Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt
Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt
Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
te Lektion, die das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> dieser Zeit lernen muss, ist, dass es e<strong>in</strong> Individuum ist, das e<strong>in</strong>er höheren Autorität<br />
untersteht” (ebd., S. 160).<br />
Dass es dabei ke<strong>in</strong>esfalls um e<strong>in</strong>e bloss verhaltensmässige, äusserliche, „gesetzliche” (Ezzo & Ezzo 2006,<br />
S. 45) Form der Unterwerfung geht, sondern darum, das Pr<strong>in</strong>zip der Unterwerfung zu ver<strong>in</strong>nerlichen, wird<br />
immer wieder betont. Typisch für das dogmatisch-machtorientierte Erziehungsverständnis ist die Sicht der<br />
Welt durch den Filter e<strong>in</strong>es rigiden Entweder-Oders. Es gibt nur die Alternative zwischen der „Autorität der<br />
Eltern und der Autorität des K<strong>in</strong>des” (Tripp 2009), „körperlicher Züchtigung und Anarchie” (Pearl & Pearl<br />
2008) oder „Erlösung und ewiger Verdammnis” (Tripp 2009).<br />
Gottesbild<br />
Das dogmatisch-machtorientierte Erziehungsverständnis ist durch das Bild e<strong>in</strong>es zornigen, rächenden Gottes<br />
gekennzeichnet: Jesus Christus spielt e<strong>in</strong>e eher untergeordnete Rolle. Wenn er <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung tritt, dann<br />
als Bote se<strong>in</strong>es allmächtigen Vaters: „Ich will euch aber zeigen, vor welchem ihr euch fürchten sollt: Fürchtet<br />
euch vor dem, der, nachdem er getötet hat, auch Macht hat zu werfen <strong>in</strong> die Hölle. Ja, ich sage euch, vor<br />
dem fürchtet euch” (Lk 12,5; zit. nach Pearl & Pearl 2008, S. 56).<br />
Fe<strong>in</strong>dbilder<br />
Die rigide Entweder-Oder-Sicht fördert die Entstehung von Fe<strong>in</strong>dbildern. Beim dogmatisch-machtorientierten<br />
Erziehungsverständnis werden aber nicht die klassischen <strong>evangelikalen</strong> Fe<strong>in</strong>dbilder wie e<strong>in</strong>e Gesellschaft<br />
ohne Werte, der Humanismus oder die antiautoritäre Erziehung beschworen. Externe Fe<strong>in</strong>dbilder kommen<br />
kaum vor oder werden nur andeutungsweise erwähnt. So gibt es bei Tripp (2009, S. 67f) e<strong>in</strong> Kapitel, welches<br />
die Überschrift „Die Heilige Schrift warnt vor dem E<strong>in</strong>fluss der Gesellschaft” trägt. In diesem Kapitel<br />
werden aber nicht etwa diese schädlichen gesellschaftlichen E<strong>in</strong>flüsse abgehandelt, sondern biblische Erziehungsziele.<br />
Wenn <strong>in</strong> dieser Gruppe von Ratgebern überhaupt externe Fe<strong>in</strong>dbilder auftauchen, dann allenfalls<br />
<strong>in</strong> Gestalt von e<strong>in</strong> paar naiven Humanisten (Ezzo & Ezzo 2006) oder besorgten Eltern, die den Unterschied<br />
zwischen „wahrer Liebe und Sentimentalität” (Pearl & Pearl 2008, S. 40) nicht kennen und deshalb<br />
vor konsequenter Zucht und Diszipl<strong>in</strong>ierung zurückschrecken. Beim machtorientierten Verständnis muss der<br />
Fe<strong>in</strong>d an e<strong>in</strong>em anderen Ort gesucht werden, er bef<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong>nerhalb der Ingroup selbst: Erschütternderweise<br />
ist der Fe<strong>in</strong>d das K<strong>in</strong>d.<br />
Bild des K<strong>in</strong>des<br />
Das dem dogmatisch-machtorientierten Typus von Ratgebern <strong>in</strong>newohnende Bild des K<strong>in</strong>des lässt sich am<br />
besten als „das rebellische K<strong>in</strong>d” beschreiben. Das K<strong>in</strong>d wird <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie aus der Optik der zentralen<br />
Überzeugung betrachtet, gegen welche es dauernd verstösst. Jede Äusserung von Autonomie wird als Auflehnung<br />
gegen Gott <strong>in</strong>terpretiert. Sünde als Verstoss gegen das Gebot der Unterwerfung wird dem K<strong>in</strong>d als<br />
Wesenskern zugeschrieben: „Gott sagt, dass im Herzen des K<strong>in</strong>des etwas verkehrt ist, Narrheit oder Torheit<br />
haftet an se<strong>in</strong>em Herzen. Diese Narrheit muss entfernt werden, denn sie stellt für das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Gefahr dar<br />
[...] Der Tor ist derjenige, der ke<strong>in</strong>e Zurechtweisung annimmt. Der Tor ist derjenige, der sich ke<strong>in</strong>er Autorität<br />
beugt [...]” (Tripp 2009, S. 132).<br />
8.2.2 Erziehungsleitbild<br />
Erziehungsmetaphern<br />
Im dogmatisch-machtorientierten Erziehungsverständnis sche<strong>in</strong>en vor allem die Metaphern von „Erziehung<br />
als Zucht und Diszipl<strong>in</strong>” und „Erziehung als herstellendes Machen” auf: „Ich habe e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d gemacht,<br />
das ich nicht mag” (Pearl & Pearl 2008, S. 26). Die Bilder des Machens entstammen teilweise dem Repertoire<br />
des Handwerkers, wenn beispielsweise vom „Formen des k<strong>in</strong>dlichen Herzens” (Ezzo & Ezzo 2006, S.<br />
139) die Rede ist. Bei Pearl & Pearl (2008) ist das Machen eher das e<strong>in</strong>es Dompteurs, der durch Konditionierung<br />
das gewünschte Verhalten erzeugt: „Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g setzt nicht unbed<strong>in</strong>gt voraus, dass, wer tra<strong>in</strong>iert wird,<br />
vernunftfähig ist; sogar Mäuse und Ratten können dazu tra<strong>in</strong>iert werden, auf e<strong>in</strong>en Reiz zu reagieren [...]<br />
Kann e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d dann nicht dazu erzogen werden, etwas nicht anzufassen?” (Pearl & Pearl 2008, S. 2).<br />
22