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Cicero Kein Recht auf Randale (Vorschau)

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SALON<br />

Porträt<br />

FREMD IN DER HEIMAT<br />

Der Schriftsteller David Henry Hwang zählt zu den wichtigsten Dramatikern der<br />

Vereinigten Staaten. Trotz aller Erfolge erfährt er die Grenzen der Integration<br />

Von SEBASTIAN MOLL<br />

Das zweite Stockwerk des Signature<br />

Theatre ist zum Bersten gefüllt<br />

an diesem Donnerstagnachmittag.<br />

Studenten sitzen an Tischen,<br />

trinken Kaffee und nutzen den hohen<br />

Raum an der 42. Straße, um Seminararbeiten<br />

zu schreiben. Ein Hauch von<br />

Mensa weht durch die von Frank Gehry<br />

gestaltete Halle, die sich am Abend dann<br />

in das Foyer einer der bedeutendsten dramatischen<br />

Bühnen New Yorks verwandeln<br />

wird. Mitten unter den jungen Menschen<br />

sitzt David Henry Hwang in Jeans<br />

und Sneakers und saugt einen Erdbeermilchshake<br />

durch einen Strohhalm. Verrieten<br />

die silbernen Haarsträhnen nicht<br />

seine 55 Jahre, fiele Hwang nicht weiter<br />

<strong>auf</strong>.<br />

Es ist typisch für den sinoamerikanischen<br />

Bühnenschriftsteller, sich so einzufügen.<br />

Er fällt nicht gerne <strong>auf</strong>. Dabei<br />

ist er hier gewissermaßen der Hausherr.<br />

Für ein Jahr hat das Theater seine Bühne<br />

an Hwang abgetreten, er darf nach Herzenslust<br />

proben, produzieren und <strong>auf</strong>führen.<br />

Es ist eine der höchsten Ehrungen im<br />

amerikanischen Theater, zu seinen Vorgängern<br />

am Signature gehören Arthur<br />

Miller, Edward Albee und Sam Shepard.<br />

Hwang ist einer der bedeutendsten<br />

amerikanischen Bühnenschriftsteller der<br />

Gegenwart. Vor 25 Jahren eroberte der<br />

Sohn eines Einwanderers aus Schanghai<br />

mit „M Butterfly“ den Broadway. Das<br />

Stück soll 30 Millionen Dollar eingespielt<br />

haben und wurde von David Cronenberg<br />

mit Jeremy Irons und Barbara<br />

Sukowa verfilmt. Wenn das amerikanische<br />

Feuilleton von Hwang spricht, dann<br />

spricht es jedoch trotz beeindruckender<br />

Erfolge nie von einem großen amerikanischen<br />

Dramatiker. Immer muss Hwang<br />

den Zusatz des „asiatisch-amerikanischen“<br />

Künstlers ertragen, obwohl er in<br />

Kalifornien <strong>auf</strong>gewachsen ist und seine<br />

Mandarin-Kenntnisse bestenfalls rudimentär<br />

sind.<br />

Daran, dass Hwang im Bewusstsein<br />

der US-Öffentlichkeit die Stimme der asiatischen<br />

Minderheit und das Gesicht der<br />

asiatisch-amerikanischen Literatur ist, ist<br />

er freilich nicht unschuldig. Seit er Ende<br />

der siebziger Jahre vor Kommilitonen<br />

sein erstes Stück „FOB“ über neu angekommene<br />

Einwanderer <strong>auf</strong>führte, kreisen<br />

seine Stücke darum, was es bedeutet,<br />

ein asiatisch-stämmiger Amerikaner<br />

zu sein. „Ich glaube, das Mysterium der<br />

Identität ist nicht da, um entschlüsselt zu<br />

werden“, sagt er. Nicht zuletzt deshalb<br />

geht er das Thema selten direkt an. Seine<br />

Stücke bewegen sich fast immer <strong>auf</strong> der<br />

Metaebene. Sie drehen sich darum, wie<br />

Identitäten konstruiert werden, anstatt<br />

Identitäten direkt zu erforschen. „Mich<br />

interessiert es, wie man zwischen Vorurteilen<br />

und Klischees ein authentisches<br />

Selbst finden kann.“<br />

DAMIT STÖSST HWANG <strong>auf</strong> das Kernproblem<br />

der asiatisch-stämmigen Minderheit<br />

in den USA – der am schnellsten<br />

wachsenden Gruppe der Einwanderernation.<br />

„Wir sind die ewigen Fremden, auch<br />

wenn wir hier <strong>auf</strong>gewachsen sind. Das<br />

Einfachste für die meisten von uns ist es,<br />

sich in das zu fügen, was von uns erwartet<br />

wird“, sagt er. So, wie etwa in die<br />

Rolle des Un<strong>auf</strong>fälligen, in der Hwang<br />

sich am wohlsten fühlt.<br />

Seine künstlerische Strategie, die bedrängenden<br />

ethnischen Klischees zu entkräften,<br />

ist es, sie zu dekonstruieren, da<br />

ist Hwang ganz Kind der achtziger Jahre,<br />

als Debatten um Multikulturalismus und<br />

französische Theorie das intellektuelle<br />

Klima bestimmten. „Ich will zeigen, wie<br />

nutzlos in unserer Welt Kategorien von<br />

Rasse und Ethnizität sind, wenn es um<br />

die Beurteilung von Menschen geht.“<br />

Deshalb zeigt er in seinen Stücken, wie<br />

diese Kategorien scheitern.<br />

In „M Butterfly“ etwa glaubt der<br />

französische Diplomat René Gallimard,<br />

sich in eine unterwürfige chinesische<br />

Frau zu verlieben. Am Ende des Stückes<br />

stellt diese sich jedoch als männlicher<br />

Spion heraus: „Ich habe eine Lüge<br />

geliebt“, sagt ein völlig zerstörter Gallimard,<br />

ehe er sich umbringt.<br />

Sein jüngster Broadway-Erfolg,<br />

„Chinglish“, weidet sich an den Verhandlungen<br />

zwischen einem amerikanischen<br />

Geschäftsmann und einem chinesischen<br />

Provinzpolitiker, bei denen sprachliche<br />

und kulturelle Übersetzungsfehler zu<br />

immer wilderen Verflechtungen führen.<br />

Wie schon bei „M Butterfly“ kippen diese<br />

Fehlübersetzungen vom Komischen ins<br />

Tragische, als es um die Liebe geht. Die<br />

Liebe als Schlachtfeld der größten und<br />

folgenreichsten Missverständnisse im Leben<br />

– dieses Thema lässt Hwang ebenso<br />

wenig los. Gewiss liefert ihm dazu seine<br />

17 Jahre währende Ehe mit der amerikanischen<br />

Schauspielerin Kathryn Layng<br />

reichlich Stoff.<br />

Sein derzeitiges Projekt, ein Tanzund<br />

Musikstück über Bruce Lee, feierte<br />

Anfang Februar 2014 im Signature Premiere.<br />

Warum Bruce Lee? „Er hat das<br />

Bild des asiatischen Mannes grundlegend<br />

geändert. Er hat ihm Eier gegeben.“<br />

Das Foyer des Signature Theaters hat<br />

sich geleert. Hwangs Milchshake ist ausgetrunken,<br />

er entsorgt den leeren Becher<br />

und verabschiedet sich höflich. Dann entschwindet<br />

er in die anonyme Menschenmasse,<br />

die sich die 42. Straße hinunter in<br />

Richtung Times Square wälzt.<br />

SEBASTIAN MOLL lebt seit 15 Jahren in<br />

New York. Wie Hwang fasziniert es ihn,<br />

wie in diesem Schmelztiegel Identitäten<br />

konstruiert werden<br />

Foto: Kai Nedden für <strong>Cicero</strong><br />

112<br />

<strong>Cicero</strong> – 3. 2014

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