Materialsammlung - Theater Marburg
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hat schon Ärger gebracht, weil ein, zwei Verlage fanden, das wäre für die Altersgruppe zu<br />
anspruchsvoll usw. Ich wünschte, ich könnte das, ganz auf klein schreiben, das man mich zu den<br />
Teletubbies einlädt, das wäre was. Aber ein magischer Virus in meinem Blut hält mich davon ab,<br />
gewaltigen Blödsinn anzustellen und dafür bin ich recht dankbar.<br />
In deinen Büchern verweist du immer wieder auf Schriftsteller (u.a. amerikanische<br />
Gegenwartsautoren, phantastische Literatur), Filme und auch Musik. „Ich sehe Filme, lese<br />
Bücher und höre Musik. Wenn du das so intensiv machst, muss es irgendwann raus.„ sagtest du<br />
im Interview mit Ada Jeske (Eselsohr 3/02). Liegt hier der Grund für deine ausgeprägte<br />
dialogische Gestaltung, die vielen kurzen Schnitte, Vor- und Rückblende und ruhigem Verweilen<br />
in reflexiven Einstellungen in deiner Erzählweise? Würdest du deinen Erzählduktus als filmisch<br />
bezeichnen? Ja und moch einmal ja. Es ist der Reiz, eine eigene Mischung zu erfinden, sich durch<br />
die Bereiche Musik, Literatur und Film zu bewegen, als wären sie ein grandioser See und ich<br />
schwimm mal hierlang, mal dalang und wenn ich rauskomme, kann ich genau beschreiben, wie es<br />
war, in diesem See geschwommen zu sein. Man hört den Soundtrack, sieht die Szenen und versteht<br />
die Gefühle der Charaktere mit wenigen Sätzen. Die perfekte Melange.<br />
Warum ist es bloß in vielen deiner Bücher so unglaublich klirrend kalt? (Ist das intellektuell zu<br />
deuten, gesellschaftskritisch oder sind Sie einfach ein Winterfan?) Das Intelektuelle kann ich mir<br />
bis zum hohen Altern abschminken, das kommt erst, wenn ich alt und weise im Sessel sitze und<br />
jeden Satz achtzig Mal destilliere. Dafür kommt das Schreiben einfach zu sehr aus dem Bauch und<br />
rauscht durchs Herz zum Kopf, wo es nur für kurze Zeit Pause machen darf. Auch<br />
gesellschaftskritisch klappt nicht, das habe ich schon mit 20 getan, da war ich der knallharte,<br />
sozialkritische Zoran, der von nichts einen Schimmer hatte, aber sich über alles aufregen konnte.<br />
Nein, es ist ganz simpel. Ich bin ein Winterkind. Ich liebe den Herbst, ich hungere nach dem Winter.<br />
Der eine kommt zu kurz, der andere bringt zu wenig Schnee. Die Welt ist aus der Balance, wir<br />
Schriftsteller rücken sie gerade.<br />
Über Kinder und Jugendliche äußerst du dich fast romantisch: „Die sind risikobereit,<br />
unberechenbar, witzig. Und ich traue Ihnen alles zu: Von tiefster Melancholie bis zum totalen<br />
Wahnsinn.„ (Eselsohr 3/02). Hast du ein ähnlich positives Bild auch von Erwachsenen? Wenn<br />
nicht: wann kommt es deiner Meinung nach zum Bruch? Das Brechen beginnt mit der Schule und<br />
geht fließend weiter, weil wir anfangen nicht mehr miteinander sondern gegeneinander zu<br />
kämpfen. Das Spiel ist Krieg, wer verliert, steigt ab, wer sich nicht absichert, wird nie alt, wer nie alt<br />
wird, endet auf der Straße, wer auf der Straße endet, kommt nie in den Himmel. Mein Bild von<br />
Erwachsenen ist dementsprechend getrübt, was nicht heißt, es gibt keine Ausnahmen. Am liebsten<br />
gebe ich mich mit den Ausnahmen ab. Ich bin auf jeden Fall froh erwachsen zu sein, und ich bin<br />
auch froh noch solch ein einfaches Kind bleiben zu dürfen.<br />
In vielen deiner Bücher erschüttert etwas Außerordentliches deine kleinen, jugendlichen und<br />
nun auch erwachsenen Protagonisten. Sie machen im Folgenden häufig ganz eigene<br />
Erfahrungen, entwickeln eine spezifische Form der Wahrnehmung, die auch isoliert und<br />
durchaus tragische Elemente trägt. Ist es der Zwang des Individuums, in unserer Gesellschaft<br />
seinen ureigenen Weg zu gehen, der deine Helden in diese ungewöhnlichen Abenteuer treibt? Es<br />
ist eher der Zwang des Schriftstellers seine Charaktere auf den Rand zuzutreiben, um sie reagieren<br />
zu sehen. Grenzsituationen sind es, die uns auf den Zehenspitzen halten. Ich will wissen, was<br />
geschieht, wenn das geschieht, was nie geschehe sollte. Ich plane diese Erfahrungen nicht ein und<br />
reibe mir die Hände und denke Hehe, jetzt gebe ich es dem kleinen Scheißer. Ich schreibe und habe<br />
da irgendwann eine Situation, die sich mir nähert wie eine dunkle Wolke, die ich nur aus den<br />
Augenwinkeln sehen kann. Und lange, bevor ich sie im Fokus habe, steht sie auf dem Monitor und<br />
ich frage mich, was ich da schon wieder getan habe. Oft sind solche Situationen Spiegelungen der<br />
Charaktere, sie führen sie selbst hervor. Das weiß ich aber oft erst, wenn die Geschichte zuende ist<br />
und alle mir auf die Schulter klopfen, weil ich so clever war es einzubauen.