20 ZOŚKA PAPUŻANKA ZOŚKA PAPUŻANKA (GEB. 1978), THEATERWISSENSCHAFTLERIN, ARBEITET ALS POLNISCHLEHRERIN. PROMOVIERT IN LITERATURWISSEN- SCHAFT. „DAS AFFENHAUS“ IST IHR LITERARISCHES DEBÜT. Photo: Dawid Kozłowski Das Affenhaus Dieser Roman ist gewunden wie eine Sprungfeder. Komponiert aus kurzen Szenen erzählt er von mehreren Jahrzehnten einer Krakauer Familie, von einem Leben voller Spannungen, Konflikte und so tiefem Unverständnis, dass sich dem Leser die ganze Lektüre hindurch geradezu die Frage aufdrängt: Wieso hält das, warum bricht das nicht auseinander? Natürlich gibt es Hinweise, aus denen man die eine oder andere Antwort entnehmen kann, aber sie überzeugen nicht ganz: weil sie das heilige Sakrament der Ehe verbindet, weil Vorfälle aus der Vergangenheit auf ihr lasten, weil sie – zumindest für den Mann – eine Art Buße ist, und weil sich Gegensätze anziehen usw. Hier wird nichts endgültig geklärt – wir haben es nicht mit einem zweitklassigen Roman über die Hölle des Familienlebens zu tun. Das ist wirklich Literatur. Und zwar ernste Literatur. Mit Verve geschrieben, mit Ergriffenheit und literarischem Können. Papużanka operiert mutig mit der Literatursprache, ergeht sich in leichtfüßigen Wortspielen, beweist Feingefühl für die individuellen Sprachstile, die die Figuren besser charakterisieren als das eine potenzielle, von einem Erzähler gelenkte Beschreibung tun würde. All das ist großartig, die schriftstellerische Gerissenheit eingeschlossen, mit der die Autorin den Roman erdacht hat, , wobei sie sich gewiss von etwas hat lenken lassen, das man „schriftstellerische Bescheidenheit“ nennen mag – sie konstruiert keine ausschweifende Erzählung, was sich bei dem Thema eigentlich anbieten würde, sie entwickelt keine Familiensaga, sondern beschreibt lediglich in einer Art Telegrammstil Szenen aus verschiedenen Zeitabschnitten des Familienlebens, wobei sie die Erzählperspektive wechselt, so wie es im Übrigen im ersten Absatz des Romans angekündigt wird. Dieser Roman ist eine Art Konzentrat, zu dem man – um ein konventionelles Werk zu erhalten – „Wasser zum Verdünnen hinzufügen“ müsste. Allerdings bin ich nicht sicher, ob das dem Roman in der Gesamtbewertung gut tun würde, denn womöglich würde das die Kraft seiner Wirkung mindern, die sich mit einem Faustschlag vergleichen lässt. Leszek Bugajski zurück zum Inhaltsverzeichnis
21 Es ist immer das Gleiche. Kinder verlaufen sich im Wald – die alte Leier. Da lässt sich nichts machen. Selbst wenn wir dem Instinkt ein Schnippchen schlagen wollten, nehmen wir die ausgetretenen Pfade. Verlorene Zeit, die man nie wieder bekommt. Selbst wenn wir nur einen Augenblick in Erinnerung behalten wollten, zeigt sich immer wieder, dass es anders war, dass keiner mehr weiß, wer was getan hat, wer was gesagt hat, dass uns nur Fetzen bleiben, Reste auf den Tellern, die zu niemandem gehören. Nie wird man wissen, wer Erzähler ist, wer Protagonist, wer Figur im Hintergrund, wessen Worte niedergeschrieben werden. Nur wer verliert und wer gewinnt, steht immer schon am Anfang fest. Es gab keinen Grund für diese Ehe. Keinen einzigen. Weder einen rationalen noch einen irrationalen. Keinerlei Gefühle, ganz sicher. Keine Situation, keinen Zufall, nicht einmal Geld. Weder mochten sie sich, noch passten sie zueinander. Sie war schon einmal verheiratet gewesen. Der Mann war zwar längst begraben, aber sie hätte es ja auch dabei belassen können. Man wusste nicht viel über ihn, sie selbst erzählte gern, dass er wunderschön gesungen hatte, weniger gern, dass er geplündert, Verbotenes getan und sie auf diese Weise unterhalten hatte. Als dieser Mann, der als Jánošík galt, Dreck in eine Wunde am Bein bekommen hatte und gestorben war, kehrte sie ins Elternhaus zurück, mit einem Koffer und einer dreijährigen Göre mit aufgeschürften Knien, die sie halb zog, halb trug. Ihre Mutter öffnete die Tür, seufzte, und ohne die heimkehrende verlorene Tochter eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich ihren eigenen Dingen zu. Na bitteschön, eben erst waren wir diesen Lärm los, da ist er gleich doppelt wieder zurück. Die verlorene Tochter beachtete die Mutter gar nicht, setzte das Kind in eine Ecke, drückte ihm eine Scheibe Brot in die Hand, krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit. Sie nahm von niemandem etwas an, half aber allen hier und da. An sich selbst dachte sie fast gar nicht. Es wurde Herbst, es wurde Winter, es wurde Frühling, die alten Kleider begannen, über ihrem Bauch zu spannen, ihre Hände waren abgearbeitet vom Wäschewaschen und der Feldarbeit. Sie stemmte die Arme in die Hüften, stellte die Beine weit auseinander, um so viel Welt wie möglich hinter sich zu verdecken. Sie neigte den Kopf leicht, wie ein Huhn, das so tut, als verstünde es etwas. Sie sagte allen immer die Wahrheit, und zwar auf der Stelle, selbst Wahrheiten, die man nicht hören wollte. Dass der eine zu dünn sei, der andere verpickelt, und eine dritte nie einen Kerl finden würde, und schon gar nicht bei Tageslicht. Alle schätzten sie. Keiner mochte sie. Und genau das war ihr Ziel. Wenn sie die Kartoffelsetzlinge aus dem Korb genommen hatte, beugte sie sich über das schnurgerade Beet und platzierte ihren großen festen Hintern auf dem stabilen Gestell ihrer Beine, so dass alle wussten, wo sie sie mal konnten. Warum er sie geheiratet hat? Eine Witwe mit Kind? Gemein und ewig unzufrieden? Wahrscheinlich tat sie ihm leid. * „Lieber Bruder“, schrieb Bronek, „ich sende dir herzliche Grüße. Krakau ist riesig, es gibt hier viele Sehenswürdigkeiten. Wenn ich Zeit habe, gehe ich spazieren und besichtige sie, ich war bereits auf dem Wawel und in der Drachenhöhle. Hier ist alles anders. Ich habe eine gute Stelle in einem Geschäft. Im Moment wohne ich bei einem Bekannten, lege aber Geld zurück, um endlich etwas Eigenes zu kaufen. Ich habe nämlich ein Mädchen kennengelernt, als ich in einem Café war. Sie arbeitet dort als Kellnerin, kommt aber vom Lande. Wir wollen heiraten. Ja, es gibt viel Neues bei mir. Überleg nicht lange, pack deine Sachen und komm her, ich helfe dir, Arbeit zu finden, und auf meiner Hochzeit lernst du sicher jemanden kennen. Wie lange kann man denn allein leben? Dein dich liebender Bruder Bronisław.“ „Lieber Bruder“, flitzte die fertige Antwort erst durch den Kopf und dann aufs Papier, „ich denke schon lange darüber nach. Mutter läuft im Zimmer auf und ab, die Kuh musste sie verkaufen, weil es zuhause immer schlechter geht. Stasia und ihr Mann wohnen noch immer bei uns, weil sie nirgends unterkommen, im Frühling kommt das dritte Kind. Valentin wird auch heiraten, und wo sollen sie wohnen, wenn nicht in unserem Haus? Jan als vollwertiger Landwirt sitzt hingegen auf seinen Hektars, die die Frau mit in die Ehe gebracht hat, und lässt niemanden über die Schwelle. Keiner braucht mich hier, ein hungriges Maul weniger, ich habe meine Sachen schon gepackt. Jan borgt mir Geld für die Fahrkarte, wenn ich verspreche, nie zurückzukehren.“ Kaum war er aus dem Zug gestiegen, wurde er wie ein Schaf unter die Wölfe geschoben, auf halbem Wege zwischen Wodka und Häppchen, auf halber Zeit zwischen Bronek im neuen Anzug und seiner Braut mit den dicken Zöpfen und dem symbolischen Jungfrauenkranz – den echten hatte ihr Bronek eine Woche zuvor bereits in der Scheune entwendet, er hatte darauf bestanden, obwohl ihm dabei das Heu ordentlich in den Hintern gepiekt hatte. Man setzte ihn zwischen den Edelmann, den Schulzen und den Pfarrer auf einer unpoetischen Hochzeit bei Krakau, ohne Rachel, ohne goldene Hufe, dafür unter lauter Strohpuppen. Bronek schenkte dem Bruder immerfort Wodka nach, wie einer exotischen Pflanze, die Tanten der Braut kümmerten sich um ihn, wobei sie ihre Wurst- und Gurkenargumente anwendeten. Ein Opa – niemand wusste wessen, dafür war er mit Sicherheit hundert Jahre alt –, dessen gewaltiges Schnarchen die Tischdecke flattern ließ, erwachte plötzlich, und rief „Wer sagt denn, dass ich ein Hirsch bin?“, woraufhin er erneut in Glücksseeligkeit verfiel, wobei er mit seinen Händen sein gewaltiges Geweih bedeckte. Eine lustige Cousine, die eben noch traurig gewesen war vom Trinken, fasste plötzlich Mut und beschloss, laut die ganze Wahrheit über ihren Mann zu sagen, woraufhin dieser ihr öffentlich den Hintern versohlte, wobei sich herausstellte, dass dieser Hintern keine Unterwäsche kannte. Alle Mädchen schauten sich aufmerksam den Bruder des Bräutigams an, der von weit her gekommen war und lautstark vorgestellt wurde, was ihn sehr beschämte. Alle Mädchen beobachteten die Bewegungen seiner schlanken Hände, die mit Käsekuchen und Bigos beschäftigt waren, alle Mädchen, auch die, die mit anderen tanzen, die aus den Massen an Röcken und Unterröcken freudig ihre dicken prallen Knie hervorholten, alle Mädchen, selbst die, neben der Bronek dem Bruder den Platz angewiesen hatte, die, die am lautesten lachte, die am meisten tanzte und am meisten trank, die, die sich gerade dazusetzte und sich an der Wand abstützte, als wolle sie das ganze Haus umstürzen, und jetzt ihr Haar zu einem Knoten band, wobei sie die runden Schweißflecken auf ihrer weißen gestickten Bluse offenbarte, die, neben die Bronek ihn absichtlich gesetzt hatte, denn wie lange kann man denn allein leben. „Das ist mein Bruder, aus Pommern ist er angereist, er wird in Krakau mit mir zusammen arbeiten, ist ein guter Junge, aber mutterseelenallein auf der Welt, der soll mal einen Wodka trinken, dann findet er bestimmt alles nett hier, ich finde es schon nett. Liebes Fräulein, mit mir trinken sie keinen?“ „Von wegen Fräulein“, sagten zwei kräftige Zahnreihen, und kauten auf dem rosafarbenen saftigen Zungenfleisch, „von wegen Fräulein, Frau bitte, ich bin Witwe, ja, ja, so jung und schon Witwe.“ Das klang stolz, nicht traurig. „Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben, aber was soll ich mir das groß zu Herzen nehmen, das Leben ist beschissen genug, hat mir noch gefehlt, mir was zu Herzen zu nehmen, wir alle sterben doch, sind Sie für länger in Krakau?“ „Wahrscheinlich für immer, meine Liebe, wahrscheinlich für immer.“ Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Jasińska ŚWIAT KSIĄŻKI, WARSZAWA 2012 135 × 215, 208 PAGES ISBN: 978-83-7799-824-3 TRANSLATION RIGHTS: ŚWIAT KSIĄŻKI zurück zum Inhaltsverzeichnis