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Untitled - Instytut Książki

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27<br />

Krzyś<br />

zog die Papiere aus dem Versteck, es waren dort ein<br />

paar Untergrundzeitungen, zerknitterte Exemplare<br />

des Neuen Spatzen, militärische Lehrbücher aus<br />

der Vorkriegszeit und das schon unter deutscher Besatzung im Untergrund<br />

herausgegebene Buch Emotionale Psychologie von Petrażycki. Darunter lagen<br />

Karten und Schulungsmaterialien, die die wahren Schätze verdeckten: eine<br />

Thompson mit langem Kolben, zwei Sten Guns, eine Schmeisser, außerdem<br />

ein paar Granaten und ein wenig Munition. General Monter hatte gesagt,<br />

falls jemand keine Waffe habe, solle er einen Stein nehmen und eine erbeuten.<br />

Krzyś hatte eine Waffe.<br />

Er krümmte sich einen Moment über dem kleinen Kasten zusammen, aber<br />

nicht wegen des Asthmaanfalls, wer hätte sich an so einem Tag um Asthma<br />

geschert? Krzyś überlegte, was er nehmen sollte, schließlich gehörten ihm die<br />

Waffen nicht, aber mit leeren Händen in die Focha-Straße zu gehen hatte nun<br />

auch keinen Sinn. Und was ist, wenn ihn eine Patrouille anhält?<br />

Es war ein warmer Tag, eine Sten würde er unter dem Mantel verstecken<br />

können, nur dass ein Mantel am 1. August verdächtig aussah. Doch sollten<br />

an jenem Tag auf Warschaus Straßen jede Menge Menschen im Mantel zu<br />

sehen sein. Krzyś wusste, dass Soldaten außer Mänteln und Stens auch Schuhe<br />

brauchten, und er musste sich welche organisieren. Es war nicht genug Zeit.<br />

Er verspürte einen komischen Unwillen, es war, als ob ihm mit diesem Auftrag<br />

zu verstehen gegeben worden wäre, dass er sich im Hintergrund halten<br />

und den Kämpfenden behilflich sein sollte, als ob man den Gedanken von<br />

seinen Augen hätte ablesen können, dass Kämpfen bedeutete zu töten; Krzyś<br />

hingegen schien ein Mensch zu sein, der stirbt, ohne zu murren, aber mit dem<br />

Töten ein Problem hat. Er verscheuchte diese Gedanken und tröstete sich damit,<br />

dass jetzt alle in Warschau von Zweifeln geplagt wurden und ein jeder<br />

anderswo sein wollte, in einem anderen Kommando, in einem anderen Haus<br />

oder einer anderen Einfahrt als der, in der er gerade saß, und ganz sicher gab<br />

es Menschen, die in diesem Moment gerne vor einem Versteck voller Waffen<br />

gekniet hätten.<br />

Er legte zwei Granaten aufs Bett, räumte das Papier zurück und setzte die<br />

Parkettstäbe wieder ein. Er schob die Couch zur Seite und setzte sich darauf, er<br />

war außer Atem. Basia fehlte ihm, ihre Worte und ihr Mund am allermeisten,<br />

aber auch dieser einfache Handgriff: immer, wenn er das Versteck geschlossen<br />

hatte, war Basia mit Besen und Wischlappen gekommen, sie war erstaunlich<br />

vorsichtig, dafür, dass sie so ein schönes Mädchen war. Er konnte sich nicht<br />

erklären, warum Basia das tat, schließlich war es überflüssig; wenn jemand<br />

sie denunziert hätte oder irgendein Deutscher zufällig hereingekommen wäre,<br />

hätte er sofort die Couch bemerkt und an die Dielen darunter gedacht, da<br />

hätte kein Fegen geholfen. Aber Basia fegte, sie fegte immer wieder.<br />

Er dachte jetzt daran, wo sie wohl sein mochte, ob sie schon in der Pańska-<br />

Straße war, und falls nicht, ob sie dorthin gelangen wird, bevor es losgeht,<br />

schließlich muss man kein General sein, um zu wissen, was sich zusammenbraut.<br />

Die Mobilmachung dauerte schon einige Tage an, von Praga, von<br />

Radzymin und Otwock feuerte die sowjetische Artillerie ihre Salven ab, und<br />

Fischers Befehl, Gräben auszuheben, war anstelle der ganzen Stadt nur eine<br />

Handvoll Idioten nachgekommen. Basia – die nie etwas hatte wissen wollen<br />

– weiß Bescheid, es lohnt sich zu fragen, was sie mit diesem Wissen macht,<br />

verkriecht sie sich irgendwo oder folgt sie Krzyś? Diese Frage setzte ihm zu,<br />

und ein Schmerz breitete sich in seinem Körper aus, arm und dürr wie er war.<br />

Krzyś wusch sich das Gesicht, steckte die Granaten in die Hose und verdeckte<br />

sie mit seinem sandfarbenen Mantel, der für seine schmalen Schultern<br />

zu groß war, aus den überlangen Ärmeln ragten dünne Handgelenke, aus<br />

dem gestärkten Kragen der Kopf eines Jungen mit ängstlichen Augen hervor.<br />

Er warf einen Blick durch das Fenster, auf die Uhr und wieder durch das<br />

Fenster, dort eilten Menschen über gepflasterte Gehwege, strebten in chaotischen<br />

Grüppchen den ihnen bekannten Zielen zu; wenn irgendein Gesicht<br />

im Fenster erschien, dann nur, um gleich wieder zu verschwinden, aus einer<br />

dunklen Einfahrt sprang barfuß ein stinkender Hosenmatz hervor, auch ihn<br />

verschluckte umgehend eine andere dunkle Einfahrt. Die Phantasie des Poeten<br />

ergänzte den Rest: die Mauern des Wohnhauses in der Hołówka-Straße<br />

reißen auf wie frisch vernarbte Wunden, unter dem Putz scheinen feuchte rote<br />

Backsteine hervor, die Tore sind hoch, schmal, haben die Form uralter Steine,<br />

das leere Abbild heidnischer Kreise, aus denen diejenigen herausfallen, die<br />

von Warschau gefressen wurden, die auf die Teller der Moskowiter, Sowjets<br />

und Deutschen geworfen wurden, sie werden verputzt mit Besteck aus den<br />

Knochen der Volksdeutschen, zerbissen, zerkaut – nun sind sie wieder heil,<br />

sie stürmen in die Freiheit – die beim Massaker von Praga abgeschlachteten<br />

Jungs, die vom sibirischen Frost Dahingerafften, die auf der Szuch-Allee Erschossenen,<br />

die Verhungerten, das Lebendige in der Asche des vor kurzem<br />

noch existierenden Ghettos, alle sausen im Wind aus den Eingeweiden der<br />

Stadt. Über dieses Bild schob sich ein anderes, das sogar Krzyś überraschte:<br />

Es herrscht Frieden, die Deutschen sind vernichtet, die befreiten Geister<br />

verbrüdern sich, Freunde und Liebende finden zueinander, endlose Kolonnen<br />

schwarzer Autos jagen zum Spaß dahin und feiern den Sieg, wo furchterregende<br />

Kapellen lebhaft spielen, suchen sich Verliebte einen Platz in den oberen<br />

Rängen oder paaren sich direkt vor aller Augen, überzeugt davon, dass sie,<br />

da sie doch tot sind, für ihre Ausschweifungen nicht werden büßen müssen.<br />

Erschlagene Legionäre dreschen einen Skat oder Poker, abgestochene Huren<br />

flirten mit ihnen, von den Toten auferstandene Kinder werfen fröhlich die<br />

Scheiben in den Häusern ein, schließlich sind sie schon im September, vor<br />

fünf Jahren, zu Bruch gegangen.<br />

Und dann schweben die Gespenster, was noch schöner ist, in Richtung Altstadt,<br />

auf die Marszałkowska-Straße, wo sie sich in einen Leichenreigen ergießen,<br />

der erstrahlt im Glanze des Sieges. Jeder trägt eine lustige Mütze oder<br />

farbige Kleidung, rotes Konfetti schießt in den Himmel, es ertönt Gelächter,<br />

es erklingt ein Lied von Akkordeons, Gitarren und Leierkästen, und jene<br />

Fröhlichen, Siegreichen, Verstorbenen reißen die Lebenden mit sich in ihren<br />

freudigen Taumel, heben die Krüppel aus ihren Rollstühlen, stoßen den Greisen<br />

ihre Stöcke weg und ziehen sie mit sich, sie drücken Soldaten, deren Frauen,<br />

Mütter an sich, feuern Salutschüsse ab, schneller und schneller, Lebende<br />

und Tote, Könige und Unteroffiziere, vereint in einem Reigen auf den Straßen<br />

Warschaus. Wo auch immer man hinblickt, kein einziges trauriges Gesicht,<br />

es sei denn die Fresse eines Schmalzowniks oder Volksdeutschen – oder eines<br />

an der Laterne aufgeknüpften Blauen Polizisten, der eine wütende Grimasse<br />

schneidet. Warschau lacht, Warschau tanzt, zusammen mit den Menschen<br />

tanzen Tiere und Häuser, die Stadt fährt auf in den Himmel in diesen heiligen<br />

Tagen des August. So sah es zumindest Krzyś, eindeutig erschrocken über sich<br />

selbst überlegte er, ob er das nicht aufschreiben und irgendwie Basia geben<br />

sollte, als gutes Omen – wenn man dem Dichter den Kopf aufschneiden und<br />

daraus die Zukunft lesen könnte, wäre das Leben einfacher. Er lächelte bei<br />

diesem Gedanken – dem Anblick der Priester über dem gespaltenen Schädel<br />

des einen oder anderen Dichterpropheten – und entschied, dass er es nicht<br />

aufschreiben würde, weil er sich beeilen musste. Wo auch immer Basia war,<br />

sie würde sicher warten.<br />

Aus dem Polnischen von Benjamin Voelkel<br />

WYDAWNICTWO LITERACKIE, KRAKÓW 2012<br />

145 × 205, 544 PAGES<br />

ISBN: 978-83-08-04774-3<br />

TRANSLATION RIGHTS: WYDAWNICTWO LITERACKIE<br />

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