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WELTBÜHNE<br />
Porträt<br />
HERRN FICOS GESPÜR FÜR MACHT<br />
Er regiert mit absoluter Mehrheit, seine Seilschaften reichen bis in die höchsten<br />
Justizämter. Robert Fico, Premier der Slowakei, will jetzt Staatspräsident werden<br />
Von VINZENZ GREINER<br />
Die Frage musste kommen. Robert<br />
Fico hat sie erwartet. Wie jeder<br />
der Journalisten im Raum. Wie<br />
die ganze Slowakische Republik. Verlöre<br />
er, der mächtige Premier, nicht ein gutes<br />
Stück Macht, wenn er Präsident würde?<br />
Es ist das einzige Mal, dass Fico ungehalten<br />
wird. Er lächelt, lacht beinahe seine<br />
Antwort: „Lesen Sie sich die Verfassung<br />
durch und urteilen Sie dann.“ Der Ton<br />
sagt mehr als die Worte: Darin schwingt<br />
vor allem Freude über seinen Coup, der<br />
ihn zum mächtigsten Mann machen soll,<br />
den es in der Slowakei je gegeben hat.<br />
Nach der Verfassung des Landes<br />
wird der Präsident direkt gewählt, er<br />
vertritt die Slowakei nach außen und ist<br />
Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Gesetzesvorhaben<br />
kann er nur verzögern.<br />
Das Land regieren vor allem der Premierminister<br />
und sein Kabinett – aber das<br />
reicht Fico nicht.<br />
Wer die Strategie dieses Mannes verstehen<br />
will, muss in seine Vergangenheit<br />
blicken. Im Oktober 2011 soll das slowakische<br />
Parlament der Erweiterung des<br />
Euro-Rettungsschirms zustimmen. Ficos<br />
Sozialdemokraten sind damals in der<br />
Opposition. Eigentlich hat er sich für den<br />
Rettungsschirm ausgesprochen. Als aber<br />
klar wird, dass die Regierung keine eigene<br />
Mehrheit hat, ändert Fico seine Linie<br />
und setzt sie in der Partei durch. Das<br />
Nein der Sozialdemokraten zwingt die<br />
Regierung zu Verhandlungen. Fico winkt<br />
die Erweiterung erst durch, als die Regierung<br />
ihm etwas zusagt: Neuwahlen.<br />
Im März 2012 gewinnt er die absolute<br />
Mehrheit im Parlament. Fico ist am Ziel.<br />
Sein Gespür für die Machttektonik und<br />
die Stimmung im Volk hat ihn nicht getäuscht.<br />
Es hat ihn noch nie getäuscht.<br />
Bereits zu Beginn seiner politischen<br />
L<strong>auf</strong>bahn weiß Fico seine Möglichkeiten<br />
kalt abzuwägen. Mitte der Neunziger ist<br />
er einer der Hoffnungsträger der reformierten<br />
kommunistischen Partei, ahnt<br />
aber, dass sie ihm keine Perspektiven bietet.<br />
Er gründet 1999 Smer („Richtung“),<br />
die 2005 als Smer-SD alle linken Parteien<br />
<strong>auf</strong>gesogen haben wird. Ein Jahr<br />
später schmiedet er eine Koalition mit<br />
der rechtsextremen Nationalpartei und<br />
den Nationalkonservativen. Eine Allianz,<br />
die jenseits der slowakischen Grenzen<br />
<strong>auf</strong> Kritik stößt. Die Sozialdemokraten<br />
im EU-Parlament schließen die Smer-<br />
SD aus ihrer Fraktion aus. Fico rührt<br />
das nicht. Er erkennt, dass romafeindliche<br />
Töne und Hetze gegen die ungarische<br />
Minderheit bei den Wählern größere Zustimmung<br />
finden als Europa und Freiheit.<br />
EIN IDEOLOGE IST FICO NICHT. Er erkennt<br />
nur Möglichkeiten und nutzt sie.<br />
Im Fußball brauchen Stürmer dieses Gespür<br />
für Chancen – und Durchsetzungsstärke.<br />
Der fußballbegeisterte Premier<br />
hat beides. Auf dem Platz wie in der Politik<br />
greift er an. Als Kind hat er jede<br />
freie Minute beim Bolzen verbracht.<br />
Heute sagt er: „Fußball ist der Sport eines<br />
Burschen vom Dorf.“<br />
Fico ist der Dorfjunge geblieben. In<br />
ungeschliffenem Slowakisch spricht er<br />
nicht von erfolgreichem Regieren, sondern<br />
von „gemachten Haus<strong>auf</strong>gaben“.<br />
Ständig ist er unterwegs, um Alte zu herzen,<br />
Arbeiterhände zu schütteln und, wie<br />
er sagt, „irgendwelche Grundsteine“ zu<br />
legen. Aus den schwachen ländlichen Regionen<br />
zieht er seine Stärke. Ficos Mantra<br />
von Sicherheit und paternalistischem<br />
Staat bedient die Sehnsüchte vieler Slowaken.<br />
Er versteht die kleinen Leute, er<br />
betrachtet sich als einen der Ihren – einen,<br />
der es geschafft hat.<br />
Gegen Ficos Populismus haben<br />
seine Gegner – Konservative, Intellektuelle<br />
und liberale Medien – kein Mittel<br />
gefunden. Jeder ihrer Angriffe ist am<br />
49-Jährigen abgeprallt. Zwar gibt es ein<br />
Abhörprotokoll, das den Verdacht nahelegt,<br />
Fico sei in den größten Korruptionsskandal<br />
des Landes verwickelt – beweisen<br />
konnte man ihm nichts. Auch dass<br />
Fico zwei seiner Vertrauten in Schlüsselpositionen<br />
des Staates platziert hat – den<br />
einen als Generalstaatsanwalt, den anderen<br />
als Präsidenten des Obersten Gerichtshofs<br />
–, war ganz legal. Ohnmächtig<br />
sehen Ficos Widersacher seiner jüngsten<br />
Volte zu: sein plötzliches Bekenntnis zu<br />
seiner „starken katholischen Prägung“.<br />
Scheinheilig sei das, rufen sie.<br />
Fico verachtet seine Gegner: die Eliten,<br />
die Städter. Er hat nicht vergessen,<br />
wie hart er als zweites von drei Arbeiterkindern<br />
kämpfen musste, um in Bratislava<br />
Jura studieren zu können. Bei den<br />
vermeintlich Privilegierten, denen „Tennis<br />
wichtiger als <strong>Recht</strong>“ war. Wie können<br />
ausgerechnet diese Leute es wagen,<br />
sein „starkes soziales Empfinden“ infrage<br />
zu stellen?, empört er sich. Das ist,<br />
als wäre die gegnerische Mannschaft in<br />
seinen Strafraum eingedrungen – aber er<br />
kontert und beschimpft die Gegner.<br />
Nun die Kehrtwende. Seit Wochen<br />
vermeidet Fico Konfrontationen. Nichts<br />
soll seinen wichtigsten Spielzug gefährden:<br />
Sein Zögling und Vertrauter, Innenminister<br />
Robert Kalinák, steht bereit, die<br />
Regierung in Ficos Sinne weiterzuführen.<br />
Seine Freunde hat er bereits in der Justiz<br />
postiert. Es fehlt nur noch der Einzug in<br />
den Präsidentenpalast. Wenn seine Strategie<br />
<strong>auf</strong>geht, wird er nach dem 15. März<br />
alle Gewalt in der Slowakei – formell<br />
oder informell – in den Händen halten.<br />
VINZENZ GREINER ist Volontär bei<br />
<strong>Cicero</strong>. Als er 2010 in Bratislava studierte,<br />
galt es an der Uni als schick, Robert Fico<br />
herunterzumachen<br />
Foto: Charlie BIBBY/Financial Times/REA/laif<br />
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<strong>Cicero</strong> – 3. 2014