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Materialien für den Unterricht 22 Naturwissenschaften sozial

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D1 72<br />

Störfälle im Atomkraftwerk<br />

verlaufen nicht wie im Computer<br />

Versuche ergeben "beachtliche Unterschiede" zwischen Rechenmodellen und der Wirklichkeit<br />

Probe-Erdbeben riß Rohre ab<br />

Von unserem Redaktionsmitglied Joachim Wille<br />

Frankfurter Rundschau vo. 6.12.1986, S.l<br />

KARLSRUHE, 5. Dezember. Schwere<br />

Störfälle in Atomkraftwerken verlaufen<br />

physikalisch nicht immer so, wie dies die<br />

bisher verfügbaren Rechenmodelle voraussehen.<br />

Diese Schlußfolgerung ergibt<br />

sich aus einer Versuchsreihe des Kernforschungsinstitutes<br />

Karlsruhe (KfK), die<br />

in dieser Woche während einer Tagung<br />

über das sogenannte HDR-Sicherheitsprogramm<br />

vorgestellt wor<strong>den</strong> ist. Bei<br />

Versuchen in dem stillgelegten Prototyp<br />

eines Heißdampfreaktors (HDR) , in<br />

Groß-Welzheim wurde als Störfall 'ein<br />

Kühlmittelverlust nachgeahmt. Diese Art<br />

von Störfall kann bei Überhitzung des<br />

Reaktorkerns zu einem Super-GAU führen.<br />

Bei dem Versuch zeigte sich, daß<br />

die in einem Computermodell vorausgesagten<br />

Temperaturverhältnisse im<br />

Reaktor-Sicherheitsbehälter für die Zeit<br />

etwa der zweiten Stunde nach dem Unfall<br />

nicht eintrafen. Es seien .. beachtliche<br />

Unterschiede" zu vermerken, heißt es dazu<br />

in einem in K;:rlsruhe vorgelegten Bericht.<br />

Für die sicherheitstechnische Auslegung<br />

von Reaktor-Sicherheitsbehältern<br />

habe dieser Unterschied keine besondere<br />

Bedeutung" schreiben die Autoren des<br />

Berichts weiter. Die Abweichungen seien<br />

.. aber völlig inakzeptabel, falls auf diesem<br />

Wissens stand aufbauend" die .. Gasverteilung<br />

bei einer Freisetzung von Wasserstoff<br />

vorhergesagt wer<strong>den</strong> soll". Genaues<br />

Wissen über Menge und Verteilung von<br />

Wasserstoff, der durch <strong>den</strong> Eintritt einer<br />

Kernschmelze frei wer<strong>den</strong> kann, ist wichtig,<br />

weil Wasserstoffexplosionen im Reaktorkern<br />

zu einem Versagen des Sicherheitsbehälters<br />

und zur Freisetzung von<br />

Radioaktivität führen können. Wissenschaftler<br />

äußerten in Karlsruhe <strong>den</strong><br />

Wunsch, dieses Problem zu einem<br />

Schwerpunkt der zukünftigen' Forschung<br />

im HDR-Projekt zu machen.<br />

Während der Tagung in Karlsruhe<br />

wurde auch über die Ergebnisse der Erdbebenversuche<br />

in diesem HDR-Reaktor<br />

vom' Juni und Juli 1966 berichtet. Sie<br />

waren nach einer Klage zwischenzeitlich<br />

unterbrochen wor<strong>den</strong>. Ein in der Anlage<br />

installierter .. Gebäuderüttler", der in der<br />

Spitze eine .. Unwuchtlast" von 1000 Tonnen<br />

auf das Reaktorgebäude ausübte,<br />

sollte dabei die Wirkung von Erdbeben<br />

auf Atomreaktoren simulieren. Wie in<br />

einem Film zu sehen war, zeigte das Gebäude<br />

Schwingbewegungen bis zu 50<br />

Zentimetern Ausschlag. Risse im Erdreich,<br />

zum Teil auch in nichttragen<strong>den</strong><br />

Wän<strong>den</strong>, das Abreißen von dünneren<br />

Rohrleitungen und anderes waren die<br />

Folge. In dem Bericht heißt es dazu, als<br />

Ergebnis sei hervorzuheben, daß .. keine<br />

Schä<strong>den</strong> an wichtigen Teilen auftraten".<br />

Die zur Erdbebenauslegung von Reaktoren<br />

verwandten Rechenprogrammen hätten<br />

.. erhebliche Sicherheitsreserven".<br />

Heftig attackierte KfK-Vorstandsmitglied<br />

Wilhelm Hohenhinnebusch die Kläger,<br />

die durch einen Gerichtsbeschluß die<br />

Erdbebenversuche für etwa zwei Wochen<br />

gestoppt hatten. Es handelt sich dabei um<br />

<strong>den</strong> Naturschutzbund Südhessen (BUND)<br />

und die Grünen-Ortsgruppe SeJigenstadt.<br />

Sie hatten mit möglichen Schä<strong>den</strong> bei<br />

dem benachbarten, 1985 stillgelegten<br />

Atomreaktor Kahl argumentiert. Dort<br />

lagern noch abgebrannte Brennelemente.<br />

Bei .. diesen Gruppen", so Hohenhinnebu~ch,<br />

gebe es .. keine Bereitschaft, auf<br />

ArffUmente einzugehen". Ihre Geisteshaltu,g<br />

lasse Offenheit und geistige Vielfalt<br />

vermissen, und sie hätten Freude an apokalyptischen<br />

Visionen.<br />

Weiter meinte Hohenhinnebusch, es<br />

komme darauf an, in der Öffentlichkeit<br />

die große Bedeutung der Atomenergie<br />

für die gesamte WeltgeseJlschaft<br />

und die Erhaltung des Wohlstands<br />

klarzumachen. Es müsse verstärkt<br />

darüber nachgedacht wer<strong>den</strong>, welche<br />

Strategien dabei einzuschlagen seien.<br />

Dabei könnten auch .. Volkspsychologen"<br />

helfen.<br />

BONN (dpa). Die * CDU hält in einem<br />

von einer Parteikommission am Freitag<br />

vorgelegten Bericht über Wissenschaft<br />

und Technik die friedliche Nutzung der<br />

Atomkraft zur Zeit für unverzichtbar und<br />

aufgrund einer verantwortungsbewußten<br />

Güterabwägung für ethisch gerechtfertigt.<br />

Sie sei heute eine kalkulierbare, beherrschbare<br />

und vertretbare Technik.<br />

Der .. Störfall von Tschernobyl" sei Ausdruck<br />

einer nicht verantwortlich gehandhabten<br />

Nutzung einer modernen Technologie<br />

und kein Beleg für nicht beherrschbare<br />

Risiken. Ihre Position beschreibt die<br />

CDU neben dem Kernenergiebereich im<br />

einzelnen zu <strong>den</strong> i>roblemen der<br />

Gen-Technologie und Fortpflanzungsmedizin,<br />

zur Auswirkung neuer Technologien<br />

auf Arbeitsplätze sowie. zur· Datentechnik.<br />

.wissenschaftler entdecken Lappen als "interessante Testgruppe" für<br />

Verzehr radioaktiv verstrahlten Fleischs<br />

Wieviel<br />

Cäsium<br />

verträgt der<br />

Mensch<br />

Schwedische Wissenschaftler<br />

lassen Lappen<br />

hochverstrah Ites<br />

Rentierfleisch essen. Nach<br />

der Atom katastrophe<br />

in der Ukraine wollen sie<br />

die Auswirkungen der Radioaktivität<br />

im Körper testen<br />

Anders Kuhmunen hält sich die<br />

Hände vors Gesicht und weint.<br />

»Mein Haus ist zerstört, <strong>den</strong>n<br />

mein Haus ist die Natur.« Der<br />

70jährige ist Rentierzüchter<br />

und Same, wie sich die Lappen,<br />

die Ureinwohner Nordeuro-<br />

. pas, selber nennen.<br />

Zerstört ist für ihn alles, seit<br />

nach der Katastrophe von<br />

Tschernobyl im April vergangenen<br />

Jahres mit dem Wind die<br />

giftige Wolke aus dem Sü<strong>den</strong><br />

kam und <strong>den</strong> radioaktiven Fallout<br />

versprühte: Mit mehr als<br />

80 000 Becquerel pro Quadratmeter<br />

Bo<strong>den</strong> ist die Provinz<br />

Västerbotten in Nordschwe<strong>den</strong><br />

so verseucht, daßdieExistenz<br />

fast aller 2700 Rentierzüchter,<br />

die dort leben, gefährdet<br />

ist.<br />

Tausende von Rentieren<br />

mußten im Herbst 1986 vernichtet<br />

wer<strong>den</strong>, weil die Radioaktivität<br />

in ihrem Fleisch über<br />

dem in Schwe<strong>den</strong> festgelegten<br />

Grenzwert von 300 Becquerel<br />

pro Kilogramm lag. Es taugt<br />

höchstens noch als - angeblich<br />

ungefährliches - Futter für die<br />

Nerze in Pelztierfabriken.<br />

Doch nicht nur die Tiere,<br />

auch die Rentierzüchter und ihre<br />

Familien sind gesundheitlich<br />

gefährdet. Erst einen Monat<br />

nach der Katastrophe von<br />

Tschernobyl waren sie gewarnt<br />

wor<strong>den</strong>. Wochenlang hatten<br />

die Samen ahnungslos in <strong>den</strong><br />

Bergen ihr Trinkwasser aus verseuchtem<br />

Schnee gewonnen.<br />

» Wir sind wieder einmal vergessen<br />

wor<strong>den</strong>«, sagt Anders<br />

Kuhmunen.<br />

Doch inzwischen entdeckte<br />

die Wissenschaft die atomar<br />

verstrahlten Lappen. Sie seien<br />

eine »interessante Testgruppe«,<br />

sagt Professor Hans Svensson.<br />

Der Chef des Strahlenphysikalischen<br />

Instituts an der U niversität<br />

von U meä ist im Januar<br />

drei Wochen lang durch 50<br />

Dörfer Lapplands gereist, um<br />

Rentierzüchter und ihre Familien<br />

für ein U ntersuchungsprogramm<br />

zu gewinnen, das er<br />

»einfach spannend« findet. Er<br />

will erforschen, wie sich Radioaktivität<br />

im Körper von Babys,<br />

Kindern, erwachsenen Frauen<br />

und Männern verhält, welche<br />

Dosen sie mit der Nahrung aufnehmen<br />

und in welchem Zeitraum<br />

die Strahlung wieder aus<br />

dem Körper ausgeschie<strong>den</strong><br />

wird.<br />

Stolz führt uns Prof. Svensson<br />

durch die Laborräume im<br />

Untergeschoß seiner Klinik, wo<br />

für 500 000 schwedische Kronen<br />

eine Bleikammer zur Ganzkörpermessung<br />

eingerichtet<br />

wurde. Assistenten sitzen an<br />

Computern, auf deren Bildschirmen<br />

die Becquerelwerte<br />

von 162 Testpersonen per Tastendruck<br />

erscheinen. Ein<br />

64jähriger Same hält mit 64 400<br />

Becquerel Cäsium 137 »<strong>den</strong><br />

Rekord«, bei <strong>den</strong>· Ki.,dern hat<br />

ein zehnjähriger Junge mit

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