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Sport des Südens - Nord-Süd-Netz

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VON INDIGENEN UND OLYMPISCHEN SPIELEN<br />

48<br />

SPORT DES SÜDENS – FUSSBALL, OLYMPIA UND MEHR: SPORT ALS SPIEGEL DER NEOLIBERALEN WELTORDNUNG UND CHANCE ZU IHRER ÜBERWINDUNG<br />

03/7_Ostafrika in Bewegung_<br />

Der lange Lauf zu sich selbst<br />

Tausende Zuschauer in Addis Abebas Stadion jubelten, als die<br />

Band noch eine Lobeshymne auf die Sieger anstimmte. Der<br />

Sänger improvisierte einen Text, der die winkenden Athleten<br />

auf dem Rasen als rennende Löwen feierte. „Ihr habt der Welt<br />

gezeigt, wozu Äthiopien fähig ist“ – alles weitere ging im<br />

Klatschkonzert der Fans unter. Äthiopien hatte es geschafft,<br />

bei der Leichtathletik-WM 2003 in Paris hinter den USA und<br />

Russland auf Platz drei der Gesamtwertung zu landen – dank<br />

seiner Läufer, die sich auf fast allen Distanzen gleich mehrere<br />

Medaillen gesichert hatten.<br />

Längst ist es nicht mehr nur Altstar Haile Gebrselassie, der erfolgreich<br />

für Äthiopien läuft. Die neuen Stars sind gerade mal<br />

Anfang 20, wie Kenenisa Bekele oder Tirunesh Dibaba. Und<br />

immer mehr, noch unbekannte junge Läufer drängen hinter<br />

ihnen an die Spitze. Nicht nur Ruhm und Ehre sind es, was<br />

sie motiviert. „Anderswo auf der Welt laufen die Menschen<br />

aus Spaß“, fasst Vincent Kisanya aus Kenia, Afrikas größter<br />

Läufernation zusammen. „Für viele von uns dagegen ist Laufen<br />

einfach eine Form der Selbstständigkeit, eine Möglichkeit,<br />

Geld zu verdienen.” So hoch sei die Arbeitslosigkeit, dass<br />

viele das Risiko eingingen, auf der Strecke zu bleiben, wenn<br />

es nicht für die Spitze reicht. Der 18-jährige Kisanya trainiert<br />

selber hart. Jeden Tag läuft er mehrere Kilometer durch einen<br />

der wenigen Parks in der Hauptstadt Nairobi. Auf der Strecke<br />

trifft er andere Läufer, man kennt sich. Jeder verfolgt den gleichen<br />

Traum, aber als Konkurrenz fühlen die Marathonläufer<br />

sich nur im Wettbewerb. Im Training hilft man einander. Denn<br />

fast jeder hat die gleichen Hürden zu überwinden, solange er<br />

unbekannt ist.<br />

„Ich habe keine Laufschuhe, ich habe keinen Zugang zu ordentlichen<br />

Trainingseinrichtungen, ich habe keinen Arzt, der<br />

mir sagt, wie weit ich mit meinem Training gehen kann”, fasst<br />

Joseph Ojwang Msiko seine Situation zusammen. Manchmal<br />

leiht er sich Schuhe von Freunden, manchmal läuft er barfuß.<br />

Trotzdem ist Msiko so schnell, dass er an seine Chance bei<br />

den nächsten Olympischen Spielen glaubt – gegen eine riesige<br />

Konkurrenz. Wie die anderen, so hofft auch er auf die Scouts<br />

der großen <strong>Sport</strong>unternehmen, die beim Nairobi-Marathon<br />

oder kleineren <strong>Sport</strong>festen nach jungen Talenten Ausschau<br />

halten. Nur Nike, Puma, Adidas und all die anderen haben die<br />

Mittel, aus talentierten <strong>Sport</strong>lern Weltstars zu machen. Kenias<br />

Leichtathletikverband und die zahlreichen <strong>Sport</strong>clubs im Land<br />

haben allenfalls genug Geld, um die Grundlagen zu schaffen.<br />

30 Kilometer am Tag<br />

35 der 50 besten Marathonläufer der Welt, so ein Ranking<br />

<strong>des</strong> internationalen Leichtathletikverbands IAAF, kommen aus<br />

Kenia. Alleine im vergangenen Jahr haben Kenianer mehr als<br />

30 große Straßenmarathons weltweit gewonnen. Ein Geheimnis<br />

für die Kondition, so glauben viele, liegt in der Armut, in<br />

der die meisten Läufer aufwachsen. „Als Kind bin ich jeden<br />

Morgen fünfzehn Kilometer zur Schule gelaufen, und am nachmittag<br />

nochmal fünfzehn Kilometer zurück“, erzählt Elijah<br />

Maanza. Auch zur Arbeit sei er jeden Tag gelaufen, genau wie<br />

seine Eltern. „Wir sind zur Kirche gelaufen, zum Fluss, überall<br />

hin – für Kenianer gehört Laufen zum Alltag, vor allem für<br />

Kenianer auf dem Land.“ Busse gibt es kaum, oft sind sie zu<br />

teuer. Autos besitzt ohnehin niemand. In den Ngong-Bergen<br />

oder im Westen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> auf der Hochebene um Eldoret,<br />

woher viele erfolgreiche Läufer stammen, herrschen ebenso<br />

wie im äthiopischen Hochland ideale Trainingsbedingungen.<br />

Um Konditionen wie diese vorzufi nden, müssen europäische<br />

Läufer eigens ein „Höhentraining“ einlegen. Für Ostafrikaner<br />

ist wenigstens das inklusive. Selbst die Hauptstadt Nairobi<br />

liegt 1.700 Meter hoch.<br />

Dass in Kenia fast jeder das Zeug zum Läuferstar hat, hat zuletzt<br />

Chimokil Chilapong bewiesen. Die heute 28-jährige Hausfrau<br />

aus dem kargen <strong>Nord</strong>en <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> gab alle Karriereträume<br />

auf, als ihre Mutter starb. Die damals 17-Jährige musste die<br />

Schule verlassen und überstürzt heiraten, um ihr Überleben<br />

zu sichern. Chilapong bekam vier Kinder und schmiss den<br />

Haushalt. Doch dann hatte sie ein Problem: Weder sie noch ihr<br />

Mann hatten genug Geld, um die Schulausbildung ihrer Kinder<br />

zu bezahlen. In Kenia ist das eine der größten Elternsorgen.<br />

Ein Nachbar erzählte Chilapong, dass für Athleten viel Geld zu<br />

holen sei. Also trainierte die Mutter. Am frühen Morgen rannte<br />

sie durch die Hügel von West-Pokot, während ihr Mann das<br />

Früchstück machte und sich um die Kinder kümmerte.<br />

Nachdem sie bei einem lokalen Rennen den siebten Platz<br />

machte, wurde sie entdeckt. Coach Will Lorot, ein ehemaliger

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