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BERLINER REPUBLIK<br />
Porträt<br />
EIN JURIST ÜBERZIEHT<br />
Nach den exzessiven Wulff-Ermittlungen sollte Jörg Fröhlich die Staatsanwaltschaft<br />
Hannover beruhigen. Doch dann kam der Fall Edathy <strong>auf</strong> den Tisch des Chefermittlers<br />
Von ANDREAS FÖRSTER<br />
Jörg Fröhlich ist nicht nur Staatsanwalt,<br />
sondern auch Marathonläufer.<br />
Redner benutzen diesen Umstand<br />
gern dafür, Elogen <strong>auf</strong> den 53 Jahre alten<br />
Juristen einen launigen Anstrich zu<br />
verleihen. So war es auch Ende Oktober<br />
vergangenen Jahres, als ihn die niedersächsische<br />
Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz<br />
in sein neues Amt als<br />
Leiter der Hannoveraner Staatsanwaltschaft<br />
einführte. Die Grünen-Politikerin<br />
hob Fröhlichs Verdienste als Richter<br />
und Staatsanwalt hervor, die ihn aus<br />
ihrer Sicht für die neue Aufgabe in der<br />
Landeshauptstadt prädestinieren. Dann<br />
kam der unvermeidliche Vergleich: „Sicher<br />
werden Sie als Marathonläufer ausreichend<br />
Ausdauervermögen mitbringen,<br />
um auch diesen neuen Weg vorbildlich zu<br />
beschreiten“, sagte die Ministerin.<br />
Wohl keiner der damals Anwesenden<br />
ahnte, dass schon eine Woche später<br />
jene dünne Akte <strong>auf</strong> Fröhlichs Schreibtisch<br />
landen sollte, die sich nun als Karrierestopper<br />
für den Aufsteiger entpuppen<br />
könnte. Es war ein Vermerk des Bundeskriminalamts<br />
über die Auswertung von<br />
insgesamt 31 Videos und Fotosets von<br />
unbekleideten Jungen, die der aus Niedersachsen<br />
stammende SPD-Bundestagsabgeordnete<br />
Sebastian Edathy Jahre zuvor<br />
bei einer kanadischen Firma bestellt<br />
hatte. Vier Monate später, am 6. Februar,<br />
eröffnete Fröhlich ein Ermittlungsverfahren<br />
gegen den bis dahin angesehenen<br />
Politiker und gab eine Woche später<br />
<strong>auf</strong> einer Pressekonferenz detailliert<br />
Auskunft über den Inhalt des Verfahrens<br />
mit dem Aktenzeichen 3714 Js 9585/14.<br />
Die Pressekonferenz hat Fröhlich<br />
nun selbst ein Aktenzeichen eingebracht.<br />
Edathys Berliner Anwalt Christian Noll<br />
reichte im Justizministerium eine Dienst<strong>auf</strong>sichtsbeschwerde<br />
seines Mandanten<br />
gegen den Chef der Staatsanwaltschaft<br />
ein. In dem elfseitigen Schreiben wird<br />
Fröhlich der Lüge und des <strong>Recht</strong>sbruchs<br />
geziehen. Das ist starker Tobak für einen<br />
bis dahin untadeligen Juristen.<br />
Der Vater von drei Kindern und passionierte<br />
Schlagzeuger hat in Münster<br />
Jura studiert. In den neunziger Jahren<br />
war er Richter am Amtsgericht Hannover,<br />
dann wurde er Staatsanwalt. Zwölf<br />
Jahre, bis 2012, war er bei der Generalstaatsanwaltschaft<br />
in Celle tätig, zuletzt<br />
als Sprecher und Vizechef der Behörde.<br />
In diesen Jahren wurde die Landespolitik<br />
<strong>auf</strong> den promovierten Juristen <strong>auf</strong>merksam.<br />
Zur Fußball-WM 2006 wählte<br />
ihn die Landesregierung als Koordinator<br />
in Sicherheitsfragen aus, er organisierte<br />
eine norddeutsche Sicherheitskonferenz<br />
und später die niedersächsischen Staatsanwaltstage.<br />
Nach einem Gastspiel an der<br />
Spitze der Staatsanwaltschaft in Verden<br />
übernahm er vor knapp fünf Monaten<br />
die Ermittlungsbehörde in Hannover, es<br />
ist die größte Niedersachsens.<br />
FRÖHLICH ERSCHIEN ALS der Richtige,<br />
um die Staatsanwaltschaft der Landeshauptstadt<br />
in ruhiges Fahrwasser zu lenken<br />
und ihr ein besseres Image zu verpassen.<br />
Die Behörde hatte sich zuvor viel<br />
Kritik wegen ihrer exzessiven Ermittlungen<br />
gegen den früheren Bundespräsidenten<br />
Christian Wulff eingehandelt. Dessen<br />
Anwälte hatten den Hannoveraner<br />
Staatsanwälten nicht ganz grundlos „Verfolgungswahn“<br />
vorgeworfen. Das mächtige<br />
graue Gebäude im Bahnhofsviertel<br />
wurde von den Medien als „Jagdbehörde“<br />
verspottet.<br />
Fröhlich sollte all das vergessen machen<br />
und sein Haus, wäre der Wulff-<br />
Prozess erst einmal vorbei, endlich aus<br />
den Negativ-Schlagzeilen holen. Dieses<br />
Ziel scheint ferner denn je, nachdem sich<br />
Fröhlich selbst in die Politaffäre Edathy<br />
hineinmanövriert hat. Zu allem Überfluss<br />
hat er nun auch noch die Dienst<strong>auf</strong>sichtsbeschwerde<br />
am Hals, die er nicht so<br />
einfach loswerden wird. Denn nicht nur<br />
Fachleute fragten sich nach dem Presse<strong>auf</strong>tritt,<br />
was den Mann bewog, sich als<br />
Ermittler in einem l<strong>auf</strong>enden Verfahren<br />
so weit aus dem Fenster zu lehnen.<br />
Selbstüberschätzung? Eitelkeit? Naivität?<br />
Es hätte gereicht, Ermittlungen gegen<br />
Edathy und die Durchsuchung von<br />
dessen Wohn- und Arbeitsräumen zu<br />
bestätigen. Fröhlich hätte sagen müssen,<br />
dass man bislang keine Belege für ein<br />
strafbares Verhalten des Beschuldigten<br />
habe und es die Unschuldsvermutung daher<br />
gebiete, den Persönlichkeitsrechten<br />
Edathys Vorrang vor dem Informationsinteresse<br />
der Öffentlichkeit einzuräumen.<br />
Nach fünf Minuten wäre die Pressekonferenz<br />
vorbei gewesen. Aber Fröhlich<br />
blieb eine Stunde länger und kostete den<br />
Auftritt vor den Kameras sichtlich aus.<br />
Er überzog. Er beschrieb, wo Edathy<br />
Fotos bestellt und wie er sie erhalten<br />
hatte, er unterstellte ihm konspiratives<br />
Verhalten und legte nahe, der Abgeordnete<br />
habe Computer und Festplatten beiseitegeschafft.<br />
Über solche Details muss<br />
ein Staatsanwalt in einer so frühen Phase<br />
der Ermittlungen, die noch nicht mal ein<br />
strafbares Verhalten des Beschuldigten<br />
zutage gefördert haben, schweigen.<br />
Fröhlichs Beteuerungen, dass seine<br />
Behörde sich der „hohen Verantwortung<br />
für den Schutz der Persönlichkeitsrechte<br />
von Herrn Edathy“ bewusst sei, klingen<br />
da wie Hohn. Der Marathonläufer Jörg<br />
Fröhlich wird mehr als Ausdauer benötigen,<br />
um diese Affäre zu überstehen.<br />
ANDREAS FÖRSTER ist freier Reporter in<br />
Berlin. Er beschäftigt sich vor allem mit<br />
Geheimdiensten, Polizei und Justiz<br />
Foto: Julian Stratenschulte/Picture Alliance/dpa<br />
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<strong>Cicero</strong> – 3. 2014