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Untitled - Instytut Książki

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21<br />

Es<br />

ist immer das Gleiche. Kinder verlaufen sich im Wald – die alte<br />

Leier. Da lässt sich nichts machen. Selbst wenn wir dem Instinkt<br />

ein Schnippchen schlagen wollten, nehmen wir die ausgetretenen<br />

Pfade. Verlorene Zeit, die man nie wieder bekommt. Selbst wenn wir nur einen<br />

Augenblick in Erinnerung behalten wollten, zeigt sich immer wieder, dass<br />

es anders war, dass keiner mehr weiß, wer was getan hat, wer was gesagt hat,<br />

dass uns nur Fetzen bleiben, Reste auf den Tellern, die zu niemandem gehören.<br />

Nie wird man wissen, wer Erzähler ist, wer Protagonist, wer Figur im<br />

Hintergrund, wessen Worte niedergeschrieben werden. Nur wer verliert und<br />

wer gewinnt, steht immer schon am Anfang fest.<br />

Es gab keinen Grund für diese Ehe. Keinen einzigen. Weder einen rationalen<br />

noch einen irrationalen. Keinerlei Gefühle, ganz sicher. Keine Situation,<br />

keinen Zufall, nicht einmal Geld. Weder mochten sie sich, noch passten sie<br />

zueinander. Sie war schon einmal verheiratet gewesen. Der Mann war zwar<br />

längst begraben, aber sie hätte es ja auch dabei belassen können. Man wusste<br />

nicht viel über ihn, sie selbst erzählte gern, dass er wunderschön gesungen<br />

hatte, weniger gern, dass er geplündert, Verbotenes getan und sie auf diese<br />

Weise unterhalten hatte.<br />

Als dieser Mann, der als Jánošík galt, Dreck in eine Wunde am Bein bekommen<br />

hatte und gestorben war, kehrte sie ins Elternhaus zurück, mit einem<br />

Koffer und einer dreijährigen Göre mit aufgeschürften Knien, die sie halb zog,<br />

halb trug. Ihre Mutter öffnete die Tür, seufzte, und ohne die heimkehrende<br />

verlorene Tochter eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich ihren eigenen<br />

Dingen zu. Na bitteschön, eben erst waren wir diesen Lärm los, da ist er gleich<br />

doppelt wieder zurück. Die verlorene Tochter beachtete die Mutter gar nicht,<br />

setzte das Kind in eine Ecke, drückte ihm eine Scheibe Brot in die Hand,<br />

krempelte die Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit.<br />

Sie nahm von niemandem etwas an, half aber allen hier und da. An sich<br />

selbst dachte sie fast gar nicht. Es wurde Herbst, es wurde Winter, es wurde<br />

Frühling, die alten Kleider begannen, über ihrem Bauch zu spannen,<br />

ihre Hände waren abgearbeitet vom Wäschewaschen und der Feldarbeit. Sie<br />

stemmte die Arme in die Hüften, stellte die Beine weit auseinander, um so viel<br />

Welt wie möglich hinter sich zu verdecken. Sie neigte den Kopf leicht, wie ein<br />

Huhn, das so tut, als verstünde es etwas. Sie sagte allen immer die Wahrheit,<br />

und zwar auf der Stelle, selbst Wahrheiten, die man nicht hören wollte. Dass<br />

der eine zu dünn sei, der andere verpickelt, und eine dritte nie einen Kerl<br />

finden würde, und schon gar nicht bei Tageslicht. Alle schätzten sie. Keiner<br />

mochte sie. Und genau das war ihr Ziel. Wenn sie die Kartoffelsetzlinge aus<br />

dem Korb genommen hatte, beugte sie sich über das schnurgerade Beet und<br />

platzierte ihren großen festen Hintern auf dem stabilen Gestell ihrer Beine, so<br />

dass alle wussten, wo sie sie mal konnten.<br />

Warum er sie geheiratet hat? Eine Witwe mit Kind? Gemein und ewig unzufrieden?<br />

Wahrscheinlich tat sie ihm leid.<br />

*<br />

„Lieber Bruder“, schrieb Bronek, „ich sende dir herzliche Grüße. Krakau ist<br />

riesig, es gibt hier viele Sehenswürdigkeiten. Wenn ich Zeit habe, gehe ich spazieren<br />

und besichtige sie, ich war bereits auf dem Wawel und in der Drachenhöhle.<br />

Hier ist alles anders. Ich habe eine gute Stelle in einem Geschäft. Im<br />

Moment wohne ich bei einem Bekannten, lege aber Geld zurück, um endlich<br />

etwas Eigenes zu kaufen. Ich habe nämlich ein Mädchen kennengelernt, als<br />

ich in einem Café war. Sie arbeitet dort als Kellnerin, kommt aber vom Lande.<br />

Wir wollen heiraten. Ja, es gibt viel Neues bei mir. Überleg nicht lange, pack<br />

deine Sachen und komm her, ich helfe dir, Arbeit zu finden, und auf meiner<br />

Hochzeit lernst du sicher jemanden kennen. Wie lange kann man denn allein<br />

leben? Dein dich liebender Bruder Bronisław.“<br />

„Lieber Bruder“, flitzte die fertige Antwort erst durch den Kopf und dann<br />

aufs Papier, „ich denke schon lange darüber nach. Mutter läuft im Zimmer<br />

auf und ab, die Kuh musste sie verkaufen, weil es zuhause immer schlechter<br />

geht. Stasia und ihr Mann wohnen noch immer bei uns, weil sie nirgends unterkommen,<br />

im Frühling kommt das dritte Kind. Valentin wird auch heiraten,<br />

und wo sollen sie wohnen, wenn nicht in unserem Haus? Jan als vollwertiger<br />

Landwirt sitzt hingegen auf seinen Hektars, die die Frau mit in die Ehe gebracht<br />

hat, und lässt niemanden über die Schwelle. Keiner braucht mich hier,<br />

ein hungriges Maul weniger, ich habe meine Sachen schon gepackt. Jan borgt<br />

mir Geld für die Fahrkarte, wenn ich verspreche, nie zurückzukehren.“<br />

Kaum war er aus dem Zug gestiegen, wurde er wie ein Schaf unter die Wölfe<br />

geschoben, auf halbem Wege zwischen Wodka und Häppchen, auf halber Zeit<br />

zwischen Bronek im neuen Anzug und seiner Braut mit den dicken Zöpfen<br />

und dem symbolischen Jungfrauenkranz – den echten hatte ihr Bronek eine<br />

Woche zuvor bereits in der Scheune entwendet, er hatte darauf bestanden,<br />

obwohl ihm dabei das Heu ordentlich in den Hintern gepiekt hatte. Man<br />

setzte ihn zwischen den Edelmann, den Schulzen und den Pfarrer auf einer<br />

unpoetischen Hochzeit bei Krakau, ohne Rachel, ohne goldene Hufe, dafür<br />

unter lauter Strohpuppen. Bronek schenkte dem Bruder immerfort Wodka<br />

nach, wie einer exotischen Pflanze, die Tanten der Braut kümmerten sich um<br />

ihn, wobei sie ihre Wurst- und Gurkenargumente anwendeten.<br />

Ein Opa – niemand wusste wessen, dafür war er mit Sicherheit hundert Jahre<br />

alt –, dessen gewaltiges Schnarchen die Tischdecke flattern ließ, erwachte<br />

plötzlich, und rief „Wer sagt denn, dass ich ein Hirsch bin?“, woraufhin er<br />

erneut in Glücksseeligkeit verfiel, wobei er mit seinen Händen sein gewaltiges<br />

Geweih bedeckte. Eine lustige Cousine, die eben noch traurig gewesen war<br />

vom Trinken, fasste plötzlich Mut und beschloss, laut die ganze Wahrheit<br />

über ihren Mann zu sagen, woraufhin dieser ihr öffentlich den Hintern versohlte,<br />

wobei sich herausstellte, dass dieser Hintern keine Unterwäsche kannte.<br />

Alle Mädchen schauten sich aufmerksam den Bruder des Bräutigams an,<br />

der von weit her gekommen war und lautstark vorgestellt wurde, was ihn sehr<br />

beschämte. Alle Mädchen beobachteten die Bewegungen seiner schlanken<br />

Hände, die mit Käsekuchen und Bigos beschäftigt waren, alle Mädchen, auch<br />

die, die mit anderen tanzen, die aus den Massen an Röcken und Unterröcken<br />

freudig ihre dicken prallen Knie hervorholten, alle Mädchen, selbst die, neben<br />

der Bronek dem Bruder den Platz angewiesen hatte, die, die am lautesten lachte,<br />

die am meisten tanzte und am meisten trank, die, die sich gerade dazusetzte<br />

und sich an der Wand abstützte, als wolle sie das ganze Haus umstürzen,<br />

und jetzt ihr Haar zu einem Knoten band, wobei sie die runden Schweißflecken<br />

auf ihrer weißen gestickten Bluse offenbarte, die, neben die Bronek ihn<br />

absichtlich gesetzt hatte, denn wie lange kann man denn allein leben. „Das<br />

ist mein Bruder, aus Pommern ist er angereist, er wird in Krakau mit mir<br />

zusammen arbeiten, ist ein guter Junge, aber mutterseelenallein auf der Welt,<br />

der soll mal einen Wodka trinken, dann findet er bestimmt alles nett hier, ich<br />

finde es schon nett. Liebes Fräulein, mit mir trinken sie keinen?“ „Von wegen<br />

Fräulein“, sagten zwei kräftige Zahnreihen, und kauten auf dem rosafarbenen<br />

saftigen Zungenfleisch, „von wegen Fräulein, Frau bitte, ich bin Witwe, ja, ja,<br />

so jung und schon Witwe.“ Das klang stolz, nicht traurig. „Mein Mann ist vor<br />

zwei Jahren gestorben, aber was soll ich mir das groß zu Herzen nehmen, das<br />

Leben ist beschissen genug, hat mir noch gefehlt, mir was zu Herzen zu nehmen,<br />

wir alle sterben doch, sind Sie für länger in Krakau?“ „Wahrscheinlich<br />

für immer, meine Liebe, wahrscheinlich für immer.“<br />

Aus dem Polnischen von Antje Ritter-Jasińska<br />

ŚWIAT KSIĄŻKI, WARSZAWA 2012<br />

135 × 215, 208 PAGES<br />

ISBN: 978-83-7799-824-3<br />

TRANSLATION RIGHTS: ŚWIAT KSIĄŻKI<br />

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