Untitled - Instytut KsiÄ Å¼ki
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17<br />
Halina,<br />
die Klinge, begann gedankenversunken ihre Hände<br />
zu bewegen. Erst als die Gabel herunterfiel,<br />
schreckte sie hoch. Sie sah sich um. Dann begann<br />
sie zu sprechen, als stünde sie neben sich. Erst leise, dann immer lauter und<br />
schneller.<br />
In der Schule wurde ich jedes Jahr für vorbildliche Leistungen ausgezeichnet.<br />
Das hat mich gewurmt, verstehst du. Habe mich gefragt, was das soll.<br />
Vorbildlich? Für wen denn? Für die anderen Mädchen, die genauso sind wie<br />
ich? Mit Schürze, mit Pferdeschwänzen oder geflochtenen Zöpfen und in<br />
Strumpfhosen. Wir alle sind aufgewachsen mit Ala aus der Fibel, die sich mit<br />
ihrer Mutter wie eine Maschine in der Küche abrackert, deren Bruder Kosmonaut<br />
ist oder Feuerwehrmann, oder weiß Gott wer. Was war ich schon für ein<br />
Vorbild für die anderen Kinder? Weil ich fleißig war und artig? Gott, wie ich<br />
es gehasst habe, artig zu sein. Ich habe absichtlich Unfug getrieben, gespuckt,<br />
geflucht, meine Schönschreibhefte zerfleddert. Aber das hat nichts geholfen.<br />
Einmal hat mir einer im Hausflur aufgelauert. Ich war sechzehn, mein Kopf<br />
leer, ich bin ständig auf Konzerte gerannt, in Springerstiefeln, und hab direkt<br />
vor der Bühne Pogo getanzt. Der Typ hält mir ein Messer an die Kehle und<br />
schreit: „Ausziehen!“, „Hose runter!“. Ich rufe nach Hilfe, darauf der, dass<br />
ich das Maul halten soll, sonst bringt er mich um. Ich weiter, Hilfe, und er,<br />
dass mich hier keiner hört, und tatsächlich – keiner wollte mich hören, im<br />
Wohngebiet zweitausend Menschen, Sommer, die Fenster stehen offen, aber in<br />
diesem Moment, Scheiße, sind die auf einmal alle taub. Ich schreie, aber viel<br />
zu leise. So in mir drin, innen ein einziger Schrei, außen Stille. Der fummelt<br />
an seinem Hosenstall, keucht, völlig im Wahn. Es war schwül, um meinen<br />
Kopf sirrte eine Fliege, und ich war mit den Gedanken schon ganz woanders,<br />
ich tat, als hätte ich mit dieser unangenehmen Szene nichts zu tun, und dachte<br />
mir nur, ach, ich ruhe mich dann zu Hause aus, ziehe mir die Decke über den<br />
Kopf und niemand kann mir was Böses. Da kommt plötzlich ein Nachbar mit<br />
seinem Mülleimer und schaut in unsere Richtung, und der Typ rennt weg,<br />
schafft es aber noch, mich hinzuschubsen. Bin mit voller Wucht auf meine<br />
Hand gefallen, das hat ziemlich weh getan.<br />
Da lag ich nun mit halb heruntergezogenem Schlüpfer und schwerem<br />
Schock. Der Nachbar machte einen großen Schritt über mich hinweg, weil<br />
ich im Weg lag. Dann knallte der Mülltonnendeckel, bumm, und weg war er.<br />
Ich konnte nicht aufstehen, hatte gehofft, er würde mir helfen, aber er wollte<br />
mich nicht hören, nicht bemerken, hatte verdammt noch Mal seine eigenen<br />
Sorgen: Frau, Kinder und so weiter.<br />
Also wirklich, die Hormonbomben liegen jetzt überall herum, sonnen sich<br />
und drücken ihre Pickel aus, dass es erschöpften Menschen geradezu ins Gesicht<br />
spritzt. Warum schert sich denn keiner darum, warum berichtet keiner<br />
im Fernsehen darüber? Wo sind die Eltern und die Erziehungskommission?<br />
Wo?<br />
meine Hand losgelassen und war vom Hocker aufgestanden. Sie war plötzlich<br />
Xena, Hothead Paisan und Göttin Kali in einem. Sie sprach, eigentlich zischte<br />
sie ganze Wortströme in mein Ohr, hämmerte sie mir ein, so wie man jemandem<br />
mathematische Formeln und heilige Gebote einschärft.<br />
Sie war mein Mahomet, der erschien, um die Wahrheit zu verkünden:<br />
Rache bringt dir Erlösung. Nur Rache bringt dir Erlösung, Mädchen. So<br />
eine Lebensweisheit findest du nicht in der Zeitung. So eine Lebensweisheit<br />
wird nur unter Eingeweihten weitergegeben.<br />
Noch einen Wodka bitte. Für die Dame auf dem Hocker hier natürlich.<br />
Halina setzte sich aufrecht hin und hörte auf, nervös an ihren Fingernägeln<br />
zu knabbern, ihre Zöpfe zu öffnen, vor sich hin zu murmeln, zu transpirieren.<br />
Jetzt ist alles wieder gut, die böse Geschichte ist abgeheftet unter „erledigt“.<br />
Jetzt ist alles gut, jetzt kann ich Karate und spüre die scharfen Waffen, die ich<br />
unterm Kleid trage.<br />
Es bringt nichts, über die Vergangenheit nachzusinnen. Schließen wir die<br />
verzierte Schatulle für Traumata und atmen tief durch. Hey, willkommen<br />
Abenteuer, morgen ist ein neuer Tag!<br />
Mädchengeschichten mögen plötzliche Wendungen in der Handlung. Da<br />
glaubst du, einfach ein bisschen zu plaudern, und plötzlich vertraut dir jemand<br />
so was an. Und schon nimmt das Gespräch eine andere Wendung, auf<br />
der Achterbahn geht es ganz nach oben, und dann saust der Wagen runter.<br />
Wenn du nicht hinterherkommst, halt den Mund.<br />
Halina wechselte das Thema, sprach über die neuesten Ausstellungen und<br />
das kaputte Fahrrad, das ihr Marek repariert hatte. Schnatter, schnatter, was<br />
für ein Tempo, was für eine Melodie! Die Geschichtenschatulle ist mit einer<br />
speziellen Mädchenchiffre verschlossen. Sie wird sich lange nicht öffnen lassen,<br />
weil sich kaum jemand diese Chiffre merken kann.<br />
„Ist das nicht ein bisschen viel Wodka?“, fragte Celina, als sie mit dem Essen<br />
fertig war.<br />
„Alkohol ist doch gesund, gut für die Verdauung, schwangere Frauen sollen<br />
Wodka trinken, weil das dem Babyblues und Blähungen vorbeugt. Das haben<br />
amerikanische Wissenschaftler bei Rattenexperimenten festgestellt. Da hatten<br />
die Weibchen die Wahl zwischen Wasser und Alkohol. Und sie entschieden<br />
sich für Letzteres. Na, die Ratten werden es wohl wissen. Dadurch wurde bewiesen,<br />
dass schwangere Frauen auf der ganzen Welt Alkohol trinken sollten.<br />
Sogar im Kreissaal fließt Spiritus statt Oxytocin aus dem Tropf, so hat das<br />
Neugeborene gleich zehn Punkte auf dem, na, wie heißt das gleich, auf dem<br />
Alko-Score.“<br />
Celina schaute ihre Freundin verwirrt an und wollte ihr schon widersprechen,<br />
es sei wohl ein symbolisches Glas Rotwein gemeint, aber sie war nicht<br />
mehr sicher und fürchterlich müde.<br />
Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Jasińska<br />
Der Nachbar ging. Ich nicht.<br />
Die Clique tanzte. Ich nicht.<br />
Nach einer Weile erhob ich mich, stöhnte vor Schmerz und ging nach Hause.<br />
Und da drehte ich das kalte Wasser auf und hielt den Kopf drunter.<br />
Ist ja gar nichts passiert, dachte ich. Schließlich hatte er mich nicht vergewaltigt.<br />
Ich zitterte am ganzen Leibe und ging ins Treppenhaus, um eine zu<br />
rauchen.<br />
Da traf ich eine Bekannte, und die sagte: „Wie geht’s dir? Siehst so blass aus.“<br />
Die Hand, auf die ich geknallt war, war dick angeschwollen, kugelrund, als<br />
würde sie gleich platzen. Keine Ahnung, wieso ich genau in dieser Pfote die<br />
Kippe hielt und nichts sagte. Mir liefen die Tränen, aber ich schwieg, und die<br />
Bekannte zu mir: „Eh, hat dich dein Alter geschlagen?“ Ich schwieg weiter,<br />
und sie hat bestimmt gedacht, dass ich mich schäme, das zuzugeben, und<br />
wahrscheinlich tat ich ihr leid.<br />
Abends hatte ich den Eindruck, dass es mir besser geht. Dass diese dumpfe<br />
Wut nur ein vorübergehender Rausch ist. Eine Woche später habe ich mir zum<br />
ersten Mal die Pulsadern aufgeschnitten.<br />
Im Krankenhaus war eine tolle Schwester. Ich erzählte ihr, was passiert war,<br />
und dass ich mich lieber selbst umbringen würde, als den, der mir das angetan<br />
hatte.<br />
Sie wandte sich ab und schwieg lange. Als sie mich wieder ansah, war sie<br />
nicht mehr die freundliche Krankenschwester mit Käppi und Kittel. Sie hatte<br />
ŚWIAT KSIĄŻKI, WARSZAWA 2012<br />
135 × 215, 240 PAGES<br />
ISBN: 978-83-273-0187-1<br />
TRANSLATION RIGHTS: ŚWIAT KSIĄŻKI<br />
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