Untitled - Instytut KsiÄ Å¼ki
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Wenn<br />
euch jemand erzählen sollte, dass die Arbeit eines<br />
Archäologen spannend sei, könnt ihr ihn gleich auslachen.<br />
Spannend sind Filme mit Indiana Jones und<br />
Lara Croft. Wobei die letzteren sogar noch besser sind, wegen der ästhetischen<br />
Vorzüge von Angelina Jolie in Shorts. Die Archäologie ist so dermaßen langweilig,<br />
dass es einem den Magen umdreht.<br />
Ihr denkt bestimmt, dass das alles so romantisch ist: ein Archäologe in coolen<br />
Klamotten steht über einem Erdloch und schaut zu, wie immer weitere<br />
Hiebe mit einer Spitzhacke immer weitere Schichten von Ruinen vergangener<br />
Zivilisationen enthüllen. Tut mir Leid, wenn ich euch enttäuschen sollte, aber<br />
das ist kompletter Schwachsinn. Erstens: vergesst die Spitzhacke. Die meiste<br />
Arbeit auf einer Ausgrabung wird mit einer kleinen Spachtel und einem Pinsel<br />
ausgeführt. Wisst ihr, wie lange es unter solchen Bedingungen dauert, nicht<br />
eine Zivilisation, sondern auch nur einen blöden kaputten Tonkrug auszugraben?<br />
Ihr wisst es nicht? Dann stellt es euch vor.<br />
Zweitens, meine werten Herrschaften: es gibt keine verborgenen Zivilisationen.<br />
Sie wurden allesamt schon längst entdeckt, katalogisiert und mit Laufzetteln<br />
versehen. Die Archäologie ist ungefähr genauso romantisch wie die<br />
Buchhaltung. Auch die Arbeit sieht ähnlich aus, denn sie besteht aus dem<br />
Notieren von Hunderten und Tausenden von Nummern. Nummern von Erdschichten,<br />
Nummern von Objekten, Nummern von Scherben, Nummern von<br />
Was-Auch-Immer, verdammt noch mal. Diese Nummern werden später in<br />
eine Datenbank eingearbeitet, analysiert, und anschließend wird ein Bericht<br />
verfasst, der so viel Romantik enthält wie die Quartalsabrechnung eines Zeitungskiosks.<br />
Außerdem fällt es einem normalen Menschen schwer, einen Arbeitstag zu<br />
ertragen, der mit Aufstehen um fünf beginnt, noch vor Sonnenaufgang, und<br />
der lange nach Mitternacht in einem Besäufnis endet – einen Tag, der voller<br />
unendlicher Stunden in der heißen Sonne ist, in einer Hitze, die durch die<br />
Genfer Konvention verboten werden sollte. Ich sage nur eines: wenn irgendein<br />
Gefangener, egal ob ein Politischer oder ein stinknormaler Krimineller, unter<br />
solchen Bedingungen arbeiten müsste, hätte Amnesty International schon<br />
längst eingegriffen.<br />
Heute war es genauso wie gestern, vorgestern und an jedem der beschissenen<br />
letzten vierzehn Tage. Die Sonne brannte wie ein atomarer Scheiterhaufen<br />
und der Himmel, von der Farbe und dem Gewicht wie flüssiges Blei, hing zwei<br />
Zentimeter über meinem armen Kopf. Die Erde erhitzte meine Füße durch die<br />
dicken Schuhsohlen hindurch. Nicht einmal der Wind brachte Linderung,<br />
sondern verbrannte die Haut und trieb mir Staub in den Rachen.<br />
Die Bäume waren schon längst zu raschelnden Skeletten geworden, der<br />
Fluss zu einem schlammigen Bachbett, und das Meer zu einem nach Algen<br />
stinkendem Brei. Hinter dem Vorhang aus vibrierender Luft schoben sich weiße<br />
Schiffe wie Gespenster durch den engen Hals der Dardanellen. Von dem<br />
Platz aus, an dem ich stehen geblieben war, um zu Atem zu kommen, konnte<br />
man nicht genau sehen, ob sie über das Wasser fuhren oder über die glühenden<br />
Felder marschierten. Ein feuchter Dunst verbarg die Inseln Bozcaada und<br />
Tavşan Adası. Nur abends fletschte die untergehende Sonne ihre Zähne und<br />
die Konturen der Eilande wurden lebendig, wie die Figuren aus Kamelhaut<br />
vor dem Seidenvorhang im türkischen Schattentheater.<br />
(…)<br />
Als mich Pola vor einem halben Jahr angerufen hatte, frühmorgens, schlief<br />
ich selbstverständlich noch.<br />
„Erzähl keinen Unsinn“, meinte sie. „Wie spät ist es eigentlich?“<br />
„Mmmm.“<br />
Ich versuchte, auf den Wecker zu schauen. Ich lupfte das Augenlid. Das<br />
Licht der Nachttischlampe blendete mich.<br />
„Egal. Du musst jetzt zuhören. Wir haben eine Nekropole. Die Bulldozer<br />
haben die Fundamente für irgendwelche Datschen gegraben und sind dabei<br />
direkt auf ein Grab gestoßen. Nicht in Troja selbst, zehn Kilometer weiter, an<br />
der Küste. Du weißt, was das bedeutet?“ Pola hielt einladend inne.<br />
„Eee …“<br />
Ich verzichtete auf einen erneuten Versuch, die Augen aufzumachen und<br />
tastete blindlings auf dem Nachtschränkchen herum, auf der Suche nach dem<br />
Wasserglas.<br />
„Erzähl mir nicht, dass du nicht weißt, was es zu bedeuten hat! Das bedeutet,<br />
dass es die Begräbnisstätte der Achaier sein könnte!“<br />
„Aha …“, murmelte ich.<br />
„Das erste Grab, das die Planierraupe zerstört hatte, war eine Urne. Also<br />
eine Feuerbestattung. Die Fotos sind ein bisschen undeutlich, aber alles<br />
spricht dafür, dass …“<br />
Sie verstummte.<br />
„Du weißt, wovon ich spreche, oder?“<br />
„Nein.“<br />
„Du Banause!“<br />
„Pola“, röchelte ich. „Rufst du mitten in der Nacht an, um mich zu beleidigen?<br />
Kannst du nicht bis um neun warten?“<br />
„Kann ich. Die Achaier kamen nach Troja, um die schöne Helena zurückzuholen.<br />
Der Trojanische Krieg, vielleicht sagt es dir etwas?“<br />
„Verdammte Scheiße!“<br />
Das Wasserglas tat genau das, was alle Gläser tun, wenn man sie im Dunkeln<br />
sucht: es fiel auf den Boden und zerstob in winzige Teilchen.<br />
„Genau!“ In Polas Stimme schwang Befriedigung mit. „Frank hat eine Lizenz<br />
und hat mir versprochen, dass ich die Grabung leiten werde. Im ganzen<br />
Abschnitt der Begräbnisstätte. Begreifst du das?“<br />
„Klar.“<br />
„Und du weißt, worum es mir geht?“<br />
„Sicher.“<br />
„Und du weißt, welchen Frank ich meine?“<br />
„Sicher.“<br />
Ein Moment der Stille im Hörer.<br />
„Du hast keine Ahnung, wovon ich spreche, oder? Und es interessiert dich<br />
nicht einmal besonders. Oder irre ich mich?“<br />
„Nein.“<br />
Ein Moment der Stille.<br />
„Ich werde einen Anthropologen brauchen.“<br />
Mit zugekniffenen Augenlidern setzte ich mich auf den Bettrand und stellte<br />
die Füße auf dem kalten Fußboden ab. Von den Fenstern her zog es fürchterlich;<br />
ich konnte mich die ganze Zeit nicht aufraffen, sie abzudichten. Ich rieb<br />
mit den Handflächen über die Stoppeln in meinem Gesicht und räusperte<br />
mich ein paar Mal.<br />
„Was hat das mit mir zu tun?“<br />
„Im Juli. Oder Anfang August. Und ich möchte, dass du mindestens zwei<br />
Studenten mitbringst.“<br />
„Pola …“<br />
„Ehrlich gesagt hätte ich gerne jemanden von den höheren Semestern. Oder<br />
Doktoranden, damit du sie nicht ständig beaufsichtigen musst.“<br />
„Pola …“<br />
Es gelang mir endlich, ein Auge aufzumachen und einen Blick auf den Wecker<br />
zu werfen. Der rote Doppelpunkt zwischen der Zwei und der Dreißig<br />
pulsierte in einem hypnotischen, schläfrigen Rhythmus.<br />
„Pola, es ist halb drei Uhr. Morgens. Am siebten Januar.“<br />
Sie verstummte für einen Augenblick und sagte dann leise:<br />
„Ich dachte, du würdest dich freuen …“<br />
Also freute ich mich. Hatte ich eine andere Wahl?<br />
Aus dem Polnischen von Paulina Schulz<br />
W.A.B., WARSZAWA 2012<br />
123 × 195, 432 PAGES<br />
ISBN: 978-83-7747-646-8<br />
TRANSLATION RIGHTS: W.A.B.<br />
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