Materialsammlung - Theater Marburg
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Fassung dann knappe hundert Seiten lang war, machte uns das stolz. Als ich dann hörte, daß<br />
sechzig Seiten schon zu viel sind, habe ich schon nicht mehr so stolz in die Gegend gegrinst.<br />
Kürzen ist ein Spaß, wenn man weiß, wo es hinführen soll.<br />
Ich denke, die Spannung ist in dem Stück noch intensiver als in dem Roman, weil die Essenz<br />
geblieben ist. Sie ist auf das prägnanteste Runterdistilliert und trifft den Zuschauer wie ein<br />
Faustschlag. So soll es sein.<br />
Als Romanautor hast Du eine große Macht über deine Figuren, Du bist derjenige, der<br />
entscheidet, wie sie aussehen und was sie tun. Als Autor eines <strong>Theater</strong>stückes schreibst Du<br />
lediglich Dialoge, das heißt, Du kannst nur noch darüber bestimmen, was deine Figuren SAGEN,<br />
und nicht mehr oder nur indirekt über das, was sie später auf der Bühne TUN. Ist es dir beim<br />
Schreiben des Stückes CENGIZ & LOCKE sehr schwer gefallen, die Figuren aus dem Roman<br />
loszulassen und ihr weiteres Bühnenschicksal in die Hände des Regisseurs und der<br />
Schauspieler zu legen? Nein, das fiel gar nicht schwer, weil es mich kein bißchen gekümmert hat.<br />
Ich bin kein großer <strong>Theater</strong>gänger, ich bin eher der Mann für Filme und ging davon aus, daß ich<br />
alles schreibe, was ich für wichtig finde und das Überflüssige kann dann der Regisseur streichen.<br />
Da ich Frank vorher kennengelernt und zwei seiner Stücke gesehen hatte, war ich mir sicher, er<br />
macht sein eigenes Ding daraus. Denn so sehe ich das - ich gebe meine Arbeit aus der Hand und da<br />
ist es egal, ob es ein Drehbuch oder ein <strong>Theater</strong>stück ist. Sobald ich es weggeben habe, ist es<br />
Sache des Regisseurs, was er damit macht. Natürlich kann er es in den Sand setzen, und natürlich<br />
werde ich mich dann fürchterlich rächen. Nee, ich bin ein netter Kerl und ich verlaß mich auf mein<br />
Gefühl.<br />
Die Jungs, über die Du schreibst, haben es nicht gerade leicht im Leben: Sie haben es zu tun mit<br />
Drogen, Schlägereien und Diebstählen, manche von ihnen tragen sogar Waffen. Was hat es für<br />
einen Sinn, über so viel Ausweglosigkeit zu schreiben und wie reagieren die Jugendlichen bei<br />
deinen Lesungen darauf? Es geht hier nicht um Ausweglosigkeit. Es geht hier nicht um die<br />
Realität. Es geht nicht darum, ein pädagogisch wertvolles Werk abzuliefern. Es geht um Charaktere,<br />
die mir am Herzen liegen. Sie bauen Mist, sie lernen Freundschaft kennen, sie versuchen ihre Fehler<br />
wieder gutzumachen und stellen sich nicht gerade sehr geschickt an. Natürlich werden sie auch<br />
mit einem Teil der Realität konfrontiert. Ich bin ja keine Astrid Lindgren der Straßen. Ich schreibe,<br />
was ich sehe und ich erfinde, was ich für echt halte. Ich versuche dabei nahe an meinen<br />
Charakteren dran zu sein und zu schauen, wie sie reagieren. Ein Autor vertraut da sehr seinen<br />
Instinkten. Bei mir ist es nicht so, daß ich dasitze und mir denke, Jetzt laß ich mal Cengiz & Locke<br />
gegen eine Wand laufen. Die Charaktere haben ein Eigenleben, ich bin als Schriftsteller ein<br />
Beobachter, der ihre Wege betrachtet und dokumentiert. Und natürlich ist es für mich reizvoll, den<br />
Konflikt aufzuspüren und zu schauen, wie weit meine Charaktere gehen. Und natürlich tut es mir oft<br />
selbst weh, was ihnen geschieht.<br />
Auch wenn Drogen, Schlägereien und Diebstähle vorkommen, sind sie nicht das Thema. Das<br />
Thema ist Freundschaft und der Glaube an sich. Damit meine ich nichts Religiöses, ich meine diese<br />
Selbstzweifel, die alle Jugendlichen plagen; ich meine, die Art und Weise, wie ihnen schon in der<br />
Schule Angst vor der Zukunft gemacht wird. Dieser fehlende Glaube an sich selbst ist immer wieder<br />
Thema bei mir. Es sind keine Mutmachgeschichte, sie sind aber auch ganz weit entfernt von<br />
destruktiven Visionen. Für mich leuchtet immer die Hoffnung im Hintergrund. Dabei bediene ich<br />
mich beim Schreiben keiner plakativen Härte, sondern einer Härte, die ich in unserer Zeit<br />
beobachte. Und manchmal tut es eben richtig weh. Auch mir als Autor, aber das bin ich meinen<br />
Charakteren schuldig, wegschauen geht nicht.<br />
Die Jugendlichen reagieren teilweise erschrocken, denn natürlich gebe ich ihnen bei den Lesungen<br />
Action und Härte. Ich gebe ihnen auch ein wenig von den sanften Stellen, damit sie sehen, daß das<br />
Buch nicht nur aus Dunkelheit besteht. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Es gibt 10. Klassen, die<br />
danach kaum reden könnnen; es gibt 8. Klassen, die mich mit Fragen bombadieren und das Buch<br />
sofort lesen. Es kommt immer darauf an, welchen Nerv man trifft. Es kommt immer auf die