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Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt

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9 Expertenstimme und Betroffenensicht<br />

Zum Schluss dieses Berichtes kommt der bekannte Erziehungsexperte Remo Largo <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview mit<br />

der Fachstelle <strong>in</strong>foSekta im Februar 2013 zu Wort. Ausserdem e<strong>in</strong>e junge Frau, die, wie viele junge Menschen<br />

mit evangelikalem H<strong>in</strong>tergrund, den Glauben ihrer Eltern nicht übernommen hat. In e<strong>in</strong>em fiktiven<br />

Brief an ihre Eltern beschreibt sie, was es für sie bedeutet hat, e<strong>in</strong>en anderen Weg als jenen e<strong>in</strong>zuschlagen,<br />

den ihre Eltern für sie vorgezeichnet hatten, jenen Weg, der als e<strong>in</strong>ziger zu ewigem Leben führt.<br />

9.1 Interview mit dem Erziehungsexperten Remo Largo<br />

geführt von <strong>in</strong>foSekta am 25. Februar 2013<br />

Zu den Folgen evangelikaler bzw. christlicher Erziehungsvorstellungen befragen wir den K<strong>in</strong>derarzt Prof.<br />

emer. Dr. Remo Largo. Er ist Verfasser e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>flussreichen Langzeitstudie über k<strong>in</strong>dliche Entwicklung und<br />

Autor mehrerer Ratgeber-Klassiker zu diesem Thema.<br />

Bei der Mehrzahl evangelikaler Erziehungsratgeber fällt die starke Betonung von Gehorsam auf. Nach Seaders<br />

und Zaugg (2011) sollte e<strong>in</strong> Zweijähriger, der an den Knöpfen der Stereoanlage herumspielt, sofort<br />

davon ablassen, wenn die Mutter das sagt, und auch der Fünfjährige sollte sofort kommen, wenn er zu Tisch<br />

gerufen wird. Es wird suggeriert, wenn das K<strong>in</strong>d nicht aufs Wort und sofort gehorche, entgleise es. Wie beurteilen<br />

Sie diese Forderung nach Gehorsam? Was ist Ihr Rat an Eltern, welche diesbezüglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zwiespalt<br />

s<strong>in</strong>d?<br />

Erziehung war und ist immer noch <strong>in</strong> zahlreichen Kulturen e<strong>in</strong>e autoritäre. Mir ist ke<strong>in</strong>e Kultur <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

bekannt, <strong>in</strong> der nicht e<strong>in</strong>e autoritäre Erziehung geherrscht hat. Dabei g<strong>in</strong>g es immer sehr stark um<br />

Hierarchie- und Machtstrukturen <strong>in</strong> der Lebensgeme<strong>in</strong>schaft, z.B. bezüglich der Stellung zwischen Mann<br />

e<strong>in</strong>erseits und Frau und K<strong>in</strong>der andererseits. Die autoritäre Erziehung war überwiegend von den Männern<br />

bestimmt. Die Mütter haben wohl zu allen Zeiten mehr k<strong>in</strong>d- und beziehungsorientiert erzogen.<br />

Die Schwarze Pädagogik wurde erst <strong>in</strong> den vergangenen 300 Jahren zunehmend h<strong>in</strong>terfragt. E<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>dorientierte<br />

Erziehung wurde nur sehr zögerlich umgesetzt. E<strong>in</strong>e breitflächige Umsetzung ist etwa 50 Jahre alt und<br />

längst noch nicht etabliert. Das Hauptproblem dabei ist: K<strong>in</strong>der gehorchen nicht, weil ihre Eltern so geniale<br />

Erzieher s<strong>in</strong>d, sondern weil sich die K<strong>in</strong>der an die Eltern b<strong>in</strong>den, ihre Liebe nicht verlieren wollen, deshalb<br />

gehorchen sie. E<strong>in</strong>e k<strong>in</strong>dorientierte Erziehung basiert also auf e<strong>in</strong>er guten Beziehungsqualität, die hohe Ansprüche<br />

an die erzieherische Kompetenz und das zeitliche Engagement von Eltern und anderen Bezugspersonen<br />

wie Erzieher<strong>in</strong>nen und Lehrpersonen stellt.<br />

Gibt es von Ihrer Seite Argumente für evangelikale Eltern, die Mühe haben mit der Vorstellung, schon ganz<br />

kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der müssten aufs Wort gehorchen?<br />

Die Bibel ist ja nicht nur e<strong>in</strong> Buch der Sünden und Anleitung, wie diese zu bekämpfen s<strong>in</strong>d. Sie handelt ja<br />

nicht nur von e<strong>in</strong>em strafenden Gott und Geboten, die zw<strong>in</strong>gend zu befolgen s<strong>in</strong>d. Diese höchst autoritäre<br />

Erziehungshaltung f<strong>in</strong>det sich vor allem im Alten Testament. Das Neue Testament, das ja für unseren Glauben<br />

wegleitend se<strong>in</strong> sollte, handelt von der Liebe und der Sorge um die Schwachen und dazu gehören auch<br />

die K<strong>in</strong>der. Jesus zeigt ja sehr viel Verständnis für die Schwachen und e<strong>in</strong>es se<strong>in</strong>er wichtigsten Anliegen ist<br />

die Nächstenliebe. Sollte die ausgerechnet den K<strong>in</strong>dern vorenthalten werden?<br />

In vielen der Ratgeber wird zu körperlicher Bestrafung geraten – allerd<strong>in</strong>gs ist das Spektrum breit. Manche<br />

raten dazu, K<strong>in</strong>der richtiggehend zu verprügeln, andere befürworten e<strong>in</strong>en Klaps auf das Gesäss oder die<br />

Hand. Wie beurteilen Sie körperliche Bestrafung vor dem H<strong>in</strong>tergrund Ihrer Erfahrung?<br />

„Wer se<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d lieb hat, der hält es stets unter Rute, dass er hernach Freude an ihm erlebe„ (Jesus Sirach<br />

30,1). Körperstrafe hat Tradition und ist immer noch weit verbreitet. Es ist aber heutzutage nur noch e<strong>in</strong>e<br />

kle<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>derheit von Eltern, die körperliche Bestrafung s<strong>in</strong>nvoll f<strong>in</strong>den und befürworten. Wenn Eltern den-<br />

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