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Sport des Südens - Nord-Süd-Netz

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SPORT DES SÜDENS<br />

Verbarrikadierte Häuser in Chongwenmen<br />

Andere Baumaßnahmen seien längst notwendige und gesetzlich<br />

abgesicherte Infrastrukturprojekte, so Huang Yan, Leiterin<br />

der städtischen Planungskommission. Das internationale<br />

Bedauern über den Verlust von Pekings traditioneller Altstadt<br />

kann sie durchaus verstehen. Auf 16.400 Quadratkilometern<br />

Stadtfl äche stehen nur 62 Quadratkilometer Altstadt. „Wir haben<br />

früher einige Fehler gemacht“, räumt Huang ein, „aber<br />

jetzt sind ja Straßenzüge unter Denkmalschutz.“ Gleichzeitig<br />

gehe es auch darum, die Wohnbedingungen der Leute zu verbessern.<br />

In den alten Hofhäusern der Pekinger Gassen gibt es<br />

meist keine sanitären Anlagen und keine Heizung. Zudem solle<br />

nun auch weniger abgerissen und mehr restauriert werden, so<br />

Huang.<br />

Hastig hochgezogene, graue Backsteinmauern verdecken die<br />

Ränder <strong>des</strong> alten Gassenviertels im südwestlichen Stadtteil<br />

Chongwenmen. Marathonläufer und Radfahrer sollen hier im<br />

August 2008 auf glatte Mauern und Grünstreifen anstatt auf<br />

alte Häuser schauen. Bis zum 14. Januar sollen alle Umsiedlungsmaßnahmen<br />

zur „Verschönerung <strong>des</strong> Stadtviertels“ endgültig<br />

abgeschlossen sein. Die „Bekanntmachungen“ hängen<br />

nur noch in Fetzen gerissen an den Häuserwänden. Mürrisch<br />

schlurfen die Menschen durch die Gassen, viele wohnen in<br />

schon halb zerschlagenen Ruinen. Überall hängen rote Spruchbänder.<br />

„Je eher ihr unterschreibt, <strong>des</strong>to eher könnt ihr wieder<br />

in Frieden wohnen.“ Doch für die Entschädigungssumme können<br />

sich die Menschen meist keinen Wohnraum im gleichen<br />

Stadtviertel leisten. Laut dem Pekinger Statistikbüro sind die<br />

Preise für neue Wohnungen in der ersten Hälfte 2007 um 10,1<br />

Prozent gestiegen. Min<strong>des</strong>tens 1000 Euro kostet der Quadratmeter<br />

nun in der Hauptstadt. Sun Ruoyu, die bekannteste<br />

Hausbesitzerin in dem Stadtteil, ging es nicht um Geld. Die<br />

55-jährige wollte das Haus ihres Urgroßvaters nicht so einfach<br />

Bildquelle: Spruchband, verbarrikadierte Häuser, zerfetzte Bekanntmachung im Pekinger<br />

Gassenviertel Chongwenmen, Autorin: Kristin Kupfer<br />

der Olympiade opfern. Ihre Mutter hat es sogar in den Wirren<br />

der Kulturrevolution vor staatlichen Übergriffen verteidigt. Nun<br />

sollte es einem Grünstreifen neben der olympischen Marathonstrecke<br />

zum Opfer fallen. Sun harrte aus, bis sie die Bulldozer<br />

nicht mehr vertreiben konnte.<br />

Gesellschaft ohne Menschlichkeit<br />

Qiao Lijie kämpft nicht mehr um ihr Haus, sondern um Gerechtigkeit.<br />

Auch wenn ihre Freunde ihr raten, sich nicht mit der<br />

Regierung anzulegen, weil man da nur draufzahlt. Die Baufi rma<br />

droht ihr, endlich Ruhe zu geben. Die Polizei will von den<br />

gewaltsamen Übergriffen nichts mitbekommen haben und fordert<br />

Beweise. Chinesische Journalisten trauen sich nicht über<br />

ihre Geschichte zu berichten, denn Hausabriss steht längst auf<br />

der Liste der vorgegebenen Tabuthemen.<br />

„Mein Rechtsanwalt sagte mir offen, dass es auf dem Rechtsweg<br />

schwierig wird“, schüttelt Qiao den Kopf. Da bleibt nur<br />

noch der Weg über persönliche Beziehungen und möglichst<br />

großen Öffentlichkeitsdruck. Qiao hat die Übergriffe der Schläger<br />

mit einer versteckten Kamera aufgenommen. Diese will sie<br />

ins Internet stellen, um die Behörden unter Druck zu setzen.<br />

Qiao geht es ums Prinzip. „Früher habe ich nie verstanden,<br />

warum so viele ins Ausland wollen“, sagt die energische Frau,<br />

„nun sehe ich, dass unsere Gesellschaft alle Menschlichkeit verloren<br />

hat.“ Im Fernsehen <strong>des</strong> Hongkonger Restaurants läuft<br />

eine Reklame für die Olympischen Spiele. „Das kann ich echt<br />

nicht mehr sehen“, sagt Qiao Lijie, „wir sind wirklich Opfer<br />

von Olympia.“<br />

Kristin Kupfer<br />

Bei internationalen Großereignissen wie Fußballweltmeisterschaften,<br />

werden viele Milliarden Euro für Stadtverschönerung,<br />

den Bau neuer <strong>Sport</strong>stätten oder die Modernisierung der Verkehrswege<br />

investiert. Dabei werden jedoch fast immer die Armen<br />

vergessen. Sie haben keinen Vorteil von diesem Prozess,<br />

sie werden dazu nicht befragt, sie werden meistens nur verjagt.<br />

Wenn sie das Pech haben, entlang der Hauptstraßen und<br />

Zugangswege zu wohnen, wie etwa die BewohnerInnen von<br />

Joe Slovo in Kapstadt, sind sie besonders ein Dorn im Auge<br />

der Planer und müssen als erste verschwinden. Etwa 20 % der<br />

Vertreibungen weltweit lassen sich auf solche Großereignisse<br />

zurückführen.<br />

Misereor-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon, Sep 2007<br />

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