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VON INDIGENEN UND OLYMPISCHEN SPIELEN<br />
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SPORT DES SÜDENS – FUSSBALL, OLYMPIA UND MEHR: SPORT ALS SPIEGEL DER NEOLIBERALEN WELTORDNUNG UND CHANCE ZU IHRER ÜBERWINDUNG<br />
03/7_Ostafrika in Bewegung_<br />
Der lange Lauf zu sich selbst<br />
Tausende Zuschauer in Addis Abebas Stadion jubelten, als die<br />
Band noch eine Lobeshymne auf die Sieger anstimmte. Der<br />
Sänger improvisierte einen Text, der die winkenden Athleten<br />
auf dem Rasen als rennende Löwen feierte. „Ihr habt der Welt<br />
gezeigt, wozu Äthiopien fähig ist“ – alles weitere ging im<br />
Klatschkonzert der Fans unter. Äthiopien hatte es geschafft,<br />
bei der Leichtathletik-WM 2003 in Paris hinter den USA und<br />
Russland auf Platz drei der Gesamtwertung zu landen – dank<br />
seiner Läufer, die sich auf fast allen Distanzen gleich mehrere<br />
Medaillen gesichert hatten.<br />
Längst ist es nicht mehr nur Altstar Haile Gebrselassie, der erfolgreich<br />
für Äthiopien läuft. Die neuen Stars sind gerade mal<br />
Anfang 20, wie Kenenisa Bekele oder Tirunesh Dibaba. Und<br />
immer mehr, noch unbekannte junge Läufer drängen hinter<br />
ihnen an die Spitze. Nicht nur Ruhm und Ehre sind es, was<br />
sie motiviert. „Anderswo auf der Welt laufen die Menschen<br />
aus Spaß“, fasst Vincent Kisanya aus Kenia, Afrikas größter<br />
Läufernation zusammen. „Für viele von uns dagegen ist Laufen<br />
einfach eine Form der Selbstständigkeit, eine Möglichkeit,<br />
Geld zu verdienen.” So hoch sei die Arbeitslosigkeit, dass<br />
viele das Risiko eingingen, auf der Strecke zu bleiben, wenn<br />
es nicht für die Spitze reicht. Der 18-jährige Kisanya trainiert<br />
selber hart. Jeden Tag läuft er mehrere Kilometer durch einen<br />
der wenigen Parks in der Hauptstadt Nairobi. Auf der Strecke<br />
trifft er andere Läufer, man kennt sich. Jeder verfolgt den gleichen<br />
Traum, aber als Konkurrenz fühlen die Marathonläufer<br />
sich nur im Wettbewerb. Im Training hilft man einander. Denn<br />
fast jeder hat die gleichen Hürden zu überwinden, solange er<br />
unbekannt ist.<br />
„Ich habe keine Laufschuhe, ich habe keinen Zugang zu ordentlichen<br />
Trainingseinrichtungen, ich habe keinen Arzt, der<br />
mir sagt, wie weit ich mit meinem Training gehen kann”, fasst<br />
Joseph Ojwang Msiko seine Situation zusammen. Manchmal<br />
leiht er sich Schuhe von Freunden, manchmal läuft er barfuß.<br />
Trotzdem ist Msiko so schnell, dass er an seine Chance bei<br />
den nächsten Olympischen Spielen glaubt – gegen eine riesige<br />
Konkurrenz. Wie die anderen, so hofft auch er auf die Scouts<br />
der großen <strong>Sport</strong>unternehmen, die beim Nairobi-Marathon<br />
oder kleineren <strong>Sport</strong>festen nach jungen Talenten Ausschau<br />
halten. Nur Nike, Puma, Adidas und all die anderen haben die<br />
Mittel, aus talentierten <strong>Sport</strong>lern Weltstars zu machen. Kenias<br />
Leichtathletikverband und die zahlreichen <strong>Sport</strong>clubs im Land<br />
haben allenfalls genug Geld, um die Grundlagen zu schaffen.<br />
30 Kilometer am Tag<br />
35 der 50 besten Marathonläufer der Welt, so ein Ranking<br />
<strong>des</strong> internationalen Leichtathletikverbands IAAF, kommen aus<br />
Kenia. Alleine im vergangenen Jahr haben Kenianer mehr als<br />
30 große Straßenmarathons weltweit gewonnen. Ein Geheimnis<br />
für die Kondition, so glauben viele, liegt in der Armut, in<br />
der die meisten Läufer aufwachsen. „Als Kind bin ich jeden<br />
Morgen fünfzehn Kilometer zur Schule gelaufen, und am nachmittag<br />
nochmal fünfzehn Kilometer zurück“, erzählt Elijah<br />
Maanza. Auch zur Arbeit sei er jeden Tag gelaufen, genau wie<br />
seine Eltern. „Wir sind zur Kirche gelaufen, zum Fluss, überall<br />
hin – für Kenianer gehört Laufen zum Alltag, vor allem für<br />
Kenianer auf dem Land.“ Busse gibt es kaum, oft sind sie zu<br />
teuer. Autos besitzt ohnehin niemand. In den Ngong-Bergen<br />
oder im Westen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> auf der Hochebene um Eldoret,<br />
woher viele erfolgreiche Läufer stammen, herrschen ebenso<br />
wie im äthiopischen Hochland ideale Trainingsbedingungen.<br />
Um Konditionen wie diese vorzufi nden, müssen europäische<br />
Läufer eigens ein „Höhentraining“ einlegen. Für Ostafrikaner<br />
ist wenigstens das inklusive. Selbst die Hauptstadt Nairobi<br />
liegt 1.700 Meter hoch.<br />
Dass in Kenia fast jeder das Zeug zum Läuferstar hat, hat zuletzt<br />
Chimokil Chilapong bewiesen. Die heute 28-jährige Hausfrau<br />
aus dem kargen <strong>Nord</strong>en <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> gab alle Karriereträume<br />
auf, als ihre Mutter starb. Die damals 17-Jährige musste die<br />
Schule verlassen und überstürzt heiraten, um ihr Überleben<br />
zu sichern. Chilapong bekam vier Kinder und schmiss den<br />
Haushalt. Doch dann hatte sie ein Problem: Weder sie noch ihr<br />
Mann hatten genug Geld, um die Schulausbildung ihrer Kinder<br />
zu bezahlen. In Kenia ist das eine der größten Elternsorgen.<br />
Ein Nachbar erzählte Chilapong, dass für Athleten viel Geld zu<br />
holen sei. Also trainierte die Mutter. Am frühen Morgen rannte<br />
sie durch die Hügel von West-Pokot, während ihr Mann das<br />
Früchstück machte und sich um die Kinder kümmerte.<br />
Nachdem sie bei einem lokalen Rennen den siebten Platz<br />
machte, wurde sie entdeckt. Coach Will Lorot, ein ehemaliger