Untitled - Instytut KsiÄ Å¼ki
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KRZYSZTOF VARGA<br />
KRZYSZTOF VARGA (GEB. 1968),<br />
SCHRIFTSTELLER UND JOURNALIST,<br />
AUTOR VON 11 PROSABÄNDEN,<br />
VERÖFFENTLICHTE ZULETZT<br />
DIE ROMANE EIN GRABSTEIN<br />
AUS TERRAZZO (2007) UND<br />
UNABHÄNGIGKEITSALLEE (2010).<br />
Photo: Krzysztof Dubiel<br />
Späne<br />
Protagonist und gleichzeitig Erzähler von Späne ist der fünfzigjährige Piotr<br />
Augustyn, der als Handelsvertreter eines Warschauer Unternehmens<br />
unentwegt durch Polen reist. Der Roman enthält den Monolog dieser Figur,<br />
gestaltet als eine Art umfassende Beichte, als Generalabrechnung mit dem<br />
Leben, als Gewinn- und Verlustrechnung, obwohl von Gewinn eigentlich gar<br />
keine Rede sein kann. Schließlich bleibt diese Biografie in jeglicher Hinsicht<br />
unerfüllt, sie ist verdammt zu unzähligen Niederlagen, Enttäuschungen und<br />
Demütigungen; der unglückliche und im Grunde groteske Vertreter legt einen<br />
Widerwillen gegen alles und jeden an den Tag. Er verflucht seine Eltern,<br />
die ihm keine anständige Kindheit ermöglicht haben, seine gierige Frau, die<br />
sich, enttäuscht von ihrem Angetrauten, vor Jahren von ihm getrennt hat,<br />
seine Mitreisenden im Zug (er ist unterwegs von Warschau nach Wrocław),<br />
er verachtet die Mitarbeiter des Mutterkonzerns und die Angestellten anderer<br />
Firmen, mit denen er sich ständig trifft, er hasst Erfolgsmenschen<br />
und Verlierertypen, versnobte Jugendliche und modische Künstler. Diese<br />
Aufzählung ließe sich endlos fortsetzen, Augustyn ist zutiefst frustriert,<br />
permanent läuft ihm die Galle über. Das einzige positive Merkmal des (gelinde<br />
gesagt) unsympathischen Vertreters ist seine große Liebe zur alten<br />
Musik, in der er sich bestens auskennt. Doch auch dieses Attribut wendet<br />
sich gegen ihn – Augustyn fühlt sich von der Gegenwart abgeschnitten und<br />
kann sie weder verstehen noch akzeptieren, das heutige Polen (der Protagonist<br />
monologisiert im Jahr 2011) gilt ihm als in jeder Hinsicht schlecht<br />
eingerichtet, seine Einwohner sind Versager wie er, nur unvergleichlich<br />
verlogener. Hier liegt der vielleicht größte Reiz von Späne. Vargas Roman<br />
lässt sich als radikales Pamphlet über die Gegenwart lesen. Die titelgebenden<br />
Späne sind der kümmerliche Stoff, aus dem die Seele des Protagonisten<br />
gemacht ist, sie kennzeichnen sein Bewusstsein, repräsentieren aber<br />
gleichzeitig, oder vielleicht sogar in erster Linie – so der Autor – das Wesen<br />
der Gesellschaft. Die Späne stehen für die allgemeine Verlogenheit, die allgegenwärtige<br />
Heuchelei und den billigen Schund, Verblödung, Neid und den<br />
Triumph des Zynismus, für intellektuellen und mentalen Murks. Natürlich<br />
entsteht so ein bewusst überzeichnetes, karikaturistisches Bild, das aber<br />
dennoch bezwingt. Das Finale, in dem ein letztlich unmotiviertes Verbrechen<br />
geschieht, darf als eigenwilliges Memento interpretiert werden. Der<br />
Autor legt nahe, dass Soziopathie und gewohnheitsmäßiger Hass auf die<br />
Mitmenschen nicht nur einer Geisteshaltung entspringen, sondern auch einer<br />
kriminellen Veranlagung.<br />
Dariusz Nowacki<br />
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