Untitled - Instytut KsiÄ Å¼ki
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11<br />
Mein<br />
Onkel, den funkelnden und wenig gegenwärtigen Blick<br />
nach vorn gerichtet, nahm mitten im Zimmer Aufstellung,<br />
hob den Finger und gebot mir ihm zu folgen. Er schaltete<br />
das Licht im Nachbarzimmerchen an, und meinen Augen bot sich ein ungewöhnliches<br />
Bild: In der Ecke am Fenster stand ein zerwühltes Bett, die<br />
Wäsche zerzaust, zerknüllt und wieder aufgebauscht zu skurriler Blüte. Der<br />
Rest des Zimmers war bis zur Decke mit Regalen vollgestellt, in denen Stapel<br />
von dunklen und durchsichtigen Flaschen lagerten, dicht aneinander wie edle<br />
Weine, die in irgendeinem Kellerchen besserer Zeiten harren. Erstaunlich war<br />
die Anzahl der Flaschen, von denen viele bemoost und verstaubt, andere glänzend<br />
und sauber waren. Die Regale, hergestellt von einem Fachmann für die<br />
Weinlagerung, belegten drei Wände und reichten so hoch, dass die zuoberst<br />
liegenden Flaschen, gar nicht mehr sichtbar, irgendwo verschwanden. Eine an<br />
die Regale gelehnte Leiter erleichterte dem Hausherrn den Zugang zu diesen<br />
entferntesten Regionen der Trunkenheit. Doch als ich genauer hinsah, stellte<br />
ich fest, dass die Flaschen, auch wenn jede von ihnen ihre eigene Form und<br />
Farbe besaß – und darunter waren Wodka-, Milch- und Limonadeflaschen,<br />
Bierflaschen, Öl- und Essigflaschen, Wein- und Cognacflaschen, Whisky-,<br />
Grappa-, Likör-, Champagner- und Bourbon-Flaschen, Porto- und Malaga-<br />
Flaschen, Portwein- und Eiercognac-Flaschen, Becherovka-, Żubrówka- und<br />
Ebereschenbranntwein-Flaschen, Krupnikflaschen, Mineralwasser-, Pfirsichwasser-,<br />
Met-, Calvados- und Raki-Flaschen, Flaschen von Selbstgebranntem,<br />
von Pfeffer- und Zuckerbranntwein, Bimber und Magenbitter, Saft-, Cider-,<br />
Brot-, Kwaß- und Sahneflaschen, Slivovitz- und Rumflaschen, Palinka- und<br />
Spiritusflaschen, Limoncello- und Amaretto-, Armaniak- und Bergerac-Flaschen,<br />
Wermut- und Absinth-Flaschen und Coca-Cola-Flaschen, Sake- und<br />
Reisweinflaschen, Arak-, Puntsch-, Grog- und Goldwasserflaschen, Ginflaschen,<br />
Kümmellikör-, Anis-, Himbeer- und Kirschwasserflaschen, Pastis- und<br />
Ouzoflaschen, Kornelkirschenlikör-, Brandy- und Malibuflaschen, Mondwasser-,<br />
Nusslikör-, Ratafia- und Tequila-Flaschen, Weinbrand-, Fusel- und<br />
Schnapsflaschen, Cherry-, Sangria-, Ciociosan- und Martiniflaschen, Campari-,<br />
Kumiss-, Dünnbier-, Porter- und Ale-Flaschen, Muskat-, Riesling-,<br />
Bordeaux-, Burgunder- und Tokajer-Flaschen, Flaschen von Rhein, Mosel,<br />
Cabernet, Sauternes, Retsina, Madera, Lager, Budweiser, Okowice, Gorzałka,<br />
Dom Perignon, Köllnisch Wasser, Birkenwasser, Gurkenwasser, Sirup, Rizinusöl,<br />
Formalin, Jodin und Atropin, Borsäure, Ameisenwasser, Glyzerin und<br />
Äthanol, Herbavit, Kefir, geweihtem Wasser aus Lourdes, Öl, Klemastin und<br />
Aldehyd – dass all diese Flaschen leider leer waren. Alle waren leer, doch steckte<br />
in jeder ein Korken oder sie war zugedreht, mit einem Lappen, zugestopft<br />
mit einem Papier oder mit rotem Lack versiegelt, abgesehen von denen auf den<br />
untersten Regalen – die ruhten geöffnet an ihrem Ort.<br />
die von Zeit zu Zeit irgendwo im Geäst zwitscherten und pfiffen, langsame<br />
Schritte auf einem Kiesweg. Dann gleich noch etwas, etwas dazwischen, herauszuhören<br />
unter diesen Stimmen, ein dumpfes, unterdrücktes Schluchzen.<br />
Weiter hatte ich den Eindruck, Geräusche eines Bahnhofs zu hören, die Menschenmenge,<br />
Männer- und Frauenrufe, Kinderweinen, Gelächter, die Pfiffe<br />
der Lokomotiven, das Keuchen der Dampfloks, das Klopfen der Wagenräder,<br />
man hörte Tiere, Hühnergegacker und Pferdewiehern, das Stimmengewirr einer<br />
Unterhaltung und das Geschrei von Streitenden, Flüche und das Geräusch<br />
vieler Schritte. Schließlich mächtiges Knallen, Rufe der Verabschiedung und<br />
Stille, und in ihr das anfangs gemächliche, dann immer schnellere Dröhnen<br />
der Zugräder.<br />
Die nächste Flasche enthielt den Klang einer Straßenbahnbimmel und eines<br />
von jemandem gesummten Liedes, dann Stimmen vom Markt, Zurufe und<br />
fröhliches Necken. Eine andere barg ein Gebet, wieder eine andere Kinderquietschen,<br />
Geräusche aus einer Wäscherei, einer Druckerei, einem Geschäft,<br />
einer Kirche, einer Schusterwerkstatt, die Stimme von jemandem, der seine<br />
eigene Kindheit in einer offenbar fremden und doch sehr gut verständlichen<br />
Sprache erzählte, irgendwelche Abenteuer, Schule, Ferien, Arbeit, Krieg, lächerliche<br />
und furchtbare Ereignisse, eine Stimme, die von den Kindern erzählte,<br />
von ihren Eltern, Freunden, Onkeln und Tanten, von Feiertagen und<br />
Sitten, eine Stimme, die von Zeit zu Zeit ein Lied sang, aber niemals das ganze,<br />
nur das ihr in Erinnerung gebliebene Fragment, oder ein Stück von einem<br />
Gedicht aus der Schule rezitierte, die Stimmen vermischten und überlagerten<br />
sich, nach kurzer Zeit schon schrie die Luft ringsum mit Tausenden von Stimmen<br />
und Lauten, doch all das in einem einzigen Seufzer, in etwas, das gleich<br />
darauf zuging, wie der schwere Deckel einer Kiste.<br />
„Hörst du?“ rief der Onkel, „ich habe sie hier alle, ein ganzes Archiv, in<br />
Flaschen abgefüllt, verstehst du? Ein ganzes Leben habe ich daran gesammelt,<br />
ein ganzes Leben. Zwanzig Jahre mit Flaschen herumgezogen. Ha!“ Und sein<br />
Blick war fürchterlich.<br />
Aus dem Polnischen von Olaf Kühl<br />
Der Onkel holte eine verstaubte grüne Weinflasche hervor, die mit einem zusammengerollten<br />
bunten Lappen verstopft war, und hielt sie gegen das Licht.<br />
Ich sah, wie ein Glühbirnenfunke durch das matt gewordene, märchenhafte<br />
Glas im Farbton von Seegras fuhr. Darinnen war nichts. Jetzt gebot er mir mit<br />
einer Fingerbewegung Schweigen, entkorkte die Flasche langsam und hielt<br />
mir ihren schlanken Hals ans Ohr. Ich hörte zuerst ein Rauschen, so etwas wie<br />
ein schwaches, doch aufbrandendes Seufzen, das ferne, gedämpfte Summen<br />
eines Bienenschwarms. Das Rauschen wurde lauter, und bald darauf konnte<br />
ich ihm schon einzelne Laute entnehmen, Geräusche, ein Rascheln und Reiben.<br />
Aus diesem Abgrund, wie aus einem Meer, waren bald darauf einzelne<br />
Laute herauszuhören, Stimmen wie aus einer Ferne, Schritte auf Treppen, das<br />
Öffnen einer quietschenden Tür, ein Krachen, Schläge von einem Hammer,<br />
das Geschrei der Kinder, die aufgeregt im Kreise laufen, eine scharfe, ermahnende<br />
Frauenstimme. Dann Geschirrklappern, Besteckgeklingel, irgendwelche<br />
Geräusche und Laute, eine brummend böse Männerstimme, und dann<br />
wieder der Hammer, der etwas zerschlug. Ich hörte auch so etwas wie das<br />
Knurren eines Motors, das Rauschen von einer nahegelegenen Straße und ein<br />
Radio, das eine fünfzig Jahre alte Melodie spielte. „Pisma twoji polutschaja,<br />
slyschu ja golos rodnoj“ und weiter auf Russisch, das ich wegen des Knackens<br />
und Klopfens nicht verstand. Das alles verschloss sich langsam in Stille, das<br />
Stöhnen ließ nach, der Gesang der Teilchen verstummte.<br />
Mein Onkel öffnete eine zweite, kleine und bauchige Flasche. Feiner, schwer<br />
definierbarer Geruch, süßlich, eine Blume, ein Kraut? Eine Wiese? Eine Blüte,<br />
doch verwelkt. Das Rauschen, das ihr entstieg, verwandelte sich bald in Vogelgesang<br />
und so etwas wie das Rauschen des Windes in den Zweigen. Vögel,<br />
ZNAK, KRAKÓW 2012<br />
124 × 190, 198 PAGES<br />
ISBN: 978-83-240-1891-8<br />
TRANSLATION RIGHTS: ZNAK<br />
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