Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt
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1. Bejahe de<strong>in</strong>e Zuständigkeit als Mutter/Vater<br />
2. Fördere positive Beziehungen <strong>in</strong> der Familie<br />
3. Fördere Verb<strong>in</strong>dlichkeit und sei konsequent<br />
4. Lebe de<strong>in</strong>e Wertvorstellungen/de<strong>in</strong>en Glauben<br />
5. Achte auf dich selbst<br />
6. Sorge für e<strong>in</strong>e sichere Bewältigung des Alltags<br />
7. Bleibe realistisch<br />
Im S<strong>in</strong>ne dieser Pr<strong>in</strong>zipien werden auch Erkenntnisse aus der Pädagogik und der Psychologie für den Erziehungsalltag<br />
nutzbar gemacht.<br />
S<strong>in</strong>d die dogmatischen Verständnisse durch e<strong>in</strong>en extremen Personalismus gekennzeichnet – im Fokus<br />
steht ausschliesslich das K<strong>in</strong>d als Objekt von erzieherischen Massnahmen –, ist im autoritativ-partizipativen<br />
Verständnis der Blick auf das Erziehungsgeschehen weiter. Erziehung ereignet sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie <strong>in</strong> Beziehungen,<br />
das positive Gestalten dieser Beziehungen steht im Zentrum: „Fördern Sie also angenehme Begegnungen<br />
und gute geme<strong>in</strong>same Zeiten mite<strong>in</strong>ander. So schaffen Sie e<strong>in</strong>e positive, liebevolle Beziehung<br />
zu Ihren K<strong>in</strong>dern, zu Ihrem Partner als Eltern-Partner, aber auch zu Ihrem Partner als Ehe-Partner” (Lask<br />
2009, S. 16).<br />
Im autoritativ-partizipativen Verständnis wird anerkannt, dass die Beziehung zwischen Eltern und K<strong>in</strong>dern<br />
durch e<strong>in</strong>e Asymmetrie gekennzeichnet ist: K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d vom ersten Tag an auf ihre Eltern angewiesen.<br />
Eltern verfügen über mehr Wissen, Erfahrung und Stärke, über mehr Ressourcen und damit auch über mehr<br />
Macht. Dieser Machtunterschied impliziert aber <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Verantwortung, K<strong>in</strong>der so anzuleiten,<br />
dass die Asymmetrien nach und nach verschw<strong>in</strong>den. Dies ganz im Unterschied zu den dogmatischen Verständnissen,<br />
<strong>in</strong> welchen diese Macht e<strong>in</strong>gesetzt wird, um die aus den letzten Pr<strong>in</strong>zipien hergeleiteten Ziele<br />
zu verwirklichen.<br />
Die Sicht von Erziehung als Beziehung führt auch zu e<strong>in</strong>er anderen Interpretation von problematischen<br />
k<strong>in</strong>dlichen Verhaltensweisen. Bei den dogmatischen Verständnissen ist problematisches Verhalten e<strong>in</strong>e<br />
Abweichung des K<strong>in</strong>des von den göttlichen und elterlichen Vorgaben. Die Gründe für die Abweichung werden<br />
ausschliesslich im K<strong>in</strong>d selbst verortet, die Möglichkeiten zu se<strong>in</strong>er Auflösung alle<strong>in</strong>e bei den Eltern. Das<br />
autoritativ-partizipative Verständnis von problematischem Verhalten ist wesentlich komplexer und differenzierter.<br />
Problematisches Verhalten wird als Beziehungskonflikt <strong>in</strong>terpretiert. Konflikte s<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> erster<br />
L<strong>in</strong>ie moralisch konnotiert, z.B. als Störungen des Ideals e<strong>in</strong>er harmonischen Geme<strong>in</strong>schaft oder als Alarmzeichen,<br />
die das Scheitern von Erziehungsbemühungen anzeigen. Konflikt stellt vielmehr e<strong>in</strong> konstitutives<br />
Element e<strong>in</strong>er Beziehung zwischen Subjekten mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Zielen und Möglichkeiten<br />
dar.<br />
Auch das Verständnis für die Gründe von Konflikten ist komplexer. Neben Faktoren des K<strong>in</strong>des (z.B. das<br />
Temperament, vgl. Lask 2009, S. 27) werden auch externe, soziale Faktoren <strong>in</strong>s Spiel gebracht (Veeser,<br />
2010, S. 59). Im Unterschied zur dogmatischen Sicht stellen diese Faktoren aber ke<strong>in</strong>e Determ<strong>in</strong>anten des<br />
Verhaltens dar, sondern unterschiedliche persönliche Voraussetzungen oder Dispositionen, deren eigentliche<br />
Wirkung sich erst <strong>in</strong> der Beziehungsdynamik entfaltet: „Ob e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d problematisches Verhalten entwickelt<br />
oder nicht, hängt auch <strong>in</strong> starkem Masse davon ab, wie Eltern auf das Temperament der K<strong>in</strong>der reagieren.<br />
Zum Beispiel verlangen manche K<strong>in</strong>der sehr viel mehr Aufmerksamkeit oder s<strong>in</strong>d sehr lebhaft und sorgen<br />
häufig für Aufregung” (Lask 2009, S. 28). Das Verhalten steht nicht vor der Interaktion bereits fest, sondern<br />
ergibt sich zu e<strong>in</strong>em wesentlichen Teil erst aus dieser. Durch diese Sichtweise kommt, anders als beim<br />
stark personalistischen dogmatischen Verständnis, die Eigengesetzlichkeit des Sozialen <strong>in</strong> den Blick:<br />
„Zwischen Eltern und K<strong>in</strong>dern kann sich e<strong>in</strong>e Atmosphäre entwickeln, die mehr durch Ärger, Frustration und<br />
Stress geprägt ist als durch angenehme, liebevolle Momente. Das Beziehungskonto von Eltern und K<strong>in</strong>d<br />
steht dann stets <strong>in</strong> den roten Zahlen, und jede weitere negative Erfahrung führt das Konto weiter <strong>in</strong>s M<strong>in</strong>us”<br />
(Lask 2009, S. 28).<br />
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