gewisse familiäre Disposition<br />
scheint eine Rolle zu spielen (1) . Meist tritt die<br />
Funktionsstörung beidseits auf und führt bei<br />
den jugendlichen Patienten mit vorzugsweisem<br />
Befall der Palmarflächen („Schweißhändchen“)<br />
und der Axilla sowie fakultativ einem<br />
fazialen „Blushing“-Syndrom zu einer erheblichen<br />
psychischen Belastung und sozialem<br />
Stress. Dem seltenen einseitigen Auftreten<br />
liegt in der Regel hingegen eine periphere somatische<br />
Ursache zugrunde. Die internistische<br />
Therapie, aber auch alternative und psychotherapeutische<br />
Interventionen sind bei der genuinen<br />
Form meist undankbar, langwierig<br />
und ohne anhaltenden Erfolg. Viele Patienten<br />
haben ein „Odyssee“ verschiedenster ineffizienter<br />
Therapieverfahren mit oft sekundär<br />
noch verstärkter emotionaler Verunsicherung<br />
hinter sich.<br />
Hier setzen chirurgisch-interventionelle Lösungsversuche<br />
in Form der thorakoskopischen<br />
Sympathektomie an, wie sie in Deutschland in<br />
den 1960iger Jahren durch Kux und Wittmoser<br />
ausführlich beschrieben und in der Folgezeit<br />
mit großem und anhaltendem Erfolg<br />
durchgeführt wurden (2) .<br />
Anatomische Voraussetzungen<br />
Grundlage der chirurgischen Therapie ist die<br />
hervorragende thorakoskopische Darstellbarkeit<br />
und Zugänglichkeit des Grenzstrangs in<br />
den paravertebralen Abschnitten der pleura<br />
mediastinalis (vergl. Abb.). Für die ekkrine Innervation<br />
der oberen Extremität sind bezüglich<br />
der Hand die Ganglien 2-5, für die Axilla<br />
das Ganglion 3 verantwortlich. Als Orientierungshilfe<br />
bzw. Leitstrukturen für das Auffinden<br />
der entsprechenden Ganglien dient einerseits<br />
die Identifikation des zuzuordenden<br />
2.-5. Rippenverlaufs und nach kaudal die<br />
vena azygos. Bei schlechten Sichtverhältnissen<br />
durch vermehrten subpleuralen Fettgehalt<br />
können sie auch instrumentell-palpatorisch<br />
dargestellt werden (3) .<br />
Abb.: Thorakoskopischer Situs bei der Sympathektomie<br />
– Rechter Hemithorax: grau eingezeichnet<br />
der n. phrenicus, der truncus sympathicus und<br />
schwarz markiert das Verödungsareal in Höhe<br />
Th2-4<br />
Indikation und Durchführung<br />
Die thorakoskopische Sympathektomie ist das<br />
klassische Beispiel eines minimal-invasiven<br />
chirurgischen Eingriffs und wurde in diversen<br />
Arbeitsgruppen in großer Fallzahl und mit<br />
nahezu 100%igem sowie ganz überwiegend<br />
dauerhaftem Erfolg durchgeführt (Kux 1969,<br />
Wepf 1979, Wittmoser 1984, Boutin 1984,<br />
Lindsay 1986, Toomes 1987, Inderbitzi<br />
1992, Zacherl 1998, Lin 1999). Die Indikation<br />
ergibt sich selektiv bei der Hyperhidrosis<br />
der Axilla und der oberen Extremitäten, wobei<br />
sich allerdings eine plantare Hyperhidrosis<br />
nach Beseitigung der palmaren Symptome<br />
durchaus bessern kann. Eine Hyperhidrosis<br />
des Stamms oder des gesamten Körpers stellt<br />
keine Indikation dar (4) . Der VATS-Eingriff erfolgt<br />
in thorakoskopischer Seitlagerung, Doppellumenintubation<br />
und Vollnarkose über<br />
3 Standardtrokarzugänge (5) . Modifikationen<br />
der anästhesiologischen Technik bis hin zur<br />
Neuroleptanalgesie bei ambulanter Durchführung<br />
sind jedoch möglich (6) . Die Ausschaltung<br />
der postganglionären Faserbündel umfasst<br />
die Segmente Th2 bis Th4. Keinesfalls<br />
wird oberhalb der 2. Rippe koaguliert, um<br />
das Ganglion stellatum nicht zu erfassen, und<br />
damit nicht ein Horner-Syndrom zu induzieren.<br />
Die eigentliche Koagulation kann sich<br />
nach Inzision der Pleura und Darstellung des<br />
Grenzstrangs fokal auf die Zielganglien beschränken<br />
oder mehr flächig das pleurale<br />
Areal im Bereich des 2.-4. Ganglions umfassen.<br />
Für die Durchführung bietet sich wahrscheinlich<br />
prospektiv ähnlich wie bei der Pleurodese<br />
die photothermische Präparation mit<br />
dem modernen Neodym-YAG-Laser im bare<br />
fiber-Modus an. Die bisherige Expertise bezieht<br />
sich auf mechanische Präparation und<br />
die Elektrokoagulation. Die Operationsdauer<br />
beträgt im Regelfall kaum 30 Minuten. Bereits<br />
unmittelbar postoperativ ist typischerweise<br />
der Behandlungserfolg durch eine warme,<br />
trockene und hyperämisierte Hand buchstäblich<br />
„fassbar“. Nach mehrtägigem Verlauf<br />
und Entfernung der Drainage kann ggfs. der<br />
Eingriff auf der Gegenseite angeschlossen<br />
werden.<br />
Ergebnisse, Sicherheit und Komplikationen<br />
Die Erfolgsrate, gemessen als („patient-selfreported“)<br />
Beseitigung bzw. signifikante Besserung<br />
der Hyperhidrosis, beträgt in den meisten<br />
Serien über 90% (93 bis 100%, median<br />
97,5%) (so insbesondere Kux bei einer Fallzahl<br />
von 102 Patienten) (2-9). Oft fehlen allerdings<br />
über 10 Jahre hinausgehende Langzeitbeobachtungen.<br />
In einer der weltweit<br />
umfangreichsten Serien werden 1-Jahres-Rezidivraten<br />
von 0,6% im ersten Jahr bis 1,7%<br />
im dritten Jahr angegeben (7) . Einer anderen<br />
Quelle zufolge ist im 5-Jahres Follow-up mit<br />
5,4% Rückfällen zu rechnen (8) . Mögliche intraoperative<br />
Komplikationen wie Verletzung<br />
von Interkostalnerven oder -gefäßen lassen<br />
sich bei sorgfältiger Präparation vollständig<br />
vermeiden, im Langzeitverlauf betragen die<br />
Horner-Syndrom-Raten maximal 3,8% (9) . Die<br />
unabdingbaren thorakoskopischen Zugangsnarben<br />
fallen kosmetisch nicht ins<br />
Gewicht. Präoperativ sollten anderweitige<br />
somatische Ursachen einer Hyperhidrosis<br />
ausgeschlossen werden und sichergestellt<br />
sein, dass durch etwaige Vorerkrankungen<br />
keine Syndesmose des Pleuraspalts vorliegt.<br />
Literatur bei den Autoren:<br />
O. Schega, Klinik IV,<br />
Chirurgie/Thoraxchirurgie<br />
W. Frank, Klinik III, Pneumologie<br />
Johanniterkrankenhaus im Fläming<br />
Treuenbrietzen-Jüterbog<br />
Brandenburgisches Ärzteblatt 8/<strong>2004</strong> • 14. Jahrgang<br />
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