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Fotos: Malte Christians/Picture Alliance/dpa (Seiten 16 bis 17), Thielker/Ullstein Bild<br />
Schanzenviertel ist seit 1989 besetzt und<br />
dient seither als „autonomes Zentrum“.<br />
Für die Autonomen ist die Flora ungefähr<br />
so symbolträchtig wie der Kölner Dom<br />
für rheinländische Katholiken.<br />
HAMBURG<br />
An Anlässen für eine Kraftprobe mit der<br />
Hamburger Regierung herrschte also kein<br />
Mangel. Und dass sich etwas zusammenbraute,<br />
dafür gab es deutliche Zeichen.<br />
Zum Beispiel den Angriff einer Gruppe<br />
von etwa 150 Leuten <strong>auf</strong> die berühmte<br />
Davidwache am Vorabend der Demonstration,<br />
bei der Fenster und Polizeiautos<br />
beschädigt wurden. Die Zeichen standen<br />
unverkennbar <strong>auf</strong> Sturm, doch aus dem<br />
Sturm wurde am nächsten Tag ein Orkan:<br />
Rund 7000 Menschen hatten sich zusammengefunden,<br />
um zu demonstrieren – darunter<br />
nach heutiger Erkenntnis des Verfassungsschutzes<br />
4000 Gewaltbereite.<br />
Dass solche Zahlen immer mit Vorsicht<br />
zu genießen sind, liegt <strong>auf</strong> der Hand.<br />
Ziemlich sicher ist allerdings, dass wesentlich<br />
mehr Krawallmacher <strong>auf</strong>marschiert<br />
waren, als die Hamburger Linksextremisten<br />
zu bieten haben. Unklar ist<br />
nach wie vor, woher sie alle kamen. Denn<br />
nur aus anderen Städten angereiste Gesinnungsgenossen<br />
können es nicht gewesen<br />
sein – so viele gibt das militante Reservoir<br />
an Linksradikalen kaum her.<br />
Die Polizei musste jedenfalls feststellen,<br />
dass etliche in Gewahrsam genommene<br />
Gewalttäter zuvor noch nie<br />
als politische Extremisten <strong>auf</strong>gefallen<br />
waren. Für sie existiert sogar ein offizieller<br />
Begriff: „gewalt- und erlebnisorientierte<br />
Jugendliche“. Das klingt ziemlich<br />
abstrakt. Ein Ermittler, der sich mit dieser<br />
Klientel auskennt, sagt es deutlicher:<br />
„Das sind Feierabend-Krawallos, die unter<br />
der Woche Bausparverträge in der<br />
Provinz verk<strong>auf</strong>en.“<br />
Michael Neumann, 43 Jahre alt, ist<br />
Hamburger Innensenator. Er war Zeitsoldat<br />
und hat bei der Bundeswehr studiert.<br />
Neumann pflegt bei aller Freundlichkeit<br />
ein militärisch-forsches Auftreten, das<br />
Gespräch in seinem Amtszimmer eröffnet<br />
der Sozialdemokrat mit der Anekdote,<br />
soeben habe er sich im Internet<br />
die Domainadresse www.roter-sheriff.<br />
de reserviert. Diesen Beinamen hat er<br />
sich durch sein Law-and-Order-Image<br />
verdient, jetzt kokettiert er ein bisschen<br />
„Da war eine<br />
Wut <strong>auf</strong><br />
den Staat zu<br />
spüren, die uns<br />
Polizisten als<br />
Ersatzziel mit<br />
voller Wucht<br />
getroffen hat“<br />
damit. Er gibt den Unnachgiebigen. Ob<br />
Neumann nach dem Exzess vom 21. Dezember<br />
im Dialog mit den Autonomen<br />
von der „Roten Flora“ stehe? „Man kann<br />
von mir als Innensenator nicht erwarten,<br />
dass ich mich mit Leuten an einen Tisch<br />
setze, die der Gewalt das Wort reden und<br />
Straftaten begehen.“<br />
Die Hamburger SPD-Regierung<br />
steckt wegen der „Roten Flora“ in einem<br />
Dilemma. Einerseits weiß sie, dass<br />
die Autonomen besonders in den linksliberalen<br />
Wählerschichten der Stadt durchaus<br />
Sympathisanten haben. Andererseits<br />
ging der SPD im Jahr 2001 auch deshalb<br />
die Macht verloren, weil sie in Fragen der<br />
inneren Sicherheit die Zügel hatte schleifen<br />
lassen.<br />
Und dem Innensenator ist natürlich<br />
klar, dass es bei dem Konflikt mit<br />
den „Floristen“ um weit mehr geht als<br />
um eine kommunalpolitische Angelegenheit.<br />
Nämlich um den <strong>Recht</strong>sstaat.<br />
Um die Frage, ob sich die Bürgerschaft<br />
von gewaltbereiten Demonstranten unter<br />
Druck setzen lassen darf. Neumann<br />
findet, das darf nicht sein. Er sagt: „Ich<br />
erlebe immer öfter, dass es Menschen<br />
gibt, die die kulturelle Errungenschaft<br />
des gesellschaftlichen Gewaltmonopols<br />
überhaupt nicht mehr begreifen. Das<br />
gilt nicht nur für politische Extremisten,<br />
sondern zum Beispiel auch für Teile<br />
der Fußballfan-Szene – eigentlich ganz<br />
normale Leute.“<br />
Ob sich die Autonomen von solchen<br />
Bekenntnissen beeindrucken lassen, ist<br />
die andere Frage. Sie haben am 21. Dezember<br />
die Muskeln spielen lassen und<br />
ihr Mobilisierungspotenzial unter Beweis<br />
gestellt. Dass die linksextreme<br />
Szene dabei von ideologiefernen Jugendlichen<br />
unterstützt wurde, für die<br />
das Steinewerfen <strong>auf</strong> Polizisten ein adrenalinsteigerndes<br />
Freizeitvergnügen ist,<br />
dürfte sie kaum gestört haben. Und dass<br />
die Hansestadt die „Rote Flora“ jetzt sogar<br />
von einem Immobilienunternehmer<br />
zurückk<strong>auf</strong>en will, dem sie das Gebäude<br />
2001 zu einem Spottpreis überlassen<br />
hatte, können die Autonomen durchaus<br />
als Erfolg verbuchen. Immerhin käme<br />
der Rückk<strong>auf</strong> einem Bestandsschutz für<br />
das heruntergekommene Zentrum gleich.<br />
Da soll noch einer sagen, dass sich Gewalt<br />
nicht lohnt.<br />
Anfang Februar, im großen Sitzungssaal<br />
des Hamburger Polizeipräsidiums.<br />
An die 200 Beamte haben sich versammelt,<br />
um noch einmal über die Brutalität<br />
der Dezember-Demo zu diskutieren; Innensenator<br />
Neumann ist ebenfalls anwesend.<br />
Einige Polizisten, die meisten kaum<br />
älter als Mitte zwanzig, berichten, was<br />
sie an diesem Tag erlebt haben. Von einer<br />
„verheerenden Zerstörungswut“ ist<br />
die Rede. „So eine Gewaltbereitschaft<br />
unter den Demonstranten habe ich noch<br />
nie erlebt“, berichtet einer. Der aus Autonomen<br />
bestehende „schwarze Block“<br />
habe sich ersichtlich austoben wollen.<br />
„Da war eine Wut <strong>auf</strong> den Staat zu spüren,<br />
die uns als erklärtes Ersatzziel mit<br />
voller Wucht getroffen hat.“<br />
Auch der Kriminologe Christian<br />
Pfeiffer aus Hannover ist angereist, sein<br />
Institut hat eine umfangreiche Studie<br />
über Gewalt gegen Polizisten erarbeitet.<br />
Demnach stieg die Zahl der Übergriffe<br />
allein zwischen den Jahren 2005<br />
und 2009 um 82 Prozent. Und es sei nicht<br />
davon auszugehen, dass sich an diesem<br />
Trend bis heute etwas geändert habe, sagt<br />
Pfeiffer. Die Polizisten applaudieren, sie<br />
fühlen sich verstanden. Oft passiert ihnen<br />
das nicht.<br />
Man würde ja gern einmal mit den<br />
Autonomen über ihr Verhältnis zur Gewalt<br />
reden. Aber weil diese Gruppen mit<br />
der Presse grundsätzlich nicht sprechen,<br />
ist das eben schwierig. Auch der Anwalt<br />
der „Floristen“ beantwortet keine E-<br />
Mails. Stattdessen pflegt die Szene einen<br />
regen Austausch im Internet – und das<br />
Thema Militanz spielt dort eine große<br />
Rolle. Ein Manifest mit dem Titel „Bau<br />
19<br />
<strong>Cicero</strong> – 3. 2014