Cruiser Winter 2014
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CRUISER Edition <strong>Winter</strong> 14/15<br />
Portrait<br />
Wie würdest du die Schulzeit beschreiben, gab es Anfeindungen,<br />
Hänseleien oder derartiges? Wenn ja, wurdest du dadurch bestärkt<br />
in deinem Willen, dich nicht unterkriegen zu lassen?<br />
Ich glaube, ich habe mir im Laufe der Zeit ein recht dickes Fell zugelegt.<br />
Nicht unbedingt weil ich gehänselt wurde oder so, sondern weil ich eigentlich<br />
immer im Mittelpunkt öffentlichen Interesses stehe. Um mit den<br />
ganzen Blicken zurechtzukommen, findet man automatisch eine Strategie.<br />
In der Schule habe ich einen kleinen Trick angewendet: Ich konnte<br />
hinten auf meinem Rollstuhl ein bis zwei Kinder mitnehmen. So habe<br />
ich oft in der Pause Taxi gespielt, war dadurch beliebt und habe Hemmschwellen<br />
abgebaut. Das ist, denke ich, eine sehr gute Strategie, um nicht<br />
angefeindet zu werden: Man muss versuchen, dabei zu sein.<br />
Janis McDavid kam ohne<br />
Arme und Beine zur Welt,<br />
was ihn jedoch nicht davon<br />
abhält, seinen Weg zu<br />
gehen und sein Leben<br />
selbstbestimmt zu leben.<br />
Auch die Tatsache, dass er<br />
auf Männer steht, tut dem<br />
keinen Abbruch. Der<br />
23-jährige Student bereist<br />
die Welt und düst mit seinem<br />
Mercedes zwischen<br />
Berlin, Witten und Bochum<br />
hin und her.<br />
CR-MAGAZIN: Janis McDavid, gab es einen ersten Moment, in dem Du realisiert<br />
hast, dass du keine Gliedmassen hast?<br />
JANIS MCDAVID: Dieser erste Moment kam interessanterweise erst recht spät,<br />
da war ich bereits in der ersten Klasse. Als Kind habe ich nie wirklich realisiert,<br />
anders zu sein. Wenn es im Kindergarten hiess, es sei Zeit, sich<br />
die Schuhe anzuziehen, dann war für mich klar, dass ich mich in meinen<br />
Rollstuhl setze. Aber das war für mich nichts Besonderes, ich dachte mir<br />
eher: «Manche Kinder können sich die Schuhe bereits selber anziehen,<br />
andere nicht und ich brauche dabei keine Hilfe.» Das waren also die Kategorien,<br />
in denen ich gedacht habe. Realisiert habe ich es erst, als zufällig<br />
mal bei uns im Hausflur ein Spiegel stand. Von dem Augenblick an habe<br />
ich mich stärker damit auseinandergesetzt. Aber auch wenn ich heute<br />
unterwegs bin, fühlt es sich für mich an wie laufen – es ruckelt nur oft<br />
stärker wenn die Gehwege schlecht sind.<br />
Deine Eltern haben entschieden, dass du in keine Schule für körperbehinderte<br />
Menschen gehen musstest, wie stehst du heute zu dieser<br />
Entscheidung?<br />
Dies war eine der besten Entscheidungen, die meine Eltern getroffen haben.<br />
Damals, 1998, war das noch nicht so einfach, man hat Menschen wie<br />
mich von der Gesellschaft abgeschottet und ihnen dadurch die Chance<br />
genommen, normal am Leben teilzunehmen. Ich hatte glücklicherweise<br />
die Chance, mich ganz normal mit Klassenkameraden zu messen, die mit<br />
Armen und Beinen geboren wurden. Die Messlatte wurde für mich also<br />
nicht heruntergelegt und es gab keine Ausreden oder Entschuldigungen<br />
aufgrund meiner körperlichen Herausforderung. Genau deshalb ist Inklusion<br />
auch so wichtig, damit alle die Chance haben, am beruflichen<br />
und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und Freunde zu finden, die<br />
nicht im Rollstuhl sitzen!<br />
Die Wahrnehmung deiner Person in den Medien ist eine optimistische.<br />
Du gehst auch bewusst an die Öffentlichkeit – bist du auch ein<br />
Showman oder geht es dir ums Prinzip?<br />
Es geht mir vor allem darum, Barrieren in den Köpfen der Menschen abzubauen.<br />
Inklusion und Gleichberechtigung unterschiedlicher sogenannter<br />
«Minderheiten» unserer Gesellschaft funktioniert nur dann, wenn sie<br />
auch in den Köpfen stattfindet. Ich erlebe leider oft, dass Rollstuhlfahrer<br />
nicht als normal angesehen werden und Infrastruktur deshalb barrierefrei<br />
gemacht wird, weil es getan werden muss. Mir wäre es lieber, wenn<br />
wir Barrierefreiheit leben, weil wir es wollen und die Vorteile davon erkennen.<br />
Jeder und jede von uns hat bestimmte Fähigkeiten und Qualifikationen,<br />
die wir einbringen können und dabei sollte es egal sein, ob wir<br />
schwul, lesbisch etc. sind, eine andere Hautfarbe haben oder im Rollstuhl<br />
statt auf einem Bürostuhl sitzen.<br />
Mit technischer Hilfe ist für dich quasi ein «normales» Leben möglich,<br />
so fährst du beispielsweise Auto und hast einen Rollstuhl, der dich fast<br />
überall hinbringen kann. Doch wie finanziert man sich eine solche<br />
«Ausrüstung»?<br />
Solch eine «Ausrüstung» kann nicht privat finanziert werden, man benötigt<br />
dafür die Hilfe des Staates. Es gibt in Deutschland verschiedene<br />
Wege, sich dies finanzieren zu lassen, doch leider sind diese oft kompliziert,<br />
schwer durchschaubar oder ziehen sich über lange Zeit hin. Wenn<br />
jemand im Rolli ein Jobangebot bekommt, für das er oder sie ein Auto<br />
benötigt und die Behörden brauchen über ein Jahr, um die Kostenzusage<br />
zu prüfen, dann ist das meiner Meinung nach schon Diskriminierung.<br />
Das Jobangebot ist dann im Zweifelsfall weg. Aufgabe des Staates sollte<br />
sein, eine Behinderung soweit möglich auszugleichen, aber das muss<br />
erstens schnell gehen und zweitens einkommens- und vermögensunabhängig<br />
geleistet werden.<br />
Was sollte deiner Meinung nach für dich und andere Menschen in<br />
deiner Situation noch erfunden werden, damit das Leben noch einfacher<br />
wird?<br />
Es gibt bereits sehr viele Erfindungen, die uns das Leben in vielen Situationen<br />
einfacher machen. Das was mich heutzutage am meisten behindert,<br />
ist eine oftmals fehlende Umsetzung, weil nicht daran gedacht wird, dass<br />
beispielsweise nicht alle Menschen Treppen benutzen können. Einfacher<br />
würde mein Leben um ein Vielfaches, wenn Barrierefreiheit öfter umgesetzt<br />
würde, die Möglichkeiten dazu sind vorhanden.<br />
Du selbst bist homosexuell – kam dies damals, etwas salopp formuliert,<br />
noch erschwerend dazu?<br />
Es kam dazu, aber nicht erschwerend, eher erleichternd. Männer sind<br />
doch oftmals sehr hübsch, das ist etwas Schönes (lacht)! Ausserdem hatte<br />
ich dadurch die Möglichkeit, mich einmal bewusst mit dem Thema der<br />
Sexualität auseinanderzusetzen. Mein Ziel ist, auch in diesem Bereich<br />
«normal» zu sein.<br />
In der Gay-Szene hat das Äussere einen hohen Stellenwert. Es war zu<br />
lesen, dass du auf den blauen Seiten regelrecht angegriffen wurdest.<br />
Wie gehst du damit um?<br />
Das stimmt, unsere Community legt einen grossen Wert auf Äusserlichkeiten.<br />
Bis zu einem bestimmten Punkt ist das auch nachvollziehbar und<br />
auch ich achte natürlich darauf. Auch mir sind gewisse Äusserlichkeiten<br />
wichtig, so ist das eben mit den Reizen. Problematisch wird es nur dann,<br />
wenn meine fehlenden Gliedmas sen mit kognitiven Einschränkungen<br />
gleichgesetzt werden. Manche Leute haben leider noch nicht begriffen,<br />
dass eine körperliche Besonderheit nichts mit geistigen oder emotionalen<br />
Einschränkungen zu tun hat. Ihnen sollte man aber einfach gar keine<br />
besondere Aufmerksamkeit schenken.<br />
Eine Frage, die sich vielleicht viele stellen, ist die, wie du mit deiner<br />
Sexualität umgehst und ob du einen Freund hast. Möchtest du darauf<br />
antworten?<br />
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