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Untitled - Instytut Książki

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45<br />

Wenn<br />

euch jemand erzählen sollte, dass die Arbeit eines<br />

Archäologen spannend sei, könnt ihr ihn gleich auslachen.<br />

Spannend sind Filme mit Indiana Jones und<br />

Lara Croft. Wobei die letzteren sogar noch besser sind, wegen der ästhetischen<br />

Vorzüge von Angelina Jolie in Shorts. Die Archäologie ist so dermaßen langweilig,<br />

dass es einem den Magen umdreht.<br />

Ihr denkt bestimmt, dass das alles so romantisch ist: ein Archäologe in coolen<br />

Klamotten steht über einem Erdloch und schaut zu, wie immer weitere<br />

Hiebe mit einer Spitzhacke immer weitere Schichten von Ruinen vergangener<br />

Zivilisationen enthüllen. Tut mir Leid, wenn ich euch enttäuschen sollte, aber<br />

das ist kompletter Schwachsinn. Erstens: vergesst die Spitzhacke. Die meiste<br />

Arbeit auf einer Ausgrabung wird mit einer kleinen Spachtel und einem Pinsel<br />

ausgeführt. Wisst ihr, wie lange es unter solchen Bedingungen dauert, nicht<br />

eine Zivilisation, sondern auch nur einen blöden kaputten Tonkrug auszugraben?<br />

Ihr wisst es nicht? Dann stellt es euch vor.<br />

Zweitens, meine werten Herrschaften: es gibt keine verborgenen Zivilisationen.<br />

Sie wurden allesamt schon längst entdeckt, katalogisiert und mit Laufzetteln<br />

versehen. Die Archäologie ist ungefähr genauso romantisch wie die<br />

Buchhaltung. Auch die Arbeit sieht ähnlich aus, denn sie besteht aus dem<br />

Notieren von Hunderten und Tausenden von Nummern. Nummern von Erdschichten,<br />

Nummern von Objekten, Nummern von Scherben, Nummern von<br />

Was-Auch-Immer, verdammt noch mal. Diese Nummern werden später in<br />

eine Datenbank eingearbeitet, analysiert, und anschließend wird ein Bericht<br />

verfasst, der so viel Romantik enthält wie die Quartalsabrechnung eines Zeitungskiosks.<br />

Außerdem fällt es einem normalen Menschen schwer, einen Arbeitstag zu<br />

ertragen, der mit Aufstehen um fünf beginnt, noch vor Sonnenaufgang, und<br />

der lange nach Mitternacht in einem Besäufnis endet – einen Tag, der voller<br />

unendlicher Stunden in der heißen Sonne ist, in einer Hitze, die durch die<br />

Genfer Konvention verboten werden sollte. Ich sage nur eines: wenn irgendein<br />

Gefangener, egal ob ein Politischer oder ein stinknormaler Krimineller, unter<br />

solchen Bedingungen arbeiten müsste, hätte Amnesty International schon<br />

längst eingegriffen.<br />

Heute war es genauso wie gestern, vorgestern und an jedem der beschissenen<br />

letzten vierzehn Tage. Die Sonne brannte wie ein atomarer Scheiterhaufen<br />

und der Himmel, von der Farbe und dem Gewicht wie flüssiges Blei, hing zwei<br />

Zentimeter über meinem armen Kopf. Die Erde erhitzte meine Füße durch die<br />

dicken Schuhsohlen hindurch. Nicht einmal der Wind brachte Linderung,<br />

sondern verbrannte die Haut und trieb mir Staub in den Rachen.<br />

Die Bäume waren schon längst zu raschelnden Skeletten geworden, der<br />

Fluss zu einem schlammigen Bachbett, und das Meer zu einem nach Algen<br />

stinkendem Brei. Hinter dem Vorhang aus vibrierender Luft schoben sich weiße<br />

Schiffe wie Gespenster durch den engen Hals der Dardanellen. Von dem<br />

Platz aus, an dem ich stehen geblieben war, um zu Atem zu kommen, konnte<br />

man nicht genau sehen, ob sie über das Wasser fuhren oder über die glühenden<br />

Felder marschierten. Ein feuchter Dunst verbarg die Inseln Bozcaada und<br />

Tavşan Adası. Nur abends fletschte die untergehende Sonne ihre Zähne und<br />

die Konturen der Eilande wurden lebendig, wie die Figuren aus Kamelhaut<br />

vor dem Seidenvorhang im türkischen Schattentheater.<br />

(…)<br />

Als mich Pola vor einem halben Jahr angerufen hatte, frühmorgens, schlief<br />

ich selbstverständlich noch.<br />

„Erzähl keinen Unsinn“, meinte sie. „Wie spät ist es eigentlich?“<br />

„Mmmm.“<br />

Ich versuchte, auf den Wecker zu schauen. Ich lupfte das Augenlid. Das<br />

Licht der Nachttischlampe blendete mich.<br />

„Egal. Du musst jetzt zuhören. Wir haben eine Nekropole. Die Bulldozer<br />

haben die Fundamente für irgendwelche Datschen gegraben und sind dabei<br />

direkt auf ein Grab gestoßen. Nicht in Troja selbst, zehn Kilometer weiter, an<br />

der Küste. Du weißt, was das bedeutet?“ Pola hielt einladend inne.<br />

„Eee …“<br />

Ich verzichtete auf einen erneuten Versuch, die Augen aufzumachen und<br />

tastete blindlings auf dem Nachtschränkchen herum, auf der Suche nach dem<br />

Wasserglas.<br />

„Erzähl mir nicht, dass du nicht weißt, was es zu bedeuten hat! Das bedeutet,<br />

dass es die Begräbnisstätte der Achaier sein könnte!“<br />

„Aha …“, murmelte ich.<br />

„Das erste Grab, das die Planierraupe zerstört hatte, war eine Urne. Also<br />

eine Feuerbestattung. Die Fotos sind ein bisschen undeutlich, aber alles<br />

spricht dafür, dass …“<br />

Sie verstummte.<br />

„Du weißt, wovon ich spreche, oder?“<br />

„Nein.“<br />

„Du Banause!“<br />

„Pola“, röchelte ich. „Rufst du mitten in der Nacht an, um mich zu beleidigen?<br />

Kannst du nicht bis um neun warten?“<br />

„Kann ich. Die Achaier kamen nach Troja, um die schöne Helena zurückzuholen.<br />

Der Trojanische Krieg, vielleicht sagt es dir etwas?“<br />

„Verdammte Scheiße!“<br />

Das Wasserglas tat genau das, was alle Gläser tun, wenn man sie im Dunkeln<br />

sucht: es fiel auf den Boden und zerstob in winzige Teilchen.<br />

„Genau!“ In Polas Stimme schwang Befriedigung mit. „Frank hat eine Lizenz<br />

und hat mir versprochen, dass ich die Grabung leiten werde. Im ganzen<br />

Abschnitt der Begräbnisstätte. Begreifst du das?“<br />

„Klar.“<br />

„Und du weißt, worum es mir geht?“<br />

„Sicher.“<br />

„Und du weißt, welchen Frank ich meine?“<br />

„Sicher.“<br />

Ein Moment der Stille im Hörer.<br />

„Du hast keine Ahnung, wovon ich spreche, oder? Und es interessiert dich<br />

nicht einmal besonders. Oder irre ich mich?“<br />

„Nein.“<br />

Ein Moment der Stille.<br />

„Ich werde einen Anthropologen brauchen.“<br />

Mit zugekniffenen Augenlidern setzte ich mich auf den Bettrand und stellte<br />

die Füße auf dem kalten Fußboden ab. Von den Fenstern her zog es fürchterlich;<br />

ich konnte mich die ganze Zeit nicht aufraffen, sie abzudichten. Ich rieb<br />

mit den Handflächen über die Stoppeln in meinem Gesicht und räusperte<br />

mich ein paar Mal.<br />

„Was hat das mit mir zu tun?“<br />

„Im Juli. Oder Anfang August. Und ich möchte, dass du mindestens zwei<br />

Studenten mitbringst.“<br />

„Pola …“<br />

„Ehrlich gesagt hätte ich gerne jemanden von den höheren Semestern. Oder<br />

Doktoranden, damit du sie nicht ständig beaufsichtigen musst.“<br />

„Pola …“<br />

Es gelang mir endlich, ein Auge aufzumachen und einen Blick auf den Wecker<br />

zu werfen. Der rote Doppelpunkt zwischen der Zwei und der Dreißig<br />

pulsierte in einem hypnotischen, schläfrigen Rhythmus.<br />

„Pola, es ist halb drei Uhr. Morgens. Am siebten Januar.“<br />

Sie verstummte für einen Augenblick und sagte dann leise:<br />

„Ich dachte, du würdest dich freuen …“<br />

Also freute ich mich. Hatte ich eine andere Wahl?<br />

Aus dem Polnischen von Paulina Schulz<br />

W.A.B., WARSZAWA 2012<br />

123 × 195, 432 PAGES<br />

ISBN: 978-83-7747-646-8<br />

TRANSLATION RIGHTS: W.A.B.<br />

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