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Cicero Kein Recht auf Randale (Vorschau)

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BERLINER REPUBLIK<br />

Reportage<br />

<strong>auf</strong> die er einen besonderen Blick hat<br />

und die auch heute noch benutzt werden:<br />

Landesverräter, Kriegsverräter,<br />

Hochverräter. Wer wird wann von wem<br />

so genannt? Die Frage, was Heldentum<br />

ist und was Verrat, möchten immer und<br />

überall die Mächtigen bestimmen. Hans<br />

Coppi beschäftigen die Begriffe ein Leben<br />

lang, weil seine Eltern beides genannt<br />

wurden. In der DDR galten sie als<br />

Helden, als Verräter im Westen Deutschlands.<br />

Auch noch lange nach Kriegsende,<br />

denn der Antikommunismus beherrschte<br />

dort den Blick <strong>auf</strong> das Gestern.<br />

Und heute werden also Snowden und<br />

Manning von den USA als Verräter verfolgt.<br />

Wenn das Wort in der Gegenwart<br />

<strong>auf</strong>taucht, sucht Coppi Anknüpfungspunkte<br />

in der Vergangenheit. Er will<br />

seine Eltern und ihre Geschichte aus jedem<br />

Blickwinkel heraus betrachten und<br />

sie verstehen: als Menschen, nicht als Figuren.<br />

Er will ihnen näher kommen. Die<br />

Geschichte von Hans Coppi ist auch eine<br />

über die Suche eines Sohnes nach Vater<br />

und Mutter. Als sie starben, war es für<br />

ihn zu früh, etwas im Gedächtnis zu behalten.<br />

Seine Erinnerung beginnt später.<br />

Er wächst bei den Großeltern <strong>auf</strong>.<br />

Das Sagen hat Frieda, die Mutter seines<br />

Vaters, starke Arme, das Haar nach hinten<br />

gesteckt. Der Junge weiß vom Tod<br />

der Eltern. Die Großmutter erzählt Geschichten<br />

aus deren Leben: Dass sie alle<br />

in der Kleingartenkolonie Waldessaum<br />

wohnten, dass sie dort einen Eisladen<br />

führten, dass einmal die Katze etwas<br />

vom Essen stibitzte. „Aber der Schluss<br />

ihres Lebens hat immer die Erzählung<br />

überlagert“, sagt er heute.<br />

In der ersten Klasse fragt der Religionslehrer,<br />

wer an seinem Unterricht<br />

teilnimmt. Als Hans ablehnt, erwidert<br />

der Lehrer, er werde mal mit den Eltern<br />

sprechen. „Ich habe keine Eltern mehr“,<br />

sagt der Junge. „Meine Großeltern glauben<br />

auch nicht an Gott. Weil, wenn es<br />

einen geben würde, hätte ich meine Eltern<br />

noch.“<br />

Viele Jahrzehnte später liegt <strong>auf</strong><br />

dem Tisch in der Wohnküche im sechsten<br />

Stock eine Schwarz-Weiß-Aufnahme.<br />

Hans Coppi sieht sie sich an. Das Foto<br />

zeigt ihn in einem Garten, Lederlatzhose,<br />

die Haare gut gekämmt. Es muss der Gedenktag<br />

für die Opfer des Faschismus im<br />

September gewesen sein. Der Junge hält<br />

Links: Hans Coppi in der<br />

Kleingartenanlage<br />

Waldessaum in Berlin. Hier<br />

waren seine Eltern<br />

miteinander glücklich<br />

<strong>Recht</strong>s: Seine Eltern Hilde<br />

und Hans <strong>auf</strong> Bildern der<br />

Gestapo 1942. Die Mutter<br />

wurde mit 34 hingerichtet,<br />

der Vater mit 26 Jahren<br />

einen Blumenstrauß, im Hintergrund ist<br />

eine Gedenktafel mit den Namen seiner<br />

Eltern zu sehen. Der Nachbarsjunge<br />

reicht ihm die Hand. Als ob er ihm sein<br />

Beileid ausspricht. Hans hat sich ein wenig<br />

zur Seite gedreht. Verlegen sieht er<br />

aus, fast beschämt.<br />

Er trägt den Namen seines Vaters.<br />

Hans Coppi, der Sohn von Hilde und<br />

Hans Coppi, ihr Erbe.<br />

Sie wohnen in Ostberlin. Wenn der<br />

Junge Kirschen klaut, sagt die Großmutter:<br />

„Hans, du musst daran denken, dass<br />

deine Eltern bekannt sind.“<br />

Mit 13 stößt er <strong>auf</strong> ein ihm gewidmetes<br />

Buch. Die Journalistin Elfriede Brüning<br />

hat es 1949 veröffentlicht, es heißt:<br />

„Damit du weiterlebst“. Seine Eltern sind<br />

Helden in dem Buch, es ist ein Roman<br />

und dann wieder nicht. Denn Brüning<br />

zitiert seitenweise aus Briefen, die Hans<br />

und Hilde Coppi im Gefängnis einander<br />

und ihren Eltern schrieben, sie hat sie<br />

von der Großmutter bekommen. „Werdet,<br />

44<br />

<strong>Cicero</strong> – 3. 2014

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