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Cicero Kein Recht auf Randale (Vorschau)

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Foto: Andrej Dallmann (Autor)<br />

mit Eisenstangen traktiert; Mitte 2012<br />

kam es mitten in Kreuzberg zu einem<br />

Angriff <strong>auf</strong> einen Streifenwagen, bei dem<br />

ein brennendes bengalisches Feuer <strong>auf</strong><br />

dem Rücksitz landete. Im Juni vergangenen<br />

Jahres wurde ebenfalls in Kreuzberg<br />

ein Einsatzwagen mit einem Molotowcocktail<br />

attackiert, der eine Polizistin<br />

nur knapp verfehlte.<br />

„Es wundert mich, dass bei dieser Art<br />

von Taten noch niemand zu Tode gekommen<br />

ist“, sagt ein Mitarbeiter des Berliner<br />

Verfassungsschutzes. Die wachsennde<br />

Brutalität habe auch damit zu tun,<br />

dass es Linksautonomen immer schwerer<br />

falle, junge Leute mit einem gewissen<br />

Bildungsniveau zu rekrutieren: „Da<br />

mischen zunehmend gewöhnliche Hooligans<br />

mit.“<br />

„Wir können doch nicht zu einem Zustand<br />

kommen, wo Menschen, die besonders<br />

rabiat <strong>auf</strong>treten, gegenüber anderen<br />

bevorzugt werden“, empört sich auch der<br />

Berliner Innensenator mit Blick <strong>auf</strong> die<br />

Duldungsstarre der Kreuzberger Bezirksregierung.<br />

Allerdings hat Henkel bisher<br />

wenig daran ändern können. Um dort gegen<br />

die örtlichen Grünen durchzugreifen,<br />

bräuchte er zumindest die Einwilligung<br />

seiner sozialdemokratischen Koalitionspartner.<br />

Und die Wowereit-SPD ist derzeit<br />

mit allerlei Skandalen schon beschäftigt<br />

genug – Straßenschlachten sind so<br />

ziemlich das Letzte, was der Regierende<br />

Bürgermeister jetzt gebrauchen kann.<br />

Um Zeit zu gewinnen, wurde deshalb<br />

die Integrationssenatorin Dilek<br />

Kolat be<strong>auf</strong>tragt, wegen des Camps am<br />

Oranienplatz und der besetzten Schule<br />

zwischen den Beteiligten zu vermitteln.<br />

Viel ist bis jetzt noch nicht dabei herausgekommen.<br />

Kurt Wansner, der Kreuzberger<br />

CDU-Chef, ist ohnehin davon<br />

überzeugt, dass die Autonomen kein Interesse<br />

an einer Verhandlungslösung haben:<br />

„Ich fürchte, das läuft am Ende <strong>auf</strong><br />

einen gewaltsamen Konflikt hinaus.“<br />

KÖLN<br />

Auch in Köln lief es im Sommer des vergangenen<br />

Jahres <strong>auf</strong> einen gewaltsamen<br />

Konflikt hinaus. Mitte April 2010 hatten<br />

vornehmlich Jugendliche aus dem autonomen<br />

Spektrum die ehemalige Betriebskantine<br />

des Maschinenherstellers Klöckner-Humboldt-Deutz<br />

im Stadtteil Kalk<br />

besetzt und in ein Kulturzentrum verwandelt.<br />

Ein mit der örtlichen Sparkasse<br />

abgeschlossener Nutzungsvertrag wurde<br />

jedoch im Juni 2013 gekündigt, weil die<br />

Stadt das Gelände als Ausweichquartier<br />

wegen einer Schulsanierung benötigt.<br />

Die drohende Räumung des Zentrums<br />

brachte dessen Nutzer <strong>auf</strong> die Barrikaden.<br />

Mit allen Mitteln würde man<br />

das Gebäude verteidigen, lautete eine<br />

im Internet verbreitete Drohung. Dann<br />

wurde es ernst: Autonome beschädigten<br />

die Büros von Kölner SPD-Politikern, beschmierten<br />

deren Privathäuser und drohten<br />

unverhohlen mit Gewalt. Kölns Oberbürgermeister<br />

Jürgen Roters, SPD, sah<br />

sich gezwungen, Polizeischutz zu beantragen.<br />

In der Sache aber blieb seine Partei<br />

hart – gegen den Willen der Koalitionspartner<br />

von den Grünen.<br />

Auch Martin Börschel, SPD-Fraktionschef<br />

im Kölner Stadtrat, war vom autonomen<br />

Lager als Ziel militanter Aktionen<br />

auserkoren worden. In den Straßen<br />

rund um sein Haus hingen eines Morgens<br />

„Fahndungsplakate“, die den 41 Jahre alten<br />

Politiker als gesuchten Verbrecher<br />

stigmatisieren sollten. Im Internet gab es<br />

ebenfalls unmissverständliche Hinweise:<br />

Sei vorsichtig, wir wissen, wo du wohnst!<br />

Ihn selbst habe das nicht einmal sonderlich<br />

berührt, erzählt Börschel. „Eigentlich<br />

ist mir erst durch Reaktionen anderer<br />

bewusst geworden, dass hier ein Tabu<br />

gebrochen wurde.“<br />

Als die Autonomen dann auch noch<br />

in einem Brief öffentlich verkündeten, sie<br />

würden ihre Aktionen gegen die SPD erst<br />

einstellen, wenn die Stadt <strong>auf</strong> eine Räumung<br />

des Kulturzentrums verzichte, war<br />

das Maß endgültig voll. Börschel: „Ich<br />

habe diesen Brief nicht beantwortet. Sondern<br />

stattdessen in einer öffentlichen<br />

Ratssitzung deutlich gemacht: Wenn<br />

dieser Erpressungsversuch nicht bedingungslos<br />

zurückgenommen wird, wird<br />

die Räumung stattfinden. Das Gewaltmonopol<br />

liegt einzig und allein beim Staat.“<br />

Leicht dürfte es den Kölner Autonomen<br />

nicht gefallen sein, dieses Ultimatum<br />

zu schlucken. Nach vielen internen<br />

Diskussionen haben sie dann aber doch<br />

öffentlich erklärt, <strong>auf</strong> Gewalt zu verzichten<br />

– und so den Weg für eine Verhandlungslösung<br />

mit der Stadt frei gemacht.<br />

Mit einem leer stehenden, ehemaligen<br />

Verwaltungsgebäude ist inzwischen sogar<br />

ein Ausweichquartier gefunden worden:<br />

Bis Ende 2014 darf das autonome Kulturzentrum<br />

dort in relativ zentraler Lage am<br />

Eifelwall Quartier beziehen. Danach will<br />

die Stadt für vier weitere Jahre eine andere<br />

Liegenschaft zur Verfügung stellen.<br />

Aber auch das nur vorübergehend, damit<br />

sich in Köln erst gar kein rechtsfreier<br />

Raum <strong>auf</strong> Dauer etablieren kann. Berlin<br />

und Hamburg lassen grüßen.<br />

ALEXANDER MARGUIER<br />

ist stellvertretender Chefredakteur<br />

von <strong>Cicero</strong>. ​Er ist<br />

in Berlin auch schon bei der<br />

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