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Materialien für den Unterricht 22 Naturwissenschaften sozial

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43 :82<br />

e) Der Reaktorunfall in Tschernobyl<br />

Tschernobyl eine Rückschau<br />

Der Reaktorunfall von Tschernobyl und die daraus resultierende Kontamination in der Bundesrepublik<br />

Von W. Weiss, A. Sittkus, H. Sartorius und H. Stockburger, Freihurg i. Br. *)<br />

Einleitung<br />

Am 26. April 1986 um 1.23 Uhr (Ortszeit)<br />

ereignete sich im Block 4 des sowjetischen<br />

Kernkraftwerks Tschernobyl ein<br />

schwerer UnfalL der die Zerstörung des<br />

Reaktors und eine erhebliche Radioaktivitätsfreisetzung<br />

zur Folge hatte. In <strong>den</strong><br />

Tagen und Wochen danach waren nur wenige<br />

Fakten über Ursache, Art, Ablauf<br />

und Stärke des Unfalls verfügbar. Die Informationslage<br />

verbesserte sich wesentlich<br />

durch das IAEA-Expertentreffen Ende<br />

August 1986 in Wien, wo Vertreter der<br />

UdSSR eine umfangreiche Dokumentation<br />

des damaligen Kenntnisstands vorlegten<br />

[1] .•••<br />

Die Anlage in Tschernobyl<br />

In der UdSSR wur<strong>den</strong> 1985 insgesamt<br />

14 Reaktoren des Typs RBMK-lOOO mit<br />

einer Gesamtleistung von 14 GW cl betrieben.<br />

Die Verfügbarkeit dieser Reaktoren<br />

liegt im Mittel bei 80 %. Am Standort<br />

Tschernobvl befan<strong>den</strong> sich zur Zeit des<br />

Unfalls vi~r Reaktorblöcke dieses Typs<br />

im Vollastbetrieb. Die Reaktoren des<br />

Typs RBMK-I000 sind Siedewasser­<br />

Druckröhrenreaktoren. Als Moderator<br />

wird Graphit, als Kühlmittel (leichtes)<br />

Wasser verwendet. Der Moderator von<br />

insgesamt 1700 t Gewicht, der im Leistungsbetrieb<br />

eine Temperatur zwischen<br />

550 und 700°C besitzt. ist bei Luftzufuhr<br />

und bei Temperaturen oberhalb 800 oe<br />

brennbar. Die große räumliche Ausdehnung<br />

des Reaktorkerns macht eine umfangreiche<br />

Regelung des Neutronenflusses<br />

notwendig. Der Einsatz eines Graphitmoderators<br />

und Wassers als Kühlmittel<br />

kann zu einem Störfallverhalten führen,<br />

das unter bestimmten Voraussetzungen<br />

* Dr. Wo~rgang Weiss, Leiter des Instituts für<br />

Atmosphärische Radio(/ktil'ität des Bundesam­<br />

'es für Zivi/schUl: (Rosastr. 9, 7800 Freiburg<br />

i. Br.); Dr. A/bert Sillkus. his 1981 Leiter dieses<br />

Tnstitws; Dip/. -Ph\'s. Hartmut SarlOrius lind<br />

Dr. He/mlll Stockhurger, wissenschaftliche Mitarbeiter.<br />

eine sich selbst verstärkende Leistungserhöhung<br />

prinzipiell nicht ausschließt. Es<br />

besteht deshalb die Vorschrift, <strong>den</strong> Reaktor<br />

aus Sicherheitsgrün<strong>den</strong> bei weniger als<br />

20 % der Nennlast grundSätzlich nicht zu<br />

betreiben. • • •<br />

Die Chronologie des Unfallablaufs<br />

Der Block 4 des Reaktors in Tschernobyl<br />

sollte am 25. April 1986 wegen der<br />

jährlich notwendigen Revision heruntergefahren<br />

wer<strong>den</strong>. Im Verlauf dieser Maßnahme<br />

war ein Experiment an einer der<br />

bei<strong>den</strong> Turbinen vorgesehen, das die Frage<br />

beantworten sollte, oh die Rotationsenergie<br />

der auslaufen<strong>den</strong> Turhine bei einem<br />

Kühlmittelverlust-Störfall mit gleichzeitigem<br />

Ausfall der Netzversorgung<br />

kurzzeitig zur Energieversorgung der<br />

Speisewasserpumpen verwendet wer<strong>den</strong><br />

kann. Ein früherer Versuch dieser Art<br />

hatte einige Modifikationen elektrotechnischer<br />

Art nahegelegt. die nun getestet<br />

wer<strong>den</strong> sollten. Das im einzelnen schriftlich<br />

festgelegte Experiment war als rein<br />

"konventionell" eingestuft, eine Rückwirkung<br />

auf <strong>den</strong> Reaktor seIhst nicht erwogen<br />

wor<strong>den</strong>.<br />

Der zeitliche Ablauf des Unfalls wurde<br />

von sowjetischer Seite im Detail rekonstruiert<br />

und beschrieben: Der Block 4<br />

wurde am 25. 4. 1986, 1.00 Uhr (Ortszeit),<br />

planmäßig heruntergefahren. Um<br />

14.00 Uhr war ein Teillastbetrieb von<br />

50 % erreicht. der auf Anforderung des<br />

Lastverteilers in Kiew - außerplanmäßig<br />

- für ca. 9 Stun<strong>den</strong> aufrecht erhalten<br />

wer<strong>den</strong> mußte. Der zeitliche Ablauf des<br />

Experiments mußte geändert wer<strong>den</strong>. Eine<br />

in Übereinstimmung mit der Planung<br />

bereits durchgeführte Freischaltung des<br />

Notkühlsystems wurde entgegen <strong>den</strong> Betriebsvorschriften<br />

jedoch nicht rückgängig<br />

gemacht. Um 23.10 Uhr erfolgte eine weitere<br />

Leistungsreduktion mit dem Ziel eines<br />

Teillastbetriebs von ca. 20-30 %,<br />

d. h. knapp oberhalb des zulässigen Minimums.<br />

Aufgrund eines Bedienungsfehlers<br />

der Betriehsmannschaft am 26. 4. 1986,<br />

0.28 Uhr, fiel die Reaktorleistung auf unter<br />

1 % der Nennleistung ab, was eine<br />

sofortige Reaktorabschaltung zur Folge<br />

hätte haben müssen. Stattdessen wurde<br />

versucht, die Reaktorleistung wieder zu<br />

erhöhen. Dabei traten u. a. aufgrund des<br />

komplexen Regelverhaltens des Reaktors<br />

weitere Schwierigkeiten auf. Trotz<br />

schwerwiegender Verstöße gegen die Betriebsvorschriften<br />

konnte bis 1.00 Uhr eine<br />

Leistungserhöhung auf nur 7 % der<br />

Nennleistung erreicht wer<strong>den</strong>. Die Anlage<br />

selbst befand sich bereits zu diesem<br />

Zeitpunkt in einem instabilen Zustand,<br />

der eine~ sofortige Abschaltung erforderlich<br />

gemacht hätte. Trotzdem wurde unter<br />

Umgehung bzw. gezielter Ausschaltung<br />

weiterer Sicherheitseinrichtungen schließlich<br />

um 1.23 Uhr das geplante Experiment<br />

eingeleitet. Die versuchsbedingte<br />

Verringerung des Kühlmitteldurchsatzes<br />

im Reaktorkern führte zunächst innerhalb<br />

von 30 Sekun<strong>den</strong> zu einem Leistungsanstieg<br />

auf ca .. 10 % Nennleistung. Die eingeleitete<br />

Reaktornotabschaltung zeigte<br />

keine Wirkung. Es kam vielmehr innerhalb<br />

weniger Sekun<strong>den</strong> zu einer Leistungsexkursion<br />

auf etwa das 100fache<br />

der Nennleistung. Zwei bis drei Sekun<strong>den</strong><br />

danach wurde eine "Explosion" registriert,<br />

deren Natur noch nicht geklärt ist.<br />

Aufgrund der lokalen Aufheizung der<br />

Brennelemente auf über 2000 °C kam es<br />

nach sowjetischen Computersimulationen<br />

des Unfallablaufs und Schätzungen zu einem<br />

Üherdruckversagen und zu einer<br />

starken Fragmentierung von etwa 30 fk<br />

der Brennstäbe. Der Kontakt des aufgeheizten<br />

Materials mit dem umgeben<strong>den</strong><br />

Wasser führte schließlich zu einer Dampfexplosion,<br />

die die Zerstörung des Reaktors<br />

und des Reaktorgebäudes zur Folge<br />

hatte. Die nach der Zerstörung des Gebäudes<br />

mögliche Konvektion von Luft<br />

führte zum Brand des Graphitmoderators.<br />

Nach sowjetischen Angaben wur<strong>den</strong><br />

in dieser Phase etwa 1 % des Inventars<br />

der nicht-edelgasförmigen Radionuklide<br />

des Reaktorkerns in Form von Brennstofffragmenten<br />

freigesetzt und - infolge<br />

des thermischen Auftriebs - bis in Höhen<br />

über 1000 Meter verfrachtet. Die Freisetzung<br />

am 26. April betrug etwa 25 % der<br />

Gesamt-Freisetzung. • ••

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