Erziehungsverständnisse in evangelikalen ... - Bieler Tagblatt
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8.1 Die vier idealtypischen <strong>Erziehungsverständnisse</strong><br />
Wie oben ausgeführt, wurden die Ratgeber und Kurse aufgrund der vorgefundenen Gewaltphänomene <strong>in</strong><br />
zwei Gruppen e<strong>in</strong>geteilt. Es zeigte sich, dass sich die beiden Gruppen durch zwei pr<strong>in</strong>zipiell unterschiedliche<br />
Perspektiven, die gegenüber dem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>genommen werden, auszeichnen.<br />
Im Verständnis der ersten Gruppe wird das K<strong>in</strong>d nur aus der Perspektive biblischer Pr<strong>in</strong>zipien oder Überzeugungen<br />
betrachtet. Diese Pr<strong>in</strong>zipien werden durch den Bezug auf Gott als höchste Autorität legitimiert<br />
und für absolut wahr gehalten. Alles wird systematisch aus den biblischen Pr<strong>in</strong>zipien abgeleitet: Sie legen<br />
gleichzeitig fest, wie das K<strong>in</strong>d ist, wie es zu se<strong>in</strong> hat und welche Methoden man <strong>in</strong> der Erziehung e<strong>in</strong>setzen<br />
muss, um se<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> <strong>in</strong> das Sollen überzuführen. Das <strong>in</strong> diesem Verständnis aufsche<strong>in</strong>ende Bild des K<strong>in</strong>des<br />
ist undifferenziert. Es kommt nur <strong>in</strong> den Blick, was den Überzeugungen zum Se<strong>in</strong> des K<strong>in</strong>des entspricht.<br />
Gleichzeitig wird das K<strong>in</strong>d sehr stark an e<strong>in</strong>er idealen Vorstellung gemessen. Dadurch ersche<strong>in</strong>en alle k<strong>in</strong>dlichen<br />
Ausdrucksformen vor allem unter dem Aspekt der Abweichung und des Defizitären. Mit dieser grundsätzlichen<br />
Perspektive auf das K<strong>in</strong>d gehen <strong>in</strong> den rezensierten Ratgebern dieser Gruppe weitere Phänomene<br />
e<strong>in</strong>her. So lässt sich bei diesem Verständnis auch e<strong>in</strong>e starke Tendenz zu Schwarz-Weiss-Denken beobachten.<br />
Entweder entspricht etwas dem durch die biblischen Pr<strong>in</strong>zipien festgelegten Welt- und Menschenbild<br />
– dann ist es gut – oder nicht – dann ist es böse. Zudem werden immer wieder Fe<strong>in</strong>dbilder beschworen.<br />
Beim Erziehungsverständnis der zweiten Gruppe steht das K<strong>in</strong>d im Vordergrund. Erziehungspr<strong>in</strong>zipien<br />
leiten sich nicht von e<strong>in</strong>er absoluten letzten Wahrheit her, sondern orientieren sich am gegenwärtigen Stand<br />
des menschlichen Wissens, wie es durch die Wissenschaft repräsentiert wird. Die Pr<strong>in</strong>zipien werden zudem<br />
grundsätzlich von den Bedürfnissen des K<strong>in</strong>des und auch der Eltern hergeleitet. Das Bild des K<strong>in</strong>des wirkt<br />
sehr viel differenzierter. Zudem wird k<strong>in</strong>dliches Verhalten und Erleben nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>e bewertet und auf<br />
Abweichung geprüft, sondern zu verstehen versucht. Ersche<strong>in</strong>t im obigen Verständnis Erziehung als Technik,<br />
wird bei diesem Verständnis Erziehung vor allem als Beziehung verstanden.<br />
Im Verständnis der ersten Gruppe sche<strong>in</strong>t vieles von dem auf, was Rokeach (1960) als geschlossene Weltsicht<br />
bezeichnet hat. In Anlehnung an Rokeach wurde deshalb das Erziehungsverständnis der ersten Gruppe<br />
als dogmatisch-geschlossen bezeichnet. Beim Verständnis der zweiten Gruppe f<strong>in</strong>den sich viele Elemente<br />
des beschriebenen autoritativen Erziehungsstils wieder, weshalb diesem Typus die Bezeichnung<br />
autoritativ-offen gegeben wurde.<br />
Bei der Gruppe mit dem dogmatischen Verständnis unterscheiden sich die Ratgeber weiter dar<strong>in</strong>, an welchen<br />
Aspekten der vorgezeichneten biblischen Wahrheit sie sich orientieren. Bei manchen dieser Ratgeber<br />
steht die Unterwerfung unter den Willen e<strong>in</strong>er höchsten Autorität stark im Vordergrund, bei anderen ist es die<br />
Betonung der biblischen Wahrheit und das Erreichen e<strong>in</strong>es biblischen Ideals. Es wird deshalb im Folgenden<br />
vom dogmatisch-machtorientierten bzw. vom dogmatisch-wahrheitsorientierten Erziehungsverständnis<br />
gesprochen.<br />
Bei der Gruppe mit dem autoritativen Verständnis wird zwar grundsätzlich vom K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>en Bedürfnissen<br />
her gedacht. Bei manchen Ratgebern dieser Gruppe wird diese k<strong>in</strong>dzentrierte Sichtweise aber immer<br />
wieder durch starre, aus der Bibel abgeleitete Pr<strong>in</strong>zipien durchbrochen. Dieses Erziehungsverständnis wird<br />
als autoritativ-dogmatisch bezeichnet. Bei den beiden dem autoritativ-partizipativen Verständnis zugerechneten<br />
Ratgebern f<strong>in</strong>den sich ke<strong>in</strong>e Elemente des dogmatische Typus.<br />
Die vier idealtypischen <strong>Erziehungsverständnisse</strong> s<strong>in</strong>d zusammengefasst:<br />
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das dogmatisch-machtorientierte Verständnis<br />
das dogmatisch-wahrheitsorientierte Verständnis<br />
das autoritativ-dogmatische Verständnis<br />
das autoritativ-partizipative Verständnis<br />
8.2 Das dogmatisch-machtorientierte Erziehungsverständnis<br />
Die mit dem dogmatisch-machtorientierten Verständnis e<strong>in</strong>hergehende Weltsicht ist sehr geschlossen. Im<br />
Zentrum stehen letzte durch Bezug auf e<strong>in</strong>e höhere Autorität legitimierte Pr<strong>in</strong>zipien, die als Begründungen<br />
für das vertretene Erziehungsverständnis herangezogen werden. Beim dogmatisch-machtorientierten<br />
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