20 MB - RegJo
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16 professorengespräch regjo südniedersachsen<br />
regjo südniedersachsen Professorengespräch 17<br />
men spielt heute keine Rolle mehr. Früher war das anders, da gab<br />
es ein anderes Bewusstsein für die richtige Aussprache. Gerade<br />
hier im Norden fällt mir das auf. Da wird „Das Ärste“ gesagt statt<br />
„Das Erste“. Keiner weiß mehr, wann es ein offenes und wann<br />
ein geschlossenes E ist. Im Grunde sprechen die Leute heute<br />
unbeeinflusster.<br />
Busch: Die Ursache kann aber auch noch viel weiter zurückliegen.<br />
Deutschlehrer sind so etwas wie die sprachlichen Rollenvorbilder<br />
in der Schule. Die lernen im Studium aber nicht mehr ausreichend<br />
viel über Phonetik und Sprechen. Sprecherziehung ist<br />
heute nur noch optional. Das hat Folgen bis weit in die verschiedenen<br />
Berufsfelder hinein.<br />
Jüngst wurde wieder das Jugendwort des Jahres gewählt. Gehen<br />
von „der Jugend“ aber überhaupt nachhaltige Sprachveränderungen<br />
aus?<br />
Job: Ich glaube nicht. Das Phänomen Jugendsprache hat es schon<br />
immer gegeben, da finden rasche Neuerungen statt, die aber nicht<br />
nachhaltig sind. Als wir jung waren, waren das knorke, tofte oder<br />
dufte – die gehen heute nicht mehr. Heute gehen noch cool und<br />
geil, aber demnächst wird sicher etwas Neues kommen, weil der<br />
Originalitätseffekt weg ist. Das ist aber nicht nur ein deutsches<br />
Phänomen.<br />
Busch: Die allgemeine Kulturkritik an der Jugend gibt es schon in<br />
der Antike. Jugendsprache signalisiert Abgrenzung und Gruppenbildung,<br />
hat also eine ganz andere Funktion. Aber so etwas wie<br />
Kiezsprache könnte eine größere Veränderung bewirken. Dabei<br />
handelt es sich in großen Städten um eine Mischung von Jugendsprache,<br />
Dialekten und Migrationsprachen.<br />
Job: Auch da wird man wohl eine Generation abwarten müssen,<br />
ob sich das hält oder man sich an der Mehrheitssprache orientiert,<br />
zum Beispiel aus Gründen der beruflichen Perspektive.<br />
In England gibt es Soziolekte – man erkennt an der Sprache, aus<br />
welcher sozialen Schicht jemand kommt. Gibt es so etwas in<br />
Deutschland auch oder ist es im Entstehen begriffen?<br />
Apl. Prof. Albert Busch<br />
Seit 17 Jahren untersuche ich an der Universität Göttingen<br />
Sprache und Sprachverwendung. Eine meiner<br />
vielfältigen Aufgaben ist die als geschäftsführender<br />
Leiter des Niedersächsischen Wörterbuchs.<br />
In der Forschung interessieren mich besonders alle<br />
Schattierungen der fachsprachlichen Kommunikation<br />
zwischen Experten und Laien sowie die forensische<br />
Linguistik. Die sprachlichen Fragen, denen ich heute<br />
nachgehe, sind durch Erfahrungen in verschiedenen<br />
Bereichen wie Arzt-Patient-Kommunikation, Maschinenbau,<br />
Ledermanufaktur, Public Health, Gesundheits-<br />
und Beratungswesen motiviert. Hinzugekommen<br />
ist das Thema der sprachlichen Verfassung und<br />
Entwicklung der Computertechnologie.<br />
Busch: Die Soziolinguistik zeigt, dass es eine Sprache der Oberoder<br />
Unterschicht nicht gibt, einfach weil diese Schichten nicht<br />
existieren. Auch die Soziologie denkt nicht mehr in Schichten,<br />
sondern in Milieus, in denen Schichtungen sichtbar werden. Und<br />
das Milieu ist nichts, was einer Person anhaftet, sondern eine Person<br />
kann sich in vielen Milieus bewegen und viele Lebensstile<br />
pflegen. Aber dennoch ist es so, dass, wenn man an bestimmte<br />
monetäre Schichten denkt oder an Bildungsschichten, diese sich<br />
oft auch in der Sprache bemerkbar machen.<br />
Job: Ich kenne das etwa noch aus dem Ruhrgebiet. Wenn jemand<br />
Dativ und Akkusativ nicht auseinanderhalten kann oder den<br />
Komparativ mit „wie“ statt „als“ bildet, dann sind das Merkmale.<br />
Treten die gebündelt auf, dann kann man annehmen, dass der<br />
Sprecher nicht aus der begüterten Schicht stammt, sondern einen<br />
eher einfachen Hintergrund hat. Insofern gibt es schon Hinweise.<br />
Was macht denn eigentlich „gute“ Sprache und eine „gute“<br />
Schriftform aus?<br />
Busch: Es gibt dazu einige Bände etwa aus dem Duden-Verlag,<br />
insofern ist die Antwort etwas länger... Auf jeden Fall Verständlichkeit,<br />
eine Situations- und Gegenstandsangemessenheit, dann<br />
sicher auch Stil und Ästhetik dort, wo sie eine Funktion haben.<br />
Gute Sprache an sich gibt es schlicht nicht; es gibt gute Sprache<br />
dort, wo sie ihren Zweck erfüllt.<br />
Job: Diese Frage wird schon seit der Antike diskutiert. Bei den<br />
Römern waren die Vorstellungen sehr viel strikter als das heute<br />
bei uns der Fall ist. Da galten bestimmte Autoren als vorbildlich<br />
und an denen hat man sich orientiert. Im Prinzip hat sich diese<br />
Vorstellung, dass es eine schöne, eine gute Sprache gibt, dass alles<br />
grammatisch korrekt und präzise ausgedrückt ist, aber bis heute<br />
gehalten.<br />
Prof. Michael Job<br />
1999 bin ich auf den Lehrstuhl für Allgemeine und<br />
Indogermanische Sprachwissenschaft im Sprachwissenschaftlichen<br />
Seminar der Georg-August-<br />
Universität berufen worden. Meine Forschungsund<br />
Lehrinteressen erstrecken sich unter anderem<br />
auf den Sprachwandel (Welche allgemeinen Tendenzen<br />
des Wandels können wir – insbesondere<br />
bei den indogermanischen und kaukasischen<br />
Sprachen – ermitteln?), auf die Sprachtypologie<br />
(Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei Sprachen)<br />
und auf die Frage, wie sich Struktur und<br />
Dynamik von Wortschätzen beschreiben lassen<br />
(Lexikologie).<br />
Busch: Wenn man sich anschaut, wo Sprache im Erwachsenenbereich<br />
unterrichtet wird, dann findet das sehr stark in Unternehmen<br />
statt. Und 70, 80% davon gehen zurück auf die antike Rhetorik.<br />
Wir haben viele Ratgeber durchgeprüft und die Rhetorikvorschläge<br />
darin basieren auf antiken Konzepten.<br />
Herr Busch, Sie haben mit Studierenden den Verein Sprachwerk<br />
gegründet, um Unternehmen und Verwaltungen unter dem Aspekt<br />
verständliche Kommunikation zu beraten. Wie groß sind die Nachfrage<br />
und der Bedarf?<br />
Busch: Der Bedarf zeigt sich massiv. Gerade die Verwaltungssprache<br />
ist immer noch etwas, das nicht verstanden wird. Den Imponiergestus<br />
von juristischer Sprache, der in Verwaltungssprache stark präsent<br />
ist, hat man jahrzehntelang mit Ehrfurcht betrachtet. Heute<br />
wird aber zunehmend weniger akzeptiert, dass etwas unverständlich<br />
ist. Wo Sprachwerk berät, stellt man fest, dass selbst ganz elementare<br />
Dinge in der Sprachkultur großer Unternehmen oder Verwaltungen<br />
im Argen liegen. Zum Beispiel stellten wir bei einem<br />
Massenbescheid fest, dass die Leute damit nicht zufrieden waren,<br />
schlicht weil die Anrede fehlte. Und es ist nicht notwendig, dass<br />
„Regen“ in Bescheiden „Oberflächenwasser“ heißt. Aber es gibt eine<br />
starke Resistenz, gerade in der Schriftsprache etwas zu verändern.<br />
Job: Ein krasses Beispiel haben wir im eigenen Hause. Bei der Erstellung<br />
der Masterzulassungsordnung gibt es eine Formulierung, die ich<br />
nicht verstanden habe: „Die Einschreibung ist auflösend bedingt.“<br />
Ich habe Juristen gefragt, ob man das nicht klarer ausdrücken könne,<br />
so dass jeder weiß, was gemeint ist. Darauf hat man mir gesagt, dass<br />
die Ordnung nicht für die Studierenden, sondern für die Gerichte<br />
geschrieben sei. Ich sehe da eingefahrene Strukturen, die tradiert<br />
werden. Da gibt es eine juristische Fachsprache und es gibt keinen<br />
Grund, davon abzuweichen, weil sie den Vorteil hat, relativ eindeutig<br />
zu sein. Relativ, denn sonst gäbe es keine Prozesse...<br />
Wie nehmen Sie Sprachniveau, -beherrschung und -vielfalt im<br />
öffentlichen Bereich wahr – also schwerpunktmäßig in Medien<br />
und Politik?<br />
Job: Ich lese regelmäßig die FAZ und stelle fest, dass zunehmend<br />
ungenaue Formulierungen verwendet werden, zum Teil auch<br />
grammatisch unpassend. Oder Präpositionen, die bestimmte Kasus<br />
regieren, gehen manchmal durcheinander. Aber das ist normaler<br />
Sprachwandel, nicht mangelnde Beherrschung. Es gibt einen Variationsbereich,<br />
der die Tür öffnet für Veränderungen in der Sprache.<br />
Das muss irgendwo anfangen können und das geht nur, wenn<br />
Alternativen möglich sind.<br />
Busch: Man muss sicher sehr genau hinschauen. Der Spiegel ist da<br />
ungeeignet, weil die Artikel, außer den Kommentaren, sehr häufig<br />
von Autorenteams geschrieben werden. Individualität wird hauptsächlich<br />
in der Wortwahl deutlich. Einen sprachlichen Fingerabdruck<br />
gibt es aber sowieso nicht, erst recht nicht, wenn Texte noch<br />
redaktionell überformt werden.<br />
Stichwort Computerlinguistik: Zeichnet sich eine technische Lösung<br />
für die Abbildung der Komplexität von Sprache ab?<br />
Busch: Es hat sich da in den letzten Jahren allerlei entwickelt.<br />
Inzwischen hat man die Computerlinguistik stark auf semantische<br />
Netzwerke ausgeweitet, also Sinnzusammenhänge in Sätzen, nachdem<br />
man sich vorher lange Zeit mit der Sprachstruktur beschäftigt<br />
hat. Man hat den Computern zunächst Regelsysteme gegeben,<br />
wie sie Lautfolgen auseinandernehmen und analysieren können.<br />
Da war man sehr stark beschränkt, solange nur begrenzte Speichermöglichkeiten<br />
da waren. Mit dem Fortschritt der Technologie<br />
kam die Weiterentwicklung auch im semantischen Bereich, in der<br />
maschinellen Wörterbucherstellung, die ganz stark von der Computerlinguistik<br />
mitentwickelt wurden und die heute schon im Hintergrund<br />
der Sprachverarbeitung arbeiten.<br />
Job: Daran arbeitet man seit den 60er Jahren in den USA. Am<br />
Anfang hat man sich aber mehr davon versprochen als am Ende<br />
realisiert werden konnte, weil so viel Weltwissen in unsere Sprachpraxis<br />
einfließt, die man nicht so richtig mit dem Computer greifen<br />
kann. Bezeichnenderweise arbeiten Spracherkennungssysteme