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JUGENDSTIL<br />
erster kunstgewerblicher Entwürfe<br />
auf. Aufgrund der enormen Anerkennung<br />
für sein Erstlingswerk Haus<br />
„Bloemenwerf" wandte sich Henry<br />
van de Velde endgültig der Innenarchitektur<br />
zu und stattete daraufhin<br />
vier Räume für Samuel Bings Salon<br />
L’Art Nouveau in Paris aus. Fielen diese<br />
Raumschöpfungen bei den französischen<br />
Kritikern zunächst noch in<br />
Ungnade, verhalfen die gleichen Interieurs<br />
Henry van de Velde auf der<br />
Internationalen Kunstausstellung in<br />
Dresden im Jahr 1897 zum Durchbruch<br />
in Deutschland. Der schlagartige<br />
Erfolg veranlasste den Künstler<br />
zum Umzug nach Berlin, dem zahlreiche<br />
Aufträge unter anderem von<br />
der Galerie Keller & Reiner, dem<br />
Kunsthaus Cassirer, Harry Graf Kessler<br />
sowie Karl Ernst Osthaus in Hagen<br />
folgen sollten. Die ersten Keramiken<br />
aus der Berliner Schaffenszeit<br />
sind ab 1901/1902 belegbar, als er im<br />
Auftrag der preußischen Regierung<br />
Entwürfe für die Steinzeugfabrikanten<br />
im Westerwald fertigte – gleich<br />
seinen bekannten Künstlerkollegen<br />
Zahlreiche thüringische Gewerbeund<br />
Handwerksbetriebe wurden von<br />
ihm beraten oder erhielten aufgrund<br />
seiner Vermittlung lukrative Aufträge,<br />
so z.B. die Firma für Korbmöbel in<br />
Tannroda, der Hofjuwelier Theodor<br />
Müller oder der Hofkunsttischler<br />
Scheidemantel aus Weimar. So besuchte<br />
van de Velde bereits während<br />
seines ersten Weimarer Dienstjahres<br />
mehrere Töpfereien und Tonwarenfabriken<br />
in Bürgel, existierten immerhin<br />
um 1903 rund 16 Geschirr- und<br />
vier Kunsttöpfereien in dem traditionsreichen<br />
Ort. Darüber hinaus beriet<br />
er Porzellanmanufakturen, wie<br />
die Ilmenauer Porzellanfabrik und<br />
die Porzellanmanufaktur Burgau von<br />
Ferdinand Selle, die laut Henry van<br />
de Velde „die erste Fabrik" darstellte,<br />
„deren Betrieb einzig auf die Fabrikation<br />
von Gegenständen im moderdes<br />
Jugendstils, Peter Behrens und<br />
Richard Riemerschmid.<br />
Auf Empfehlung von Harry Graf<br />
Kessler und Nietzsches Schwester,<br />
Elisabeth Förster-Nietzsche, berief<br />
1902 der junge Großherzog Wilhelm<br />
Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach<br />
van de Velde zum „Berater für die<br />
Industrie und Kunstgewerbe" nach<br />
Weimar, um das Kunsthandwerk in<br />
Thüringen nachhaltig zu fördern. Zu<br />
diesem Zweck gründete van de Velde<br />
ein kunstgewerbliches Seminar, aus<br />
der die Großherzogliche Kunstgewerbeschule<br />
hervorging, für deren<br />
Gebäude er als Architekt verantwortlich<br />
zeichnete und die er bis zu<br />
ihrer Schließung im Jahr 1915 leitete.<br />
Der Unterricht zielte vorrangig auf<br />
die Ausbildung von Zeichnern und<br />
Modelleuren, die in den Werkstätten<br />
für Buchbinderei, Keramik, Metallarbeiten<br />
und Ziselieren, Email und textiles<br />
Gestalten sowie in künstlerischen<br />
und technischen Fachkursen<br />
u.a. Prototypen im neuen Stil für die<br />
serielle Herstellung erarbeiteten.<br />
Das Kopieren historistischer Formenkanons<br />
zu Studienzwecken empfand<br />
Henry van de Velde als gänzlich ungeeignet.<br />
Unter seiner Ägide nahm<br />
die Schule maßgeblichen Einfluss<br />
auf die Gestaltung von kunstgewerblichen<br />
Exponaten in Thüringen,<br />
aber auch über die Grenzen des<br />
Großherzogtums hinaus. Der Nährboden<br />
für die wohl innovativste<br />
Kunstschule des 20. Jahrhundert war<br />
bereitet, ging doch aus dieser 1919<br />
das legendäre Bauhaus hervor.<br />
BÜRGEL<br />
Vase V16, Henry van de Velde (Entwurf )<br />
/ Hofkunsttöpferei Franz Eberstein (Ausführung),<br />
um 1905, Privatbesitz (Foto:<br />
Wolfgang Philler)<br />
Kleine Vierkantvase mit verschiedenen<br />
Laufglasuren, Henry van de Velde (Entwurf<br />
zugeschrieben) / Franz Eberstein,<br />
Max Hohenstein und Carl Fischer, Bürgel<br />
(Ausführung), ab ca. 1910 bis ca. 1930,<br />
Keramik-Museum Bürgel, Sparkassen-<br />
Kulturstiftung Hessen-Thüringen und<br />
Privatbesitz (Foto: Wolfgang Philler)