Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt
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Dafür wurde auf Grundlage der E<strong>in</strong>zelrezensionen e<strong>in</strong> <strong>in</strong>terpretativer Vergleich vorgenommen mit dem Ziel,<br />
idealtypische <strong>Erziehungsverständnisse</strong> herauszuarbeiten, die mit Gewaltphänomenen und ihrer unterschiedlichen<br />
Intensität <strong>in</strong> Zusammenhang gebracht werden können. Die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit den Texten erfolgte<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Haltung, die von Richter (2002, S. 46) als „<strong>in</strong>terpretierendes Herangehen mit Wissen” bezeichnet<br />
wird.<br />
Zunächst wurden die Erziehungsratgeber und -kurse aufgrund des vorgefundenen Ausmasses an körperlicher<br />
und psychischer Gewalt <strong>in</strong> zwei Gruppen aufgeteilt. Die e<strong>in</strong>e Gruppe enthielt die Ratgeber und Kurse,<br />
bei welchen viele und <strong>in</strong>tensive Phänomene von physischer und psychischer Gewalt an K<strong>in</strong>dern beschrieben<br />
worden waren. Bei der zweiten Gruppe war viel weniger Gewalt vermerkt worden. Die Ratgeber <strong>in</strong> beiden<br />
Gruppen wurden dann bezüglich des vermittelten Welt- und Menschenbildes (Gottesbild, Bild des K<strong>in</strong>des,<br />
Fe<strong>in</strong>dbilder) sowie der erzieherischen Leitvorstellungen (Erziehungsmetapher, christliches Verständnis<br />
von Erziehung, Erziehungsziele und -methoden) analysiert. Welt- und Menschenbild und erzieherische Leitvorstellungen<br />
wurden unter dem Begriff Erziehungsverständnis zusammengefasst. Das idealtypische<br />
Erziehungsverständnis e<strong>in</strong>er Gruppe wurde durch Verdichtung der e<strong>in</strong>zelnen Unterthemen gewonnen: So<br />
wurden zum Beispiel die <strong>in</strong> den Ratgebern e<strong>in</strong>er Gruppe aufsche<strong>in</strong>enden Erziehungsziele durch Vergleich<br />
und Interpretation auf e<strong>in</strong>en geme<strong>in</strong>samen Oberbegriff zurückgeführt, welcher das für die Gruppe typische<br />
Erziehungsziel repräsentierte.<br />
Als nächstes wurde an den so gewonnenen Idealtypen gearbeitet. Die herausgeschälten <strong>Erziehungsverständnisse</strong><br />
wiesen nämlich e<strong>in</strong>e spezifische Eigenlogik auf, so dass sich manche der zuvor vorgenommenen<br />
Verdichtungen als noch zu ungenau herausstellten. Diese wurden im S<strong>in</strong>ne der Logik des Typus geschärft<br />
und die Anpassungen durch erneute Bezugnahme auf die Rezensionen überprüft. Während dieser Arbeit<br />
zeigte sich, dass die beiden idealtypischen Verständnisse noch weiter differenziert werden mussten. Durch<br />
erneute Unterteilung <strong>in</strong> Untergruppen und Vergleich der resultierenden <strong>Erziehungsverständnisse</strong> wurden<br />
schliesslich vier Idealtypen herausgearbeitet.<br />
Die Logik dieser Vorgehensweise wird von Richter (2002, S. 46) als Durchlaufen des „hermeneutischen Zirkels”<br />
beschrieben: „Ich konstruiere durch me<strong>in</strong>e an der Wirklichkeit geschulte Phantasie e<strong>in</strong>en Idealtypus,<br />
wende ihn auf die Wirklichkeit an, gew<strong>in</strong>ne neue Erfahrungen und konstruiere so vielleicht e<strong>in</strong>en neuen Idealtypus,<br />
wende diesen auf die Wirklichkeit an usw.” (Richter 2002, S. 46).<br />
Gewichtung und E<strong>in</strong>ordnung der Ratgeber<br />
Das Verhältnis zwischen Realität und Idealtypus ist nicht das der fotografischen Abbildung: „Der Idealtypus<br />
ist nie empirisch re<strong>in</strong> vorf<strong>in</strong>dbar. In der Realität gibt es unterschiedliche Masse an Übere<strong>in</strong>stimmung. Mit<br />
Hilfe des Idealtypus können verschiedene Formen der Realität verglichen werden” (Richter 2002, S. 46). Der<br />
Idealtypus hat ke<strong>in</strong>en erklärenden Charakter, er ist weder e<strong>in</strong>e Hypothese, noch enthält er solche. Es handelt<br />
sich vielmehr um e<strong>in</strong>e durch Interpretation und Vergleich gewonnene Systematisierung und Verdichtung<br />
e<strong>in</strong>es bestimmten Realitätsbereichs.<br />
Ke<strong>in</strong>es der <strong>in</strong> den rezensierten Ratgebern oder Kursen aufsche<strong>in</strong>enden Verständnisse von Erziehung entspricht<br />
bis <strong>in</strong>s Detail genau e<strong>in</strong>em Typus. In jedem Ratgeber bzw. Kurs f<strong>in</strong>den sich Elemente anderer Typen<br />
wieder oder auch Elemente, welche nicht e<strong>in</strong>ordenbar s<strong>in</strong>d. Die Zuordnung der Ratgeber zu e<strong>in</strong>em bestimmten<br />
Typ ergab sich aus der Nähe se<strong>in</strong>er Gesamtlogik zur Logik des entsprechenden typischen <strong>Erziehungsverständnisse</strong>s.<br />
Die <strong>in</strong>terpretative Bewertung der e<strong>in</strong>zelnen Ratgeber ist bis zu e<strong>in</strong>em bestimmten Grad subjektiv.<br />
Die vorliegende Typologie wurde deshalb von zwei Fachpersonen geme<strong>in</strong>sam, <strong>in</strong> <strong>in</strong>haltlich <strong>in</strong>tensiver<br />
Ause<strong>in</strong>andersetzung erarbeitet.<br />
8 Ergebnisse der vergleichenden Analyse<br />
In den rezensierten Ratgebern und Kursen fand sich e<strong>in</strong> breites Spektrum an unterschiedlichen Erziehungsansätzen.<br />
So wenig es die Erziehung gibt, so wenig kann von der <strong>evangelikalen</strong> Erziehung gesprochen werden.<br />
Das Ziel der vergleichenden Analyse der rezensierten Ratgeber und Kurse bestand dar<strong>in</strong>, den H<strong>in</strong>tergrund<br />
der angetroffenen Ersche<strong>in</strong>ungsformen von Gewalt auszuleuchten.<br />
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