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MünchnerUni Magazin - Ludwig-Maximilians-Universität München

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Zum letzten Punkt ein Beispiel aus der Befragung: „Geisteswissenschaftliche<br />

Sachverhalte und Problemstellungen sind so eng an die<br />

Sprache gebunden, dass die alleinige Dominanz des Englischen zu<br />

einem Verlust an Wissen, Problembewusstsein, Vielfalt und Kommunikation<br />

führen würde.“<br />

Das Zitat thematisiert die Konstitution von Forschungsgegenständen<br />

in „nationalsprachlich geprägten“ Wissenschaften und verweist darüber<br />

hinaus auf die enge Beziehung zwischen Sprache als Mittel der<br />

Erkenntnis in einer Wissenschaft und der Kommunikation der Erkenntnis<br />

in eben dieser Sprache.<br />

EnGlISCh – lInGUa fRanCa DER WElTWEITEn<br />

WISSEnSChafTSkoMMUnIkaTIon?<br />

Unter einer Lingua franca wird ein sekundär erworbenes Sprachsystem<br />

verstanden, das als Kommunikationsmittel zwischen Sprechern<br />

verschiedener Muttersprachen dient. Gemäß diesem allgemein akzeptierten<br />

Verständnis einer Lingua franca erscheint es nicht gerechtfertigt,<br />

von Englisch als Lingua franca in den Wissenschaften zu sprechen,<br />

es sei denn, man schließt die englischen Muttersprachler aus.<br />

Zwar gibt es internationale wissenschaftliche Arbeits- und Kommunikationskontexte,<br />

die ausschließlich aus Nicht-Muttersprachlern des<br />

Englischen bestehen. Schriftliche Wissenschaftskommunikation des<br />

Englischen ohne englische Muttersprachler und ohne entsprechenden<br />

Rekurs auf die sprachlichen Normen dieser Gruppe ist im Hinblick auf<br />

die faktische Dominanz des Englischen allerdings wirklichkeitsfremd<br />

und unpraktisch.<br />

Das Konzept Englisch als Lingua franca der Wissenschaften ist auch<br />

deshalb problematisch, weil dadurch eine kommunikative Gleichheit<br />

der Sprecher und Schreiber suggeriert wird, die in der Wirklichkeit<br />

nicht vorhanden ist: Für die einen ist das Englische Erstsprache, für<br />

die anderen Zweit- oder auch Drittsprache. Auch wenn in der Diskussion<br />

des Englischen als Globalsprache alle Benutzer des Englischen<br />

zu Besitzern dieser Sprache erklärt werden („English belongs to all its<br />

users”), so klingt dies zunächst entgegenkommend, hat aber auch<br />

einen gönnerhaften Ton; denn es ist ja in der Tat nicht so, dass alle<br />

Sprachbenutzer des Englischen an der Weiterentwicklung des Englischen<br />

und seiner standardsprachlichen Kodifizierung in gleicher Weise<br />

teilhaben würden. Für den mündlichen Sprachgebrauch in der internationalen<br />

Wissenschaftskommunikation kann – je nach Gesprächskontext<br />

– durchaus von einer erheblichen Flexibilität und Normabweichung<br />

in der Sprachverwendung ausgegangen werden. Dieses gilt<br />

jedoch weniger bzw. nur in sehr eingeschränktem Umfang für die<br />

schriftliche, standardbasierte Wissenschaftskommunikation, da angesehene<br />

amerikanische und britische Verlage sowie englisch-muttersprachliche<br />

Herausgeber als „gatekeepers“ über sprachliche Korrektheit<br />

wachen. Deshalb ist es rationaler, diese prinzipielle Ungleichheit<br />

zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern des Englischen<br />

anzuerkennen, als sie zu ignorieren oder gar aus Gründen vermeintlicher<br />

political correctness so zu tun, als ob jedem das Englische<br />

genau so leicht falle wie die Muttersprache.<br />

PERSPEkTIvEn<br />

Erst das offene Eingeständnis der besonderen Herausforderungen<br />

durch die englische Sprache, vor allem in der schriftlichen Wissenschaftskommunikation,<br />

schafft das Bewusstsein dafür, dass Wissenschaftlern,<br />

Studierenden und nicht-wissenschaftlichem Personal entsprechende<br />

Unterstützung in den Hochschulen durch einen englischen<br />

Sprachservice geboten werden sollte. Ein solcher Sprachservice könnte<br />

für Wissenschaftler und fortgeschrittene Studierende wirkungsvolle<br />

Hilfe bzw. Starthilfe bei der Abfassung und Korrektur von englischsprachigen<br />

Manuskripten leisten sowie Übersetzungsdienste anbieten.<br />

Des Weiteren sollte ein angemessenes Angebot englischer<br />

Sprachkurse, zum mündlichen und zum geschriebenen Englisch sowie<br />

zur schriftlichen Fachkommunikation, für alle Statusgruppen der <strong>Universität</strong><br />

zur Verfügung stehen. Die Fokussierung auf das Englische darf<br />

allerdings nicht in den weniger anglophonen und durch die Nationalsprachen<br />

geprägten Wissenschaften, wie z. B. den Geistes-, Erziehungs-<br />

oder Rechtswissenschaften, den Blick für Mehrsprachigkeit<br />

und für Multiperspektivität der Forschung versperren. Da die Fähigkeit<br />

einer differenzierten und nuancierten Ausdrucksweise den allermeisten<br />

Sprachbenutzern nur in der Erstsprache gegeben ist, sollte insbesondere<br />

in solchen Disziplinen, deren Forschungsgegenstände eng<br />

mit der Sprache und Kultur eines Landes verbunden sind, die (wissenschafts-)politisch<br />

immer stärker forcierte Forderung, das Englische<br />

generell als Wissenschaftssprache zum Nachweis von internationaler<br />

Reputation zu gebrauchen, sicherlich aufgegeben werden. Es sollten<br />

darüber hinaus Möglichkeiten bereitgestellt werden, qualitativ herausragende<br />

Arbeiten für die Autoren kostenfrei ins Englische zu übersetzen.<br />

Andererseits ist nicht zu verleugnen, dass in vielen ‚kulturunabhängigen‘<br />

Wissenschaftsbereichen wie den Naturwissenschaften<br />

ausschließlich auf Englisch publiziert wird, sodass eine Nichtbefolgung<br />

dieses Modus zu einer Überlebensfrage im Sinne der Titelfrage<br />

würde. Eine ‚dogmatische‘, d. h. durch die Kommunikationssituation<br />

nicht zu rechtfertigende Verwendung des Englischen in der mündlichen<br />

Kommunikation, etwa wenn alle Teilnehmer des Deutschen<br />

mächtig sind, sollte jedoch vermieden werden. Der Vorschlag, eine für<br />

die weltweite Wissenschaftskommunikation neue, nicht-muttersprachlich<br />

basierte Varietät des Englischen wie „Globalish“ oder „Globalesisch“<br />

zu entwickeln, mag rhetorisch verlockend klingen, ist aber<br />

faktisch unrealistisch, da er die Beziehung von Sprache, Kultur und<br />

(politischer) Macht ausblendet. Die Tatsache, dass auch China sich<br />

dem Englischlernen verschrieben hat und die Beherrschung des Englischen<br />

dort als wichtige Kompetenz für Studium und Beruf gilt, lässt<br />

erkennen, dass die Vorrangstellung des Englischen als Welt- und Wissenschaftssprache<br />

für die nächsten Jahrzehnte unangefochten ist.<br />

Ammon, Ulrich. „Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache?<br />

Englisch auch für die Lehre an den deutschsprachigen Hochschulen.“<br />

Berlin; New York: de Gruyter 1998.<br />

Gnutzmann, Claus (ed.) „English in Academia. Catalyst or Barrier?“<br />

Tübingen: Narr 2008.<br />

Gnutzmann, Claus; Intemann, Frauke; Janßen, Hero; Nübold, Peter. „Die englische Sprache<br />

in Studium, Wissenschaft und Verwaltung – Ergebnisse einer Online-Umfrage“.<br />

Fachsprache/International Journal of LSP 26 (2004), 1-2, 14-34.<br />

MUM 01 | 2010 ESSay<br />

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