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Materialsammlung - Theater Marburg

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Das Freundschaftsverständnis von Kindern<br />

von tm<br />

In psychologischen Studien zur Entwicklung des Freundschaftsverständnisses von Kindern steckt<br />

eine Menge Philosophie. Umgekehrt können solche Studien aber auch das philosophische<br />

(begriffliche) Verständnis der Freundschaft bereichern und unser Bewusstsein für praktisch<br />

bedeutsame Unterscheidungen schärfen. Im Blick auf das Philosophieren mit Kindern über<br />

Freundschaft kann die Kenntnis der entwicklungsbedingten Grenzen kindlicher<br />

Freundschaftsbegriffe vor übertriebenen Erwartungen und einer Überforderung der Kinder<br />

bewahren und helfen, die richtigen Fragen zu stellen. Dieser Text fasst entwicklungspsychologische<br />

Forschungen zum Freundschaftsverständnis zusammen und konzentriert sich dabei auf ihre<br />

ethischen und sozialkognitiven Aspekte.<br />

Wozu Freunde?<br />

Freundschaft gehört aus gutem Grund zu den bevorzugten, motivierendsten Themen beim<br />

Philosophieren mit Kindern. Ginge es allein nach ihnen, bestünde kein Zweifel: Freundschaft ist<br />

nicht nur für die Großen eine wichtige Sache, sie beschäftigt auch schon die Kleinen und Kleinsten.<br />

In sozialpsychologischen Befragungen betont eine große Mehrheit jüngerer wie älterer Kinder, dass<br />

Freunde in ihrem Leben einen herausragenden Stellenwert haben. Nach den Eltern rangieren sie<br />

unter allen sozialen Beziehungen an zweiter Stelle (vor den Geschwistern), und ihre Bedeutung<br />

nimmt mit dem Alter der Kinder noch zu. In deren Wahrnehmung vermitteln Freundschaften<br />

Gemeinschaft, Zugehörigkeit, Wertschätzung und persönliche Anerkennung. Darüber hinaus bieten<br />

sie eine Grundlage für verschiedene Formen der Unterstützung in schwierigen Situationen und<br />

stärken so Gefühle der Sicherheit und Zuversicht. Mitunter müssen Freunde den Kindern an<br />

Aufmerksamkeit, Halt und Orientierung ersetzen, was ihnen Erwachsene vorenthalten. So kann es<br />

nicht verwundern, dass Freundschaften zwischen Kindern positiv mit deren körperlichem und<br />

psychischem Wohlbefinden, negativ mit psychosomatischen Beschwerden sowie depressiven und<br />

suizidalen Tendenzen korrelieren.<br />

Damit ist ihre Bedeutung für die Entwicklung der Kinder aber allererst angedeutet. Freundschaften<br />

sind (zumindest In westlichen Gesellschaften) vergleichsweise individualisierte, sozial wenig<br />

normierte Beziehungen. Sie werden freiwillig initiiert und eingegangen (bei kleineren Kindern oft mit<br />

Unterstützung der Eltern) und verlangen von den Kindern Engagement und Eigenständigkeit bei<br />

ihrer Gestaltung. Weil Freundschaften die grundsätzliche Gleichrangigkeit der Freunde verlangen,<br />

müssen gegenseitige Erwartungen und Verpflichtungen ausgehandelt und, unter Wahrung der<br />

jeweiligen Interessen und Gerechtigkeitsvorstellungen, vereinbart werden. Darin unterscheiden sich<br />

Freundschaften grundlegend von Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, die letztlich<br />

immer durch asymmetrische Autorität und Verantwortung gekennzeichnet sind (bzw. sein sollten).<br />

In der Freundschaft liegen darum nach Überzeugung vieler Entwicklungspsychologen die Wurzeln<br />

einer autonomen Moral.<br />

Auch die Art der Konflikte, die zwischen Freunden auftreten, unterscheidet sich von der zwischen<br />

Eltern und Kindern. Gewöhnlich sind es die Freunde, die Konflikte interpretieren und lösen oder<br />

auch mit ungelösten Konflikten umgehen müssen. Gemeinsam finden sie Regeln, die Konflikte<br />

vermeiden helfen, die aber selbst Anlass für Konflikte sein können. Die Einhaltung der zwischen<br />

Freunden vereinbarten Regeln ist Aufgabe und Leistung jedes einzelnen Kindes. Bei einem Verstoß<br />

ist die Art der Ahndung oder des Ausgleichs ebenso möglicher Gegenstand von Verhandlungen wie<br />

die Frage, was wofür als Entschuldigung gilt. Beides, das Aushandeln von Regeln und das<br />

Sanktionieren von Verstößen, geschieht bei älteren Kindern im Hinblick auf eine längerfristige, als<br />

in sich wertvoll empfundene Beziehung und nicht allein zum Zweck einer zeitweiligen,<br />

interessegesteuerten Kooperation. Freundschaften bieten darum wertvolle Gelegenheiten zur<br />

Einübung von Verantwortung und Selbständigkeit in dauerhaften sozialen Beziehungen (dies dort<br />

um so mehr, wo Kinder ohne Geschwister aufwachsen). Sie vermitteln also neben einem positiven

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