Untitled - Instytut KsiÄ Å¼ki
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25<br />
Du<br />
denkst, du erlebst etwas, du erlebst es sogar wirklich, und dann<br />
weißt du plötzlich, du hast nichts erlebt, und das ist auch kein<br />
Schaden. Es ist kein Schaden, dass du nichts mehr davon weißt,<br />
was du nicht erlebt und was du erlebt hast, obwohl du dachtest, du würdest<br />
es vielleicht nicht mehr erleben. Du hast es noch erlebt, und es hat dir sogar<br />
etwas gebracht.<br />
Ich erinnere mich dunkel an Zimmer, Häuser. An Menschen. Diese Menschen<br />
gibt es nicht und ich weiß nicht mehr, wovor sie Angst hatten.<br />
Mary hatte mich geweckt, sie hatte einen Umschlag mit meiner EC-Karte<br />
dabei. Ich hatte auf etwas Netteres gehofft, möglichst ohne Mary-Dreingabe,<br />
dabei war Mary höchst wahrscheinlich. Mary ist wie eine Mutter für uns, sie<br />
liebt uns, weil sie uns geboren hat, was verständlicherweise für Unmut sorgt,<br />
denn wer will schon das Kind von einer wie Mary sein.<br />
Jetzt frage ich mich nur noch, ob dieser ganze düstere Alptraum durch<br />
das Poltern an der Tür ausgelöst wurde, oder ob das Poltern mich vor dem<br />
Schlimmsten bewahrt hat.<br />
Die Karte war sehr hübsch und es stand drauf, man sollte etwas mit ihr tun.<br />
Das verschob ich auf später, so schnell geht das nicht, vor dem Aufstehen, vor<br />
dem ersten Drink. Ich ließ sie auf der Schlafcouch zurück und machte mich<br />
an Gertrude Stein, die auf dem Tisch lag. Man stelle sich nur einmal vor,<br />
Gertrude Stein hat das alles im nüchternen Zustand geschrieben. Sie hat das<br />
alles im nüchternen Zustand geschrieben, heißt es. Ein nüchterner Mensch.<br />
Ordentlich. Solche Menschen muss man lieben. Ich muss Schwester Teresa<br />
schreiben, dachte ich.<br />
Aber ich schrieb nicht. Ich übersetzte ein paar Seiten „Useful Knowledge“,<br />
bis sie for, four und fortunately stapelte, das war zu viel. Es war schon halb fünf.<br />
Auf der Schlafcouch sah ich die Karte liegen.<br />
Die Karte ließ mir drei Optionen: hingehen, mailen oder anrufen. Ich rief<br />
an. Es meldete sich ein Automat, ließ mich verschiedene Dinge tun, ich tat<br />
sie, solange ich konnte. Als ich nicht mehr konnte, meldete sich eine andere<br />
Stimme. Bist du ein echter Mensch?, fragte ich.<br />
Jawohl, das bin ich, antwortete die Stimme. Sie ließ mich dasselbe tun wie<br />
der Automat. Das war ganz einfach. Wir verabschiedeten uns in beiderseitigem<br />
Einvernehmen auf das herzlichste. Diese Stimme gibt es noch. Ich mag<br />
sie. Ich könnte sie noch einmal anrufen.<br />
Ich könnte sie in der Realität treffen. Ich könnte mich mit ihr verabreden.<br />
Ich könnte, könnte, aber nüchtern betrachtet, was soll die Quälerei.<br />
Ich zog mich an und verließ die Wohnung. In einem Antiquariat gab es das<br />
Buch „Wars I Have Seen“ für 6 $, ich nahm es und ging zur Kasse. Könnte ich<br />
das kaufen?, fragte ich.<br />
Ich denke, du könntest, sagte die Kassiererin. Sie war dick. Ich lachte laut.<br />
Ich bezahlte 6.80 inklusive tax. Und ich ging in die Bar nebenan, eine Hamburger-Bar.<br />
John hatte nämlich gesagt, dort gibt es die authentischsten Hamburger,<br />
die muss man probiert haben.<br />
Ich setzte mich und nahm mir die Karte, es gab alle Arten von Hamburgern.<br />
Ich wollte einen ganz normalen, bestellte aber einen mit Speck, das klang irgendwie<br />
besser. Und eine Limo, hier haben sie überall Limo und man kann sie<br />
einfach so bestellen, ohne zu erklären, was man will und wie das geht. Willst<br />
du was zum Hamburger dazu?, fragte die Bedienung. Pommes? Für Hamburger<br />
mit Pommes ist es noch zu früh, antwortete ich und meinte damit,<br />
vielleicht beim nächsten Mal. Die Bedienung ging den Hamburger holen. Ich<br />
zog „Wars I Have Seen“ heraus und begann zu lesen. Gertrude kann man in<br />
der Bar lesen. Man kann sie überall lesen, sie gebraucht keine überqualifizierten<br />
Verben. Die Bedienung brachte die Limo, sie war riesig. Mir gegenüber<br />
setzte sich ein älterer Mann ohne Arm, er war sehr unglücklich oder verrückt.<br />
Er bestellte etwas und beklagte dann lauthals sein Schicksal. Adam, beruhige<br />
dich, rief eine Bedienung von hinten.<br />
Der Mann ohne Arm beruhigte sich. Wir bekamen unsere Hamburger. Der<br />
Speck in meinem war gut gewürzt, das Brötchen gut gebacken, man konnte<br />
das gut essen. Willst du noch was?, fragte die Bedienung und setzte sich zu den<br />
Leuten am Nebentisch.<br />
Oh, Adam, sagten die, wie geht’s, schön dich hier zu sehen. Lesend leerte ich<br />
die Limo, Gertrude wurde immer besser, die Limo wurde wässrig.<br />
Ich stand auf und ging zur Kasse, ich hatte 6 $ klein. Die Rechnung belief<br />
sich auf 6,41 inklusive tax, ich hielt einen Hunderter hin. Ich muss dir in Fünfern<br />
rausgeben, sagte die Kassiererin. Und wenn ich mit Karte zahle?, sagte ich<br />
und zahlte mit Karte, obwohl ich die Karte das erste Mal vielleicht lieber unter<br />
erhebenderen Umständen gebraucht hätte. Hier ist Platz für den tip, sagte die<br />
Kassiererin, schreib soviel du willst. Aber der tip war doch schon mit drin?,<br />
sagte ich und verwechselte tip mit tax. Tax ist immer schon mit drin, sagte<br />
die Kassiererin, hier kannst du den tip für mich hinschreiben. Ich schrieb 29<br />
Cent, damit es aufging, trat vor die Tür und machte mir klar, dass ich 69 hätte<br />
schreiben sollen. Nein, 59, was habe ich nur mit den Zahlen?<br />
Ich ging die Straße hinab und dachte an die tips oder taxes. Dass man nie<br />
wusste, wie viel man zahlt. Was schert mich die Kassiererin, was schert mich<br />
die Bedienung, ich gehe da nie mehr hin, das waren meine Gedanken. Zwei<br />
Jungs joggten vorbei, einer oben ohne, sehr attraktiv. Ich ging um ihn herum,<br />
er hatte nämlich an einer Ampel gestoppt, Schweißtropfen auf der Haut,<br />
schwer atmend, umsonst. In einem Geschäft suchte ich Kuchen, ich fand Bio-<br />
Kekse für 3 $. Der Kassierer war komplett tätowiert, er bekam tax. Tax bekommen<br />
die, die es nicht verdienen, dachte ich, obwohl dieser tax tip für den<br />
Kassierer war. Alle sind hier total tattooed, machen aus sich einen Text.<br />
Aus dem Polnischen von Thomas Weiler<br />
RITA BAUM, WROCŁAW 2012<br />
130 × 178, 228 PAGES<br />
ISBN: 978–83–924251–8–2<br />
TRANSLATION RIGHTS: ADAM WIEDEMANN<br />
CONTACT: RITA BAUM<br />
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