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Untitled - Instytut Książki

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KATARZYNA SURMIAK-DOMAŃSKA<br />

KATARZYNA SURMIAK-DOMAŃSKA (GEB. 1967), POLNISCHE JOURNALISTIN. SIE PUBLIZIERT<br />

HAUPTSÄCHLICH REPORTAGEN UND INTERVIEWS ZU AKTUELLEN GESELLSCHAFTLICHEN THEMEN.<br />

Photo: Julia Domańska<br />

Sumpflein<br />

Die bekannte Reporterin der Gazeta Wyborcza, Katarzyna Surmiak-Domańska,<br />

hat – wie es scheint – ihr bestes Buch geschrieben. „Sumpflein“ ist ein<br />

realistisches, der Wirklichkeit entnommenes Porträt der tiefen polnischen<br />

Provinz. Doch es ähnelt nicht den stereotypen Bildern einer Marienfrömmigkeit,<br />

oder, zur Abwechslung, der anhaltenden Pathologie und Armut<br />

nach dem Ende des Kommunismus und dem Schock des Systemwechsels.<br />

Nichts dergleichen werden wir hier finden. Sumpflein ist aber auch kein typisches<br />

Dorf, schreibt die Autorin im Vorwort. Es ist eher die Vorstadtsiedlung<br />

einer mittelgroßen Stadt, eine Gegend, in der das patriarchale Muster<br />

der Familienbeziehungen in einer, seit Jahrhunderten unveränderten,<br />

Form fortzubestehen scheint, und wo die sichtlichen Anzeichen einer Idylle<br />

mit dem düstersten, unter der Oberfläche fließenden Strom des Gemeinschaftslebens<br />

verflochten sind. Sumpflein, das ist so etwas wie Dogville<br />

im Film des Regisseurs Lars von Trier; ein uralter Ort mit üppig blühenden<br />

Vorgärten, Schweigen, Lügen und Gewalt. Die Protagonisten der von Katarzyna<br />

Surmiak-Domańska festgehaltenen Welt sind eine Ansammlung von<br />

Archetypen wie Opfer, Henker, Richter und Kommentator: Mutter, Vater,<br />

Ehemann, Geliebter, Schwiegermutter, Freundin, Schwägerin. Ihre Stimmen<br />

bilden eine mehrdimensionale Studie der Gesellschaftspsychologie, die genauso<br />

flach und offensichtlich ist, wie undurchdringlich und rätselhaft.<br />

Die Autorin folgt der Protagonistin aus einem ihrer Interviews. Halszka<br />

Opfer (der Name wurde, ähnlich wie die Ortsnamen, geändert), eine reife,<br />

früher völlig unbekannte Frau, hat in Polen vor ein paar Jahren eine laute<br />

Diskussion ausgelöst. Sie publizierte ihre Bekenntnisse, in denen sie detailliert<br />

und drastisch über das Trauma berichtet, vom eigenen Vater sexuell<br />

missbraucht worden zu sein. Sie beschrieb, wie sie, ein vierjähriges Mädchen,<br />

von ihrer Mutter eigenhändig ins Bett des Vaters getragen wurde. Wie<br />

sie, während sie aufwuchs, zur ’bewussten’, auf die Geschenke erpichten,<br />

Geliebten des Vaters wurde. Wie die Mutter ihr ganzes Leben schwieg und<br />

sich einem düsteren, maskierten Schatten gleich durch das Haus bewegte.<br />

Dieses Buch – wie Surmiak-Domańska schreibt – wurde zu einem großen<br />

Erfolg in Sumpflein, dem Wohnort von ’unserer Halszka’. Ähnlich wie zuvor<br />

ein sehr ähnliches, doch aus dem Deutschen übersetztes Buch. In der Ortsbibliothek<br />

haben sich alle ‚normalen’, ’wir’, ’einfachen Leute’, auf die Liste<br />

setzen lassen, um das zu erfahren, was „einem nicht in den Kopf gehen will“.<br />

‚Unsere Halszka’, das ist klar, ist gar nicht ’unsere’. Sie ist fremd, merkwürdig,<br />

anders. Wie wir erfahren, war sie schon immer so. Das sagen die Ortsansässigen.<br />

Trotz der offensichtlichen Mechanismen ist für die Autorin eine<br />

Sichtweise, die lieber die Schuld dem Opfer gibt als den „Henker-Vater“ zu<br />

verurteilen, nicht ohne Belang. Im Gegenteil. Sie versucht, diese Sicht aufzuzeigen<br />

und zu vertiefen, sie anderen Erzählungen gegenüberzustellen. So<br />

gelingt es Katarzyna Surmiak-Domańska, etwas sehr Flüchtiges zu greifen:<br />

das Gefühl, dass die Wirkung des Bösen unumkehrbar ist und dass Schutzprojekte,<br />

Therapien und die Situation, wenn Opfer zu Wort kommen, sehr<br />

fragil sein können.<br />

Kazimiera Szczuka<br />

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