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Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt

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so für se<strong>in</strong>e Entwicklung wichtige Erfahrungen zu machen. Diese Erfahrungen sollten entwicklungsgerecht<br />

und auf die Individualität des K<strong>in</strong>des zugeschnitten se<strong>in</strong>. So können kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der die realen Gefahren<br />

e<strong>in</strong>er Umgebung häufig noch nicht richtig e<strong>in</strong>schätzen. Hier gilt es, die Umgebung so weit es geht den k<strong>in</strong>dlichen<br />

Möglichkeiten anzupassen und nicht das K<strong>in</strong>d der Umgebung (Brazelton & Greenspan 2008).<br />

Je älter das K<strong>in</strong>d wird, umso bedeutsamer werden soziale Erfahrungen ausserhalb des engsten Betreuungskreises.<br />

Bezugsgruppen von Gleichaltrigen (Peers) stellen e<strong>in</strong>e Art Versuchsterra<strong>in</strong> dar, <strong>in</strong> welchem<br />

soziale Verhaltensweisen, die für das Erwachsenenleben wichtig s<strong>in</strong>d, ausprobiert werden. In der Peergroup<br />

werden eigene Grenzen ausgelotet und der Umgang mit anderen e<strong>in</strong>geübt, eigene Werte und Überzeugungen<br />

mit denjenigen der Gruppe und der Gesellschaft <strong>in</strong> Beziehung gesetzt. Im Wechselspiel zwischen Identifikation<br />

mit Gruppenmerkmalen und der Ausbildung <strong>in</strong>dividueller Persönlichkeitsmerkmale festigt sich nach<br />

und nach die Identität des K<strong>in</strong>des bzw. des Jugendlichen. Die soziale Orientierung an Gleichaltrigen stellt<br />

damit e<strong>in</strong>e wichtige Voraussetzung für die Ablösung vom Elternhaus und das Herausbilden der Erwachsenenidentität<br />

dar (Erikson 1976, Largo & Czern<strong>in</strong> 2011).<br />

In der von Brazelton und Greenspan (2008) aufgestellten Liste von Grundbedürfnissen s<strong>in</strong>d die Soll-Anforderungen<br />

an e<strong>in</strong>e entwicklungsförderliche Erziehung formuliert. Sie bilden deshalb auch e<strong>in</strong>en ersten Rahmen<br />

für die Beurteilung der <strong>in</strong> Erziehungsratgebern und -kursen vertretenen Ansätze und Empfehlungen.<br />

5.2 Erziehungsmetaphern, Erziehungsziele, Erziehungsmethoden<br />

Erziehungsansätze entspr<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er bestimmten erzieherischen Grundhaltung, die sich mit Hilfe e<strong>in</strong>er Metapher<br />

ausdrücken lässt. Kron und Friedrich (1996) etwa unterscheiden sechs verschiedene Erziehungsmetaphern:<br />

Erziehen als Wachsenlassen (Entfaltung von Naturkräften), als Führen, als Helfen, als Ziehen, als<br />

Regieren und Zucht (Diszipl<strong>in</strong>ierung) sowie als Anpassen. Nach Treml (1991) lassen sich alle Metaphern<br />

von Erziehung auf zwei Grundverständnisse zurückführen:<br />

●<br />

●<br />

Das Bild des Bildhauers bzw. Handwerkers: Erziehung als herstellendes Machen<br />

Das Bild des Gärtners: Erziehung als begleitendes Wachsenlassen<br />

Was beiden oben genannten Grundverständnissen geme<strong>in</strong>sam ist, ist die Unterscheidung <strong>in</strong> Erziehende und<br />

Zu-Erziehende und das Verständnis von Erziehung als bewusster, gerichteter Tätigkeit. Dieses Bild muss<br />

um e<strong>in</strong>e weitere, vor allem <strong>in</strong> neueren Ansätzen zentrale Metapher ergänzt werden (vgl. Largo 2012, 2013):<br />

Erziehung als Beziehung. Aus dieser Sicht ist Erziehung ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>seitiges Tun und Erleiden (Kobi 2004),<br />

sondern e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>samer Gestaltungsprozess, <strong>in</strong> welchem die Gestaltungsmöglichkeiten gegenseitig ausgehandelt<br />

werden. Erziehung bedeutet die Verschränkung der Lebensperspektiven von Subjekten mit unterschiedlichem<br />

Entwicklungsstand und demzufolge sehr unterschiedlichen Möglichkeiten und Bedürfnissen.<br />

Die Asymmetrie <strong>in</strong> der Beziehung bezieht sich nicht auf die Legitimität der Bedürfnisse sondern auf die Möglichkeiten,<br />

diese Bedürfnisse aus eigener Kraft erfüllen zu können. Eltern nehmen die ihnen aus dieser<br />

Asymmetrie heraus entstehende Verantwortung wahr und leiten das K<strong>in</strong>d gleichzeitig an, se<strong>in</strong>e Sichtweise<br />

und Bedürfnisse immer stärker selbstbestimmt und autonom <strong>in</strong> die Beziehung e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Konflikt ist aus<br />

dieser Optik ke<strong>in</strong> Ausdruck des Scheiterns von Erziehungsbemühungen sondern konstitutives Element e<strong>in</strong>er<br />

Beziehung zwischen gleichberechtigten Subjekten.<br />

Werte und Normen bestimmen die Auswahl und Gewichtung der (<strong>in</strong> Ratgebern) vertretenen Erziehungsziele<br />

und -methoden. E<strong>in</strong>e umfassende E<strong>in</strong>teilung von Erziehungszielen stellt Textor (1993) vor. In dieser Liste<br />

lässt sich die <strong>in</strong> der Werteforschung gebräuchliche Unterteilung <strong>in</strong> Pflicht- und Akzeptanzwerte auf der e<strong>in</strong>en<br />

und Selbstentfaltungswerte auf der anderen Seite erkennen (Klages 1993):<br />

1. Persönlichkeitsentfaltung und Individuation: Selbstverwirklichung, Reife, Selbständigkeit, stabiles<br />

Selbstbild, positive Selbstwertgefühle, Selbstsicherheit, Selbstvertrauen, Eigenwille<br />

2. Zufriedenheit: Lebensbejahung, allgeme<strong>in</strong>es Wohlbef<strong>in</strong>den, Ausgeglichenheit, Glück<br />

3. Lebens-, Schul- und Berufstüchtigkeit: Entwicklung <strong>in</strong>tellektueller Fähigkeiten, Lernmotivation, Leistungsbereitschaft,<br />

Kompetenz, Kritikfähigkeit<br />

4. Gehorsam und Unterordnung: Anpassungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, E<strong>in</strong>ordnung, Unterwerfung<br />

5. Soziale Fähigkeiten: Kommunikationsfertigkeiten, Mündigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Empathie, Kooperationsfähigkeit,<br />

Solidarität, Fähigkeit zur produktiven Konfliktbewältigung, Kontaktfreude<br />

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